»Es lebt noch eine Flamme« Rheinische Anarcho-Syndikalisten/-innen in der Weimarer Republik und im Faschismus von Ulrich Klan und Dieter Nelles Trotzdem-Verlag Grafenau-Döffingen 1990 Impressum: Originalausgabe 1. Auflage Oktober 1986 2. überarbeitete Auflage April 1990 TROTZDEM-VERLAG Postfach 1159 7043 Grafenau-Döffmgen Satz: Trotzdem-Verlag Druck: Moosdruck, Leverkusen © Alle Rechte vorbehalten! ISBN: 3-922209-72-6 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung Einleitung na nppunme Pape Kapitel 1 Arbeiterbewegung von unten: Anarchismus und Syndikalismus Aus eigenen Wurzeln: Die Vorgeschichte des deutschen Anarcho-Syndikalismus Die Ideen des deutschen Anarcho-Syndikalismus Anarcho-Syndikalismus als proletarische Kulturbewegung Kapitel 2 "Im Anfang war die Tat" - Anarchosyndikalisten in Aktion (1918-1923) Die deutsche Revolution Die Gründung der Freien Arbeiterunion (FAUD) Märzrevolution 1920 Die Aktionen des Rechtsanwalts Lamp in Elberfeld Streiks und Erwerbslosenunruhen im Rheinland Kapitel 3 Radikaler gewerkschaftlicher Tageskampf oder revolutionärer Propagandazirkel Kontroversen über Strategie und Taktik Die Diskussion über das Betriebsrätegesetz Die Organisation der FAUD Ursachen des Mitgliederrückgangs in der FAUD (AS) EN = S.13 S. 38 S.107 S.116 S.118 S.123 Kapitel 4 Fisch ohne Wasser - die FAUD von 1924-1933 . Die Orientierung auf gewerkschaftliche Tageskämpfe . Die Düsseldorfer Fliesenleger . Zur Agitation der FAUD im Rheinland . Die Anarcho-Syndikalisten im Kampf gegen den Faschismus POUND Kapitel 5 Der Widerstand im Faschismus . Widerstand im Rheinland . Solidarität mit Spanien 3. Speziell: Widerstand in Wuppertal N u Kapitel 6 Syndikalistische Jugend - S.135 S.144 S.148 S.158 s.171 S.176 S.180 zwischen ''Jugendautonomie' und Klassenkampf . Anarchistische Jugendliche in der Jugendbewegung . Die frühen rheinischen Jugendgruppen - Nacktkultur, Freidenkertum und revolutionärer Wissensdurst 3. Die "Freie Schule" und die "Freiheitliche Kindergruppe" 4. "Junge Anarchisten" - die syndikalistische, anarchistische Jugend ab 1925 N m Kapitel 7 "Sozialistisches Neuland'' Die Düsseldorfer Siedlung "Freie Erde" 5.189 S.191 S.218 S.234 S.268 Kapitel 8 '"'Sind anarchistische Frauenbünde notwendig?" oder ''Wie weiblich ist die Anarchie?'' 1. Frauen in der Männerbewegung S.289 2. Der "syndikalistische Frauenbund" S.299 3. Freie Liebe S.310 Kapitel 9 "'"Mit Gesang die Welt stürmen" ... die literarischen und musikalischen Initiativen im Rheinland I. Die Düsseldorfer "Schöpfung - Tageszeitung und Sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland" S.317 2. Anarchistische Kunstauffassungen S.318 3. Die Freie Sänger-Gemeinschaft S.321 Kapitel 10 Zur sozialen Basis der FAUD 5.338 Nachwort S.356 Kurzportraits 5.362 Quellen- und Literaturverzeichnis S.365 Vorbemerkung Die vorliegende Arbeit hätte nicht geschrieben werden können ohne die wieder- holte, geduldige Auskunft und herzliche Hilfsbereitschaft ehemaliger Mitglieder der »Freien Arbeiter Union Deutschlands« (FAUD), der »Syndikalistisch- Anarchistischen Jugend Deutschlands« (SAJD), der »Freien Sänger-Gemein- schaft« (FSG) und der Siedlung »Freie Erde« in Düsseldorf, Krefeld, Aachen und Wuppertal. Ihnen gilt der besondere Dank der Autoren, ebenso allen Personen, die uns in anderer Weise bei der Arbeit geholfen haben; der inzwischen verstorbenen Antonie Binder (Düsseldorf) und Martin Duve (Wuppertal) für den Druckkosten- zuschuß zur ersten Auflage, ohne den die Herausgabe des Buches damals nicht möglich gewesen wäre. Die Arbeit ist gewidmet dem Andenken jener rheinisch-bergischen Anarcho- Syndikalisten, die nach ungebrochenem antifaschistischen Widerstand in natio- nalsozialistischer »Voruntersuchung«, Psychiatrie oder KZ-Haft ermordet wur- den: Anton Rosinke (1882-1937), Düsseldorf, Schmied, Mitglied der FAUD und der FKAD, der GpF und der FSG; Michael Delissen (1895-1936), Mönchengladbach, Arbeiter, Mitglied der FAUD; Emil Mahnert (1890-1937), Duisburg, Eisendreher, Mitglied der FAUD; Wilhelm Schmitz (1900-1937), Duisburg, Maurer, Mitglied der FAUD; Robert Albrecht (1888-1940), Düsseldorf, Straßenbahnarbeiter, Mitglied der FAUD; Herbert Hahn (1907- 1940), Wuppertal, Arbeiter, Mitglied der SAJD und Johann Baptist Steinacker (1870-1944), Wuppertal, Schneider, Mitglied der syndikalistischen »Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften« von 1909 bis 1919, danach Mitglied der FAUD, der GpF und der FSG. Darüber hinaus Walter Tacken (1901-1950), Wuppertal, Kesselheizer, Mitglied der »Freien Jugend Morgenröte« und der FAUD; Carl Windhoff (1872-1945), Düsseldorf, Fliesenleger, Mitglied der FAUD und Vorsitzender der Düsseldorfer Fliesenlegerverbandes; Josef Koenen (1887-1949), Düsseldorf, Bauarbeiter, Mitglied der FAUD; Johann Nattermann (1881-1947), Düsseldorf, Maurer, Mitglied der FAUD; Gottfried Klemens (1890-1947), Düsseldorf, Plisterer, Mitglied der FAUD; Hugo Kiehl (1874-1947), Düsseldorf, Maurer, Mitglied der FAUD und Bernhard Schmithals (1869-1946), Düsseldorf, Kaufmännischer Angestellter, Mitglied der FAUD. Sie alle starben an den direkten Folgen von Folter und Haft. Einleitung Der Anarchismus war als soziale Bewegung schon totgesagt,(1) als er in der Studentenbewegung, vor allem im Pariser Mai 1968, wieder auftrat und anarchi- stische Ideen in den 70er Jahren in der Alternativbewegung, in der Friedensbe- wegung und der sogenannten »Jugendrevolte« 1980 wieder Anhänger fanden. Damit soll weder ein tradierter Zusammenhang zwischen den neuen sozialen Bewegungen und dem historischen Anarchismus konstruiert, noch sollen diese als anarchistisch etikettiert werden. So sind z.B. aus der Studentenbewegung ver- schiedeneanarchistische Gruppierungen, Zeitungs- und Verlagsprojekte hervor- gegangen, jedoch bezogen sich die antiautoritären Studenten in der Mehrheit nicht auf anarchistische Theoretiker, sondernauf Vertreter eines undogmatischen Marxismus wie Ernst Bloch, Herbert Marcuse, den frühen Lukäcs, Karl Korsch, Otto Rühle und Rosa Luxemburg.(2) In den Flügelkämpfen der zerfallenden antiautoritären Bewegung erschien eine neuerliche Variante des alten Streites zwischen Marx und Bakunin, von dem der Schweizer Sozialist Fritz Brupbacher 1929 schrieb: »Jeder, der sich einbildet, daß in diesem Kampf Marx endgültig Bakunin besiegthabe, besitzt den Verstand einer Eintagsfliege. Im Jahre 2000 oder sogar vorher wird der Kampf ... von Neuem ausbrechen.«(3) In der Alternativbewegung werden anarchistische Theoretiker rezipiert, so z.B. Gustav Landauer, der schon vor 80 Jahren viele Ideen der Landkommunen- bewegung vorwegnahm, oder der amerikanische Anarchist Murray Bookchin, der schon Mitte der 60er Jahre eine Verbindung zwischen ökologischer und anarchi- stischer Gesellschaftskritik herstellte und der sich in seinen Gesellschaftsent- würfen direkt auf die Schriften Kropotkins bezieht.(4) In der Friedensbewegung verwiesen ein Teil der gewaltfreien Aktionsgruppen und die Zeitschrift »Gras- wurzelrevolution« auf anarchistische Traditionen. Und selbst in politischen Parteien hat sich anarchistisches Gedankengut niedergeschlagen. Das Prinzip der »Basisdemokratie« als Grundpfeiler der Politik der GRÜNEN ist von anarchi- stischer Seite immer betont worden.(5) Es ist zunächst unerheblich, ob das »Anarchistische« dabei explizit oder der Sache nach auftritt, bewußt oder unbewußt, selbstgewählt oder zugeschrieben, als positiver Mythos der einzig noch unbefleckten Befreiungstheorie oder als bloßes Gespenst des Fahndungsjargons. Es erscheint in den verschiedensten Öffentlich- keiten und sei es nur in dem quasi-»konspirativen« Kurzsymbol des umkreisten »A« an zahlreichen Schulhof- und Rathausmauern. In umgekehrtem Verhältnis zu solcher neuen Verbreitung scheint allerdings der Informationsgrad über den Anarchismus zu stehen, nicht zuletzt etwa abzulesen an der beharrlich falschen Bezeichnung der »Roten Armee Fraktion« (RAF) als »anarchistisch« in beiden deutschen Staaten.(6) In ähnlicher Weise stößt der Begriff des »Syndikalismus« heute auf weitestgehende Unkenntnis — das Wort »Syndikat« wird, besonders wenn französische Sprachkenntnisse fehlen, häufig allenfalls mit »Gangstern« assoziiert. Daß der Anarchismus in Verbindung mit syndikalistischen Traditionen nicht nur in Spanien und anderen romanischen Ländern, sondern auch in Deutschland einen eigenständigen, wenn auch zahlenmäßig bescheidenen, Strang der Arbei- terbewegung hervorbrachte, ist kaum bekannt — es ist aus keinem Schulge- schichtsbuch der BRD und der DDR zu erfahren! Dies, obwohl die anarcho- syndikalistische »Freie Arbeiter-Union Deutschlands« (FAUD) zeitweilig, vor allem regional, erheblichen Einfluß in der Arbeiterschaft der frühen Weimarer Republik hatte, nach ihrer sozialen Zusammensetzung eine originär proletarische Bewegung war und in ihrem Wesen aus keiner sonstigen Richtung der deutschen Arbeiterbewegung abgeleitet werden kann. Auch wissenschaftlich ist der deutsche Anarcho-Syndikalismus bisher nur spärlich aufgearbeitet. Die soziologische und historische Forschung hat sich seiner, trotz neuerdings starker Zuwendung zu Themen der deutschen Arbeiter- bewegung, kaum angenommen. In Untersuchungen sozialdemokratischer oder kommunistischer Provenienz bzw. aus dem Umkreis der DGB-Gewerkschaften wird er ausnahmslos für »unbedeutend« eingestuft oder »totgeschwiegen«. In der bisherigen Forschung ist der deutsche Anarcho-Syndikalismus von drei verschiedenen Ansätzen her bearbeitet worden: 1. der organisationssoziologische Ansatz in der Arbeit von Hans-Manfred Bock,(7) der Entstehung, Programm und Organisation der FAUD bis 1923 darstellt und die Bewegung zusammen mit den linkskommunistischen Organisationen in Anlehnung an Lenin unter dem Begriff des Linksradikalismus subsummiert.(8) 2. der ideengeschichtliche Ansatz von Angela Vogel,(9) die sehr detailliert Genese und Theorie des deutschen Anarcho-Syndikalismus analysiert. 3. der sozialgeschichtliche Ansatz in der Arbeit von Erhard Lucas, der sich räumlich auf die Hamborner Bergarbeiterbewegung und zeitlich auf die Revolution 1918/19 beschränkt.(10) Neben diesen Arbeiten existieren noch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten aus der Vorkriegszeit und den 70er Jahren über die FAUD und die anarchistischen Organisationen in der Weimarer Republik, die entweder zeitlich sehr eng begrenzt sind oder die anarcho-syndikalistische Bewegung nur unter einem Teilaspekt behandeln. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch eine Arbeit ohne 10 wissenschaftlichen Anspruch eines Kölner Autorenkollektivs über den anarcho-syndikalistischen Widerstand an Rhein und Ruhr. (11) Gegenüber diesen bisherigen Forschungen und angesichts des ausgesprochen antizentralistischen Charakters des Anarcho-Syndikalismus bietet sich eine regio- nale Untersuchung des Gegenstandes an. Eine entsprechende wissenschaftliche Darstellung existiert für den rheinisch-bergischen Raum bisher nicht. Die Ein- grenzungen auf den »rheinisch-bergischen Raum« und die Zeit »zwischen 1918 und 1945« sind, wenn auch vom Gebot forschungsökonomischer Beschränkung diktiert, gleichwohl nicht willkürlich an die anarcho-syndikalistische Bewegung herangetragen: »Rheinisch-bergischer Raum« meint hier das Gebiet der »Provin- zialarbeiterbörse (PAB) Rheinland« der FAUD, d.h. »den Bezirk von Köln bis Hamborn, von Dülken und Aachen bis Wuppertal und Mülheim«.(12) Im einzel- nen umfaßte die PAB Rheinland die Orte Aachen, Dülken, Süchteln, Mönchen- gladbach, Krefeld, Düsseldorf, Köln, Duisburg-Süd, Duisburg-Meiderich, Hamborn, Oberhausen, Wattenscheid, Mülheim/Ruhr und Elberfeld/Barmen (ab 1929 Wuppertal).(13) In einigen Punkten wird sich die Darstellung auf den Bereich von Düsseldorf oder Wuppertal konzentrieren, einerseits aufgrund der Quellenlage, andererseits infolge schwerpunktmäßiger Präsenz etwa der anarcho-syndikalistischen Ju- gendbewegung, der »Freien Sänger« oder von S iedlungsversuchen in einer dieser Städte. Der Zeitraum von 1918 bis 1945 entspricht der gesamten Lebensdauer der anarcho-syndikalistischen Bewegung in Deutschland: Diese entstand aus anarchi- stischer und syndikalistischer Vorkriegstradition nach dem 1.Weltkrieg und der Revolution von 1918/19. Ihre Organisationen wurden 1933 von den Nationalso- zialisten aufgelöst, ihre Ideen und Anhänger verfolgt. Nach illegalem antifaschi- stischen Widerstand wurden viele Anarcho-Syndikalisten ermordet, ins Exil getrieben oder erlitten langjährige Zuchthaus-, KZ- oder »Schutz«-haft. (So u.a. 88 rheinisch-bergische Anarcho-Syndikalisten im Wuppertaler »Syndikalisten- prozeß« im Jahre 1938). Dennoch unternommene Reorganisationsversuche der Überlebenden und aus dem Exil Zurückgekehrten nach 1945 konnten keine der früheren Formen der Bewegung wiederherstellen. Über eine regionale Ergänzung der schon vorliegenden Forschungen hinaus geht es in der vorliegenden Arbeit und ihrer Vorgehensweise um die Frage nach dem Schicksal der anarchistisch-syndikalistischen Ideen und der Menschen, die Träger dieser Ideen waren: a) Wie und von wem wurde anarchistisch-syndikalistisches Gedankengut in organisatorische und kulturelle Formen umgesetzt? b) Wie weit erfaßten die Ideen den Alltag? (Zum Verhältnis von biographischem und sozialem Prozeß). 11 c) Wie reagierten die Beteiligten auf Brüche und Widersprüche, die sich bei dieser Umsetzung ergaben? Die anarchistisch-syndikalistische Bewegung bot, zumal regional untersucht, angesichts ihrer überschaubaren Größe und ihrer begrenzten Lebensdauer die Chance, sich einem sozialen Prozeß ganzheitlich zu nähern. In Kap.I werden zunächst die Vorgeschichte und die Ideen des deutschen Anarcho-S yndikalismus vorgestellt. In den Kapiteln I—V geht es um die FAUD in ihrer Eigenschaft als Kampfverband und sozialrevolutionäre Gewerkschaft sowie um den Widerstand gegen den Faschismus. Die Kapitel VF—IX behandeln die kulturellen Formen und Initiativen in den Bereichen, Jugend, Kinder und Erziehung, Frauen und Verhältnis der Geschlechter, Siedlungskommunen und Genossenschaftswesen und künstle- risch-musikalisch-literarische Projekte. Kap.X stellt die Frage nach der sozialen Basis der deutschen Anarcho-Syndikalisten, und das Nachwort läßt noch einmal einen führenden Vertreter der rheinischen FAUD zu Wort kommen — in einem Rückblick aus dem Jahre 1953. 12 b) 2) b) 2 5) Ö) N 8) 9) 10) 1) 12) 13) 14) Anmerkungen Vgl. Hoffmann, Werner: Ideengeschichte der sozialen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1962, S.226-227 Vgl. Dutschke, Rudi: Aufrechter Gang, eine fragmentarische Autobiographie, Berlin 1981 Brupbacher, Fritz: Marx und Bakunin, Berlin 1976 Vgl. Bookchin, Murray: Bemerkungen über den »klassischen« Anarchismus und die moderne Ökologie, in: Die Formen der Freiheit, Asslar-Werdorf 1977, S.51-59 So bemerkte ein älterer Wuppertaler Anarcho-Syndikalist:»Das, was die GRÜ- NEN mit Basisdemokratie meinen, haben wir vor 50 Jahren schon gefordert.« Durch Bundesregierung, Verfassungsschutz, Generalbundesanwalt undverschie- denste Medien im Westen — nachgewiesen z.B: bei Alfred Kantorowicz —LIT. Magazin des Buchhandels, Nr.2/1978. Für die DDR etwa in der dortigen Zeitung »Sonntag« vom 25.06.72. Bei der »RAF« handelt es sich jedoch nach Selbstver- ständnis, Begrifflichkeit, Strategie und Kaderstruktur um eine Organisation in leninistischer Tradition. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918- 1923, Meisenheim am Glan 1967 Vgl. die gleichnamige Schrift von Lenin: Der linke Radikalismus, die Kinder- krankheit des Kommunismus, in: Lenin, Gesammelte Werke, Bd. V, S.463-573. Der Begriff war schon in Lenins Schrift weniger ein analytischer als ein politischer Begriff zurKennzeichnung aller Strömungen der Arbeiterbewegung links von der Sozialdemokratie, die sich nicht den Bedingungen der Komintern unterwerfen wollten. Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, Theorie und Genese einer vergessenen Bewegung, Berlin 1977 Vgl. Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, Zwei Formen von Arbeiterradikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt 1976 Vgl. Theissen, R., Walter, P., Wilhelm, I.: Anarcho-syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr, Meppen/Ems 1981 Vgl. Volksgerichtshof- (VG-)Urteil gegen den Schlosser Julius Nolden, Duisburg, Az.129J267/37 // 2H46/37 ,S.7, in: HStA Düsseldorf, Akten der Gestapo, Nr. 29121; übereinstimmend mit BA Koblenz, Bestand R 58/321, Bl. 21 sowie der anarchistisch-syndikalistischen Presse und mündlichen Aussagen ehem. Anarcho- Syndikalisten. Die über Kölner und Wuppertaler Kontakte mit der PAB Rheinland verbundene Ortsgruppe der FAUD in Leuscheid/Westerwald stellt, als dörfliche Enklave einer vorwiegend städtischen Bewegung (vgl. Kap.IV) eine interessante Besonderheit dar, konnte aber durch archivalische Quellen (B A Koblenz, a.a.O.) und mündliche Berichte sowohl ehemaliger Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten als auch politisch »gegnerischer« LeuscheiderAugenzeugen lediglich in ihrer Existenz und Stärke (ca. 6 bis 15 Mitglieder) nachgewiesen werden. Vgl. Sammelurteile des Oberlandesgerichts Hamm, Az. 6.0.Js 1/37, in: HStA Düsseldorf, Akten der Gestapo, Nr. 2761 und Nr. 10821. 13 Kapitel I Arbeiterbewegung von unten: Anarchismus und Syndikalismus l. Aus eigenen Wurzeln: Die Vorgeschichte des deutschen Anarcho-Syndikalismus Obgleich der Anarcho-Syndikalismus oderrevolutionäre Syndikalismus in Deut- schland erst nach dem 1. Weltkrieg eine gewisse Bedeutung erlangte und eine nicht unwesentliche Rolle in den Klassenkämpfen der frühen Weimarer Republik spielte, war die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)—[FAUD(S)] nicht eine Neugründung, sondern verstand sich als Nachfolgeorganisation der »Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften« (FVdG), die 1897 als Zusam- menschluß der lokal organisierten Gewerkschaftsvereine gegründet worden war, — als Reaktion auf die zunehmenden Zentralisierungs- und Entpolitisierungsten- denzen in den freien Gewerkschaften.(1) So betonte Fritz Kater — einer der Exponenten der Bewegung — daß die »Freie Vereinigung« eine Organisation sei, die nach dem Kriege nicht habe umlernen müssen.(2) Angela Vogel hebt zu Recht in ihrer Arbeit (3) hervor, daß dieses Selbstverständnis der Bewegung, »ihr Insistieren auf eine organisatorische und ideologische Identität ernst genommen werden muß« und kritisiert gleichzeitig die Position von H.M. Bock (4) »der deutsche Anarcho- Syndikalismus sei gar keine originäre, aus der deutschen Arbeiterbewegung erwachsene Strömung, sondern sei erstens französischer Import—das betreffe die syndikalistisc hen Ideen — und zweitens unter dem kompakten Einfluß intellektuell gefärbter anarchistischer Vorstellungen, hier vor allem Einfluß Rudolf Rockers, zustande gekom-men«.(5) Abgesehen von einigen Ansätzen nach der 48er Revolution konnte sich die deutsche Gewerkschaftsbewegung in Deutschland erst nach der Aufhebung des Koalitionsverbots 1869 in Preußen entwickeln.(6) Doch im Gegensatz zu anderen Ländern, insbesondere den romanischen, stand die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland schon in den Anfängen unter dem starken Einfluß politischer Parteien.(7) 1868 wurden die ersten Gewerkschaften gegründet, die wirtschaftsfriedlichen 14 Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine (8) und der unter dem Einfluß des Allge- meinen Deutschen Arbeiterverbandes stehende »Arbeiterschaftsbund« unter dem Vorsitz Schweitzers, dem Nachfolger Lassalles.(9) Dem folgte 1869 die Grün- dung der Internationalen Gewerkschaftsgenossenschaften, die von der Eisena- cher Richtung der Sozialdemokratie unter Führung Bebels und Liebknechts initiiert worden waren. Im Gegensatz zum stark zentralisierten Aufbau des »Arbeiterschafts-Verban- des« ließ das von Bebel verfaßte Statut den lokalen Organisationen gegenüber den zentralen Organen einen angemessenen Spielraum zu selbstverantwortlichem Handeln. (10) Nach dem Vereinigungsparteitag der beiden sozialdemokratischen Richtungen in Gotha, 1875, verstärkten sich in der Gewerkschaftsbewegung die zentralistischen Tendenzen ebenso wie jene Kräfte, die auf eine stärkere Trennung von gewerkschaftlicher und politischer Tätigkeit hinarbeiteten. Die erste tiefergreifende Theorie, die der Gewerkschaftsbewegung nicht nur einen taktischen sondern strategischen Stellenwert im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse beimaß, wurde von dem Schriftsetzer Carl Hillmann(11) ent- wickelt. Hillmann sah in den Gewerkschaften sowohl Kampforganisationen zur Besserung der materiellen Lebenslage der Arbeiter, wie auch Erziehungsinstitu- tionen, in denen ein neues Gefühl der Solidarität hervorgerufen und die Fähigkeit zur Übernahme der Produktion geschult werden sollte. Mit diesen Vorstellungen blieb Hillmann, der Mitglied der Eisenacher Richtung der Sozialdemokratie war, zu dieser Zeit in der Partei isoliert. Die Anarcho-Syndikalistensahen in Hillmann einen Vorläufer ihrer Bewegung.(12) Das 1878 erlassene »Ausnahmegesetz gegen die gemeingefährlichen Bestre- bungen der Sozialdemokratie« hob das Vereinsgesetz, die Versammlungs- und Pressefreiheit auf. Dadurch wurde auch die Entwicklung der Gewerkschaftsbe- wegung und die Diskussion über ihre zukünftige Entwicklung jäh unterbrochen. Von den Bestimmungen des Gesetzes ausgenommen waren die lokalen Fachver- bände der einzelnen Berufe. Sie wurden nun Träger der Gewerkschafts- als auch der Parteiarbeit, denn die Begründer der Lokalvereine waren ausschließlich Sozialdemokraten.(13) Trotz der gesetzlichen Schranken gelang es den Fachvereinen mit Hilfe ge- wählter Vertrauensmänner, Verbindungen im ganzen Reich aufzubauen. Den Mittelpunkt dieser Bewegung bildete der Berliner Fachverein des Baugewerbes, der ab 1884 das Wochenblatt »Der Bauhandwerker« herausgab. Leiter dieses Blattes war der Regierungsrat a.D. Gustav Keßler,(14) der bis zu seinem Tode im Jahre 1904 der Theoretiker der Bewegung war. Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes setzte die Diskussion über die zukünftige Organisationsform der Gewerkschaften sofort wieder ein. Im No- vember 1890 wurde eine Generalkommission unter der Führung Carl Legiens gebildet, die die örtlichen Fachvereine zu zentralen Berufsverbänden zusammen- 15 fassen wollte. Die Lokalisten widersetzten sich dieser Tendenz, denn die Zen- tralverbandsform war im Rahmen der bestehenden Vereinsgesetze nur bei völli- gem Verzicht auf politische Tätigkeit möglich. Sie glaubten nicht, im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung mit rein gewerkschaftlichen Mitteln die Lage der Arbeitnehmer wesentlich verbessern zu können und forderten demzufolge den vollen politisch-revolutionären Einsatz der Gewerkschaftsorganisation. Auf dem 1892 in Halberstadt abgehaltenen Gewerkschaftskongreß waren die Lokalisten eine kleine Minderheit (15) und verließen die Versammlung unter Protest, als eine von ihnen eingebrachte Resolution mit nachstendem Wortlaut abgelehnt wurde: Wir erwarten von dem Kongreß, daß er jede Form der Arbeiterorganisation als zu recht bestehend anerkennt und in keiner Weise eine Diktatur auszuüben ver- sucht.(1 6) Von der SPD-Führung erhielten die Lokalisten keinerlei Unterstützung. Obwohl sie zu den Aktivisten der Sozialdemokratie gehörten und überzeugt waren, nach deren revolutionärem Selbstverständnis gehandelt zu haben, war die Parteileitung gezwungen, auf die stetig wachsende Mitgliederzahl der Gewerkschaften Rück- sicht zu nehmen und das ganz persönliche Mißtrauen Bebels gegenüber Keßler war den lokal organisierten Vereinen nicht gerade von Nutzen«.(17) Von seiten der Zentralverbände wurden geschickt die Bestrebungen der Lo- kalisten mit der gerade aus der SPD ausgeschlossenen Organisation der »Jun- gen«(18) verknüpft. Zwar bestanden Querverbindungen(19) und äußerliche Analogien in Auftreten und Argumentation der beiden Oppositionsbewegun- gen,(20) aber die Lokalisten waren organisatorisch zu eng an die Partei gebunden, als daß sie zu diesem Zeitpunkt durch ein offenes Auftreten für die »Jungen« den Parteiausschluß provoziert hätten.(21) Gleichwohl Kamen später führende Männer des deutschen Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus aus dieser Bewe- gung.(22) In den folgenden Jahren gingen die Auseinandersetzungen zwischen Lokalisten und Zentralverbänden in voller Schärfe weiter. Auch die SPD gab teilsweise ihre Neutralität auf und trat immer mehr für die Zentralverbände ein.(23) 1897 gründeten dann die Lokalisten auf dem »1. Kongreß der lokal organisierten Gewerkschaften Deutschlands« eine eigene Organisation,(24) die sich ab 1901 »Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften« nannte. Das Hauptreferat hielt Gustav Keßler; auf dem Kongreß wurde folgende Resolution angenommen: I. Eine Trennung der gewerkschaftlichen Bewegung von der bewußten sozialdemokratischen Politik ist unmöglich, ohne den Kampf uni die Verbesserung der Lage der Arbeiter auf dem Boden der heutigen Ordnung aussichtslos zu machen und zu lähmen. II. Daß die Bemühungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, den Zusammenhang mit der Sozialdemokratie zu lockern oder zu durchbrechen, als arbeiterfeindlich zu betrachten sind. II. Daß Organisationsformen der gewerkschaftlichen Bewegung, die sie in dem 16 Kampfe um die politischen Ziele hindern, als fehlerhaft und verwerflich zu betrachten sind ... (25) Oberste Instanz der Organisation war die sogenannte »Geschäftskommission«, bestehend aus fünf Personen. Sie hatte lediglich koordinierende Funktionen, berief Kongresse ein und gab das Verbandsorgan »Die Einigkeit« heraus, das bis zum Verbot im Jahre 1914 wöchentlich erschien. Ein örtlich gewählter Vertrauensmann vertrat die Organisation bei Kongressen, —Streikinitiativen und - fonds hingegen blieben bei den Ortsvereinen. Tarifverträge wurden grundsätzlich abgelehnt und in Unterstützungskassen »sah man nur eine Gefahr der revolutio- nären Versumpfung«. (26)In den Jahren bis 1900 konnte die »Freie Vereinigung« ihren Mitgliederbestand wesentlich vergrößern, d.h. auf 54 Organisationen mit 18.000 Mitgliedern.(27) Am 1. Januar 1900 entfiel das Verbindungsverbot der einzelstaatlichen Vereinsgesetze. Dadurch war die politische Abstinenz der Zentralverbände kein zwingendes Gebot mehr und die Lokalisten hätten auch in den Zentralverbänden politisch arbeiten können. Vordergründig war dies bisher die am meisten herausgehobene Differenz zwischen Lokalisten und Zentralverbänden. Aber die Gegensätze waren mittlerweile prinzipieller Natur. »Hier die Zentralverbände, aufgebaut nach dem Vertretungsprinzip und mit einer sich ständig verstärkenden Schicht hauptamtlicher Funktionäre, dort die »Freie Vereinigung« mit einem revolutionären Programm, föderalistisch aufgebaut unter Betonung der Selbständigkeit der Basis«.(28) Besonders in Berlin, der Hochburg der Lokalisten, soll es zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Verbänden gekommen sein,(29) unabhängig voneinander wurden Streikaufrufe verfaßt und man bezichtigte sich gegenseitig des Streikbruchs. In dieser Situation versuchte der SPD-Parteivorstand, 1903, auf Druck der Zentralverbände Einigungsverhandlungen einzuleiten, die jedoch scheiterten, da die Lokalisten nichtbereit waren, ihre organisatorische Selbständigkeit innerhalb des Zentralverbandes aufzugeben. Die Lokalisten verloren während des Ver- handlungszeitraums mehrere 1000 Mitglieder. Eine nicht unerhebliche Rolle mag dabei gespielt haben, daß den Führern der Lokalisten besoldete Stellen in den Zentralverbänden angeboten wurden und sich die SPD immer eindeutiger für die Zentralverbände aussprach.(30) Die Distanz zur SPD wurde noch größer, als die »Freie Vereinigung« sich die aus Frankreich kommende Idee des Generalstreiks zu eigen machte. In Deut- schland wurde diese Idee besonders von dem Sozialdemokraten Dr. Raphael Friedeberg propagiert. Nachdem die »Freie Vereinigung« sich antiparlamen- tarisch zu äußern begann, trat er mit den Lokalisten in Verbindung.(31) Auf einer Versammlung der »Freien Vereinigung«, 1904 in Berlin, hielt er ein Referat über »Parlamentarismus und Generalstreik«. Auf der außerordentlich 17 stark besuchten Versammlung(32) wurde eine Resolution für den Generalstreik und eine eindeutige Absage an den Parlamentarismus angenommen. Die Agitation Friedebergs und der »Freien Vereinigung« hatte einen nicht unerheblichen Anteil daran, daß die Generalstreikdebatte auf dem Parteitag der SPD in Jena behandelt wurde. Hier wurde, wie auch auf dem Internationalen Sozialisten-Kongreß in Amsterdam, wo Friedeberg die »Freie Vereinigung« vertrat und ein Referat hielt, die anarcho-syndikalistische Strategie des Generalstreiks verworfen und an dessen Stelle der politische Massen-Generalstreik in das Programm aufgenommen. Die Bildung und der Ausbau solcher Gewerkschaften, die sowohl den auf Ver- besserung der Lebenshaltung und Arbeitsbedingungen gerichteten Tageskampf führen, wie auch die auf Beseitigung der Klassenherrschaft gerichteten Bestre- bungen unterstützen, die begründet sind in der sozi alistischen Weltanschauung und ihren Ausdruck finden in der Propaganda für die Idee des Massen- resp. Generalstreiks.(33) Die Zentralgewerkschaften lehnten sowohl den Generalstreik wie auch den politischen Massenstreik kategorisch ab. Den Mitgliedern wurde verboten, in- nergewerkschaftlich diese Ideen zu propagieren. In Geheimverhandlungen mit dem SPD-Parteivorstand zwangen die Gewerkschaftsführer diesen, von dem auf dem Parteitag beschlossenen Konzept des politischen Massenstreiks abzurücken. Das Protokoll der Verhandlungen gelangte in die Hände der »Freien Vereini- gung«,(34) die es sofort publizierte. Der SPD-Parteivorstand und die Parteipresse reagierten darauf mit Beschimpfungen und Denunziationen und auf dem folgen- den Parteitag wurde ein Antrag eingebracht, daß Mitglieder, »die für anarcho- sozialistische Bestrebungen (35) eintreten, aus der Partei auszuschließen seien. Den Mitgliedern der »Freien Vereinigung« wurde empfohlen,sich den Zentral- verbänden anzuschließen. Dieser Antrag wurde abgelehnt, aber auf dem Parteitag 1908 wurde die Mitgliedschaft in der »Freien Vereinigung« als unvereinbar mit den Grundsätzen und Interessen der SPD erklärt. Nach diesem Beschluß kam es auf dem darauf einberufenen Kongreß der »Freien Vereinigung« zur Spaltung. Fast die Hälfte aller Mitglieder verließ die Organisation.(36) Die restlichen verbleibenden 9.000 Mitglieder bekannten sich zu dem in Katers Kongreßrede vorgetragenen Programm, das sich deutlich am Syndikalismus orientierte, wobei Kater sich auf die französische, syndikalistische Gewerkschaft CGT bezog: Der Kampf (kann) ...nach ihrer Meinung nicht durch eine Beteiligung an der Gesetzgebung geführt werden; sie verstehen darunter nicht, daß sie irgendeiner politischen Partei angehören müssen, sondern sie meinen den Klassenkampf auf wirtschaftlichem, auf ökonomischem Gebiete durch Generalstreik, action directe, Sabotage, die sog. passive Resistenz usw. führen zu müssen !(37) Die Organisation entwickelte sich ab 1908 immer mehr in syndikalistischer Richtung, lehnte es jedoch ab, sich »Syadikalisten« zu nennen,(38) wie das von verschiedenen Seiten verlangt wurde. 18 Wie tief die »Freie Vereinigung« schon in die Gedankenwelt des Syndikalismus eingedrungen war, zeigt eine Agitationsbroschüre aus dem Jahre 1912. Dort wurde folgende Gegenüberstellung von Zentralverbänden und »Freie Vereinigung« abgedruckt: (39) Zentralverbände Organisationsform: zentralistisch Unselbständigkeit der Ortsvereine Der Hauptvorstand verwaltet das Geld Die Streiks müssen vorher angemeldet werden Der Hauptvorstand kann Streiks verhindern oder abbrechen Die Mitglieder werden zur Disziplin erzogen Die Streiks der Verbände sind meistens Abwehrkämpfe Die Verbände vertreten Berufsinteressen Die Zentralverbände beruhenauf dem Vertretungssystem Die Verbände erhalten und gewinnen ihre Mitglieder aufgrund der Kranken-, Arbeitslosen-, Sterbeunterstützung usw. Die Zentralverbände erstreben Reformen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung Die Verbände treiben die ausgedehnteste Tarifpolitik Die Verbände sind Anhänger des Kleinstreiks Die Zentralverbände (und die Partei) erstreben militärische Reformen Freie Vereinigung Organisationsform: föderalistisch Selbständigkeit der Ortsvereine Der Ortsverein verwaltet das Geld Jede Organisation hat jederzeit das Streikrecht Die Mitglieder werden zur Solidarität erzogen Die Streiks der Lokalisten sind meist Angriffskämpfe Die Freie Vereinigung vertritt Klasseninteressen Die Freie Vereinigung empfiehlt direkte Aktion Die Freie Vereinigung propagiertund zahlt nur Streik-und Gemaßregelten- Unterstützung Die Freie Vereinigung propagiert die revolutionären Kampfmittel zum Sturz des Kapitalismus Die Freie Vereinigung. will nicht den Frieden, sondern den Kampfgegen das Unternehmertum Die Freie Vereinigung verficht die Idee des Massen- und Generalstreiks Die Freie Vereinigung. bekämpft den Militarismus grundsätzlich 19 Die übrige Propaganda-Arbeit der »Freien Vereinigung« wurde 1911 durch die Herausgabe eines weiteren Publikationsorgans, »Der Pionier«, noch unterstützt. Im »Pionier« wurden vorwiegend theoretische Beiträge abgedruckt und er war, wie H.M. Bock zutreffend bemerkt, anarchistisch geprägt(40) Der Redakteur des Blattes, Fritz Köster, hatte mit Fritz Kater schon 1890 an der im Sinne der »Jungen« oppositionellen »Magdeburger Volksstimme« zusammengearbeitet. Zwischen dem mittlerweile radikalen Anarchisten Köster und dem Pragmatiker Kater kam es aber zu ideologischen und persönlichen Spannungen über die Richtung des Blattes.(41) Es ist anzunehmen, daß »der Pionier« nur von einem Bruchteil der Mitglieder gelesen worden ist. F. Kater klagte beim 11. Kongreß der FVdG, daß es Ortsvereine gebe, die seit Bestehen der Zeitung noch kein einziges Exemplar bestellt hätten.(42) Auf dem 10. Kongreß der »Freie Vereinigung« wurde beschlossen, Kontakt zu ausländischen syndikalistischen und antimilitaristischen Organisationen aufzunehmen. Auf dem 1. syndikalistischen Kongreß in London, 1913, wie auch beim antimilitaristischen Meeting in Den Haag war die »Freie Vereinigung« durch Delegierte vertreten.(43) Aufgrund ihrer konsequenten antimilitaristischen Propaganda wurden schon ab dem 1. August 1914, in den Tagen der Kriegserklärung, in allen Orten Deutsch- lands (44) und besonders in Rheinland-Westfalen (45) Syndikalisten in Schutzhaft genommen und bis zu zwei Jahren festgehalten.(46) Bis 1917 konnten noch Mitteilungsblätter bzw., als diese verboten wurden, ein Rundschreiben erscheinen. In Berlin wurde die Organisation durch die Gründung eines »Allgemeinen Arbeitervereins« während der Kriegszeit aufrecht erhalten, in anderen Städten durch informelleKreise der aktivsten Genossen(47) 20 argan)erTreienV_ereinignag Die Einigpelt er(andt ante Cage am Sonaks& Ttebaltion unb 6rpebition: 1Deerin C.54, 21(te Or46n8aulultrabc 20, I. XrIea0an: nuit 9, Ste. 8100. 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Allgewaltig KSKn vor Mleml Brangl de Zelt. .de „Neues Leben" Geschäftsstelle: Abonnementspreis: erscheine wdchenllieh ei n:al. 7..n beziehen dilrch R ‚\00,10011 duner, Spediteur 2....... 0,411 5ık. die Expedition sowie durch alle Kolporteure. Berlin S, Dresdener Strasse 49 11. RE 160, soulgen, die Agospallvnr l.lirrcile Oder deren Sprechgeil: Yiellofj.Ilfieh Ausland . URL. Aaron 15 Pfennige, Die:r:l s und .\W: „da no D 7 Uhr. P.inrrhinninier «0,30, Anarchistisch-sozialistische Wochenschrift. 4. Jahrg. Neue Folge. * Sonnabend, den 5. Mai 1900. * No. 18. nerilo. Oravlenatraere 15 u. apreettel « 1er sun Reeogepreiso: Dunnentaa end Kennehecd dvnh Idie m Spedn. rio 6e DG. "et...Wm-Preie: ‚umIPbdim awls, . ‚O.tahetanb, _ $onniad, den U. Nolemnber 1906. No46 ze 101 A Die Opfer des Justizmordes in Chicago. die “Penau,m 11eeeeOe „Ptr.p (eMev cod Hervorgegangen ans dem 1897 begründeten anarchistischen Wochenhlatte „Neues Leben". Rrvolihiı. ,.llär Organ der anarchistischen Föderation Deutschlands. Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust. " Ber „‚Rerolutioner- Redaktion und Veriap ennupeyrelie: erscheint aovvmends sechsseitig and Ist zn be- Berlin N.56, Kopenbegeneretr. 24. I Vierleljsbrlieh Kreuzband Berlin . Umg. 1,60 M. g © por en e. Dorthin sind: Viertel ehrlieh Kreuzhand Dentzehlaud . 1,00 „ weben durch den Varia dails Hol an Karl Sauter btannekripte nod Taneehblblter, Vierteljäbrlieh Kreuzband Oesterreluh- Anzelpenprele: an Peul Pemba.. Brief, und Oeldeendnngeo- Die dreige.l,altene Pelileslin sn Pi, Verelya- nvd Ungarn und Luxemburg. 1.60 n an richten I Vierteljährlich Kreuzband Auelaod . . tesn /ersemmlungemmelicu 20 Pr. Redakllonesohlusw Montag Abend. 1 Rinenlonmmer. 3. Jahrgang Berlin,den 9. Februar 1907 Nummer 6 22 Intellektuelle und Syndikalismus Neben der »Freien Vereinigung« bestand noch eine kleine Intellektuellengruppe in der SPD in Marburg, die sich syndikalistischen Grundsätzen verpflichtet fühlte. Führender Kopf dieser Gruppe war der Soziologe Robert Michels,(48) der seit 1904 in freundschaftlichem Kontakt zu den intellektuellen Sympathisanten des französischen Syndikalismus um Georges Sorel stand. Sein Verhältnis zum Syndikalismus beschreibt Michels folgendermaßen: Wenn er auch zu der isolierten Action Directe und dem Mythus des Generalstreiks als periodisch auf die kommende Gesellschaft vorbereitendes Manöver einige Distanz bewahrte, so ließ er sich doch substantiell für die neue Richtung gewinnen, die mit großer Energie und Kühnheit für den Versuch der Verschmelzung Marxens mit Proudhonund Pareto eine Neubelebung der idealenund energischen Potenzen in der Arbeiterbewegung erstrebte.(49) Die eigentliche Bedeutung der Marburger Gruppe besteht darin, daß über ihre Aktivitäten Kontakte zu Max Weber und Werner Sombart hergestellt wurden. Dadurch erfolgte in der von den beiden herausgegebenen Zeitschrift »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« die intellektuelle Rezeption des Anarchis- mus und d einige international bekannte Anarchisten und Syndikalisten nahmen die Gelegenheit wahr, »in einer großen, bürgerlichen Zeitschrift von Rang zu Worte zu kommen«.(50) Zu der »Freien Vereinigung« hatte Michels ein ähnliches, zwischen Sympathie und Distanz schwankendes, Verhältnis wie seine französischen Freunde (Sorel, Berth, Lagardelle) zur dortigen Bewegung(51)1906 bescheinigte er den Loka-listen, daß der Geist ihrer Organisation durch und durch sozialistisch sei und der Gewerkschaftler bürgerlicher Mentalität «diese häufige Erscheinung in den zentralisierten, neutralen Verbänden seibei den Lokalisten, deren Unterstützungskassen aus prinzipiellen Gründen nur schwach entwickelt seien, die Ausnahme.(52) Rückblickend fällt sein Urteil distanzierter aus: »Die sogenannten Lokalisten konnten auf keine großen Persönlichkeiten zählen, sie waren völlig schwunglos und wirklich jedesmal nur lokal.(53) Bis auf einen Artikel von Michels, der im Verbandsorgan »Die Einigkeit« erschien, hatte er kaum Beziehungen zur »Freien Vereinigung«. Auf dem Hintergrund seiner praktischen Erfahrungen inder deutschen, französischen und italienischen Arbeiterbewegung schrieb Michels sein Hauptwerk »Zur Soziologie des Parteiwesens«, indemer ein »ehernes Gesetz der Oligarchie« konstatierte, dem sich keine Organisation, selbst die libertärste, entziehen könnte.(54) Michels Parteisoziologie und Gustav Landauers »Aufruf zum Sozialismus« sind die beiden wichtigsten nicht-marxistischen Kritiken von links an der zunehmenden Bürokratisierung der SPD vor dem 1. Weltkrieg. Daß das heute noch lesenswerte Buch Michels so in Vergessenheit geraten ist, könnte 23 nach Michels daran liegen, daß sich Demokraten einerlei ob bürgerlich, oder proletarisch der Untersuchung des Führerproblems gegenübergenauso argwöhnisch, kitzlich und übelnehmerisch verhalten, wie sich der Bourgeois der Untersuchung des Problems des Eigentums oder gar des Unternehmergewinns zu verhalten pflegte.(55) Die anarchistische Bewegung im Deutschland bis zum 1. Weltkrieg Erste Ansätze anarchistischer Bewegung in Deutschland begannen in den 70er Jahren, vermittelt über wandernde Handwerksburschen, die in der Schweiz Kontakte zur bakunistisch orientierten Jura-Föderation (56) hatten. Der bekann- teste unter ihnen war der Schriftsetzer August Reinsdorf, der 1885 wegen des versuchten Attentatsauf den Kaiser bei der Einweihung des Niederwald-Denk- mals hingerichtet wurde.(57) Nach dem Ausschluß von Johann Most (58) und Wilhelm Hasselmann (59) 1880 aus der SPD und deren Hinwendung zum Anarchismus unter dem Einfluß Reinsdorfs(60) verbreitertesich die Basis des Anarchismus in Deutschland. Durch das Sozialistengesetz jedoch waren der Aktivität enge Grenzen gesetzt und die Arbeit beschränkte sich auf die geheime Verbreitung der im Ausland erscheinenden anarchistischen Zeitungen und Broschürenliteratur, u.a. der »Most'schen Freiheit«, die dieser(61) in London und ab 1882 in New York herausgab. Die Anarchisten der damaligen Zeit vertraten die sogenannte »Propaganda der Tat«, die zur Ursache ihrer zunehmenden Isolierung wurde. In Deutschland verlor die junge anarchistische Bewegung mit Reinsdorf »ihren weitaus begabtesten Propagandisten,« »der auch am tiefsten in die Gedan- kenwelt des Anarchismus eingedrungen« wa.r(62) Der Ausschluß der »Jungen« aus der SPD gab der anarchistischen Bewegung wieder neue Impulse. Unter der Redaktion Gustav Landauers entwickelte sich »Der Sozialist«, das Organ dieser Gruppe und das »zu dieser Zeit von der Regierung am meisten verfolgte Blatt Deutschlands,«(63) mehr und mehr zu einem rein anarchistischen Organ. »Der Sozialist« wurde in den folgenden Jahren zum Kristallisationszentrum der anarchistischen Bewegung. Bald kam es aber zu Querelen in der Redaktion aufgrund der einseitigen intellektuellen Prägung des Blattes und der eigenwilligen Interpretation des Anarchismus durch Landauer.(64) Unter der Leitung des Berliner Metallarbeiters Pawlowitsch entstand 1897 die Zeitschrift »Neues Leben«, die Landauers »Sozialist« verdrängte. Im »Neuen Leben« wurde ab 1902 die Generalstreik-Agitation durch den Österreicher Siegfried Nacht (schrieb auch unter dem Pseudonym Arnold Roller) begon- nen.(65) Aus dem Kreis um das »Neue Leben« und anderen anarchistischen Zeitungsprojekten ging die 1900 gegründete »Deutsche Föderation revolutionä- 24 rer Arbeiter(66) hervor, die sich 1903 »Anarchistische Föderation Deutschlands« (AFD) umbenannte und die bis 1914 den deutschen »Arbeiteranarchismus« organisatorisch zusammenfaßte. Organ der AFD wurde ab 1904 der »Freie Arbeiter«, der bis zum Verbot 1914 erschien und 1919-1933 als Organ der »Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands« (FKAD) weiterexis- tierte. Die Auflage des »Freien Arbeiter« lag 1910 bei ca. 5000 und 1912 bei ca. 2000 Exemplaren.(67) Die Aktivitäten und Debatten der AFD waren stark von innerorganisatorischen Problemen bestimmt, so zum Beispiel über die Autonomiebestrebungen lokaler Zeitungsgruppen und Föderationen. Die Führung der AFD glaubte, die Isoliertheit der Anarchisten in der deutschen Arbeiterbewegun(68) durch eine straffe Organisation zu überwinden: Die anarchistische Bewegung muß in Zukunft ihren Faktencharakter verlieren, eine freiwillig eingegangene festgeschlossene Verbindung ist keineswegs unan- archistisch. Wir sind Teile der proletarischen Bewegung und müssen uns dementsprechend organisieren.(69) Gegen diese Tendenz gab es starken Widerstand, vor allem in Rheinland- Westfalen, wo sich 1910 eine eigenständige Regionalföderation, die »Anarchistische Föderation Rheinland-Westfalen« (AFRW) bildete.(70) Eine eigenständige theoretische Weiterentwicklung des Anarchismus wurde von der AFD nicht geleistet. Für die Ausarbeitung eines Organisations-S tatuten- entwurfs sollten international bekannte Anarchisten wie Kropotkin, Grave und Malatesta zu Rate gezogen werden. Rudolf Lange, der damalige Vorsitzende der AFD, begründete dies damit, daß die anarchistische B ewegung Deutschlands selbst in ihrer besten Zeit nicht ein einziges originelles Werktheoretischer oder sonstiger Art hervorgebracht hat. Wir deutschen Anarchisten sind eben Spätlinge undNachgeborene und weil wir unsere gesamten geistigen Waffen bisher aus den Arsenalen unserer ausländischen Genossen bezogen haben, so können wir meiner Meinung nach auch diese Prinzipienerklärung von ihnen erbitten, ohne uns beschämt fühlen zu müssen.(71) Der einzige theoretische Kopf, den die deutsche anarchistische Bewegung vor dem 1. Weltkrieg hervorbrachte, war Gustav Landauer.(72)Nach der Einstellung des »Sozialist« zog sich Landauer einige Jahre aus dem politischen Leben zurück. In dieser Zeit übersetzte er u.a. die Werke des russischen Anarchisten Kropot-kin.(73) 1908 gründete Landauer den »Sozialistischen Bund(74) (SB) als eine lose Vereinigung autonomer Ortsgruppen, als dessen Organ 1909 der »Sozialist« wieder erschien, mit einer Auflage von 300 Exemplaren(75) Ziel des Bundes war es, durch eine geistige Bewegung zunächst einzelner (...) die ökonomische und soziale Basis so zu verändern, daß sich für jeden arbeitenden Menschen ein geistvolles, kulturerfülltes Leben führen läßt. (76) Landauerpropagierte Siedlungs- 29 genossenschaften, in denen der Sozialismus exemplarisch vorgelebt werdenkönn- te. Er nannte dies »durch Absonderung zur Gemeinschaft«.(77) In den Siedlungen, zu ländlichen Gemeinden vereint, sollten Landwirtschaft, Industrie und Handwerk,(78) geistige und körperliche Arbeit verbunden sein. Zu konkreten Versuchen ist es von Landauers Seite nie gekommen. Siedlungspro- jekte, die nach der Novemberrevolution entstanden, griffen teilweise aufLan- dauersche Vorstellungen zurück.(79) Über seinen Freund und Verwalter seines Nachlasses, Martin Buber, haben Landauers Siedlungsideen bis hin zur Errich- tung der israelischen Kibbuzims nachgewirkt.(80) Die Zusammenarbeit zwischen »Freier Vereinigung« und Anarchisten Die Zusammenarbeit zwischen »Freier Vereinigung« und anarchistischen Grup- pen war von Anfang an durch Auseinandersetzungen politischer und persönlicher Art gekennzeichnet, die sich später im Rahmen der FAUD noch desintegrierend auswirken sollten. Seit der Übernahme der Idee des Generalstreiks und der direkten Aktion durch die »Freie Vereinigung« und der damit verbundenen Distanz zur SPD waren die ideologischen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit den Anarchisten geschaffen. Die AFD konnte sich nicht zu einer klaren Position zur »Freien Vereinigung« durchringen. Auf ihrem 1. Kongreß wurde die Mitarbeit in der »Freien Vereinigung« beschlossen. Dieser Beschluß wurde auf dem 2. Kongreß auf starken Druck der Berliner Anarchisten, die in den Zentralverbänden arbeiteten, aufgehoben. Nun wurde den Mitgliedern die Wahl der Gewerkschaftsorganisation freigestellt. Einig war man sich darüber, daß die gewerkschaftliche Arbeit nur ein Teilaspekt anarchistischer Wirksamkeit darstellen sollte.(81) Bei der »Freien Vereinigung« war das anarchistische Element zwar durch die Zeitschrift »Der Pionier« vertreten gewesen, konnte sich aber nicht gegen den Pragmatiker Kater als verbindliche Ideologie durchsetzen. Ähnlich wie bei der Frage der Namensgebung glaubte er, der in der sozialdemokratischen Tradition verwurzelten Mitgliedermenge einen Wechsel des Namens und der Ideologie nicht zumuten zu können.(82)Aus denselben Erwägungen kam es auch zum Bruch mit Dr. Friedeberg, als dieser sich immer mehr zum Anarchismus hinent- wickelte.(83) Ähnlich widersprüchlich war das Verhältnis der »Freien Vereinigung« zu Gustav Landauer. Einerseits lobten sie ihn »als der feinste Kopf der freiheitlichen und anarchistischen Ideenwelt«, der sie schon 1906 mit den Ideen Kropotkins bekannt gemacht hätte, kritisierten ihn aber wegen seiner ablehnenden Haltung zur Gewerkschaftsfrage und seines Konzeptes der Siedlungsgenossenschaften. 26 Außerdem warfen sie ihm intellektuellen Hochmut gegenüber der Arbeiterbewegung vor.(84) Unproblematisch erwies sich die Zusammenarbeit zwischen Lokalisten und Anarchisten in Rheinland-Westfalen. Die dort 1910 gegründete »Anarchistische Föderation Rheinland-Westfalen« setzte sich nachdrücklich für die Mitarbeit ihrer Mitglieder in der »Freien Vereinigung« ein. (85) Ihre kurzfristig erscheinende Zeitschrift »Der Weckruf« nannten sie »Organ fürAnarchismus und Syndikalis- mus«. In der Nr.2 dieser Zeitung schrieben sie über das Verhältnis zwischen Anarchismus und Syndikalismus: Der Anarchismus wird erst dann nicht mehr in der Luft schweben, wenn hinter ihm eine starke syndikalistische Bewegung steht, eine Bewegung, die das freie Selbstbestimmungsrecht in all ihren Aktionen besitzt, eine Bewegung, die schon im voraus durch ihre taktischen Kampfmittel auf unserer Seite steht und zu uns gehört und das ist in Deutschland nur die »Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften.« (86) Die ersten Organisationen der »Freien Vereinigung« waren 1901 in Rheinland- Westfalen gegründet worden unter maßgeblicher Initiative des Fließenlegers Carl Windhoff, der bis 1933 eine führende Rolle in der anarcho-syndikalistischen Bewegung spielte. Die personellen Verbindungen zwischen »Freier Vereinigung« und »Anarchistischer Föderation« waren in vielen Ortsgruppen sehr eng. Daher wechselten häufig die Benennungen und Zuordnungen im behördlichen Schriftverkehr. So waren in Dortmund und Gladbeck die Ortsführer der »Freien Vereinigung« zugleich Kontaktadressen der AFRW.(87) In Elberfeld war der Kontaktmann der AFRW zugleich Delegierter für Elberfeld beim 9. Kongreß der »Freien Vereinigung« (1910).(88) Eine Polizeiakte über die in Düsseldorf und Umgebung lebenden Anarchisten im Jahre 1912/13 weist in den meisten Fällen Doppelmitgliedschaften im »Anarchistischen Propagandaverein« für Düsseldorf und Umgebung und der »Freien Vereinigung« aus und den Bezug des jeweiligen Presseorgans. Auch über gemeinsame Veranstaltungen undeine gemeinsame Maifeier im Jahre 1913 wird berichtet. In Düsseldorf gab es sogar einen Sänger- verein, die »Freien Sänger 04«, der sich fast ausschließlich aus Anarchisten und Syndikalisten zusammensetzte.(89) Die Düsseldorfer Gruppen der Anarchisten und Syndikalisten waren die stärksten im Bezirk.(90) Nach den Angaben aus den Akten ist davon auszugehen, daß zwischen 200 und 400 Leute der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung angehörten, und ihr Einfluß bei der Düsseldorfer Arbeiterschaft, vor allem bei den Fließenlegern und den Bauberufen, nicht unerheblich gewesen ist, zumal Carl Windhoff bis zu seinem Parteiausschluß 1904 Kreisvertrauensmann der SPD in Düsseldorf und dadurch in der linken Arbeiterschaft sehr bekannt war.(91) Gleichwohl kam es auch in Rheinland- Westfalen zu Reibereien zwischen den beiden Gruppierungen. Anlaß war ein Artikel von Fritz Kater in der »Einigkeit« mit dem Titel »Was ist Spiegelfech- 27 terei?«, in dem er behauptete, daß der »Weckruf« mit Geldern finanziert worden sei, die Kölner Gruppen der »Einigkeit« schuldeten.(92)Die Differenzen wurden auf der Regionalkonferenz der FVdG in Düsseldorf beigelegt und es wurde eine Resolution verfaßt, in der »Die Einigkeit« und die Pressekommission aufgefor- dert wurde, zukünftig keine Artikel mehr abzudrucken, die die Zusammenarbeit »der anarchistischen und syndikalistischen Richtung unmöglich« machen.(93) 2.Die Ideen des deutschen Anarcho-Syndikalismus Der Anarcho-Syndikalismus — oft synonym auch lediglich »Syndikalismus« genannt (von frz. syndicat = Gewerkschaft) — greift in seinen Wurzeln auf liberales, antijakobinisches, frühsozialistisches und anarchistisches Gedankengut zurück. Es ist vor allem ein Verschmelzungsversuch der Ideen Proudhons, Bakunins, der französischen Syndikalisten (Pierre Monatte, Ferdinand Pelloutier u.a.), des kommunistischen Anarchismus Peter Kropotkins und—für Deutschland —des »Sozialistischen Bundes« Gustav Landauers. Erteiltmitdiesen die prinzipielle Ablehnung von Kapitalismus, Staat, Kirche und jeglicher zentralistischer Orga- nisation, verwirft von daher auch politische Parteien und den Parlamentarismus. Der Anarcho-S yndikalism us setzt die antistaatliche Linie der modernen poli- tischen Theorie »die vom frühen Liberalismus zum Anarchismus führt« (94) fort. In diesen Zusammenhang gehören die antistaatlichen Theorien des Franzosen Pierre Josef Proudhon und des Russen Michail Bakunin. Proudhon betonte das Prinzip des Föderalismus, die anarchistische Gesellschaft sollte sich unter Ausschaltung aller staatlicher Institutionen, im »Öökonomischen Bereich als "Bund der Arbeiterassociationen" und im politischen Bereich als "Bund der Kommunen" organisieren«. (95) Die Theorien Proudhons wurden von Bakunin weiterentwickelt. Im Gegensatz zu Proudhon, der sich nicht prinzipiell gegen das Eigentum aussprach, sondern nur gegen das arbeitslose Eigentum(96) (Zins, Mieten, Dividenden), war Bakunin Kollektivist, d.h. alle Produktionsmittel, Grund und Boden sind Gemeineigentum,(97) der Privatbesitz wird auf die Produkte der individuellen Arbeit eingeschränkt. Bakunin betonte die Bedeutung der Gewerkschaften als Träger der zukünftigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.(98) Damit stand er in Einklang mit den Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation (1. Internationale), in der bis zu ihrer Spaltung, 1872, sämtliche Strömungen der sozialistischen Arbeiterbewegung vertreten waren. In den von Karl Marx verfaßten Statuten wurden die Grundsätze vertreten, »daß die Emanzipation der Arbei- 28 terklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muß«(99) und »daß die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse daher der große Endzweck ist, dem jede politische Bewegung als Mittel unterzuordnen ist«.(100) Diese Grund- sätze machte sich auch die anarcho-syndikalistische Bewegung zu eigen und Luigi Fabbri betont, daß die Differenzen zwischen Anarchisten und Marxisten mehr praktischer als prinzipieller Natur gewesen seien, da beide die gleichen Endziele hätten.(101) Insofern hätte der Syndikalismus sowohl marxistische als auch anarchistische Traditionen, was nicht im Widerspruch zueinander stehen würde.(102)Weitere wesentliche Prinzipien der syndikalistischen Bewegung wie die Annahme des Generalstreiks als Kampfmittel, die revolutionäre direkte Aktion, der antipatriotische Militarismus, ... der Endzweck, die Expropriation um eine geschichtliche soziale Organisation herzustellen, deren direkte Geschäftsführung die Gewerkschaften übernehmen, durch unmittelbare Verwaltung des gesellschaftlichen Eigentums, ohnepolitische Vermittler bei der Produktion (103) sind schon in der 1. Internationale entwickelt worden. Nach dem Ausschluß Bakunins aus der Internationale auf dem Haager Kongreß 1872 schlossen sich dessen Anhänger zu einer neuen Organisation zusammen, der sogenannten anarchistischen Internationale.(104)1878 löste sich diese Organi- sation auf, da die Sektionen in den verschiedenen Ländern aufgrund der staat- lichen Repression nur noch im Untergrund arbeiten konnten.(105) Die moderne syndikalistische Bewegung entstand in Frankreich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.(106) Sie knüpfte bewußt an die Traditionen der Internationalen an. Entstehungsursachen des Syndikalismus in Frankreich waren: 1. Die Entwicklung des Fabriksystems und die damit verbundene wirtschaftliche Konzentration. 2. Die Zerstrittenheit der verschiedenen sozialistischen Parteien und deren rein parlamentarische Orientierung, von denen sich die meisten Arbeiter keine Ver- besserung ihrer materiellen Situation versprachen. Da die Parteien auch über eigene Gewerkschaften verfügten, war auch im wirtschaftlichen Bereich kein einheitliches Vorgehen möglich. Von den französischen Syndikalisten wurden die wesentlichen Grundlagen und das Organisationsmodell des AnarchoSyndikalismus entwickelt. Das syndika- listische Gedankengut verbreitete sich rasch, auf dem Hintergrund der 1904 in der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung beginnenden Massenstreikde-batte. 1913 fand in London der 1. internationale syndikalistische Kongreß statt.(107) In der Literatur wird häufig die Bedeutung des Intellektuellenkreises um Georges Sorel auf die syndikalistische Bewegung in Frankreich sehr hoch eingeschätzt, was nichtzuletzt auf die Veröffentlichung von Werner Sombart(108) zurückzuführen ist. Vom Theoretiker des deutschen Anarcho-Syndikalismus, Rudolf Rocker, wird dieser Einfluß abgestritten; die Intellektuellen um Sorel 29 hätten keinen spürbaren Einfluß auf die Entwicklung der französischen Bewegung gehabt.(109) Ethische Grundlagen Wie bereits angemerkt, war besonders der deutsche Anarcho-Syndikalismus von den Theorien des Kommunistischen Anarchismus geprägt, dessen hervorragen- ster Vertreter der Russe Peter Kropotkin war.(110) Kommunistisch nannte sich diese Richtung des Anarchismus, weil sie nicht nur wie die Kollektivisten (Bakunin) Produktionsmittel, Grund und Boden, sondern auch die Arbeitser- zeugnisse in Gemeineigentum überführen wollten. Dies wurde begründet aus der Komplexität der Produktion, die kein exaktes Mehr für den Wert individueller Arbeit zulasse und die bei rationaler Planung Wohlstand für alle Menschen ermöglichen könnte.(111) Die kommunistische Gesellschaft sollte auf der Grundlage föderierter, selb- ständiger Produktionsgemeinschaften aufgebaut werden, in denen es zu einer Vereinigung von Industrie, Landwirtschaft und Handwerk, von körperlicher und geistiger Arbeitkommen sollte.(112) In diesen Produktionsgemeinschaften würde das Hauptübel des Kapitalismus, die Arbeitsteilung, wegfallen und an die Stelle der Autorität und Zentralisation würden die Solidarität und persönliche Verant- wortlichkeit der Produzenten treten. Die Spannung zwischen den individualistischen und kommunistischen Vor- stellungen versuchte Kropotkin in seiner Ethik auszugleichen. Kern dieser Ethik ist das Gesetz von der gegenseitigen Hilfe. Im Gegensatz zu der damaligen Interpretation der Darwin'schen Lehre, die den Kampf ums Dasein als wesentlichsten Evolutionsfaktor darstellte, bewies Kropotkin in einer detailreichen Studie,(113) daß die gegenseitige Hilfe und Solidarität unter Tieren ebenso verbreitet ist wie der Kampf ums Dasein. Kropotkin konstatierte einen »Solida-ritäts- oder Sozialtrieb«, dies sei ein Gefühl unendlich weiter als Liebe und Sympathie — ein Instinkt, der sich langsam bei Tieren und Menschen im Laufe einer außerordentlich langen Entwicklung aus- gearbeitet hat und der Menschen und Tiere gelehrt hat, welche Stärke sie durch die Betätigung gegenseitiger Hilfe gewinnen und welche Freuden sie im sozialen Leben finden können.(1 14) Moralempfinden, Gewissen seien nichts anderes als die menschliche, intellek- tuelle Ausdrucksform dieses »Sozialtriebes« oder Grundinstinkts, wozu »jedes wie immer geartete und mit ausgeprägtem sozialen Instinkt begabte Tier« kommen müßte, wenn »seine intellektuellen Kräfte so gut oder fast so gut wie beiMenschen entwickelt wären«.(115) Die deutschen Anarcho-Syndikalisten nahmen diesen Grundgedanken Kropot- 30 kins in ihre Prinzipienerklärung auf, in der sie erklärten: daß die gesellschaftliche Klassenteilung und der Kampf der kapitalistischen Ord- nung “degenerierend und verhängnisvoll wirkten’ auf den Charakter und das Moralempfmden des Menschen, indem sie die unschätzbaren Eigenschaften der gegenseitigen Hilfe und des solidarischen Zusammengehörigkeitsgefühls, jene kostbaren Eigenschaften, welche die Menschheit aus den früheren Perioden ihrer Entwicklung übernommen hat, in den Hintergrund drängen und durch krankhafte asoziale Züge und Gewohnheiten ersetzen... (116) Für die Organisationsform des Anarcho-Syndikalismus bedeutete dies, auf dem Hintergrund dieser Argumentation, daß sie die in den Hintergrund gedrängte, aber noch bestehende Soziabilität aufzunehmen hatte. Dies konnte nach ihrer Meinung nur eine föderalistische Organisation, in der der Freiheitsdrang des Einzelnen und der entfaltete Sozialtrieb sich gegenseitig ergänzten. Grundprinzipien Anknüpfend an Proudhons und Kropotkins Ideen vom staatenlosen "Bund der Arbeiterassociationen", "B und der Kommunen" (117) und Landauers Auffassung von der Gesellschaft als einer »Gesellschaft von Gesellschaften, Bund von Bünden, Gemeinwesen von Gemeinschaften von Gemeinden...«(118) ist das Hauptprinzip des Anarcho-Syndikalismus der Gedanke des freiwilligen, gleichberechtigten Zusammenschlusses, des Föderalismus. In dem Gegensatz von Föderalismus und Zentralismus sah etwa Rudolf Rocker nicht nur »zwei ver- schiedene technische Organisationen«, sondern zwei verschiedene geistige Ein- stellungen der Menschen.(119) Der Föderalismus basiere »auf den gemeinschaftlichen Interessen und demZusammengehörigkeitsgefühl der Menschen,(120) beim Zentralismus hingegen mache die »lebendige Kraft der Organisation einer öden Mechanisierung der Dinge Platz«,(121) Föderalismus wachse »organisch aus den schöpferischen Instinkten und Bestrebungen der Allgemeinheit«,(122) sei »organisatorische Zusammenfassung selbständiger, gesellschaftlicher Körperschaften zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles auf der Basis freier Vereinbarungen.(123) Aufgrund der föderalistischen Einstellung sind die Anarcho-Syndikalisten grundsätzlich Gegnerdes Staates. Sie lehnen auch den Staat als Übergangsstadium, die Eroberung der politischen Macht und jede Verstaatlichung der Produktion ab. Dies unter- scheidet sie von den Marxisten der verschiedenen Richtungen.(124) Aus der Gegnerschaft zum Staate ergibt sich die Position zum Nationalismus, in dem sie die »Religion des modernen Staates«(125) sehen. Der Anarcho- Syndikalismus verwirft alle »willkürlich gezogenen politischen und nationalen Grenzen«.(126) Er erkennt aber Unterschiede regionaler Art an, die jeder 31 Volksgruppe das Recht gibt, »ihre Angelegenheit und ihre besonderen Kultur- bedürfnisse gemäß ihrer eigenen Art und Veranlagung regeln zu können.(127) Der Anarcho-Syndikalismus verwirft jede Form der parlamentarischen Betätigung mit der Begründung daß auch das freieste Wahlrecht die klaffenden Gegensätze innerhalb der heutigen Gesellschaft nicht mildern kann und daß das ganze parlamentarische System nur den Zweck verfolgt, dem System der Unterdrückung und der sozialen Ungerechtigkeit den Schein des legalen Rechts zu verleihen.(128) Der aufgrund dieser Einstellung oft gemachte Vorwurf, der Anarcho-S yndikalis- mus sei eine apolitische Bewegung, wird zurückgewiesen. Nicht die politische Betätigung grundsätzlich, sondern nur deren parlamentarische Form werde abge- lehnt.(129) Aus der antiparlamentarischen Einstellung folgt die Stellung des Anarcho-Syndikalismus zu den politischen Parteien. Die Parteien seien nicht imstande, egal, welchem Ideenkreis sie angehörten, »den sozialistischen Aufbau durchzuführen«,(130) dies könnte nur von den wirtschaftlichen Kampforganisa- tionen, den Gewerkschaften, durchgeführt werden. Im Gegensatz zur Partei sei die Gewerkschaft klassengebunden. Die Gewerkschaft ist die Organisationsform des Proletariats im Gegensatz zur Partei als Organisationsform des Bürgertums und einer verbürgerlichten Arbeiter- bewegung.(131) Sollte das Ziel, der »herrschaftslose Sozialismus«,(132) föderativ sein, so mußten es für die Anarcho-Syndikalisten auch die Mittel sein: Ausgehend vom lokalen Zusammenschluß der Arbeiter der jeweiligen Berufsbranche (»Industriefödera- tionen«) bildeten sich auf örtlicher Kreis-, Bezirks- und Provinzebene sog. »Arbeiterbörsen«,(133) lockere Verbindungen der autonomen Föderationen. Diese besaßen keine Leitungen mit Weisungsrecht nach unten, sondern lediglich sog. »Informationsstellen« zum Zweck der Koordination, des Meinungs- und Informationsaustausches. Das galt ebenso für den Zusammenschluß der Arbeiterbörsen bis zur nationalen und internationalen Ebene. So hatte etwa die von der Reichskonferenz gewählte »Geschäftskommission« in Berlin bis zur nächsten Konferenz lediglich informierenden und beratenden Charakter, und die Bezirksinformationsstellen wechselten aus Prinzip immer zu anderen Arbeiterbörsen, um längerdauernde Informationsmonopole und Machtbildung zu verhindern. Ebenso wie die Arbeiterbörsen der FAUD waren auch die anarcho- syndikalistischen Jugend-, Frauen-, und Freidenker- und Sängergruppen horizontal und vertikal föderiert. 32 Die Idee der Arbeiterbörse Die Gewerkschaften haben aus anarcho-syndikalistischer Sicht doppelte Aufgabe: 1. Den Forderungen der Produzenten nach Sicherung und Anhebung des Lebens- standards Geltung zu verschaffen 2. Die Arbeiter mit dem technischen Management der Produktion und des ökono- mischen Lebens allgemein vertraut zumachen und sie darauf vorzubereiten, den sozio-ökonomischen Organismus in die Hände zu nehmen und ihn nach soziali- stischen Prinzipien zu gestalten.(134) Ein früher, sehr optimistischer Vorschlag zum »Aufbau der syndikalistischen Arbeiterbörsen innerhalb der FAUD« aus dem Jahre 1920 mag erläutern, wie diese als umfassende Keimformen der kommunistisch-anarchistischen Gesell- schaft konzipiert waren. Dort heißt es u.a.: Der Syndikalismus ist also: Kampf und Organisation für den Sozialismus. Das heißt: Er formt bewußt sozialistische Keimzellen schon innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsordnung durch den Aufbau seiner Organisation, die alles Alte zerstörend, Neues schafft. Ihm ist Zerstörung eine schaffende Lust. Er führt den Kampf zur Erledigung der kapitalistischen Ausbeuterklassen und ihrer Systeme: Staat, Geld, Justiz, Kirche, Militarismus, Nationalismus und Dummheit... Eine Organisation, die den herrschaftslosen Sozialismus verwirklichen will, muß allen Wesensmerkmalen des Sozialismus in ihrem Aufbau zum Ausdruckverhelfen.(135) Nach der Darlegung der Aufgaben der Arbeiterbörsen hinsichtlich anarcho- syndikalistischer Propaganda und der Organisierung der »Tageskämpfe aller in der Börse zusamengefaßten Gewerkschaften« heißt es dort weiter, die Arbeiterbörsen sollten, von Familie und Wohnbezirk ausgehend, »Regler des Konsums sein bzw. werden.« Dazu wird die Wahl einer »Studienkommission für den Konsum« vorgeschlagen: »Ihn an seiner Urquelle studieren, erfassen, seine Regelung in das Bewußtsein des Einzelnen zurückverlegen, heißt, den Konsum gerechtmachen.« Im einzelnen soll die Studienkommission »den Verbrauch und Bezug an Lebensmitteln im Bezirk... feststellen« und »Möglichkeiten für Beschaffung derselben durch Zusammenschluß® in Verbindung mit proletarischen Siedle-- und Produktionsgemeinschaften... erforschen und durchführen.« In Anlehnung an Proudhons Tauschbank (»banque mutualistique«) sollen die Arbeiterbörsen »den direkten Tausch zwischen Erzeuger und Verbraucher im Bezirk anregen« und »neue Möglichkeiten für Umgehung der Ausbeuterwirtschaft« suchen. Schließlich sollen die Studienkommissionen Siedlungsmöglichkeiten erforschen, Siedlungsaktionen studieren und herbeiführen..., die Verwendung von Grund und Boden feststellen... (und) die Herbeiführung einer gerechten 33 Neuverteilung von Grund und Boden ermöglichen« bzw. »in Aktionen erzwingen.« Über diese direkten wirtschaftlichen Aufgaben hinaus sollten die Arbeiterbör- sen nach diesem Vorschlag auch föderalistische Gremien der Koordination mit nicht-gewerkschaftlichen anarcho-syndikalistischen Kulturinitiativen sein: So seien auch »Jugend und Frauen entsprechend ihrer Stärke... an die Arbeiterbörsen zudelegieren,« wobei damit zur »wichtigsten Aufgabe der Arbeiterbörsen« wird, »die Solidarität unter den einzelnen angeschlossenen Gewerken, Vereinen, B ünden usw. zu üben und zu vertreten.« (Der Schreiber dieses Vorschlags ahnt offensichtlich, daß diese Konstruktion, die schon zwischen den Industrieföderationen selbst problematisch ist, im Verhältnis zur anarcho- syndikalistischen Jugend-, Frauen-, Siedlerbewegung und sonstigen »Vereinen« und »Bünden« großen Zerreißproben ausgesetzt sein würde). Endlich sieht der Vorschlag die Wahl von »Kulturkommissionen« bei den Arbeiterbörsen vor, die zu sorgen hätten a) für Bildung des Geistes: Festlichkeiten, Theater, Konzerte... b) für Arbeitsschule und Erziehung: Mit der Aufgabe, die Erziehung der Kinder in die rechten Bahnen gesunder, proletarischer Arbeitsschulung zu bringen, Vor- schläge für Förderung und Errichtung solcher Schulen auszuarbeiten. c) fürSiedlungsschulen... d) für Lehrlingswesen: Die Berufswahl, Eignung, Möglichkeiten usw. zu prüfen; Eltern, Vormündern, Erziehern und der Jugend selbst... hilfreich beizustehen. e) für Rechtswesen: Die Beziehung der Genossen untereinander von Mensch zu Mensch zu regeln, unter Ausschluß jeder Justiz bürgerlicher Art, nach eigenem proletarischen Empfinden,nach den Grundsätzen der Gegenseitigen Hilfe... Streitigkeiten zu schlichten. In Fragen des bürgerlichen Rechts Auskünfte zu erteilen.(136) Zur — auch nur ansatzweisen —Entfaltung einer solchen Breite der Arbeiterbörsen ist es nie gekommen. Für unseren Zusammenhang ist dennoch dieser virtuelle Umfang des Projekts » Arbeiterbörse« von Bedeutung, konnten sich doch vor diesem Hintergrund alle einzelnen anarcho-syndikalistischen Kulturinitiativen als wichtige und gleichberechtigte »Bausteine« der Gesamtbewegung betrachten und legitimieren. Die »direkte Aktion« und die Gewaltfrage Wichtigstes Kampfmittel und in ihren Anforderungen und Konsequenzen selbst eine Idee ist die »direkte Aktion«, der »unmittelbare Kampf der Arbeiter gegen ökonomische und politische Unterdrückung«.(137) Historisch entstanden ist die »direkte Aktion« als Reaktion der Arbeiterklasse auf die zunehmende Konzen- tration und Zentralisation des Kapitals und die wachsende Kampfunwilligkeit und 34 Kampfunfähigkeit der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien. Gegenüber allen »indirekten« politischen Strategien, wie Parteienbildung, Wahlen u.a., umfaßt die »direkte Aktion« den Streik in seinen verschiedenen Ausformungen, die passive Resistenz, den Boykott, das Label (Gewerkschaftsmarke im Konsumbereich), die Obstruktion, Demon- stration, Verweigerung des Militärdienstes und der durch den Staat und kapita- listische Gesellschaftsordnung auferlegten Pflichten, Besetzung der Betriebe, Generalstreik.(138) Hier wird im Unterschied zu den übrigen Gewerkschaften und Parteien der Einsatz jedes Einzelnen gefordert: »Die Befreiung von Ausbeutung und Unter- drückung kann nur durch ununterbrochene Selbstätigkeit der revolutionären Arbeiterschaft erfolgen, die ihren Ausdruck findet in der direkten Aktion.«(139) Die höchste Kampfform der »direkten Aktion« ist der Generalstreik, wobeiunterschieden wird zwischen Generalstreiks für politische Ziele (politischer Massenstreik) und dem sozialen Generalstreik, unter dem die Einleitung der sozialen Revolution verstanden wird.(140) Der soziale Generalstreik wird als stärkste Waffe der Arbeiter im Kampf für ihre soziale Befreiung gesehen und nimmt im industriellen System den Platz ein, »der früher den Barrikadenkämpfen in den politischen Aufständen zukam.«(141) Im Konzept der »direkten Aktion« geht es interessanterweise nicht allein um kollektive Aktionen, sondern sehr wohl auch um individuelle »Verweigerung des Militärdienstes« und anderer »Pflichten«. Hier schließt sich die Verbindung zu den Ideen Landauers: Ist der Generalstreik die »große Verweigerung«, so ist das »Austreten aus dem Kapitalismus« und z.B. die Bildung sozialistischer Sied- lungen eine Form der »kleinen« Verweigerung. Beiden liegt die Idee zugrunde, den Herrschenden die Macht zu entziehen, nicht die, sie zu »übernehmen«. »Direkte Aktion« ist nicht eindeutig auf Gewalt oder Gewaltlosigkeit festgelegt. Die Gewaltfrage war unter Anarcho-Syndikalisten immer umstritten. Einigkeit bestand lediglich in der grundsätzlichen Ablehnung staatlicher und zwischen- staatlicher Gewalt. In der Berliner »Geschäftskommission« der FAUD vertraten vor allem Fritz Oerter, der "Altsyndikalist' Fritz Kater, Franz Barwich, Winkler, Augustin Souchy und Helmut Rüdiger den prinzipiellen oder taktischen Stand- punkt, die anarcho-syndikalistischen Kampfmethoden hätten »gewaltlos« im Sinne der Nichtanwendung bewaffneter Gewalt zu sein. Grundsätzlich verwarf auch der Wiener Theoretiker Pierre Ramus die Anwendung jeglicher körperlicher Gewalt. Von den rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten wurde er dafür verächtlich »Dr. Unblutig«(142) genannt. Sie beteiligten sich — gegen die Empfehlung der »Geschäftskommission« — am bewaffneten Widerstand gegen den Kapp-Putsch (»RoteRuhrarmee«),(143) gebrauchten häufig, z.B. Streikbrechern gegenüber, den Begriff der »direkten Aktion« synonym mit »Verprügeln«(144) und bewaffneten sich z.T. individuell oder in einzelnen Gruppen angesichts der 35 zunehmenden Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialism us Ende der 20er Jahre. Die Opposition gegen die Berliner Geschäftskommission war, nach den Erfah- rungen des Kapp-Putsches, im Rhein-Ruhr-Raum besonders heftig. Zwar wurde jede organisierte Gewalt zur Erringung der Staatsmacht kategorisch abgelehnt und die Vorrangigkeit des ökonomischen Kampfes betont, aber unter gegebenen Verhältnissen würden sich auch die Syndikalisten der Waffe bedienen.(145) Einer der führenden Syndikalisten in der Region, Heinrich Reuß (Mülheim/Ruhr), formulierte dies in einem grundsätzlichen Artikel »Die Bedeutung der Gewalt im proletarischen Klassenkampf« wie folgt: Tatsache ist, daß wir uns dort, wo es möglich und notwendig war, auch der Waffe bedient haben. Und wir sind nicht deshalb zu Hunderten eingesperrt gewesen, weil wir mit Rosenkranz und Gebetbuch der Soldateska entgegentraten... Es gibt Umstände und Situationen, welche unser Handeln geradezu diktieren und wenn die Waffe über Sein und Nichtsein entscheidend bestimmt, ... dann wird auch unsere Faust nicht zittern ... Was uns Syndikalisten von den Verfechtern der Gewaltphrase trennt, ist zunächst unsere Erkenntnis von der Wirksamkeit der ökonomischen Kampfmittel.(146) Über die Frage individueller Gewaltakte wurde 1924 im »Syndikalist« eine Diskussion geführt. In Remscheid hatten im Februar während eines Streiks u.a. Mitglieder der FAUD eine Bombe in die Villa des Direktors der Mannesmann Röhrenwerke geworfen. Der »Syndikalist« forderte die Mitglieder der FAUD zur Solidarität mit den zu Zuchthaus verurteilten Genossen auf.(147) Die Kreis- Arbeiterbörse Elberfeld sprach sich gegen die Solidarität aus. Die Verurteilten wären sogenannte Individualisten, »welche sich in Ermangelung eines klaren, ausgeprägten Denk- und Auffassungsvermögens in den gelesenen oder gehörten Ideengängen eines S tinter, Nietzsche, mehr und mehr verwickelt« hätten, und nun in »ihrer krankhaften Einbildung diese Verwicklung als eine Entwicklung zum sogenannten Übermenschen betrachteten«.(148)Durch ihre organisationsfeind- liche Tendenz, durch ihre Unterstützung der gegen die FAUD gerichteten, individual-anarchistischen Zeitschrift »Der Alarm« von Carl Lange(149) in Hamburg, dem Ausschluß aller Kirchenmitglieder aus der Organisation, wären die Individualisten für die Auflösung der Metallarbeiter-Föderation in Remscheid verantwortlich. Die reichhaltige Bibliothek und die Kassenbücher befänden sich immer noch in der Hand der Langer-Jünger. Die Ortsgruppe Wiesdorf warf den Elberfeldern vor, sie richteten moralisch im bürgerlichen Sinne über Klassengenossen, um sich der Solidaritätspflicht zu entziehen. Die Feststellung der Elberfelder, das Attentat sei ein »Produkt indivi- dualistischer Geisteseinstellung«, rieche nach Denunziantentum; als Syndikali- sten gelte für sie in erster Linie das Gebot der Klassensolidarität, dann erst, ob die Verurteilten zur FAUD gehörten oder nicht.(150) Die Elberfelder reagierten sehr schroff auf diesen Vorwurf; sie Könnten indivi- 36 rieg dem n rggel rod? fettfit bie 211enfdtlieit unterben Solgen bes nerfloffenen Hriegces! 2lodi fließen bie Zrünen bet Witwen, Irreifen unb 21Tfitter! nod? tninben fit in £a3aretten rerjtiimntelte unb JKruppel bes rapitaliftifdten Raub3ugesl nod? fud?en Hriegsbefddäbigte vergebens ben Dan bes rater: lanbes! nod? 3cliren bie Geier im tr'eften nnb Often .nom Ras + ber Solbatenleiber.. Ileberall' eollin mir fdiauen, Elenb, 2lot unb Sdtmer3, gepaart mit Cage, Sdtutad? unb 6enteinfteit. Menschen! Wo sind- Eure Gehirne!??? lInb in bem Rugenblicr, wo all bas Surdttbare cud? nor tlugen ftelit, nod? an Mart nnb Seele Art, brol?t eine neue 2tata!lroplie fiber tins I?erein3ubred?en. Die 3ermalmenbe Itriegsgejtalt nod? itt frifdten eiebenfen, ift tnieber 311 nettem £eben ermecft unb feine 2lut3nicter brol?en fie auf big ‚gefd?unbene 21Tenfdilieit los3ulaffen. + Menschen + der Schaffensstätte! Entrechtetes und , verskiavtes Proletariat! Derlocrenbe 2Clänge ber „naterlänbifdten IDürbettträger" tub ihrer *anbretnger, bie Urlieber bes nierjäl?rigen DBlrcrntorbes, neriud?en lud? 311 umgarnen. *ente rennt man lud? heute feib 31p, bic 311r not geftern neradifet —,gleid?beredltigt" eures « Daterlanbes geworben. DieGefahrist gross! Mann im Arbeitsrock! Die Lüge droht dich zu ersticken!. Habt Ihr vergessen Euren Feind von gestern? Habt Ihr vergessen, wer Euci vor der Besetzung des Ruhrgebiets das Recht zum Leben nahm? Habt Il vergessen, dass + der „Nationalheld Thyssen" eifriger Förderer des 10 .sündigE Arbeitstags ist? Habt Ihr vergessen, dass derselbe Thyssen im vorigen Jahr 1400 Arbeiter auf die Strasse warf und beim Kapputsch der weissen Mordbande eine tägliche Kampfzulage gewährte? Habt Ihr vergessen, dass Tausende Eurer Leidensgenossen, die für Euch gekämpft noch in den Gefängnis » sitzen nach Freiheit schmachten? . Habt Ihr vergessen, dass noch vor wenigen Tagen in Düsssidorf Eure Brüder erschossen wurden? Wer jett mit den ilnterdrüdter des Volkes ist, stärkt iHi.re Madit und Brutalität. Unsere Feinde sind im eigenen Lande, frier ihn bekämpft, hilft 'dem inter- nationalen Proletariat, wer sie unterstützt, verschärft die Gegensätze, der rüstet mit zum neuen Völkermorden, der ist ein Feind der Arbeiterschaft, ein Verräter der proletarischen Befreiung. Krieg den deutschen Kapitalisten heist: Krieg dem Krieg el Unserem Beispiele werden die Arbeiter anderer Länder folgen. Für den Weltfrieden, durch die Weltrevolution. Verbrüderung der Unterdrückten aller Länder, durch den Kampf gegen die Unterdrücker :des eigenen Landes. Freie Fiebeiter- Union (Fa,narcho-Synaikalisten) Flrbeiter-6örse Gross Düsselöorf. »Krieg dem Krieg!« aus: HSTAD, Reg. Düsseldorf. Pol.Akten, Nr.16993 3:7 duelle Attentate nicht gutheißen, da sie in ihnen die Ursache für verschärfte Repressalien gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung sähen. Auch wenn sie den heldenhaften Mut und die persönliche Opferfreudigkeit früherer Attentäter bewunderten; im Gegensatz zu den Rem scheidem hätten diese aber zu ihren Taten gestanden und nicht gejammert und um Gnade gewinselt. Es komme darauf an, »starke, charakterfeste Persönlichkeiten heranzubilden,« nicht aber »durch ma- terielle und idelle Unterstützung ausgesprochenen Terroristen und jugendlichen Raufbolden Wasser auf die Mühle zu leiten.«(151) Was die Frage der Klassen- solidarität anbelangte, so seien Angehörige von »Militär und Polizei und sonstige Lakaien des Kapitals« auch letzten Endes Klassengenossen und man würde diese natürlich auch nicht in die Solidarität einschließen. Der Verweis auf ein Bakunin- Zitat zu individuellen Gewalttaten der Wiesdorfer sei bezeichnend für die geistige Reife und Selbständigkeit einzelner Genossen, »daß immer dann, wenn sie in einer Sache nicht selbständig zu urteilen in der Lage sind, der alte Herr und Meister Bakunin an den Haaren herbeigezogen und um seine Meinungbefragtwird,«(152) anstatt ihn wie alle Geistesgrößen als Mann seiner Zeit zu bewerten. Unumstrittener Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit der FAUD war die Agitation und Aktion gegen staatliche Gewalt, der Antimilitarismus in Wort und Schrift, Boykott und Sabotage. Auf dem Reichskongreß der Rüstungsarbeiter 1919 in Erfurt hielt Rudolf Rocker ein viel beachtetes Referat und eine von ihm eingebrachte Resolution zur prinzipiellen Ablehnung der Waffenproduktion und Umstellung der Betriebe auf Friedensarbeit wurde einstimmig angenommen.(153) Die Metallarbeiter-Föderation der FAUD legte in einer Resolution 1921 ihren Mitgliedern die kategorische Pflicht auf, »die Anfertigung jedes Kriegsmaterials prinzipiell abzulehnen und zu verweigern.«(154) In der Frage der eigenen Anwendung von Gewalt vertrat Rocker — ähnlich wie Erich Mühsam oder der italienische Anarchist Errico Malatesta — eine »offene« Position: Kater, Barwich und Winkler vertreten heute noch den Standpunkt, daß eine gewaltsame Erhebung unserer Sache nur von Schaden sein könne. Ich persönlich bin darüber etwas anderer Ansicht: Mir ist zwar jede Gewaltphrase zuwider, doch glaube ich nicht, daß man zu verschiedenen Zeiten ohne Gewaltanwendung als Verteidigungsmittel auskommen kann. Aus diesem Grunde stehe ich auch zu Einzelakten anders als Genosse Oerter, und neige hier mehr zur Ansicht Mala- testas. (»Nicht mehr Gewalt als unbedingt nötig« — Malatesta)(155) Neben dieser brieflichen Äußerung betonte Rocker allerdings immer wieder die Bedeutung des »konstruktiven« Elements des Anarcho-Syndikalismus. So schrieb er u.a. gegen den französischen Theoretiker der Gewalt, George Sorel gerichtet: »Je mehr die Gedanken Proudhons der Bewegung entfremdet wurden, desto mehr entwickelte sich der Glaube an die Bedeutung der Gewalt...«(156) Gustav Landauer, der stark von Proudhon beeinflußt war, gebrauchte im Sinne von »direkter Aktion« stets das Wort »Tat«, worunter er vor allem persönliches 38 Handeln oder Unterlassen in passivem Widerstand, aktivem Zusammenschluß oder persönlichem Entzug gegenüberdem »mechanisch eisernen Reifen« des Staates, des Kapitalismus und des von ihm sogenannten »Polizeisozialismus«(157) verstand. Er griff dabei weit in die Geschichte politischer Ideen zurück, bis auf den französischen Denker Etienne de la Boätie, aus dessen »Discnrs su la Servitude Volontaire« (ca. 1550) er zitiert: Woher nimmt der Tyrann so viele Augen, Euch zu bewachen, wenn Ihr sie ihm nicht leiht? ...Wie könnte er Euch verfolgen, wenn er nicht im Einverständnis mit Euch wäre? Was könnte er Euch tun, wenn Ihr nicht der Hehler des Diebes wäret, der Euch beraubt, der Helfer des Mörders, der Euch tötet, und Verräter an Euch selbst? ... Seid entschlossen, keine Knechte mehr zu sein, und Ihr seid frei. Ich will nicht, daß Ihr den Tyrannen verjagt oder ihn vom Throne werfet; stützt ihn nur nicht...(158) Hier liegt eine wichtige Brücke zu den nicht-gewerkschaftlichen Bewegungen der anarcho-syndikalistischen Jugendlichen, Frauen, Siedler und sonstigen Kultur- initiativen. All ihre mögliche »revolutionäre Selbsttätigkeit«, Verweigerung und Aufbauarbeit sollte ursprünglich ebenso in die örtlichen Arbeiterbörsen einfliessen wie die gewerkschaftlichen Massenkämpfe der FAUD. 3.Anarcho-Syndikalismus als proletarische Kulturbewegung — jenseits von Bürgertum und marxistischen Arbeiterorganisationen Traditionell ist die Diskussion über Arbeiterkultur überschattet von — falschen — Allgemeinplätzen wie »bürgerlich = individualistisch + Konkurrent«, »proleta- risch = kollektiv + gegenseitig«. Die Vereinfachung, »Individualismus« mit »Bürgerlichkeit« gleichzusetzen bzw.kollektiven und individuellen Vorteil le- diglich mechanisch gegeneinander zu stellen, entspricht zwar einer bis in die 20er Jahre populären idealtypischen Sicht von »Klassenbewußtsein« und war in großen Teilen der marxistisch geprägten Arbeiterbewegung verbreitet, kann sich aber selbst auf Marx nicht berufen. Er sah im »Manifest der Kommunistischen Partei« in der »freien Entwicklung eines jeden die Bedingung der freien Ent- wicklung aller«.(159) Galt dies im Marxschen (und 'marxistischen') Verständnis zwar erst für die zukünftige Arbeiterassoziation nach der sozialistischen Revo- lution, so verriet es doch einen Begriff nichtbürgerlicher Individualität. Hier kam (der frühe) Marx noch einer Grundforderung aller anarchistischen Theoretiker 39 nahe: Nicht nur der Individualanarchist S timer, sondern auch Proudhon, Bakunin, Kropotkin und Landauer erklärten die individuelle »Freiheit« zum Prüfstein der Gesellschaft,auch der sozialistischen. So schrieb z.B. Bakunin: »Die Ordnung der Gesellschaft muß die Resultante der größtmöglichen Entwicklung aller lokalen, kollektiven und individuellen Freiheiten sein.«(120) Ähnlich auch Gustav Lan- dauer: »Sozialismus kann nur erwachsen aus dem Geiste der Freiheit und der freiwilligen Einung, kann nur erstehen in den Individuen und ihren Gemein- den.«(161) Für die Anarchisten und Anarcho-Syndikalistren mußte diese Idee der persönlichen Freiheit allerdings nicht erst später, sondern jederzeit eingelöst werden — diese Haltung begründete auch ihre besondere Schwierigkeit, sich als proletarische Kampforganisation zusammenzuschließen: »Mit der eigenen Mei- nung fängt die Meinungsverschiedenheit an«.(162) Gustav Landauer hielt sogar den »Sozialismus« selbst »zu allen Zeiten und bei jederTechnik möglich; und... zu allen Zeiten und bei jeder Technik für unmöglich. Er ist zu allen Zeiten, auch bei recht primitiver Technik den rechten Menschen möglich; und er ist zu allen Zeiten, auch bei prachtvoll entwickelter Maschinentechnik, den unrechten Menschen unmöglich.«(163) Auf dieser ideengeschichtlichen Grundlage entwickelten die Anarcho-Syndi- kalisten durchaus Formen von proletarischem Individualismus, wie im Verlauf dieser Arbeit gezeigt werden soll. Dies war nicht nur eine von vielen beliebigen Mischformen zwischen angeblich klar abgrenzbaren Blöcken 'bürgerlichen' und proletarischen' Denkens, sondern bewußter Versuch, »das im traditionellen Marxismus notorisch vernachlässigte Problem individueller und kollektiver Subjektivität«(164) lösen zu helfen. Die Anarcho-Syndikalisten standen einem mechanischen Evolutionismus insbesondere in der Sozialdemokratie gegenüber, die »unter Berufung auf wissenschaftliche Einsicht in einen sich gesetzmäßig vollziehenden Geschichtsprozeß die Arbeiter vom Subjekt zum Objekt ihrer Emanzipation degradierte.«(165) Die Propagierung eines unvermeidlichen »Hinüberwachsens des Kapitalismus in den Sozialismus« (Karl Kautsky), sobald die »Entwicklung der Produktivkräfte« dies erlaube; die Marxsche Theorie der zwangsläufigen »Verelendung« des Proletariats, mit der der Kapitalismus sich quasi automatisch »seine eigenen Totengräber« schaffe u.ä. sind Beispiele dieses seinerzeit verbreiteten »historisch-materialistischen« Geschichtsdeterminismus. Er führte zu einer Haltung des — auch »revolutionär« sich gebärdenden — »Attentismus« (= Wartehaltung)(166): »Die bürgerliche Gesellschaft arbeitet so kräftig auf ihren eigenen Untergang los, daß wir nur den Moment abwarten brauchen, in dem wir die ihren Händen entfallende Gewalt aufzunehmen haben... « (August Bebel).(167) Die Folge war ein Organisationsfetischismus, »der die Form selbst zum Inhalt (sozialistischer) Praxis werden ließ«.(168) In einem vermeintlich gegen bürgerliche Ideologie abgeschirmten und 'gewappneten' Block sozialistischer und später auch kommunistischerOrganisationen wurde der 40 Sozialismus 'erwartet‘, 'gewählt‘ und die proletarische (Kampf-)Erfahrung im Interesse einer 'richtigen” Gesamtstrategie zentral "verwaltet. Spontane, subjektive und individuelle Elemente der Arbeiterbewegung wurden in den Hintergrund gedrängt oder unterdrückt — exemplarisch zu verfolgen beispielsweise an der sogenannten Massenstreikdebatte in der SPD (169) oder in Lenins Polemik gegen die »Anbetung der Spontaneität«, welche nur zu bürgerlichem »Trade-Unionismus«(170) führe. Auch die Marginalisierung oder Funktionalisierung etwa der Genossenschaftsbewegung, der Arbeiterjugendbewegung und der Bestrebungen des Arbeitersport- und Arbeitergesangvereinswesens gehören hierher, die vielfach nur als sozialdemokratische oder kommunistische »Vorfeldorganisationen«(171) angesehen, oder als bürgerlich abgestempelt wurden. Gerade wo sich Arbeiter kollektiv oder individuell der direkten Nähe bürgerlicher Kultur aussetzten — z.B. der kapitalistischen Ökonomie im Genossenschaftswesen oder der »bürgerlichen Kunst« etwa in der Arbeitersängerbe-wegung, gerieten sie in den Verdacht, aus dem organisierten sozialistischen »Lager«(172) auszubrechen. Dieses erstarrte Blockdenken zahlreicher kommunistischer und sozialdemo- kratischer Organisationen ist von Negt/Kluge ausführlich analysiert worden: Organisiert sich die Arbeiterklasse wirksam als separates Lager innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, so reduzieren sich damit die Tendenzen zu einer das Ganze umfassenden proletarischen Öffentlichkeit. Wird die Organisation des proletarischen Lebenszusammenhangs nicht in Richtung auf eine solche proleta- rische Öffentlichkeit freigesetzt, so unterliegt diese Organisation des Lagers einer eigentümlichen Dialektik: Obwohl sie beabsichtigt, sich gegen alle Formen des bürgerlichen Lebenszusammenhangs abzudichten, die Individuen gegen sie zu immunisieren, reproduziert sie unbewußt die Mechanismen der bürgerlichen Öffentlichkeit: Ausgrenzung, Scheinöffentlichkeit, Diktatur der Verfahrensre- geln... In der Parteiorganisation des Lagers glaubt zuletztkein Einzelner mehr, daß er imstande sei, selbsttätige Erfahrung zu produzieren —die Organisation aber, die keinesfalls das Ganze der proletarischen Erfahrung faßt, ... wird für das Zentrum der Wahrheit, das Subjekt gehalten.(173) Die Partei, die dies »Ganze der proletarischen Erfahrung« vorgeblich 'objektiv' erfassen und zentral organisieren wollte, geriete zu einem totalitären Herrschafts- apparat — die Fiktion des Lagers wäre total. Proletarische Subjekte aber, als lebende Personen, können sich selbst den Anspruch ganzheitlicher proletarischer Gegenkultur setzen. Das Individuum wird dann zum ersten Kampffeld zwischen Anspruch und persönlicher Wirklichkeit. »Der wirkliche Kampf verläuft im Proletarier selbst zwischen seinen abstrakt allgemeinen bürgerlichen Eigenschaften und seinen konkret besonderen proletarischen. In der proletarischen Partei jedoch muß er sich nach Köpfen organisieren: Es muß fingiert werden, daß er als ganzes Individuum proletarisch ist, sonst gehört er ja ins Lager des Gegners.«(174) Demgegenüber wurde der deutsche Anarcho-Syndikalismus als Versuch der 41 revolutionären »Resubjektivierung«(175) der Arbeiterbewegung bezeichnet. Die Theoriebildung hatte nicht vor allem über den Weg der Organisation zu erfolgen, sondern vollzog sich disparat und dezentral durch Individuen und Gruppen anhand der »Schlüsse, die aus der alltäglichen Erfahrung zu ziehen sind.«(176) Gegen die verschiedenen Formen marxistischer Theorie und Organisation, die als »politische Theologie«(177) gebrandmarkt wurden, setzten die Anarcho- Syndikalisten die (Selbst-)Erfahrung der Arbeiter — das hieß bei schwindendem Einfluß auf wirkliche proletarische Massenkämpfe auch tendenziell: Die Erfah- rung der einzelnen Person an letztlich allen Punkten proletarischer Existenz. Anarchisten hatten schon vor dem Krieg (1912) über einen Streik amerikani- scher Arbeiter geschrieben: »Die Streikenden haben mehr als Klassenbewußtsein: Sie haben Selbstbewußtsein gelernt«(178) und in Düsseldorf hatte der Berliner Anarchist Berthold Cahn 1910 vor über 200 Düsseldorfer Anarchisten und Syndikalisten ausgerufen: »Ich verkenne nicht den Wert des Klassenbewußtseins des Proletariats. Aber wieviel fehlt dem Proletarier noch an Selbständig- keit!«(179) Solches revolutionäres Selbstbewußtsein konnte auch ebensogut von kleinen Gruppen anarcho-syndikalistischer Arbeiterjugendlicher, -frauen, -sän- ger,-siedler u.a. entwickelt und in Formen und Institutionen proletarischer Gegenkultur umgesetzt werden. Gegen das Ausbleiben des »unvermeidlichen« Sieges des Sozialismus, gegen eine (Mehrheits-)Sozialdemokratie, die stattdessen die Regierungsmacht in der kapitalistischen Weimarer Republik übernahm und gegen eine Kommunistische Partei, die erneut — mit revolutionärer Argumentation — den indirekten Weg des »Staatssozialismus«(180) zu gehen sich anschickte, setzten die deutschen Anar- cho-Syndikalisten den extremen Subjektivismus. Hier wurzelte nicht nur der kollektiv-subjektive, oft sogar individuelle Impuls der Anarcho-Syndikalisten zur Auslösung proletarischerMassenkämpfe, sondern auch ihre auf Gustav Landauer zurückgehenden Experimente des 'hier und jetzt'-Sozialismus und der Revolu- tionierung des täglichenLebens. Nicht Attentismus, sondern unmittelbare revolu- tionäre Selbsterfahrung des — auch einzelnen — proletarischen Subjekts war die Devise: Ein Gedanke, der uns mit Landauer verbindet ist, daß wir nicht an Revolutionen glauben, die auf wunderbare Weise ausbrechen oder notwendigerweise kommen müssen... Die Früchte einer jeden Revolution können nurdem revolutionären Reifegrad entsprechen, der schon vorher in der Seele und dem Geist der Menschen vorhanden war... Worauf es ankommt, ist also nicht die große Revolution von morgen, sondern die kleine Revolution, die zu jeder Stunde und an jedem Tag stattfindet, mit den gegebenen Mitteln und soweit es die Umstände ges tatten.(181) Die deutschen Anarcho-Syndikalisten entwickelten — unter heftigen internen Widersprüchen — die ebenso »persönlich« ausgetragen wurden wie das revolu- tionäre Engagement — zwei höchst unterschiedliche, in ihrer Gewichtung des proletarischen Subjektes jedoch verwandte Konzepte solcher 'täglicher Revolu- 42 tion‘: Die direkten sozialen Abwehr- oder Verbesserungskämpfe, »in denen sich in den Massen die Instinkte des Widerstands und das Gefühl ihrer menschlichen Würde entwickeln«,(182) und die »konstruktive und schöpferische Betäti-gung«(183) und kleiner Gruppen oder Einzelner in »Experimentalsozialis-mus«(184) und »persönlichem Beispiel«,(185) schrieb etwa Rudolf Rocker, der bedeutendste, wenn auch — naturgemäß — nicht verbindliche Theoretiker des deutschen Anarcho-Syndikalismus. Er erinnerte mit Kropotkin daran, »daß für die Verwirklichung des Sozialismus etwas mehr vonnöten sei als eine reine Abwehrbewegung gegen die Übergriffe des Kapitalismusoder eine reine Propagandabewegung, um die Massen für sozialistische Ideengänge vorzuberei-ten.«(186) Anarcho-syndikalistische Kultur in der FAUD und in den übrigen anarchosyndikalistischen Organisationen Zusammenfassend wird nun verständlich, was gemeint war, wenn die von Rocker ausgearbeitete und auf dem Gründungskongreß der FAUD 1919 verabschiedete »Prinzipienerklärung des Syndikalismus« als eines der wenigen verbindlichen Dokumente der anarcho-syndikalistischen Bewegung den Satz enthielt: Ausgehend von der Erkenntnis, daß der Sozialismus letzten Endes eine Kultur- frage ist und als solche nur von unten nach oben durch schöpferische Tätigkeit des Volkes geführt werden kann, verwerfen die Syndikalisten jedes Mittel einer sogenannten Verstaatlichung, das nur zur schlimmsten Form der Ausbeutung, zum Staatskapitalismus, nie aber zum Sozialismus führen kann.(187) Dabei verwendeten die Anarcho-Syndikalisten einen Kulturbegriff, der als um- fassender Gegenbegriff zu dem der Natur verstanden wurde, im Gegensatz zu absoluten und werkimmanenten Kulturauffassungen des Bürgertums jedoch an den Grad der Partizipation »aller einzelnen« gebunden war: Wir fassen unter 'Kultur‘ alle in der Vergangenheit gemachten geistigen und physischen Anstrengungen zusammen, die den Zweck haben, der Natur eine sich stetig mehrende Summe geistiger und materieller Werte abzuringen, damit sie jetzt und künftig der Gesamtheit zugute kommen. Nicht das bloße etwaige Vorhanden- sein einer Fülle von Möglichkeiten gilt uns als Gradmesser für die Höhe der Kultur, sondern das Maß und das Verhältnis, in dem alle einzelnen an den Errungenschaften der Kultur teilhaben, zeigt uns den Stand der jeweiligen Kulturhöhe an... In diesem Sinne sind für uns Gerechtigkeit, Kultur und Kommunismus gleichbedeu-tend.(188) Auf dieser Grundlage entwickelten sich überall im Reichsgebiet verschiedenste 43 kulturelle Einzelinitiativen und Kulturorganisationen des Anarcho-Syndikalis- mus. Die überragende Bedeutung, die auch im rheinisch-bergischen Raum dem »Wissen« und der »Kultivierung« der einzelnen Person zugemessen wurde, gerade auch, um die Herrschaft Einzelner zu verhindern, zeigt u.a. ein Artikel von dem schon erwähnten Mülheimer Heinrich Reuß aus dem Jahre 1923. Er setzt sich mit dem Vorwurf aus den eigenen Reihen auseinander, auch in der anarcho- syndikalistischen Bewegung drohe durch die Freistellung einiger Mitglieder für Organisations- und Agitationsaufgaben ein ähnliches »Bonzentum« wie in den »Zentralgewerkschaften«, und zwar durch das »geistige Übergewicht einzelner«. Heinrich Reuß schreibt: Erkennen wir an, daß unserer Organisation dieselbe Gefahr droht, ...Hiergegen schützt man sich allerdings nicht durch ungerechte Schimpfereien, auch nicht durch Ignorieren, sondern dagegen ist nur ein einziges Kraut gewachsen und dies heißt Selbsterkenntnis. Seine eigene Erkenntnis mehren, sein Wissen vervollständigen, das wird der Wall sein, an dem sich die letzte Bonzenwellebrechenmuß. Leider muß gesagt werden, daß gerade hier noch viel zu tun ist. Der Syndikalismus, der gerade ob seiner Einfachheit so wenig verstanden werden will, hat den schwierigsten Kampf durchzukämpfen. Er richtet sich nicht nur gegen die Bourgeoisie, sondern ermuß eine sechzigjährige scheinproletarische Bewegung umkul-tivieren, d.h., einen Kampf führen gegen die Vorurteile im eigenen Fleisch und Blut, bei den eigenen Klassengenossen.(189) Obwohl Reuß selbst — wie auch z.B. der seinerzeit überregional bekannte Vorsitzende des syndikalistischen Düsseldorfer Fliesenlegerverbandes Carl Windhoff oder der Maurer Fritz Kater in Berlin — zu den alten »Nur-Syndikali- sten« gehörte, die gegen die Tendenz zur anarchistischen »Ideengemeinschaft« den Charakter der FAUD als gewerkschaftliche »Interessengemeinschaft« be- tonten, hielt er dennoch einen derartigen Anspruch der Selbsterziehung in der anarcho-syndikalistischen Bewegung für unverzichtbar! Umsomehr forderten die Vertreter des Anarchismus, der »notwendig eine Sache des Alles oder Nichts ist«,(190) die sozialistische Kultivierung der ganzen Person — z.T. in äußerstem moralischen Rigorismus nicht erst als Ergebnis längerer anarcho-syndikalistischer Mitgliedschaft, sondern als deren Vorbedin- gung! Diese Tendenz drückte sich in den frühen20er Jahren in verschiedenen Kongreßbeschlüssen der FAUD aus, die etwa nach dem 13. Kongreß 1921 auch im Bereich der PAB Rheinland zu Ausschlüssen z.B. wegen weiterbestehender Mitgliedschaft in politischen Parteien, in der Kirche, u.ä. führte. So beklagte ein Vertreter der mehr »interessengemeinschaftlichen« Richtung in der Düsseldorfer anarcho-syndikalistischen Tageszeitung »Die Schöpfung« im Jahre 1921: Der Syndikalismus war bis vor einigen Jahren nur sozial-revolutionäres Gewerk- schaftstum, also eine reine Interessengemeinschaft ... Es war Bestreben, die Arbeiterschaft wirtschaftseinig zusammenzufassen, unbeschadet ihrerpolitischen Anschauung sie mit den Kampfmitteln der direkten Aktion vertraut zu machen und für den Sturz des Kapitalismus zu schulen. Durch die propagandistische Tätigkeit 44 der Anarchisten und durch andere Umstände entwickelte sich in der syndikalisti- schen Bewegung nach und nach die Idee des kommunistischen Anarchismus. So wurde die Bewegung gleichzeitig eine von Ideenverwandten. Das wäre an sich noch kein Schaden. In letzter Zeit machen sich nun aber Tendenzen bemerkbar, die darauf hinzielen, immer mehr die Idee in den Vordergrund zu rücken ...Betrachten wir uns einige in letzter Zeit gefaßte Beschlüsse: Kein Syndikalist darf einer politischen Partei, einer Kirche, bürgerlichen Vereinen angehören. Er darf weder Waffen und Munition anfertigen, im Akkord arbeiten, noch an gesetzlichen Betriebsräten sich beteiligen, weder passiv noch aktiv....(191) Wie streng dies von rheinischen Anarcho-S yndikalisten gehandhabt wurde, zeigen Versammlungsbeschlüsse der Ortsgruppen Düsseldorf-Eller und Süchteln der FAU: So berichtet »Die Schöpfung« am 25.Mai 1922: Sämtliche Mitglieder der FAU, Ortsgruppe Eller, soweit diese noch den bürger- lichen Vereinen, unter welchen wir Syndikalisten auch die Kirchen verstehen, angehörten, sind verpflichtet, solchen Institutionen den Rücken zu kehren. Die Austrittsbescheinigungen müssen dem Vorstand vorgelegt werden.... Am 1.6.1922 berichtet »Die Schöpfung« von der Ortsgruppe Süchteln: Die Genossen K., G. und Kr. werden ausgeschlossen, weil sie am 1.Mai die Arbeitsruhe nicht eingehalten haben. Derartig rigorose Anforderungen konnten nur von den wenigen eingelöst werden, deren Leben in »allen Handlungen ... von der Idee... geistig durchglüht«(192) war oder deren soziale Bindungen (Familie) schwach waren! Neben der relativen Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ab 1924 und der Abnahme der massenhaften Kampfbereitschaft in der Arbeiterschaft waren es diese radikalen Ansprüche, die zu einem rapiden Mitgliederschwund der FAUD führten. Umso leichter waren die hohen Ideale der Anarcho-Syndikalisten jedoch in den Kulturorganisationen im engeren Sinn jenseits der FAUD zu pflegen: Mußte man sich in den Betrieben und Industrieföderationen ständig auf Kompro- misse einlassen, wenn ein gewisser Masseneinfluß, ohne den z.B. kein Streik durchzuführen war, erhalten bleiben sollte, so bestand dazu etwa in den anarcho- syndikalistischen Jugendgruppen oder Chören prinzipiell keine Notwendigkeit. Dies erklärt das häufig — zumindest verbal — noch radikalere Auftreten z.B. der anarcho-syndikalistischen Jugendlichen und die Tatsache, daß der deutsche Anarcho-S yndikalismus in vielen Regionen gegen Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre besonders in seinen Kulturorganisationen überlebte, auch wenn die örtliche Industrieföderationen längst handlungsunfähig geworden waren. Im Bereich organisierter anarcho-syndikalistischer Kulturinitiativen jenseits der FAUD entwickelten sich im ganzen Reichsgebiet die Syndikalistisch-Anarchi- stische Jugend (SAJD), die Freiheitliche Kinderbewegung, der Syndikalistische Frauenbund (SFB), Initiativen zu libertären Schulversuchen, verschiedene Sied- lungs-, Konsum- und Baugenossenschaftsversuche, die Gemeinschaft proleta- rischer Freidenker (GpF), die Gilde freiheitlicher Bücherfreunde und die Freie 45 Sänger-Gemeinschaft (FSG), die ihren Sitz und Schwerpunkt in Düsseldorf hatte.Über die GpF ist wenig bekannt — im Unterschied zu den sozialdemokratisch und kommunistisch funktionalisierten Freidenkerorganisationen bemerkt ein Polizeidossier aus dem Jahre 1932 über diese kleinste Freidenkergruppe: Es handelt sich um eine Organisation, die in politischer Hinsicht links von der KPD steht und von linken Gruppen der KPD (z.B. Leninbund), sowie von Syndikalisten und Anarchisten unterstützt wird. Der Unterschied zwischen der »Gemeinschaft proletarischer Freidenker« und dem »Verband proletarischer Freidenker« besteht darin, daß die GpF sich mehr mit der eigentlichen Materie und weniger mit Parteipolitik beschäftigt.(193) Daß bei den Anarcho-Syndikalisten die machtpolitische Funktionalisierung ihrer Kulturorganisationen nicht in dem Maß wie bei Sozialdemokraten oder Kom- munisten auftrat, ergibt sich aus ihrem grundsätzlich negativen Verhältnis zur staatlichen Macht, zu Wahlen und zum organisatorischen Zentralismus sowie der prinzipiellen Bedeutung, die sie dem konstruktiven und ideellen Element des Sozialismus beimaßen. Für die anarcho-syndikalistische Kulturorganisation gilt in besonderem Maße, was Wunderer zusammenfassend über die Arbeiterkultur- bewegung der Weimarer Republik feststellte: Während seitens der Partei die Arbeiterkulturorganisationen vorrangig in ihrer Bedeutung als Instrumente zur Funktionalisierung gesellschaftlicher Grundrollen für die Partei gesehen wurden, die also den Wirkungsbereich erweitern konnten, betonten die Repräsentanten der Arbeiterkulturorganisationen mehr die kompen- satorische Funktion: Der mit den Arbeiterkulturorganisationen geschaffene Raum für die 'menschliche Selbstverwirklichung des Arbeiters wurde als eine Vorbe- dingung für die Erkämpfung der umfassenden sozialen Ziele der Arbeiterbewe- gung interpretiert; in den proletarischen Kulturorganisationen werde in gewisser Weise bereits die sozialistische Gesellschaft antizipiert.(194) Dies heißt nicht, daß anarcho-syndikalistische Siedlungs- und Genossenschafts- experimente, die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung oder Organi- sationsansätze der anarcho-syndikalistischen Frauen frei von Dominierungsver- suchen durch die gewerkschaftliche Kernorganisation der FAUD waren. Zurecht hat Max Weber den »Syndikalismus als die revolutionäre Deutung der Gewerk- schaften« bezeichnet, im Gegensatz zum »alten Radikalismus, der die revolu- tionäre Deutung des Zweckes der politischen Parteiorganisation will«.(195) Die anarcho-syndikalistische Bewegung ist durchzogen von der heftigen Auseinan- dersetzung, ob sie eher eine »Interessengemeinschaft« oder eine »kleine, aber reine Ideengemeinschaft« sei. Die FAUD hatte jedoch keine Möglichkeit, die übrigen anarcho-syndikalistischen Kulturorganisationen zu funktionalisieren, da diese jeweils aufgrund des streng föderalistischen Gesamtkonzeptes und der gemeinsamen antizentralistischen und antiautoritären Grundhaltung einen hohen Grad an Autonomie durchsetzen konnten und die Bedeutung der FAUD als sozialrevolutionäre Kampfgewerkschaft im selben Maß sank, wie die massenhafte Kampfbereitsschaft der Arbeiter insgesamt abnahm. 46 tsegc;t’, & IOTHKALETTUTTUNN ‘und die spanische» EWIGEN Dienstag, 29. November 1921, im grollen Saale der „Stadthalteu rield oftentlicht ü . Tö9rs-t)rAtu.su7: Die vnnderpreussischen Heni4iel 11} 114 A17i der Berün vete 3111 5ß°ik ıdr.er: ScfirlitsYe31.. 6x. ATE v<-. ir.s 414-1Ln Freie Arbeiter-Union Ontlelincen) tin ttMk.L- FAUD-Rundreise von Theodor Plievier zugunsten spanischer Anarchosyndikalisten, 1921. Die Schöpfung berichtet von mehreren Veranstaltungen Plieviers im Ruhrgebiet Der deutsche Anarcho-Syndikalismus kam nie in die direkte Nähe (und in die Verlegenheit) politischer Macht — im Gegensatz zum spanischen. Von daher konnte Rocker Kultur und Macht so eindeutig gegeneinanderstellen, wenner schrieb: »... Kultur, wenn sie nicht durch politische Hemmungen in ihrer Entwicklung ...beeinflußt wird, hat eine stete Erneuerung des Gestaltungsdrangs, eine immerwachsendeMannigfaltigkeit schöpferischer Betätigung zur Folge ... Macht ist nie schöpferisch...«(197) Dies war auch Kritik an den etatistisch (=staatlich) orientierten Richtungen der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Düs- seldorfer Anarcho-Syndikalist schrieb, noch zugespitzter, dazu 1921: 47 Der Staat und die Politik verderben den Charakter. Das wußte seinerzeit Bismarck sehr wohl, als er die sozialistische Bewegung durch Gewährung des politischen Wahlrechts auf das Gebietlockte, auf dem er sie zu verderben, ungefährlich zu machten trachtete... In einer Situation, in der der Sozialismus als einziger Ausweg übrigbleibt und als Kulturbewegung seine überwältigende, versöhnende und befreiende Kraft bekunden sollte, finden wir die... Sozialisten nach einem reichlichen halben Jahrhundert politischer Verwicklungen als feindliche Brüder in politischen Parteien gefangen. Das ist das Resultat der Politik, die eben nicht emporhebt, sondern niederdrückt, weil sie sich nur um das Herrschen und Niederdrücken dreht...(er fordert) daß wir als anständige, taktvolle Menschen um der gerechten Wirtschaft willen aus Partei, Politik und Staat herausgehen müs-sen.(198) Die anarcho-syndikalistische Kulturbewegung wie auch all jene Arbeiterkultur- bestrebungen, die sich trotz des eingeengten Klassenziels der Arbeiterparteien entfalteten, waren dort angesiedelt, wo die Macht die direkte Umsetzung der sozialistischen Utopie hemmte—die Machtdes Kapitals, die Staatsmachtwie auch die an ihrer Brechung orientierten etatistischen Gegenmachtstrategien. Bei den Anarcho-Syndikalisten war jedoch der Verzicht auf die Machtorientierung nicht taktischer Art, sondern substantiell, weshalb sie, wo sie nicht radikale Gewerk- schaft oder bloße Propagandabewegung waren, als Kulturbewegung beschrieben werden können. Über die reichsweiten Mitgliederzahlen der anarcho-syndikalistischen Kultur- organisationen ist den Verfassern nichts Verläßliches bekannt geworden — ver- mutlich gab es auch, dem dezentralen Charakter der Gesamtbewegung ent- sprechend, keine zentral gesammelten Zahlen (weder bei der Bewegung selbst, noch bei der Polizei). Ihre Mitgliederentwicklung dürfte grundsätzlich ähnlich wie die der FAUD verlaufen sein, wobei Mehrfachmitgliedschaften berücksichtigt werden müssen. Die FAUD sank im ganzen Reich von ca. 150.000 zahlenden Mitgliedern im Jahre 1920 auf ca. 7000 im Jahre 1932 und auf wenige hundert illegale Mitglieder nach 1933 ab.(199)Es ist möglich, daß im Jugendbereich eine größere Dunkelziffer nichtzahlender Mitglieder bestand, da die Jungarbeiter, Lehrlinge oder jugendlichen Arbeitslosen häufig nicht bzw. kaum über eigene Mittel verfügten, und da die SAJD im Sinne der reinen anarchistischen Idee das straffe (gewerkschaftliche) Mitglieds- und Beitragsprinzip, wie es die FAUD hatte, verwarf. Linse gibt für die ganze »anarchistische Jugendbewegung« in Deutschland, d.h. einschließlich der anti-syndikalistischen Anhänger Ernst Fried- richs (Freie Jugend) und der Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutsch- lands (FKAD), die Zahl von »höchstens 3000 bis 50000(200) Mitgliedern an. Es fällt auf, daß es so gut wiekeine anarcho-syndikalistischen (Arbeiter-)Sport- initiativengab. Tatsächlich wurde der organisierte Sport von den meisten Anar- cho-Syndikalisten prinzipiell abgelehnt. Er wurde pauschal für ein bewußt vom System inszeniertes »Ablenkungs- und Verdummungsmanöver« gehalten. So 48 führte Rocker die »ganz erstaunliche Entwicklung des Sportwesens in Deutsch- land...ganz und gar auf fremde Einflüsse zurück....«(201) und in der Düsseldorfer »Schöpfung« wurde mehrfach vehement in einem Atemzug gegen Sport, Kino, Tanz und andere »kapitalistische Vergnügungen«(202) gewettert. Diese Verdammung erstreckte sich auch auf die populären Arbeitersportvereine, in denen Sozialisten und Kommunisten sich z.T. um sportpolitische Gegenkultur bemühten, etwa um die Ablösung des Einzelleistungs-, Rekord- und Berufssports durch kollektiven Breitensport. Es gab nur kurzlebige, vereinzelte Versuche, hier im anarcho-syndikalistischen Sinne tätig zu werden, so die Gründung eines »Freien Sportkartells« in Mülheim/Ruhr und Düsseldorf Anfang 1921, die mit der erklärten Absicht verbunden waren, »die Abneigung gegen Sport in unseren Reihen abzubauen« ‚(203) sich jedoch nicht halten konnte angesichts der vorherrschenden Sportfeindlichkeit, die nicht mit Körper- oder Bewegungsfeindlichkeit zu verwechseln ist. Ein spätes Beispiel für diese Haltung rheinisch-bergischer Anarcho-Syndikalisten sei hier zitiert aus einem Brief des Düsseldorfer kauf- männischen Angestellten Bernhard Schmithals an Pierre Ramus im Jahre 1930: Sport jeglicher Art, Fußball, Boxen, Tennis, Pferderennen, Autorennenund wie die Verrücktheiten alle heißen mögen, spielen hier die Rolle einer kirchlichen, dogmatischen Verdummungsmöglichkeit... In diesem Bereich, der natürlich mit Leibesübung und Leibesgesundung nichts mehr zu tun hat, wird... praktisch auch die Seele ausgeschaltet... Dies führt zurMaschinisierung des Menscheneinerseits, läßt ihm andererseits soviel von einer Seele, daß diese Seele durch den Sport den Gedanken der gegenseitigen Gewaltanwendung, der Niederringung, des Nieder- schlagens und Niedertreten befestigt und damit die heutigen Zustände des Kampfes der Menschheit und besonders der Proletarier gegeneinander und unter- einander heilig, das heißt unantastbar macht; ein Ersatz des Kasernenhofs mit all seinen teuflischen Sadisten und sadistischen Teufeleien, so schlimm, daß es selbst manchem normalen Spießer auf die Nerven fällt, nur die große Menge der Proletarier merkt es nicht und opfert willig Geld und— was schlimmer ist—Leib und Seele...Wenn Sonntags abends im Radio, an Zeitungsfenstern und durch die Lichtreklame in den Zentren des Proletariats die Sportsiege oder Niederlagen bekannt gemacht werden, so möchte die Menge genauso anbetendniederknien, als wenn der Priester vom Altar die Monstranz dem Volk zeigt, und jeder möchte an seine Brust schlagen und hält sich seine Sünde vor, welche darin besteht, daß er es noch nicht dahin gebracht hat, seinem Mitproletarier unter dem Jubel der MengederproletarischenZuschauerkunstgerechtund sportmäßig seinen Bruch zutreten, darum Proletarier tretet ein in die revolutionären(!) Sportvereine, dann marschiert die Revolution und das Ende des Marsches ist die Kaserne und aus der Kaserne marschiert man in den Krieg.«(204) Die Tatsache, daß es über die erwähnte rheinische Ausnahme hinaus nicht zu anarcho-syndikalistischen Sportvereinen o.ä. kam, sowie die übereinstimmenden Berichte aller männlichen Informanten, sie hätten den Sport »abgelehnt«, zeigt, daß Schmithals' Standpunkt durchaus repräsentativ war. (Vgl. das Gedicht eines 49 Düsseldorfer Anarcho-Syndikalisten über Sport und Militarismus im Anhang!). Die gesamte anarcho-syndikalistische Kulturbewegung entsprang in ihrem moralischen Rigorismus einer Haltung radikaler »Gesinnungsmotivation sozia- len Handelns — so Max Weber — im Gegensatz zur von ihm sogenannten »Verantwortungsethik«, der idealtypisch etwa Politiker unterlägen. Es ist kein Zufall, daß Weber zur Erläuterung einer »gesinnungsethischen« Haltung gerade den Typ des »überzeugten Syndikalisten« heranzog: Man mag z.B . dem überzeugten Syndikalisten noch so handgreiflich beweisen, daß sein Tun... sozial nutzlos sei, d.h. daß es keinen Erfolg für die Änderung der sozialen Klassenlage des Proletariats verspreche..., so ist damit für ihn noch gar nichts 'bewiesen'. Und zwar nicht, weil er ein Irrsinniger wäre, sondern weil er von seinem Standpunkt aus recht habenkann, wie gleich zuerörtem. Im Ganzen neigen die Menschen m.E. hinlänglich stark dazu, sich dem... jeweilig Erfolg versprechenden innerlich anzupassen, nicht nur... in den Mitteln oder in dem Maße, in dem sie ihre letzten Ideale jeweils zu realisieren trachten, sondern in der Preisgabe dieser selbst. In Deutschland glaubt man dies mit dem Namen 'Realpolitik® schmücken zu dürfen ... Es ist — richtig verstanden — zutreffend, daß eine erfolgreiche Politik stets die Kunst des Möglichen ist. Nicht minder richtig aber ist, daß das Mögliche sehr oft nur dadurch erreicht wurde, daß man nach dem jenseits seiner liegenden Unmöglichen griff... Um bei dem vorhin als Beispiel angezogenen Syndikalisten zu bleiben: Es ist auch logisch eine Sinnlosigkeit, ein Verhalten, welches — wenn konsequent — als Richtschnur den Gesinnungswert nehmen muß, lediglich mit seinem Erfolgswert zu konfrontieren. Der wirklich konsequente Syndikalist will lediglich eine bestimmte, ihm schlechthin wertvoll und heilig erscheinende Gesinnung in sich selbst erhalten, und, wenn möglich, in anderen wecken. Die äußeren, gerade von vornherein zu noch so absoluter Erfolglosigkeit verurteilten Handlungen haben letztlich den Zweck, ihm selbst vor seinem eigenen Forum die Gewißheit zu geben, daß diese Gesinnung echt ist, d.h. die Kraft hat, sich in Handlungen zu bewähren, und nicht ein bloßes Bramarbasieren. Im übrigen ist — wenn er konsequent ist — sein Reich, wie das Reich jeder Gesinnungsethik, nicht von dieser Welt.(205) Dies trifft besonders für die späteren Jahre des Anarcho-Syndikalismus ab 1923 zu, in denen reale Erfolge angesichts der kleinen Anhängerzahlen nicht mehr zu erwarten waren. Dennoch führte die kompromißlose Gesinnungsethik bei den Anarcho-Syndikalisten kaum zu Erscheinungen der Weltflucht, wie sie etwa bei religiösen Sekten oder ästhetischen Zirkeln zu beobachten waren, sondern in dauernder Spannung zu den realen, praktischen Gegebenheiten ihrer proletari- schen Existenz zur immer neuen Suche nach Möglichkeiten der Umsetzung von Gesinnung in Aktion und Leben. 50 N 8) 9) 10) 11) 13) 14) 15) 16) 17 Anmerkungen, Kapitel I Als freie Gewerkschaften werden die nicht partei- und konfessionsgebundenen Zentralverbände bezeichnet. Der Syndikalist, Jg.1 (191°/ 9), Nr.4 Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus. Theorie und Genese einer vergessenen Bewegung. Berlin 1977 Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-23. Meisenheim am Glan 1969 Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.22 Zur Geschichte der Gewerkschaften allgemein. Vgl. Schröder, Wilfried: Klassenkämpfe und Gewerkschaftseinheit. Berlin 1965. Limmer, Hans: Die deutsche Gewerkschaftsbewegung. München 1981 Die Anarcho-Syndikalisten machten diese u.a. für die ihrer Meinung nach unselbständige deutsche Arbeiterbewegung verantwortlich. Vgl.: Rudolf Rocker: Zur Politik des ADGB, in: Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.37 Dr. Max Hirsch warMitgliedderliberalen Fortschrittspartei. Die englischen trade unions dienten als Vorbild für seine Gewerkvereine. Lasalle sah im wirtschaftlichen Kampf aufgrund seiner Theorie des »ehemen Lohngesetzes« keine emanzipatorische Lösung der sozialen Frage. Zur Gründung des »Arbeiterschaftsverbandes« wurde das »ADAV« gezwungen, um nicht seine Vormachtstellung in der deutschen Arbeiterbewegung zu verlieren. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, daß der Einfluß Lasalles auf die deutsche Arbeiterbewegung später von den deutschen Anarcho-Syndikalisten als sehr hoch geschätzt wurde. Sie machten in erster Linie die Lass alleaner für die Entwicklung der Sozialdemokratie zu einer reformistischen und parlamentarisch-staatsbejahen- den Partei verantwortlich. Vgl.: Kater, Fritz: Die Entwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1921 Bebel war Mitglied der Internationalen Arbeiter Assoziation (LAA) und in seinen Vorstellungen stark von Marx und Engels beeinflußt. Vgl. Marx/Engels: Über die Gewerkschaften. Berlin 1971 Rocker, Rudolf: Über Hillmann »der einzige Sozialist jener Periode, der ein klares Verständnis für die eigentlichen Aufgaben der Gewerkschaften hatte«, vgl. Rocker, Rudolf: »Zwei Pioniere«, Ein Beitrag zum 30-jährigen Bestehen der FAUD, in: Der Syndikalist 37, 1926 Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Eine kurze Geschichte der deutschen sozial-revolutionären Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1912, S.4 Willecke, Eduard: Die Ideenwelt des deutschen Syndikalismus, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd.128, 5.869 Zum Vergleich: die Lokalisten hatten damals ca. 10.000 Mitglieder, die Zentralverbände hingegen 350.000. Vgl. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1919-1923, S.24 Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.46 Wienand, Peter: Rudolf Rocker, Berlin 1981, 5.280 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 51 Zu dieser Oppositionsbewegung allgemein: Müller, Dirk: Idealismus und Revo- lution. Zur Opposition der Jungen gegen den sozialdemokratischen Parteivorstand 1890-1894, Berlin 1975 ebenda, S.160-163 wie z.B. die Kritik an der zu starken Betonung der parlamentarischen Arbeit durch die SPD. Als Beispiel sei hier Fritz Kater genannt. Er sympathisierte mit den »Jungen« und war mit ihren führenden Männern bekannt. Auf die Frage Rockers, warum ersich der Bewegung nicht angeschlossen habe, antwortete Kater: »Ja, das frage ich mich heute auch. Aber die Partei war für mich alles. Ich hatte immer noch die Hoffnung, daß die Partei zu einer besseren Einsicht gelangen würde.« Vgl. Rocker, Rudolf: Fritz Kater, ein Lebensbild, in: Rudolf Rocker: Aufsatzsammlung, Bd.II, S.15, Frankfurt 1980. Als Separatdruck, hrsg. von der FAU, Hamburg 1985. so u.a.: Rudolf Rocker, Gustav Landauer, Max Baginski, Fritz Köster. Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.7 Auf dem Kongreß waren 38 Delegierte aus 14 Berufen, die insgesamt 6803 Mitglieder vertraten. Zum Vergleich: Die Zentralgewerkschaften hatten 412.259 Mitglieder. Vgl.: Aigte, Gerhard: Die Entwicklung der revolutionären syndika- listischen Arbeiterbewegung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Die Interna- tionale. Zeitschrift für die Revolutionäre Arbeiterbewegung. Gesellschaftskritik und sozialistischen Neuaufbau. Hrsg. von der FAUD (AS), Berlin 1930 Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.9 zitiert nach Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.24f. Zum Vergleich die freien Gewerkschaftenmit680.000Mitgliedem. DieZahlenfür die freien Gewerkschaften sind entnommen aus: Lederer, Emil/Marschak, Julius: Die Klassen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Organisationen, in: Grundriß der Sozialökonomie, Tübingen 1927, S.142 Lucas, Erhard: Zum Syndikalismus in der Novemberrevolution, in: Duisburger Forschungen, Bd.15, Duisburg 1971,8.41 Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.24f. Kater, Fritz:Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.14 Kater, Fritz: In einem Brief anMax Nettlau vom 6.11.1932, in: Briefwechsel Kater-Nettlau. Vgl. Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.15 Zitiert nach Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.30 Kater, Fritz: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S.18 ebenda, S.22 u.a. auch die Freie Vereinigung der Maurer, die stärkste Berufsgruppe in der Organisation, trat mit 2112 Mitgliedern in den Zentralverband über, vgl. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, $.33 ebenda, S.32 »Wir haben es nicht nötig, die deutschen Gewerkschaften mit fremdsprachigen Namen zubelasten.« Hinter dieser Äußerung Fritz Katers steckte die Furcht um das Weiterbestehen der Organisation. Vgl. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.32 52 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) Der Syndikalist, Jg.1 (1918/19), Nr.38 In den vier Jahrgängen der Zeitung erschienen Beiträge von: Ferdinand Domela Nieuwenhuis, Bruno Wille, Johann Most, Peter Kropotkin, Pierre Ramus, Fritz Brupbacher, Gustav Landauer, Fritz Oerter. Darüber Fritz Köster in »Die Schöpfung«, Jg.1 (1921/22), Nr.59 Protokoll über die Verhandlungen des 11.Kongresses der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften vom 21.-24.5.1914 in Berlin, Berlin 1914, S.19 ebenda, S.17 Aigte, Gerhard: Die Entstehung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung in der Kriegs- und Nachkriegszeit, S.160 Der Syndikalist, Jg.1 (1918/19), Nr.1 »...gleich in den ersten Tagen wurden andie 30 Agitatoren in Elberfeld, Düsseldorf, Krefeld, Köln und Süchteln festgenommen«. U.a. auch Johann Baptist Steinacker und Heinrich Drewes aus Elberfeld. Stein- acker blieb 2 Jahre in Schutzhaft. Interview mit Frau H.S., geb. Steinacker. Protokoll über die Verhandlungen des 12.Kongresses der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften vom 27.-30.12.1919, Berlin 1920, S.20 Zur politischen Biografie Michels, vgl. Röhrich, Wilfried: Robert Michels, vom sozialistisch-syndikalistisch zum faschistischen Credo, Berlin 1972 Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im deutschen Sozialismus (1903-1907), in: Festschrift für Carl Grünberg zum 70.Geburtstag, Leipzig 1932 U.a. Cornelissen, Christian, Hubert Lagardelle, Ferdinand Nieuwenhuis, Luigi Fabbri, vgl. Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im deutschen Sozialismus (1903-1907), S.358 Vgl. Comelissen, Christian: Der internationale Syndikalismus, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd.30, S.154-156 Vgl. Michels, Robert: Die deutsche Sozialdemokratie, 1.Parteimitgliedschaft und Zusammensetzung, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, B d.23, S.497 Michels, Robert: Eine syndikalistisch gerichtete Unterströmung im deutschen Sozialismus (1903-1907), S.361 Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Stuttgart 1970, Nachdruck der Ausgabe von 1925, mit einem Nachwort von Werner Conze ebenda, S.XXVI Der Russe Michail B akunin hatte eine große Anhängerschaft in der Jura-Födera- tion. Vgl. Biegler, Rolf: Derlibertäre Sozialismus in der Westschweiz. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichteund Deutung des Anarchismus; undBrupbacher,Fritz: Marx und B akunin, Ein Beitrag zur Geschichte der Internationalen Arbeiterasso- ziation, Reprint Berlin 1969 Das Attentat auf den Kaiser wurde von einer Wuppertaler Gruppe urn Reinsdorf vorbereitet. Vgl. Der Krieg zwischen dem deutschen Kaiserreich und seinen Anarchisten. Als Chronik zusammengestellt von Karasek, Helmuth, Frankfurt 0.].; und Carlson, Andrew: Anarchism in Germany, Metuchen, N.J., 1972 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64 65) 66) 7) 68) 69) 70) 7) 72) 73) 74) 75) 76) 78) 53 Zu Mosts Biographie, vgl. Rocker, Rudolf: Johann Most, Das Leben eines Rebel- len, Berlin 1924. Mosts Positionen bis zum Ausschluß aus der Sozialdemokratie sind nachzulesen bei: Volker Szmula (Hrsg.): Johann Most — Dokumente eines sozialdemokratischen Agitators, Band 1-4, Grafenau 1988-1991. Wilhelm Hasselmann war Reichstagsabgeordneter von Elberfeld-Bannen. In seiner Biographie, vgl. Bers, Günther: Wilhelm Hasselmann 1844-1916, Sozial- revolutionärer Agitator und Abgeordneter des deutschen Reichstages, Köln 1973 Vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.44 Von allem Johann Most war ein Vertreter der Propaganda der Tat; 1884/85 veröffentlichte er ein Heft mit dem Titel »Revolutionäre Kriegswissenschaft, Ein Handbuch zur Anleitung betreffend den Gebrauch und Herstellung von Nitro- Glycerin, Dynamit, Schießbaumwolle, Knallquecksilber, Bomben, Brandsätzen, Giften.« (Reprint: Wien 1989) Vgl. Mosts Text »Es lebe der Tyrannenmord« (1881), u.a. in: Oberländer, Erich (Hg.): Der Anarchismus, Olten 1972, S.291-297. (Gleichwohl muß festgestellt werden, daß Most wegen der Veröffentlichung solcher Schriften die Hälfte seines Lebens hinter staatlichen Gefängnismauern verbringen mußte und selbst nie Gewalt angewandt hat). Rocker, Rudolf: Johann Most, S.209 Rocker, Rudolf: Anarchismus und Organisation, Berlin 1981, S.33 Vgl. Linse Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.169-173. zu den Auseinander- setzungen des in dieser Zeit führenden Wuppertaler Anarchisten und späteren christlichen Predigers Ommerborn, Johannes mit Landauer, vgl. ders.: Mein Freund und Weggenosse Fritz Binde, Barmen 1922, S.63-65 Vgl. Bock, Hans Manfred: Bibliographischer Versuch zur Geschichte des Anar- chismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland, in: Pozzoli, Claudio (Hg.), Jahrbuch Arbeiterbewegung 1, über Karl Korsch, Frankfurt 1973 Zur Organisation der AFD, vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, 5.183-218 ebenda, S.226-235 Der deutsche Anarchismus umfaßte nie mehr als 1000 Personen. Vgl. Linse, Ulrich: Der deutsche Anarchismus 1870-1918. Eine politische Bewegung zwi- schen Utopie und Wirklichkeit in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 20 (1969), S.518 Zitiert nach Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.219 Zur AFRW: ebenda, S.238-252 ebenda, S.308 Zur Biographie und Theorie Landauers, vgl. Wolfgang Kalz: Gustav Landauer, Kultursozialist und Anarchist, Meisenheim am Glan 1967 ebenda, S.7 Zur Organisation des SB, vgl. Linse, Ulrich: Organisierter Anarchismus, S.19 Vgl. Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.19 Vgl. dazu die »Zwölf Artikel des Sozialistischen Bundes«, abgedruckt bei Kalz, Wolfgang: Gustav Landauer, S.142-145 Diesen Gedanken hatte er von Kropotkin übernommen, der ein Buch gleichnami- gen Titels veröffentlichte, das Landauer übersetzte. Reprint: Berlin 1976 54 79) 80) 81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 9%) 93) 94) 95) 96) Linse, Ulrich: Zurück o Mensch zur Mutter Erde, München 1983 Oberländer, Emil: Der Anarchismus, S.73 Linse, Ulrich: Organiserter Anarchismus, S.23 »Ich konnte und durfte aus Gründen der Verantwortlichkeit unserer Bewegung gegenüber solche plötzlichen Sprünge nicht mitmachen. Als verantwortlicher Vorsitzender einer Bewegung und Vertrauensmann vieler Tausender Mitglieder derselben mußte ich mir sagen, wenn die Bewegung nicht urplötzlich zerschlagen werden soll, dann muß die 1904 und 1905 beschlossene geistige Einstellung sich erst zu einem großen Teil in der Gesamtbewegung vermitteln... Hätten meine engsten Freunde und ich nicht so gehandelt, dann wette ich, es gäbe heute in Deutschland keine anarcho-syndikalistische Bewegung und auch keine TAA«. Brief von Fritz Kater an Dr. Max Nettlau vom 6.11.1932 in Korrespondenz Fritz Kater — Dr. Max Nettlau, im Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam. Bock, Hans Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.32. Friedeberg lebte nach seinem Ausscheiden aus der Politik in Ascona, zeitweise wurde er zum Anziehungspunkt für eine ganze anarchistische Kolonie; er behielt Kontakt zur anarchistischen Bewegung, insbesondere zu Bertoni, Nieuwenhuis, Brupbacher und Max Nettlau, der 1934 seine Memoiren bei Friedeberg verfaßte. Vgl. Kurzbio- graphie Friedebergs und Reprint seines Textes »Parlamentarismus und General- streik« in: Haug, Wolfgang/Kamann, Friederike (Hg.): Wozu noch in die Parla- mente? Reutlingen 1978 Vgl. Winkler, Max: Vom ABC des Syndikalismus, in: Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.44. In diesem Artikel wurde der 1913 in der »Einigkeit« erschienene Artikel »Gustav Landauer und der Syndikalismus« noch einmal abgedruckt. Der Weckruf, Organ für Anarchismus und Syndikalismus, Nr.2, vom 14.10.1910. Vier Ausgaben dieser zeitschrift sind noch erhalten. In: HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr.42784, B1.189-206 ebenda ebenda, Blatt 242 Der Weckruf, Nr.4 vom 11.6.1910 HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr.15998. Im Jahre 1912 waren in Düsseldorf 82 Personen des Anarchismus verdächtig und in Elberfeld-Bannen 25.1907 in Düsseldorf 25, in Krefeld 8, in Elberfeld-B armen 33; siehe Wohlmann, Sigrid: Die Anarchisten in Wuppertal 1880-1920, Staatsexamensarbeit Wuppertal 1966 Josczok, Detlev: Die Entwicklung der sozialistischen Arbeiterbewegung in Düsseldorf währen des 1.Weltkrieges, Reinsbeck 1980, S.4/5 Der Weckruf, Nr.2 vom 14.10.1910 Der Weckruf, Nr.4 vom 11.6.1910 Gerlach, Erich: Syndikalismus, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd.X, Göttingen 1955, S.271. Ober den Zusammenhang zwischen Anarchismus und Liberalismus, vgl. April Carter: Die politische Theorie des Anarchismus, Berlin 1979, S.19-32 Vgl. Guerin, Daniel: Anarchismus, Begriff und Praxis, Frankfurt 1965, S.65 Neumann, Franz: Anarchismus, inders. (Hg.): HandbuchpolitischerTheorienund 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 33 Ideologien, Reinbach 1977, S.234 Vgl. Bakunin, Michail: Prinzipien und Organisation der Internationalen Revolutionären Gesellschaft (1866), in ders.: Staatlichkeit und Anarchie, hrsg. und eingeleitet von Horst Stuke, Frankfurt 1972, S.4 Vgl. B akunin, Michail: An die Genossen der Jura-Föderation, a.a.O., S.843-847 Marx, Karl: Allgemeine Statuten und Verwaltungsverordnungen der Internatio- nalen Arbeiter-Association, in: Marx-Engels: Studienausgabe Bd.III, hrsg. v. Iring Fetscher,Frankfurt 1966, S.137 ebenda Vgl. Fabbri, Luigi: Die historischen und sachlichen Zusammenhänge zwischen Marxismus und Anarchismus, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpo- litik, Bd.26 (1908), S.569. Fabbri war ein bekannter italienischer Anarchist ebenda, S.597. Dazu der Rätekommunist Paul Mattick (1905-1982): »Der Syndi- kalismus hatte mehr von Marx als von B akunin übernommen, obwohl es zutrifft, daß sein Hauptaugenmerk nicht auf Marx’ ökonomischen Theorien, sondern auf das Prinzip des Klassenkampfs gerichtet war.« Mattick, Paul: Marxismus und Unzulänglichkeiten der Arbeiterbewegung, in: Arbeiterbewegung, Theorie und Geschichte. Jahrbuch 1, (hrsg. von Pozzoli, Claudio), Frankfurt 1973, S.202 ebenda Die Anhänger B akunins kamen vorwiegend aus den romanischen Ländern (Frankreich, Italien, Spanien) und dem Schweizer Jura Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, Berlin 1979, S.25 Zum französischen Syndikalismus, vgl. Lagardelle, Hubert: Die syndikalistische Bewegung inFfrankreich I, Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd.26 (1908); ders.: Die gegenwärtige Lage des Syndikalismus; Röhrich, Wil- fried: Revolutionärer Syndikalismus, Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Arbei- terbewegung, Darmstadt 1977, S.19-42; Joll, James: Die Anarchisten, Frankfurt/ Berlin 1964, S.149-174 Vgl. Zurintemationalen Entwicklung des Syndikalismus. Cornelissen, Christian: Die neueste Entwicklung des Syndikalismus, Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd.36 (1913) Vgl. Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1919. Dort der Abschnitt über Syndikalismus, S.109-143. Über die Vermittlung Robert Michels lernte Sombart die intellektuellen Sympathisanten des französischen Syndikalis- mus kennen, die er folgendermaßen charakterisierte: »liebenswürdige, feine, gebildete Leute, Kulturmenschen mitreiner Wäsche, guten Manieren und eleganten Frauen, mit denen man ganz wie mit seinesgleichen verkehrt und denen man gewiß nicht ansehen würde, daß sie eine Richtung vertreten, die vor allem sich gegen die Verbürgerlichung des Sozialismus wendet, die der schwieligen Faust dem echten und wahren Nur-Handarbeitertum zu ihrem Recht verhelfen will«, ebenda, 5.110. Zur Kritik an Sombarts Positionen von syndikalistischerSeite vgl. Cornelissen, Christian: Über den internationalen Syndikalismus, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik Bd.30, S.148-175 Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.26, an anderer 56 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 124) Stelle führt Rocker aus: »Da Sorel seiner ganzen geistigen Einstellung nach sehr autoritär veranlagt war, so träumte er von einer Art Diktatur der Gewerkschaften, ähnlich wie sie ein Teil derBolschewisten in der ersten Zeit in Rußland erstrebt hat. Aber diese Ideen aus dem Lager einzelner Intellektueller haben im Grunde genommen wenig Einfluß auf die Entwicklung der syndikalistischen Bewegung und wenn Professor Sombart das Gegenteil behauptet, so verklannte er vollständig den eigentlichen Charakter dieser Bewegung, die aus der Notwendigkeit der Um,stände selbst geboren und von den Arbeiternselbst geschaffen wurde«. Rocker, Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organische Aufbau der FAUD, in: Protokoll über die Verhandlungen vom 15. Kongreß der FAUD (AS), Berlin 1925 In Deutschland verbreitete vor allem Rudolf Rocker, der mit Kropotkin aus der Zeit des gemeinsamen Exils in London befreundet war, seine Ideen des kommu- nistischen Anarchismus. Vgl. das Vorwort von Rocker zu Kropotkin, Peter. Die Eroberung des Brotes, Reprint Bern/Grafenau 1989 Vgl. Kropotkin, Peter: Der Anarchismus, mit einer Einführung in Kropotkins Leben und Werk, Siegen-Eiserfeld 1983, S.105/106 Vgl. dazu das gleichnamige Werk Kropotkins: Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, Reprint Berlin 1976 ders.: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Reprint Wien/Grafenau 1989 ebenda, S.VII ders.: Ethik, Ursprung und Entwicklung der Sitten, Reprint Berlin 1976, S.30 Prinzipienerklärung des Syndikalismus, Verlag der Syndikalist 1924; nachge- druckt in: Arbeiterselbstverwaltung, Räte-Syndikalismus, Berlin 1969 oder in: Die lange Hoffnung, Grafenau 1985. Die Prinzipienerklärung wurde von Rocker für den Gründungskongreß der FAUD 1919 verfaßt. Über die »Gegenseitige Hilfe« schreibt Rocker an anderer Stelle: »...in einem Punkt hat Kropotkin die Ideen des Anarchismus wesentlich erweitert und uns Wege gezeigt, die man vorher in dieser Klarheit nicht gekannt hat... Ich spreche hier von der Entwicklung seiner Idee der gegenseitigen Hilfe. Mag er dabei in den Einzelheiten manches schöner gesehen haben, als es in Wirklichkeit war, die Idee als Ganzes ist groß und enthält meiner Meinung nach den tiefsten Sinn aller sozialistischen Theorie«. Brief von Rudolf Rocker an Dr. Max Nettlau vom 30.12.1930, in: Korrespondenz Rocker-Nettlau, IISG Amsterdam, S.9 P.J. Proudhon, »Du principe federatif«, zit. nach D. Guerin: Anarchismus, S.65 G. Landauer: Aufruf zum Sozialismus, S.131 Rudolf Rocker: Über das Wesen des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralis- mus«, Berlin 1923, Reprint Frankfurt 1979, S.8 ebenda, S.9 ebenda Rocker, Rudolf: Zum 14. Kongreß der FAUD, Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.44 ebenda »Wenn man zur Zeit von Marx und Bakunin noch theoretisch das Problem erörterte, ob eine sozialistische Regierung den Massen die Freiheit und den Sozialismus 125) 126) 127) 128) 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143) 144) 145) 3.4 bringen könnte, so ist diese Frage heute praktisch gelöst. Wir haben heute den modernen Staatssozialismus in seinen zwei verschiedenen Richtungen der ge- mäßigten Sozialdemokratie und des radikalen Kommunismus. Beide haben in Zentral- und Osteuropa die Möglichkeit gehabt, mit ihrer Theorie einen Versuch zu machen. Wir haben gesehen, daß weder in Mitteleuropa noch in Rußland eine Regierung, sogar eine, die unter dem Nameneiner Arbeiterregierung im radikalsten Sinne geht, imstande gewesen wäre, die wirtschaftlichen Bedingungen so zu reorganisieren, daß der Sozialismus daraus hätte erwachsen können.« Rocker, Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organische Aufbau der FAUD, in: Protokoll zu den Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, Berlin 1925, S.42 Prinzipienerklärung des Syndikalismus, $.13 ebenda, S.14 ebenda ebenda, S.13 Vgl. Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.34 Prinzipienerklärung des Syndikalismus, S.11 Rocker, Rudolf: Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organisa- torische Aufbau der FAUD, S.37 ebenda, S.10 Nach dem Proudhonschen Begriff »bourse du travail« wurden Arbeiterbörsen zuerst von den französischen Syndikalisten eingerichtet (ab 1887). Sie dienten zunächst vor allem dem Zweck der Stellenvermittlung, weiteten sich jedoch rasch zuBildungseinrichtungen aus. Vgl. Joll, James: Die Anarchistern, frankfurt/Berlin 1969, S.157 Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarchosyndikalismus Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.36: Aufbau der syndikalistischen Arbeiterbörsen innerhalb der FAUD ebenda Resolution über die Methode der direkten Aktion im revolutionären Klassenkampf, in: Protokoll vom 15.Kongreß, S.97 ebenda ebenda Vgl. Roller, Arnold: Der soziale Generalstreik, Berlin 1905, S.2 Rocker, Rudolf: Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, S.36 Fritz Benner, Brief an Olday, Nachlaß R. Rocker, übereinstimmend mit Angaben von A. Benner und G. Krüschedt Vgl. Grundsatzartikel von H. Reuß, Mülheim: Ober die Bedeutung der Gewalt...in: Der Syndikalist, Jg.7 (1925) Nr.8. Vgl. auch E. Lucas: Märzrevolution So z.B. gebraucht Karl Windhoff: ». . .mit diesen Leuten direkte Aktion zumachen, nämlich wie wir als Syndikalisten sie verstehen, d.h.: Die Prügel...«, in: Die Schöpfung, Nr.4 (1922) Auf der Konferenz in Rheinland-Westfalen 1920 vertraten alle Delegiertenüber- einstimmend diese Position (Vgl. Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.44. In Düssel- dorf sollen nach Angaben der politischen Polizei viele Anhänger der FAUD 58 146) 147) 151) 152) 153) 154) 155) 156) 157) 158) 159) 160) 161) 162) 163) 164) 165) 166) 167) 168) aufgrund ihrer Haltung zur Gewaltfrage aus der Organisation ausgetreten sein (Vgl. STAM, Büro Kölpin, Nr.139). Der Hamburger Delegierte forderte auf dem 14. Kongreß der FAUD, daß Artikel, die die absolute Gewaltlosigkeit forderten, im Syndikalist nicht mehr veröffentlicht werden wollten, da sie der Bewegung in Rheinland-Westfalen schweren Schaden zugefügt hätten (Vgl. Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51 Vgl. Der Syndikalist, Jg.7, Nr.35. H. Reuß begann seine Ausführungen wie folgt: »Es ist leicht verständlich, wenn diese Frage immer wieder in den Vordergrund gerückt wird. Sind wir doch deutsche, d.h. geborene Militaristen. Unser erstes Spielzeug waren B leisoldaten, Säbel, Schild und Flinte. Unsere Geschichtskenntnisse bestehen aus einer Serie von Großkampftagen 'unsererruhmreichen V orfahren'«. Der Syndikalist, Jg. 6 (1924), Nr.37 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.40 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.46 Vgl. Rocker, Rudolf: Keine Kriegswaffen mehr, in Aufsatzsammlung, Bd.1, Frankfurt 1980, S.16-32. Die Rede Rockers hatte eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren und wurde in viele Sprachen übersetzt (Vgl. Wienand, Peter: S.291) Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.4 (Rheinische Konferenz der FAUD) Brief von Rocker an Max Nettlau vom 23.12.1927, in: Nachlaß Nettlau, IISG Amsterdam ebenda, Rocker an Nettlau, Brief vom 26.11.28 Landauer, Aufruf zum Sozialismus, S.131 Zit. nach Landauer: Revolution, Frankfurt 1907, Reprint: Berlin 1974, S.89 Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Bd.4, S.480; Marx hatte sich ähnlich schon in den »ökonomisch-philosophischen Manuskripten« (1844) geäußert — diese wurden aber erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts publiziert. Bakunin, Michail: Prinzipien und Organisation einer internationalen revolutionär- sozialistischen Geheimgesellschaft (1886), in: Staatlichkeit und Anarchie, S.4 Landauer, Gustav: Artikel 10 der »Zwölf Artikel des SozialistischenBundes«, zit. nach Kalz, S.144 Spruch an der Toilettenwand einer Wuppertaler Kneipe Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, Köln 1923, Reprints Frankfurt 1967, Wetzlar 1978, S.61 Vester, Michael: Was dem B ärger sein Goethe ist, ist dem Arbeiter seine Solidarität. zur Diskussion der»Arbeiterkultur«, in: Ästhetik und Kommunikation, Nr.24, Juni 1976, S.62 Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.103 Groh, Dieter: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die Sozial- demokratie am Vorabend des 1. Weltkriegs, Frankfurt/Berlin/Wien 1973 August Bebel auf dem Erfurter Parteitag der SPD, 1891. Zit. nach Peter von Rüden: Beiträge zur Kulturgeschichte..., S.26 Vogel, Angela: S.103; vgl. Grunenberg, Antonia: Die Massenstreikdebatte, Frank- 169) 170) 171) 172) 173) 174) 175) 176) 177) 178) 179) 180) 181) 182) 183) 184) 185) 186) 187) 188) 189) 190) 191) 192) 193) 194) 195) 196) 197) 198) 199) 3.9 furt 1970, S.30-32 Vgl. Grunenberg, ebenda Lenin: Was Tun?, Lenin AW, Bd.1, S.373 und 376 Wunderer, Hartmut: Arbeitervereine und Arbeiterparteien, Frankfurt/New York 1980, S.33 Nest, Oskar/Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisations- analyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt 1972, S.115 ebenda ebenda, S.112 Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.99 Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.43 Ramus, Pierre: Die Irrlehren des Marxismus, Wien 1919, S.130 McGowen, Kenneth zum Streik in Lawrence (Massachusetts) 1912; zit. nach Stefan Blankertz: Staatlichkeitswahn, Wetzlar 1980, S.51 Bertold Calm am 16.10.1910 auf einer Gedächtnisveranstaltung für Francisco Ferrer in Düsseldorf; zit. nach: HStA Düsseldorf, Politische Akten Nr.15988, B1.293 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.2 Santillan, Diego Abad de: Die tägliche Revolution von unten auf, in: Aufsätze zur Erinnerung an Gustav Landauer, Reprint Frankfurt 1978, S.5 Rocker, Rudolf: Der Kampf ums tägliche Brot, Berlin 1925, Reprint Frankfurt 1975, S.5 Ders.: Anarchistische Arbeit im kapitalistischen Staate, in: Rudolf Rocker: Auf- satzsammlung, Bd.1, 1919-1933, Frankfurt 1980, S.101 Ders.: ebenda, S.102 Ders.: Moderne Probleme des Anarchismus, ebenda, S.76 Ders.: Anarchistische Arbeit im kapitalistischen Staate, ebenda, S.101 Prinzipienerklärung des Syndikalismus, Berlin 1920, S.11 Oeter, Fritz: Was wollen die Syndikalisten?, Berlin 1919, S.11 Reuß, H.: Ein ernstes Wort an alle!, Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 Joll, James: Die Anarchisten, S.214 Schackwitz, W.: Ideen- undInteressengemeinschaft, Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.110 Rocker, Rudolf: Moderne Probleme des Anarchismus, in: Aufsatzsammlung, Frankfurt 1980 Akten des Reichssicherheitshauptamtes, BA Koblenz, Bestand R 5%/304, B1.44 Wunderer, S.33/34 Weber, Max: Der Sozialismus, in: Max Weber, Werk und Person..., S.263 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.110 Rocker, Rudolf: Die prinzipiellen Grundlagen des syndikalismus und der orga- nisatorische Aufbau der FAUD, in: Protokoll über die Verhandlungen vom 15.Kongreß der FAUD (AS), Berlin 1925, S.37 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr. Vgl. auch: Wolfgang Haug: Eine Flamme erlischt. Die Freie Arbeiter Union Deutschlands (Anarchosyndikalisten)von 1932 bis 1937; in: ITWK, 253.Jg., (1989), Nr.3 60 200) 201) 202) 203) 204) 205) Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung..., S.11 Rocker, Rudolf: Staat und Kultur, in: Aufsatzsammlung, S.117 Vgl. etw a: Gedicht von W. Runge (Düsseldorf-Gerresheim) gegen Sport, Tanzund Kino; in: Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.138 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.2 Brief von B. Schmithals an P. Ramus vom 22.6.1930,in: Nachlaß Pierre Ramus, IISG Amsterdam Weber, Max: Das Postulat der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft, in: M.W., Werk und Person..., S.123/124 61 Kapitel II »Im Anfang war die Tat« oder: Anarcho-Syndikalisten in Aktion (1918-1923) 1.Die deutsche Revolution 1918/19 In diesem Kapitel soll kein detaillierter Überblick über den Verlauf der deutschen Revolution 1918/1%1) gegeben werden, sondern die wichtigsten Momente sollen herausgestellt werden, die zum Aufstieg der »Freien Vereinigung« von einer kleinen Sekte am linken Flügel der Arbeiterbewegung zu einer Massenorgani- sation innerhalb weniger Monate führten. Der Aufstand der Matrosen der deutschen Hochseeflotte Ende Oktober 1918 war der Anstoß zu einer breiten Massenbewegung der Arbeiterschaft, die inner- halb von zwei Wochen zum Zusammenbruch des wilhelminischen Staates führte. Vertretungsorgane der Massenbewegung waren die spontan entstandenen Arbei- ter- und Soldatenräte, die sich überwiegend aus Vertretern der beiden sozialde- mokratischen Parteien und der Gewerkschaften zusammensetzten.(2) Die Akti- vitäten der Räte müssen auf dem Hintergrund der sozialdemokratischen Trennung von Partei (Politik) und Gewerkschaften (Wirtschaft und Betriebe) verstanden werden. Sie verstanden sich in erster Linie als »politische« Räte, befaßten sich also wenig oder gar nicht mit den Verhältnissen in den Betrieben, die sie als Sache der Gewerkschaften betrachteten und zwar umso ausgeprägter, je stärker die SPD die Mehrheit hatte.(3) In den Räten begann rasch die Diskussion über die zukünftige politische Ordnung Deutschlands. Die SPD betrachtete die Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte als undemokratisch und drängte auf rasche Wahlen zu einer ver- fassungsgebenden Versammlung. Der rechte Flügel der USPD wollte ebenfalls Wahlen durchführen, aber erst nach der Sozialisierung der wichtigsten Industrien. Der linke Flügel der USPD und der Spartakusbund sprachen sich gegen Wahlen aus und traten für ein reines Rätesystem ein, auf der Grundlage der bestehenden Räte. Auf dem 1. Rätekongreß vom 16.-20.12.1918 in Berlin, auf dem die SPD die Mehrheit der Delegierten stellte, wurde beschlossen, zum frühestmöglichen Termin Wahlen zur Nationalversammlung durchzuführen. Konsequenz dieses 62 Beschlusses war der Verlust der Machtpositionen für die Arbeiter- und Soldaten- räte und es schwand »auch die Möglichkeit einer tiefgreifenden und umfassenden inneren Neugestaltung auf der Grundlage einer revolutionären Massenbewe- gung.«(4) Hatte die SPD bis Anfang 1919 noch das Vertrauen des größten Teils der Arbeiterschaft, so veränderte sich dies in der ersten Jahreshälfte 1919, als sie die beginnenden Unruhen, Streikbewegungen und räterepublikanischen Experimente (München, Bremen) von Reichswehr und Freikorpsverbänden brutal unterdrük- ken ließ.(5) Im Laufe des Jahres 1919 verlor die SPD massenhaft Mitglieder an die USPD, die nun in vielen Großstädten zur stärksten Arbeiterpartei wurde.(6) Ab Januar veränderten sich auch die Forderungen der Massenbewegung. »Hatte in der ersten Phase der Revolution der Begriff »Demokratisierung« im Vorder- grund gestanden, so wurde nun aus dem Ausbleiben der erwarteten Demokrati- sierungsmaßnahmen die Notwendigkeit der Sozialisierung als Voraussetzung einer jeden Demokratisierung gefordert.(7) Die Gewerkschaftsführung hatte ebenso wenig wie die SPD Interesse an einem Rätesystem. Denn durch die Räte sahen sie ihren Alleinvertretungsanspruch für die »wirtschaftlichen Interessen« der Arbeiterschaft gefährdet und damit die Existenz ihrer Organisation.(8) Die im Kriege begonnene Kooperation mit den Arbeitgebern wurde auch nach der Revolution fortgesetzt. Am 15. November 1918 wurde die »Zentralsarbeitsgemeinschaft der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands« etabliert. Bei den dort zustande gekommenen Vereinbarungen wurden den Gewerkschaften zwar weitgehende Zugeständnisse gemacht (Allein- vertretungsanspruch der Arbeiterschaft, Koalitionsfreiheit, 8-Stunden-Tag, Kollektivverträge etc.),(9) aber angesichts der drohenden Sozialisierung waren diese Zugeständnisse das kleinere Übel für die Arbeitgeber und dies wurde auch offen ausgesprochen. So erklärte der Geschäftsführer des »Vereins deutscher Eisen- und Stahlindustrieller«, Dr. Reichert, am 30.12.1918 ..Wie kannman die Industrie retten? Wie kannman auch das Unternehmertum vor der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahen Revolution bewahren? Einen überragenden Einfluß schien nur die organisierte Arbeiterschaft zu haben. Daraus zog man den Schluß: inmitten der allgemeinen großen Unsicherheit, angesichts der wankenden Macht des Staates und der Regierung gibt es für die Industrie nur in der Arbeiterschaft starke Bundesgenossen, das sind die Gewerkschaften.(10) In den Gewerkschaften trat eine starke Minderheit gegen diese Vereinbarungen auf, die den Gewerkschaftsführerm vorwarf, auf die Möglichkeit systemverän- dernder Eingriffe in die Wirtschaft verzichtet zu haben. Besonders bei den Bergarbeitern im Ruhrgebiet kam es zu massenhaften Austritten aus den Gewerk- schaften und Hinwendung zu syndikalistischen Organisationen. 63 Die Hamborner Bergarbeiterbewegung Bis zum Oktober 1918 hatten die Zechenbesitzer des Ruhrgebiets es abgelehnt, mit den Gewerkschaften zu verhandeln. In keinem anderen Industriezweig war der »Herr im Hause«-Standpunkt so ausgeprägt wie im Bergbau des Ruhrge- biets.(11) Am 14. November wurde eine Vereinbarung mit den Gewerkschaften getroffen, in der der 8-Stunden-Tag beschlossen wurde und die Gewerkschaften als Tarifpartner ihre Anerkennung fanden. Ferner sollten künftig alle Streitpunkte nur durch Verhandlungen ausgetragen werden. Die Gewerkschaften veröffent- lichten dieses Abkommen mit dem Aufruf zur gewerkschaftlichen Disziplin an ihre Mitglieder und derFeststellung, daß neutrale Tarifpolitik Tarifzwang für alle Einzelbelegschaften beinhalte.(12) Dieses Abkommen wurde auf allen Zechen angenommen mit Ausnahme der Thyssen-Zeche »Deutscher Kaiser« in Ham- born. Die Arbeiter dieser Zeche faßten die 8-Stunden-Schichtgroßzügiger auf, als sie von den Gewerkschaften gemeint war, denn sie schlossen die Ein- und Ausfahrt in die 8 Stunden ein.(13) Doch bevor wir auf die Kämpfe der Hamborner Bergarbeiter weiter eingehen, möchten wir einige Bemerkungen zu Hamborn selbst vorausschicken. Die Ent- wicklung der Stadt Hamborn ist auch im Ruhrgebiet eine Ausnahme. In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden hier zwei Großzechen und ein Hüttenwerk errichtet. Die Bevölkerungszahl stieg rapide an: 1890: 2.000 1900: 33.000 1910: 102.000 Dabei betrug der Ausländeranteil 36%.Die Arbeiter lebten unter sehr elenden Bedingungen und »zieht man mit aller Vorsicht einen Vergleich mit der Gegen- wart, so war Hamborn nach Arbeitsbedingungen wie nach Wohn- und Lebens- verhältnissen ein »Gastarbeiter«-Milieu riesigen Ausmaßes.«(14) In diesem Milieu war die gewerkschaftliche Organisation noch nicht so tief verankert wie in den traditionellen Bergarbeitergebieten des mittleren und östlichen Ruhrgebiets; und von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären wurde Hamborn als »Wilder Westen« bezeichnet. Zurück zu den Ereignissen im November 1918: Auf der Zeche »Deutscher Kaiser« wählten die Arbeiter am 20.11. in allen Schächten Belegschaftskom- missionen. Sie forderten eine einmalige Zahlung für jeden Bergmann und eine Verkürzung der Schichtzeit auf 7 Stunden. Die Direktion lehnte diese Forderungen zunächst ab mit Hinweis auf die zentrale Tarifvereinbarung. Auf einer Konferenz in Hamborn, die auf Initiative des Arbeiter- und Zentralrates zustande gekommen war und auf der Vertreter der Gewerkschaften, der Zechenleitung und der Kommunalvertretung zusammentrafen, schlossen sich die Gewerkschafts- 64 vertreter der Position der Unternehmer an. In einer öffentlichen Versammlung am 8.12. wollte Hermann Sachse, der 1.Vorsitzende des »Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands«, meist »Alter Verband« genannt, die Gewerkschaftsposition vor den Arbeitern vertreten. Er wurde aber in seiner Rede durch Zurufe gestört und schließlich wurde ihm von der Versammlung das Wort entzogen. Nach Sachse sprach Heiling, Mitglied der Belegschaftskommission und der »Freien Vereinigung«, die bis dato in Hamborn ein Schattendasein geführt hatte. Die Mitgliederzahl der »Freien Vereinigung« wurde zu diesem Zeitpunkt mit 5-6 angegeben.(15) Heiling forderte die Versammelten auf, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und so lange zu streiken, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Die Versammlung beschloß einstimmig den Streik und die Sperrung der Beiträge für den »Alten Verband«. Am nächsten Tag befanden sich alle Schächte der Zeche »Deutscher Kaiser« im Streik; Versammlungen und Demonstrationen wurden organisiert. Drei Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates gingen am selben Abend zur Zechenleitung und gaben zu verstehen, daß sie für deren Sicherheit nicht garantieren könnten, wenn die Forderungen nicht erfüllt würden. Nachdem sich die Zechenleitung überzeugt hatte, daß keine Truppen nach Hamborn entsandt werden konnten, beschloß sie unter Protest, den Forderungen nachzugeben. Nach dem Bekanntwerden der Hamborner Vereinbarungen traten die Zechen der Umgebung Hamborms auch in den Streik und erhoben ihrerseits Forderungen. In dieser Situation traten die Gewerkschaften und Unternehmer in Essen wieder zusammen. Den Arbeitern wurde 15% mehr Lohn zugestanden, gleichzeitig wurde aber daran die Bedingung geknüpft, daß die Gewerkschaft sich für eine Erhöhung der Kohlenpreise beim preußischen Ministerium einsetzen müsse. Nach diesem Tarifbeschluß widerrief die Zechenleitung in Hamborn die Vereinbarung vom 10. Dezember und erklärte, diese sei durch einen Gewaltstreich zustande gekommen. Die Arbeiter beschlossen erneut, sich nicht der zentralen Gewerkschaftspolitik anzuschließen und wieder in den Streik einzutreten, sowie den Streik auf andere Zechen auszuweiten. In riesigen Demonstrationszügen mit Musikkapellen und roten Fahnen zogen sie zu den Nachbarzechen, um deren Solidarisierung zu erreichen. Nun kam es zu ersten Zusammenstößen mit Militärs und Freikorps, die gegen die Arbeiter eingesetzt wurden und in deren Verlauf mehrere Arbeiter zu Tode kamen. In dieser Situation griff die Regierung ein, um durch Verhandlungen die Streikbewegung beizulegen. In einer großen Konferenz in Mülheim/Ruhr wurde ein Kompromiß geschlossen. Die Thyssen-Direktion gestand den Arbeitern eineeinmalige Zahlung zu, bestand aber darauf, diese nicht als einmalige Zahlung zu verstehen, wie es die Belegschaften forderten, sondern als teilweise Entschädi- gung für den im Streik entstandenen Lohnausfall. Voraussetzung sei jedoch, daß 65 ab 1. Februar die 8-Stunden-Schicht voll gefahren werde. Die Hambomer Bergleute waren über das Ergebnis enttäuscht, beschlossen aber, die Arbeit nach dem erschöpfenden 14-tägigen Streik wieder aufzunehmen. Andererseits löste das Mülheimer Ergebnis eine Streikwelle in vielen Zechen des Ruhrgebiets aus. Am 11. Januar streikten mehr als 60.000 Bergarbeiter, um ebenfalls ihre Forderungen nach Zusatzzahlungen durchzusetzen.(16) Die wesentlichen Charakteristika der Hamborner Bergarbeiterbewegung waren: 1. Die basisdenwkratische Organisationsstruktur. Die Belegschaften trennten sich rasch von ihren gewerkschaftlichen Führern, wählten in jedem Schacht Vertreter zur Wahrnehmung ihrer Interessen. Entscheidungen ihrer Vertreter, die nicht ihren Interessen entsprachen, wurden auf Vollversammlungen revidiert. Nach den Verhandlungen in Essen waren die Belegschaftskommissionen zunächst bereit, sich der gewerkschaftlichen Tarifpolitik zu unterwerfen. Von den Belegschaftsvollversammlungen wurde dieser Beschluß revidiert. Der syndika-listische Einfluß in Hamborn war nicht zurückzuführen auf das Bestehen einer formellen Organisation, sondern vermittelt über den Einfluß einzelner Personen wie Heiling. Wir erwähnten, daß die »Freie Vereinigung« in Hamborn nur 6 Mitglieder hatte. Zum massenhaften Eintritt in die »Freie Vereinigung« kam es erst, als sich die syndikalistische Agitation adäquat zu den Erfahrungen und Erfordernissen der Bewegung erwies. Am B. Januar beschlossen die Belegschaftskommissionen, für einen geschlossenen Austritt aus den Zentralgewerkschaften zu votieren und für den Eintritt in die »Freie Vereinigung« einzutreten. Begünstigt wurde diese Entwicklung, weil die Arbeiterparteien in der Hambomer Bewegung nur eine sehr untergeordnete Rolle spielten. 2. Die Aktionsformen. Lucas vergleicht die Aktionsformen mit dem Bauernkrieg von 1525. »Arbeitsverweigerung gekoppelt mit Aktionen; Haufenbildung; Zug von Dorf zu Dorf; vielfach Musik vorneweg; in der Aktion Kommunikation über die mündliche Rede beim Vortragen von Forderungen; auch körperlicheAngriffe auf die Herrscher«. Lucas behauptet keinen tradierten Zusammenhang zwischen dem Bauernkrieg und den Hamborner Aktionen, stellt aber die Hypothese auf, daß sich »der agrarische Mentalitätshintergrund« vieler Streikender bei den Aktionen ausgewirkt haben könnte. Bei den Zügen von Zeche zu Zeche verweist er auf religiöse Prozessionen, »die für Dorfbewohner die Form der kollektiven Bewegung schlechthin ist.«(17) Als spezifische Schranken der Hambomer Bewegung nennt Lucas: a) Ihre Begrenztheit auf den Hamborner Raum. Die Arbeiter versäumten es, Delegationen nachaußen zu schicken, um Gegeninformationen zu geben zu der Greuelpropaganda, die über sie inszeniert wurde. b) Fehlende Vorstellungen über den gesellschaftlichen Stellenwert ihrer Aktionen. 66 c) Das Unterbleiben von Reflexion und Agitation über die Ergebnisse der eigenen Praxis. Lucas faßt die Bewegung wie folgt zusammen: Die Streikbewegung führte also im Endergebnis zwar zu einer subjektiven Radikalisierung der Beteiligten und vielfach zueinem Wechsel ihrer Mitglied- schaft in formellen Organisationen. Aber weder wurden die Erkenntnisse, die die Praxis der Bewegung erbracht hatte, gesammelt weitergegeben und als kritisches Wissen in die Bewegung eingebracht, noch wurde, als es in der Folge der Bewegung zu massenhaften Übertritten zur »Freien Vereinigung« kam, darüber reflektiert, was formelle Organisationen überhaupt sind und welche Grenzen sie haben.(18) Das Urteil von Zeitgenossen über die Hamborner fiel meistens sehr negativ aus, insbesondere bei Partei- und Gerwerkschaftsfunktionären. Eine Ausnahme von bürgerlicher Seite machten zwei evangelische Geistliche, die den Bergarbeitern mit Sympathie begegneten. Einer der beiden, Carl Meineke, später Herausgeber der »Blätter für religiösen Sozialismus«, 1918 Pfarrer in den Gemeinde Wehofen bei Hamborn, schrieb nach einem Besuch im Frühjahr 1919 über die Bergarbeiter in der Vossischen Zeitung: Auf Grund von Unterhaltungen, die ich persönlich mit den Bergarbeitern hatte, kann ichnur beteuern, daß ich durch den entschlossenen Ernst, der diese Menschen erfüllt, aufs tiefste bewegt worden bin... Es lebt in der Bergarbeiterschaft, wenigstens in dem Bezirk, den ich besucht habe, wirklich etwas von urchristlicher Stimmung. Die Leute fühlen sich an einem Wendepunkt der Geschichte und sie haben das große Bewußtsein, in einem heiligen Kampf zu stehen. Und dieser Kampf charakterisiert sich in ihrem Gefühl ebenso, daß es gelte, daß den Menschen völlig mißachtende, über Menschenleben und Menschensein kalt hinwegschreitende, ausbeuterische Untemehmertum ein für allemal zu vemichten.(19) Der Miihlheimer Arbeiter- und Soldatenrat Wir erwähnten, daß die Räte sich in erster Linie als politische Räte verstanden. Eine auffällige Ausnahme machte der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat, in dem die Syndikalisten in wichtigen Positionen vertreten waren. Wichtigster Betrieb der Stadt war die Maschinenfabrik Thyssen, dessen Belegschaft führend in den Streikbewegungen der Kriegszeit war. Im letzten Kriegsjahr bildete sich in der Fabrik eine Metallarbeiter-Gruppe der »Freien Vereinigung«, die brieflich Kontakt zu Fritz Kater in Berlin aufgenommen hatte(20) und der zu Beginn der Revolution 60 Mitglieder angehörten.(21) Soweit sich dies aus den Listen des Arbeiterrates entnehmen läßt, handelte es sich bei den Führern dieser Gruppe um altgediente Sozialisten.(22) 67 Von dieser Gruppe ging in Mülheim auch die Bildung des Arbeiter- und Solda- tenrates aus. Nach einer Demonstration der Mülheimer Arbeiterschaft wurde auf einer Versammlung durch Handheben der Arbeiterrat gewählt. Einen Tag vorher war die Liste von den Arbeitern der Maschinenfabrik gebilligt worden.(23) SPD und Gewerkschaftsvertreter wurden ebenfalls in den Rat aufgenommen, jedoch mit der Einschränkung, daß sie keine Angestellten der Partei bzw. der Gewerkschaft seien und daß keine Vertreter der christlichen Gewerkschaften und der Angestelltenverbände zugelassenwürden, wie es SPD und Gewerkschaften vorgeschlagen hatten. Außerdem behielt sich der Rat das Recht der Ablehnung einzelner Delegierter vor. Am 13. Dezember 1918 trat die SPD wegen der Gewerkschaftsfrage aus dem Arbeiterrat aus. Der Arbeiter- und Soldatenrat war nicht bereit, den Gewerk- schaften die »ausschließliche wirtschaftliche Interessenvertretung« der Arbeiter zu überlassen. In Verbindung mitdem Betriebsrat der Maschinenfabrik führte der Rat Verhandlungen über Lohn- und Arbeitsbedingungen mit der Direktion. Den Gewerkschaftsvertretern wurde zwar die Teilnahme an den Verhand- lungen gestattet, der Rat fühlte sich aber nicht an die Tarifvereinbarungen der zentralen Arbeitsgemeinschaft gebunden, sondern betrachtete sie nur als Richt- schnur: »Sie vertraten Konsequent die Forderungen der Arbeiter und versuchten u.a. auch auf diese Weise, Streiks zu vermeiden oder die Arbeiterschaft zu beruhigen und von möglichen Sabotageakten abzuhalten.«(24) Kurz vor der Entscheidung zur Gewerkschaftsfrage im Rat wurden in der Maschinenfabrik Thyssen Wahlen zum Arbeiterrat durchgeführt, mit folgendem Ergebnis: Anzahl der Stimmen Anzahl der Sitze Deutscher Metallarbeiter-Verband 2492 7 »Freie Vereinigung« 1638 4 Christl. Metallarbeiter-Verband 709 2 Bei diesem Ergebnis ist zu beachten, daß die Firma Thyssen allein im November die Belegschaft um 10.000 (!) Mann reduzierte. Da davon auszugehen ist, daß vor allem radikale Arbeiter entlassen wurden, ist anzunehmen, daß die Basis der »Freien Vereinigung« noch wesentlich größer war. Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat war auch in übergeordneten Räte- Gremien vertreten und ab 1.Dezember erfolgte die Herausgabe einer eigenen Zeitung, »Die Freiheit, Organ für die Interessen des gesamten werktätigen Volkes. Publikations-Organ der Arbeiter- und Soldatenräte.« Verleger der Zei- tung war der 2. Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates Serforth. Für den redaktionellen Teil waren die dem Spartakusbund/KPD angehördenden Carl Minster(25) und Julius Schoch verantwortlich. Bis zum Februar 1919 kann die »Freiheit« als Publikationsorgan der KPD und der »Freien Vereinigung« einge- 68 stuft werden. Wahrscheinlich aufgrund der zunehmenden Differenzen zwischen den beiden Organisationen erschien die »Freiheit« ab 17. Februar als Organ der KPD.(26) Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat griff auch vermittelnd in die Ham- borner Streikbewegung ein. Die Maschinenfabrik Thyssen war abhängig von den Kohlelieferungen aus Hamborn. Immer dann, wenn die Gefahr bestand, daß sich die Streikbewegung auf die Mülheimer Zechen ausbreitete, versuchte der Rat, vermittelnd einzugreifen. In der »Freiheit« unterstützten sie die Hamborner Bewegung und im Bezirks- soldatenrat verhinderten sie die Entsendung von Truppen nach Hamborn.(27) Die vermittelnde, auf schrittweise Veränderung der kapitalistischen Gesellschaft gerichtete Politik der Mülheimer Syndikalisten änderte sich zu Beginn 1919, wobei drei Faktoren eine wesentliche Rolle spielten: 1. Der Beschluß des 1.Rätekongresses, Wahlen zur Nationalversammlung durchzuführen 2. Die Streikbewegungen im Ruhrgebiet 3. Der sogenannte »Spartakus-Aufstand« Anfang Januar in Berlin, in dessen Verlauf die Regierung Ebert-Scheidemann Freikorpstruppen gegen die auf- ständischen Arbeiter einsetzen ließ. Im Verlauf einer Demonstration am B. Januar wurde der Mülheiner »General- Anzeiger« besetzt, der am folgenden Tag als »Rote Fahne« erschien. Die Redner Serforth, Minster und Deutsch (Syndikalist) forderten die Arbeiter auf, den Generalstreik zum Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann vorzubereiten und die Sozialisierung des Bergbaus in Angriff zu nehmen. Während der Streikbewegung im Ruhrgebiet hatte der Essener Arbeiter- und Soldatenrat die Initiative zur Sozialisierung des Bergbaus ergiffen. Am 11. Januar wurden die Büros des Kohlenverbandes und des Zechenverbandes besetzt. Auf einer am 13. Januar tagenden Konferenz aller Arbeiter- und Soldatenräte des rheinland-westfälischen Industriegebietes unter Teilnahme der Gewerkschaften wurde eine Neunerkommission mit jeweils drei Mitgliedern der sozialistischen Parteien und ein Volkskommissar für die Sozialisierung des Bergbaus ernannt. Auf lokaler Ebene sollten in allen Zechen Räte gewählt werden, um die Soziali- sierung in Angriff zu nehmen. Die Konferenz veröffentlichte das Abkommen in Hunderttausenden von Flug- blättern und forderte die Arbeiter auf, die Streiks abzubrechen, da durch die Sozialisierung deren Grundlagen entfallen seien. Auf den meisten Zechen wurde daraufhin die Arbeit wieder aufgenommen. Bei den Zechenbesitzern fand die Sozialisierungsbewegung natürlich keinen Widerhall, aber auch bei der SPD-Regierung fand sie keine Unterstützung. Die Bewegung wurde schließlich mit militärischen Mitteln niedergeschlagen.(29) Am 12. Februar ließ der neueingesetzte kommandierende General des VI. 69 Armeekorps Watter mit Hilfe des Freikorps Lichtschlag den Generalsoldatenrat in Münster verhaften und am 15. Februar richtete das Freikorps Lichtschlag in Hervest-Dorsten ein Blutbad an, bei dem 40 Arbeiter starben. Als Reaktionen auf diese Vorfälle beschloß eine aus Kommunisten und Syndi- kalisten zusammengesetzte, am 16.2. kurzfristig einberufene Konferenz in Mül- heim/Ruhr den Generalstreik. Der Streik dauerte vom 18.-23. Februar und hatte auf seinem Höhepunkt eine Beteiligung von 52%. Er wurde von Freikorps und den in den nördlichen Teilen des östlichen und mittleren Ruhrgebiets von Mehrheits- sozialisten geführten Sicherheitswehren unerbittlich niedergeschlagen.(30) Gleich- zeitig verloren dadurch die radikalen Arbeiterräte ihre Machtpositionen und in Mülheim wurden führende Mitglieder des Rates (Reuss, Serforth) verhaftet.(31) 2. Die Gründung der Freien Arbeiter Union (FAUD) Sofort nach dem Umsturz 1918 nahm die Geschäftskommission der »Freien Vereinigung« unter Fritz Kater ihre Arbeit wieder auf. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet ergriff der Fliesenleger Carl Windhoff aus Düsseldorf die Initiative zur Rekonstituierung der »Freien Vereinigung«.(32) Die Masseneintritte in die Organisation waren aber selbst für die Initiatoren überraschend. Vom 10.-17. Dezember 1918 unternahm, Fritz Kater die erste Agitationsreise ins Industriegebiet und sprach in Mülheim, Hamborn, Düsseldorf vor vollbe- setzten Sälen.(33) Schon am 14. Dezember erschien die erste Ausgabe des neuen Verbandsorgans »Der Syndikalist« in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. In Berlin trafen vom 26.-27. Dezember 33 Delegierte aus 43 Ortsvereinen zur ersten Konferenz zusammen. Man betonte stolz, daß die »Freie Vereinigung« die einzige Organisation sei, die nach dem Krieg nicht habe umlernen müssen. In einer Resolution wurde die Arbeit in den Zentralverbänden und die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung abgelehnt. Den Mitgliedern wurde empfohlen, sich den linksstehenden Parteien anzuschließen.(34) In dieser Phase der Revolution waren Doppelmitgliedschaften in der »Freien Vereinigung« und der KPD/Spartakusbund bzw. USPD häufig der Fall. Nachdem sich die KPD im Laufe des Jahres für die Beteiligung an parlamentarischen Wahlen und Mitarbeit in den Gewerkschaften einsetzte, wurde das Verhältnis zunehmend distanzierter. Die Ablehnung der politischen Parteien war nicht zuletzt auch auf den ideologischen Einfluß Rudolf Rockers zurückzuführen, der nach über 20-jähriger Emigration aus England zurückgekehrt war und bis 1933 die am meisten anerkannte Persönlichkeit in der FAUD war.(35) In der ersten Jahreshälfte 1919 wurde die »Freie Vereinigung« zu einer Massenorganisation im Industriegebiet und dies, obwohl sie nach den großen 70 Streikbewegungen im Frühjahr 1919 wegen des verhängten Ausnahmezustandes keine Versammlungen durchführen und kein Agitationsmaterial verbreiten durfte. Der Massenzulauf wurde im Rückblick von Rudolf Rocker kritisch betrachtet: Allerdings hatte dieser rasche Aufschwung auch seine Schattenseiten, die jede größere Bewegung in Kauf nehmen muß, so brachte es die damalige Situation mit sich, daß wir oft Tausende neuer Mitglieder annehmen mußten. In den meisten Fällen handelte es sich um gewesene Mitglieder der alten Zentralverbände.(36) Neben dem westlichen Ruhrgebiet war Düsseldorf ein Zentrum der »Freien Vereinigung«, wo die Organisation auch schon vor 1914 stark vertreten war. Anfang Januar waren sie führend bei einem Streik bei Rheinmetall, in dessen Verlauf dasDirektionsgebäude besetzt und die Direktion gezwungen wurde, die Forderungen der Arbeiter bzgl. Lohn und Arbeitsbedingungen zu erfüllen.(37) Neben der »Freien Vereinigung« hatte auch der linksradikale Allgemeine Arbeiterverband (AAV) in Düsseldorf starken Zulauf; im Dezember 1918 wurde eine Mitgliederzahl von 2000 angegeben.(38) In Wuppertal engagierten sich die Aktivisten der »Freien Vereinigung« zunächst in der KPD. Eine von der Polizei angefertige Liste über Wuppertaler Kommunisten (39) im April 1919 weist alle später führenden FAUD-Mitglieder aus, so den Schneider Hermann Steinacker, den Arbeiter Hans Schmitz, den Buchdrucker Heinrich Drewes, den Schlosser Otto Kocherscheidt und den Rechtsanwalt Bernhard Lamp. Steinacker und Lamp gehörten auch dem Vorstand der KPD an, während Drewes als einer der »geistigen Führer« der Partei bezeichnet wurde. In der Liste waren die Arbeiter der Eisengießerei und Maschinenfabrik Jäger stark repräsentiert. 2000 Angehörige dieser Firma waren schon während der Streiks im Juli 1917 in den Ausstand getreten.(40) Im April sprach Fritz Köster aus Dresden auf einer Veranstaltung »revolutio- närer Arbeiter« in Elberfeld und forderte die Anwesenden auf, den revolutionären Gewerkschaftsorganisationen beizutreten,(41) womit er zu diesem Zeitpunkt in Wuppertal nur die »Freie Vereinigung« meinen konnte. Über die Mitgliederzahl der »Freien Vereinigung« lassen sich nur schwer Aussagen machen. Im Mai 1919 hatte die KPD 1200 Mitglieder;(42 Jin dieser Größenordnung lag wahrscheinlich auch die Anzahl der Mitglieder bei der »Freien Vereinigung«. In Wuppertal waren die Bedingungen für die Ausbreitung revolutionärer Organisationen nicht gegeben wie in Hambom, Mülheim und Düsseldorf. Dies läßt sich begründen durch: — die zum Teil noch patriarchalisch geprägte Industriestruktur der Stadt und die starke sozialdemokratische Tradition der Wuppertaler Arbeiterschaft, die eine enge Bindung an die bestehenden sozialdemokratischen Parteien und Gewerk- schaften implizierte; — eine vergleichbare Ballung von Industriearbeitern in einzelnen Fabriken wie in Düsseldorf oder Mülheim war in Wuppertal nicht gegeben. Es ist daher auch 71 kein Zufall, daß die radikalste Belegschaft der Stadt in der Firma Jäger war, wo sich die Arbeitnehmerschaft während des Krieges mindestens verdoppelt hatte;(43) — in Wuppertal wechselten keine bekannten Arbeiterführer wie in Mülheim zu den radikalen Organisationen. Im Wuppertaler Arbeiter- und Soldatenrat, in dem auch die USPD im Vergleich zu den Parteiorganisationen in Remscheid und Solingen zunächst eine gemäßigte Politik verfolgte, waren keine Radikalen vertreten. Nach Streitigkeiten zwischen USPD und SPD im Rat führte aber Drewes eine Demonstration zum Haus des SPD-Vertreters im Rat, Justizrat Lande, der unter Druck gezwungen wurde, aus dem Rat zurückzutreten. Wegen der Aktion wurde Drewes zu einem Monat Gefängnis wegen Nötigung verurteilt.(44) Der Einfluß der Syndikalisten im Industriegebiet läßt sich auch anhand der offiziellen Gewerkschaftssituation nachweisen. Eine Tabelle über den Organi- sationsgrad der Gewerkschaften (Zahl der Gewerkschaftsmitglieder/ortsansäs- sige Bevölkerung) des Jahres 1919 weist für die Städte mit syndikalistischem Einfluß einen niedrigeren Organisationsgrad aus: in Düsseldorf 14,4%, in Duisburg 13,7%, und in den Hochburgen der Syndikalisten, Mülheim 5,9% und Hamborn nur 0,3%.(45) Daß sie von freien Gewerkschaften als ernsthafte Konkurrenz betrachtet wur- den, machen auch die polemischenund denunziatorischen Stellungnahmen in den Rechenschaftsberichten für das Jahr 1919 deutlich; im Bericht des 7. Bezirks des DMV für das Jahr 1919 heißt es: Eine nicht zu unterschätzende Bewegung ist jedoch die der Syndikalisten. Ist ihre Mitgliedschaft auch an den Verhältnissen der Gesamtarbeiterzahl gemessen ganz bedeutungslos, so haben sie doch infolge ihrer radikalen und vielversprechenden Phrasen, deren Erfüllung sie anderen überlassen, einen guten Nährboden für den gewerkschaftlich ungeschulten Hüttenarbeiter! Die Sturmeswogen der Revolution haben manchen an die Oberfläche gespült, der längst im Strudel der nationalisti- schen Begeisterung untergegangen war. Mancher, der früher seinem Arbeitgeber die Stiefel geputzt und für die gelben Organisationen glaubte erfolgreicher wirken zu können, steht heute innerhalb der syndikalistischen Arbeiterbewegung als revolutionärer Führer. (46) Im Rechenschaftsbericht des Bezirks Köln des deutschen Bauarbeiterverbandes heißt es: Unsere Brüder von der entgegengesetzten Fakultät, die Syndikalisten, waren im Berichtsjahr eifrig an der Arbeit. In verschiedenen Städten, so in Düsseldorf, Barmen-Elberfeld machten sie große Anstrengungen, die Arbeiter zu verwirren.-In Düsseldorf hatten sie erheblichen Erfolg.(47) Neben der »Freien Vereinigung« waren während der Revolution noch weitere revolutionäre Gewerkschaftsorganisationen entstanden: im Ruhrgebiet die All- gemeine Bergarbeiter-Union, die sich im Aprilstreik der Bergarbeiter konsti- +2 tuierte und in Essen die Allgemeine Arbeiter-Union. In Düsseldorf hatte sich neben dem AAV noch einen »Allgemeine Deutsche Arbeiter Union« als Zusammenschluß der Kommunal- und Verkehrsarbeiter gebildet. Am 15./16. September waren diese Organisationen mit der Absicht einer organisatorischen Verschmelzung in Düsseldorf zusammengekommen. Die 105 Delegierten verteilten sich folgendermaßen auf die vertretenen Organisationen: »Freie Vereinigung«: 46 Delegierte als Vertreter von 99 Ortsgruppen; »Allgemeiner Arbeiter-Verband«: 33 Delegierte als Veitieter von 30 Ortsgruppen; »Allgemeine Bergarbeiter-Union«: 14 Delegierte; »Allgemeine Arbeiter Union Essen«: 4 Delegierte; »Allgemeine Deutsche Bergarbeiter Union« (Düsseldorf): 8 Delegierte.(48) Ideologisch standen sich auf dem Kongreß zwei verschiedene Richtungen gegenüber: das von den Linkskommunisten(49) vertretene Programm des Unionismus und das von der »Freien Vereinigung« vertretene Programm des Syndikalismus. Gemeinsam waren dem Unionsimus und dem Syndikalismus das Ziel der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, die Ablehnung des Staatssozialismus sowie der Aufbau der zukünftigen Gesellschaft auf der Grundlage des Rätesystems. Differenzen bestanden in der Organisationsform — die Unionisten auf der Grundlage der Betriebsorganisationen, die Syndikalisten in Industrieföderationen — und in der Gewaltfrage. Die Unionisten postulierten den bewaffneten Kampf zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft sowie die Diktatur des Proletariats als Übergangsform zur klassenlosen Gesellschaft während die Syn-dikalisten den sozialen Generalstreik und die Abschaffung des Staates favori-sierten.(50) In Deutschland wurden die unionistischen Grundsätze zunächst von dem Hamburger Linkskommunisten Fritz Wolffheim propagiert, der vor dem Krieg Redakteur einer amerikanischen sozialistischen Zeitung war und dort Theorie und Praxis der radikalen »Industrial Workers of the World« (IWW) kennengelernthatte und auf dieser Grundlage ein Programm formulierte.(51) Vermutlich wurden sogar Flugblätter der Unionisten direkt von der IWW finanziert.(52) Aufgrund ihrer gefestigten organisatorischen und ideologischen Tradition setzte sich die »Freie Vereinigung« in wesentlichen Punkten auf der Konferenz durch. Grundlage des neuen Programms der Organisation wurden die Richtlinien des 7. und B. Kongresses der »Freien Vereingigung« von 1906 und 1910. In der Frage der Organisationsform wurde ein Kompromiß geschlossen; generell wurde die Organisation nach den syndikalistischen Berufs- bzw. Industrieverbänden aufgebaut. Die Bergarbeiter hingegen bauten ihre Organisation gemäß der unio- nistischen Form in Schachtorganisationen auf. Die Mitgliedschaft in politischen Parteien wurde zugelassen, aber keine Parteipolitik war in Veranstaltungen gestattet.(53) Der Namederneuen Organisation spiegelte den Kompromiß wider: »Freie Arbeiter-Union (Syndikalisten)«. 73 Rudolf Rocker führte das Zustandekommen der Verschmelzung auf die Aktivitäten Carl Windhoffs zurück: Daß es trotzdem möglich war, mit jenen Organisationen zu einem Einverständnis zu gelangen, war hauptsächlich das Verdienst des Genossen Carl Windhoff in Düsseldorf.(54) In der Folgezeit gelang es nicht, die unionistischen Teile an die neue Organisation zu binden. Im Frühjahr bildeten sich die Allgemeine Arbeiter Union (AAU), die der KAPD nahestand und als weitere Abspaltung die FAU-Gelsenkirchener Rich- tung, die von der KPD unterstützt wurde.(55) Und auf Reichsebene? Nach dem Zusammenschluß in Rheinland-Westfalen sollte dieser auch auf Reichsebene vollzogen werden. Im Laufe des Jahres hatten sich auch in Thürin- gen, Sachsen, Schlesien, Süddeutschland und in den Hafenstädten der Nord- und Ostseeküste Ortsvereine der »Freien Vereinigung« gebildet.(56) Während einer dreiwöchigen Aufhebung des Belagerungszustandes traten vom 27.-30.12.1919 in Berlin Delegierte aus allen Teilen des Reiches zum 12. Kongreß der »Freien Vereinigung« zusammen. Der Höhepunkt des Kongresses war die »Prinzipien- erklärung des Syndikalismus« von Rudolf Rocker,(57) die mit überwältigender Mehrheit als neues Programm angenommen wurde. Lediglich ein Düsseldorfer Delegierter kritisierte Rockers Position zur Gewaltfrage und der Dikatur des Proletariats.(58) Die Mitgliedschaft in politischen Parteien wurde den Mitglie- dern freigestellt. Die Trennungslinien zu den sozialistischen Parteien (USPD, KPD) war mittlerweile schärfer geworden,(59) und Rockers Prinzipienerklärung implizierte eine deutliche Ablehnung der politischen Parteien. Auf Antrag der Düsseldorfer wurde die »Freie Vereinigung« in »Freie Arbeiter-Union Deut- schlands« (Syndikalisten)« umbenannt.(60) Organisatorisch lehnte sichdieFAUD an das Modell des französischen Syndikalismus an, mit der Gliederung in Industrieföderationen und Arbeiterbörsen. Zunächst sollten sich in allen Orten Vereinigungen aller Berufe bilden. Waren mehr als 25 Personen eines Berufes zusammen, so schlossen sie sich wiederum zum Ortsverein des jeweiligen Berufs- und Industriezweiges zusammen. Ab 1919 begann sich Industrieverbands- gegenüber Berufsverbandsprinzip durchzusetzen. Beide Organisationsformen bestanden aber bis 1933 nebenein- ander her. Die Ortsvereine desselben Industriezweiges bildeten auf Reichsebene eine Industrieföderation. Die Ortsvereine hatten ein Selbstbestimmungsrechtund eigene Satzungen, die den Grundsätzen der FAUD nicht widersprechen durften. An Beiträgen zahlten die Mitglieder einen Stundenlohn pro Woche, mindestens aber einen Wochenlohn pro Jahr. 74 Oberste ausführende Instanz der FAUD war die Geschäftskomrnission mit Sitz in Berlin. Sie bestand aus neun Mitgliedern (Vorsitzender, Kassierer, Schriftführer, 6 Beisitzer) und hatte koordinierende Aufgaben au szuführen. Von den Ortsvereinen sollten 10 Pfennige pro Mitglied und Woche an die Geschäftskommission abgeführt werden.(61) Während des Gründungskongresses war der organisatorische Aufbau noch inden Anfängen. Von 12 geplanten Industrieföderationen bestanden fünf (Bergarbeiter, Bauarbeiter, Metallarbeiter, Kommunal- und Verkehrsarbeiter, alle Berufe). In vielen Ortsvereinen waren sämtliche Mitglieder in der Föderation »Alle DBerufe« zusammengefaßt. Nach Angaben der Geschäftskommission waren auf dem Kongreß 109 Delegierte, die 111.675 Mitglieder vertraten. Die stärksten Berufsgruppen bildeten die Berg- und Metallarbeiter. Aus dem rheinisch-bergischen Raum waren rund 50.000 Mitglieder auf dem Kongreß vertreten, die sich nach Orten und Berufen wie folgt verteilten:(62) Rheinisch-bergische Mitglieder der FAUD(S) auf dem Gründungskongreß: Ort Beruf Mitglieder Düsseldorf Alle Berufe, Bauarbeiter 800 Kommunal-, Verkehrsarbeiter 4000 Metallarbeiter 11000 Düsseldorf-Gerresheim Metallarbeiter 400 Duisburg Alle Berufe 10000 Fliesenleger 3011 Elberfeld Alle Berufe 1250 Fischeln Alle Berufe 70 Friesenheim Bauarbeiter 180 Hamborn Bauarbeiter 600 Bergarbeiter 8000 Metallarbeiter 921 Hochemmerich Köln Krefeld Mönchen-Gladbach Mülheim/Ruhr Oberhausen Remscheid St.Tönis Süchteln Uerdingen Viersen Gesamt: Bergarbeiter Alle Berufe Alle Berufe Alle Berufe Berg- u. Bauarbeiter, Gerber Metall- u. Verkehrsarbeiter Bergarbeiter Metallarbeiter Alle Berufe, Metallarbeiter Alle Berufe Alle Berufe Alle Berufe Alle Berufe 1760 1500 900 750 3000 5000 3000 319 3000 100 100 775 100 47.060 73 76 3. Märzrevolution Am 13. März 1920 marschierte die »Marinebrigade Ehrhard« ins Berliner Regierungsviertel ein und ernannte den Generallandschaftsdirektor Kapp zum neuen Reichskanzler. Unmittelbarer Anlaß des Putsches war die von der Re- gierung verordnete Auflösung der Marinebrigade, in Zusammenhang mit den Bestimmungen im Friedensvertrag von Versailles.(63) Die Koalitionsregierung (SPD, DDP, Zentrum) floh nach Stuttgart, da die Reichswehrleitung es abgelehnt hatte, Truppen gegen die Putschisten einzu- setzen.(64) Von Teilen der Reichswehrkommandeure wurden die Putschisten offen unterstützt; der für das rheinisch-westfälische Industriegebiet zuständige Kommandeur des 6.Wehrbereichs, General Walter, nahm eine abwartende Hal- tung ein. Mit der Erklärung, er habe den Auftrag, »Ruhe und Ordnung« im Bezirk aufrecht zu erhalten, hielt er sich nach beiden Seiten hin offen. Die Kommandeure der drei wichtigsten Freikorps, die Watters Kommando unterstanden, unterstützten die Putschisten.(65) Die drei sozialistischen Parteien und Gewerkschaften reagierten auf den Putsch mit der Proklamation des Generalstreiks. In vielen Orten wurden sogenannte Aktionsausschüsse bzw. Vollzugsausschüsse (66) zur Durchführung des General- streiks gebildet, der am 15.März begann. Am selben Tag kam es in Wetter an der Ruhr zu den ersten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Freikorps und Arbeitern. Den Arbeitern gelang es, das Militär zu besiegen und zu entwaffnen. In den folgenden Tagen kam es zu Siegen der Arbeiter in Kamen, Hörde und Elberfeld, wo es den Arbeitern gelang, nach schweren Kämpfen an der Rudolfstraße in Barmen das Militär unter Führung des Generals Gillhausen und die Sicherheitspolizei (Sipo) aus der Stadt zu vertreiben. Die Arbeiter holten sich ihre ersten Waffen vom Militär, der Polizei und bürgerlichen Mitgliedern der Einwohnerwehren. Die Siege gegen die gut ausgerüsteten Militärs beruhten nicht zuletzt auf der großen Unterstützung der kämpfenden Arbeiter durch die nicht-kämpfende Arbeiterbe-völkerung.(67) Die Putschisten kapitulierten am 17. März in Berlin, worauf die Regierung in Berlin noch am selben Tage die Arbeiter aufforderte, den Generalstreik abzu- brechen und die Bestrafung der für den Putsch Verantwortlichen ankündigte.(68) Dieser Aufforderung kamen die Streikenden nicht nach und dies aus folgenden Gründen: —die Regierung machte in ihrem Aufruf keinerlei wirtschaftliche und politische Zugeständnisse. Die Stimmung unter den Streikenden charakterisiert die Tatsache, daß der dem rechten SPD-Flügel angehörende ADGB-VorsitzendeLegien 77 der USPD ein Angebot zur Bildung einer Arbeiterregierung machte, das von der USPD nicht aufgegriffen wurde.(69) — der Abbruch des Generalstreiks hätte den Verzicht auf den weiteren bewaff- neten Kampf gegen das verhaßte Militär bedeutet. Innerhalb weniger Tage war eine bewaffnete Aufstandsbewegung, die sogenannte »Rote Armee« im Industrie- gebiet entstanden, der es gelungen war, das Militär aus dem gesamten Ruhrgebiet zu vertreiben.(70) Nach wenigen Tagen war, bedingt durch die Beendigung des Generalstreiks in Berlin, dem Sieg der Militärs in anderen Regionen des Reiches und durch die beginnende Umzingelung des Ruhrgebiets die Aufstandsbewegung isoliert. Am 24.März traten daher Regierungsvertreter unter Leitung des Staatskommissars Severing und Vertreter der Vollzugsräte des Industriegebiets in Bielefeld zu Verhandlungen zusammen. Im dort getroffenen Abkommen wurde ein Kompro- miß geschlossen: Selbstauflösung der Aufstandsbewegung; Legalisierung des Sicherheitswesens, wie es sich während des Aufstandes gebildet hatte in Gestalt von sogenannten Ortswehren; Verzicht der Regierung auf einen Einmarsch der um das Industriegebiet herum aufmarschierten Truppen.(71) Obwohl die Kampfleiter der »Roten Armee« das Bielefelder Abkommen ablehnten, wäre die Selbstauflösung gelungen, wenn längere Zeit zur inneren Willensbildung geblieben wäre.(72) Die Reichswehr war gegen das Abkommen und marschierte ununterbrochen gegen das Ruhrgebiet vor. Am 2.April gab die Regierung schließlich den Einmarschbefehl; unter den Truppen waren zahlreiche Einheiten, die kurz zuvor noch die Putschisten unterstützt hatten. Die Truppen entfalteten unter den Resten der »Roten Armee« einen systematischen Terror. Der folgende Auszug aus einem Brief eines Studenten, der der Brigade Epp angehörte, spricht in diesem Zusammenhang für sich: Gestern machten wir den ersten Sturm... Pardon gibt es überhauptnicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist großartig — fast unglaub- lich. Unser Bataillon hat zwei Tote; die Rotenhaben 200-300 Tote. Alles, was uns in die Hände kommt, wird mit dem Gewehrkolben zuerst abgefertigt und dann noch eine Kugel —Ich dachte während des ganzen Gefechts an nichts mehr als an Eure Schwestern von Station A. Das kommt nämlich daher, daß wir auch zehn Rote- Kreuz-Schwestern sofort erschossen haben, von denen hatte nämlich jede ein Pistole bei sich. Mit Freude schossen wir auf diese Schandbilder; und wie diese geweint und gebetet haben; aber wer mit einer Waffe getroffen wird, der ist unser Gegner und muß daran glauben. Gegen die Franzosen waren wir edler.(73) Ein weiteres Beispiel: Frage von Commandant Graff, eines alliierten Kontrolloffiziers: »Warum er- schießt die Reichswehr jeden bewaffneten Arbeiter, der sich ergibt?«— Antwort von Major v.Gienandt, Stabsoffizier der 3.Kavallerie-Division: »Die Rote Armee besteht aus Jugendlichen, denen fünf Jahre die väterliche Autorität gefehlt hat; da ist es zu spät, sie hinzubiegen, ist es das beste, sie auszulö-schen.«(74) 78 Die Rolle der FAUD in den Vollzugsräten und in der »Roten Armee« der Märzrevolution Die Aktionsausschüsse, die während und nach dem Generalstreik im Industriegebiet entstanden, lassen sich in drei Typen unterscheiden: 1. Im Vollzugsrat sind die drei Arbeiterparteien vertreten (u.a. Elberfeld- Barmen, Remscheid, Düsseldorf, Hamborn...) 2. Im Vollzugsrat sind die drei Arbeiterparteien und die beiden Mittelparteien (Zentrum, DDP) vertreten (u.a. Hagen, westliches Ruhrgebiet) 3. Im Vollzugsrat sind (seitdem Sieg der bewaffneten Arbeiter) nur linksradikale Organisationen vertreten (Mülheim, Essen, Oberhausen) (75) Eine Ausnahme im Industriegebiet machte der Mülheimer Vollzugsrat sowohl im Hinblick auf seine Bildung als auch durch seine Praxis. Nach dem Abzug der Militärs aus Mülheim übernahm zunächst ein linksradikaler Aktionsausschuß, der analog zu 1918/19 die Räterepublik ausrief,(76) die Macht und erklärte sofort, er werde die diktatorische Macht nur so lange ausüben, bis aus den Reihen der Betriebsräte ein endgültiger Arbeiterrat gewählt sei. Schon zwei Tage später fanden Wahlen in den Betrieben statt und bereits am 24.März wählten die Be- triebsräte den endgültigen Vollzugsausschuß, der überwiegend aus Syndikalisten und Kommunisten bestand. Wie weitgehend der Mülheimer Vollzugsausschuß seine Aufgaben sah, kam deutlich in seiner ersten Erklärung zum Ausdruck: Die erste notwendige Aufgabe ist: sofortige Wahl revolutionärer Betriebsräte. Diese haben die Sozialisierung der Betriebe zu organisieren, die Produktion fruchtbar zu gestalten und zu überwachen. Sie bilden die Keimzellen zukünftiger Gestaltung. Aus den Betrieben heraus und durch diese müssen die Kommunal- vollzugsräte gebildet werden. Letztere haben den alten reaktionären Beamten- apparat zu reorganisieren.(77) Der Vollzugsrat ging auch daran, in der kurzen Zeit seines Bestehens das Programm in der Praxis auszuführen. So wurden Kommissionen fürdie städtischen Betriebe, für die Schulen, für das Wohnungs-, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen, eine Sozialabteilung mit einer Unterkommission für den Nachweis von Arbeitsstellen, sowie eine Kommission für Polizeifragen gebildet. Wenn teilweise die Kommissionsmitglieder keine rechten Vorstellungen von ihrer Aufgabe hatten,wird aber dennoch deutlich, wie umfassend der Vollzugsrat seine Aufgaben verstand.(78) Auch in den Betrieben machten die Mülheimer Syndikalisten ihre Zielvorstel- lungen deutlich. Als der Direktor der städtischen Betriebe den neuen Betriebsrat nicht anerkannte, wurde er kurzerhand abgesetzt und der Betrieb von den Arbeitern kollektiv weitergeführt. In der Maschinenfabrik Thyssen übernahmen 79 die Betriebsräte teilweise die Leitung des Betriebes und erledigten ihre Aufgabe anscheinend so gut, daß ein Mitglied der Familie Thyssen, die nach der Niederlage der Reichswehr geflohen war, gegenüber einem Vertreter der englischen Botschaft in Den Haag daraus den Schluß zog, »der ganze Aufstand müsse von den 'Spartakisten von langer Hand gründlich vorbereitet gewesen sein.«(79) Theorie und Praxis des Mülheimer Vollzugsrates entsprachen genau den anarcho-syndikalistischen Grundsätzen und antizipierten die Kollektivierungen der spanischen Anarcho-Syndikalisten während der Revolution 1936/37. Auch dort gingen die Arbeiter unmittelbar nach dem Militärputsch daran, die Produk- tion zu kollektivieren unterAusschaltung einer staatlichen Instanz. Ähnlich wie in Spanien waren auch die Positionen der Sozialisten und Kommunisten, die erst nach dem militärischen Sieg in den Betrieben eingreifen wollten, da durch die Sozialisierung die Lebensmittelversorgung gefährdet würde. Die spanischen Syndikalisten hielten diesem Argument entgegen, daß die Kollektivierungen jedermann die Ziele des bewaffneten Kampfes konkret vor Augen führen und dadurch die Kampffähigkeit gesteigert werde.(80) 4. Die Aktionen des Rechtsanwaltes Lamp in Elberfeld Anders als in Mülheim war die Entwicklung in Elberfeld. Hier hatte sich ein Aktionsauschuß, der paritätisch aus Mitgliedern der drei sozialistischen Parteien zusammengesetzt war, auf Initiative des SPD-Bezirkssekretärs Dröner am 13. März gebildet. Die SPD hatte unter der Bedingung, daß nicht über die Vergangenheit geredet werde, weitgehende Konzessionen an USPD und KPD gemacht, indem sie im Aufruf zum Generalstreik die Forderungen nach der Diktatur des Proletariats auf der Grundlage des Rätesystems und der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige unterstützte; dies bedeutete einen klaren Bruch mit dem Bekenntnis zum Parlamentarismus und der Verfassung.(81) Am 18. März, einen Tag nach der Vertreibung des Militärs aus der Stadt, erließ der Aktionsausschuß einen Aufruf an die Bevölkerung Elberfeld-Barmens, in dem er die Grundsätze der neuen Ordnung verkündete und die Arbeiter zum Abbruch des Streiks aufforderte. »Die Wiederaufnahme der Arbeit liegt außer im volkswirtschaftlichen Interesse im Interesse der durch den Kampf errungenen Macht.«(82) Die Elberfelder Arbeiter befolgten nicht die bürokratische Verord- nung des Aktionsausschusses und nahmen erst am 22. März nach der Beerdigung der Revolutionsopfer die Arbeit wieder auf. Zusammengefaßt der Elberfelder Aktionsausschuß erließ zwar einen wortradikalen Aufruf, der (und das ist wichtig) von den Funktionären der drei Arbeiterparteien verfaßt wurde. Das im Aufruf 80 geforderte »Rätesystem« und die Sozialisierung waren zumindest für die SPD kein Kampfziel sondern nur ein Kampfmittel, das nur bis zur Niederwerfung Kapps seine Gültigkeit haue. Wie wenig sich der Aktionsausschuß an die Beschlüsse der Arbeiterschaft gebunden fühlte, zeigt auch die Tatsache, daß der am 20. März auf einer Massenversammlung mehrerer tausend Arbeiter auf dem Neumarkt gefaßte Beschluß, die Arbeit erst nach der Beerdigung der Revolutionsopfer aufzunehmen, in der USPD- und SPD-Presse manipulativ verschwiegen wurde.(83) Der Elberfelder Rechtsanwalt Bernhard Lamp, Mitglied der FAUD, nahm die Forderungen des Aktionsausschusses ernst und versuchte, sie mit zwei aufsehenerregenden Aktionen in die Tat umzusetzen. Am 18. März besetzte er mit seinen Anhängern das Amts- und Landgericht, ließ die Zugänge mit Drahtverhauen absperren und fordertealle Anwesenden auf, sich zu entfernen; nur die Arbeiter, die in den Gebäuden wohnten (Heizer, Pförtner) durften bleiben. Von einem Mitglied des Aktionsauschusses ließ Lamp sich dann eine Vollmacht ausschreiben. Unmittelbarer Anlaß für Lamps Aktion war die Empörung, daß die Gerichtsbeamten sich nicht am Generalstreik beteiligt hatten und während der Kämpfe eine Gerichtssitzung stattgefunden hatte. Am nächsten Morgen waren die Gerichtsbeamten wieder erschienen und beriefen sich auf den Aufruf des Aktionsausschusses, die Arbeit wieder aufzunehmen. Lamp forderte die Beamten auf, das Gebäude zu verlassen und erklärte sie für beurlaubt. Mit einem Vertreter der Beamten verhandelte er noch über Gehaltsvorschüsse, denn sein Ziel war es, das Gericht für eine Weile zu schließen, bis Grundsätze einer neuen Rechtsordnung von den Arbeitern beschlossen waren.(84) Am Gerichtsgebäude ließ er ein Manifest anschlagen, in dem er seine Vorstellungen einer neuen Rechtspflege entwickelte.(85) Auf einer am selben Tag stattfindenden Massenversammlung auf dem Exerzierplatz ließ er sich zum Volksbeauftragten für die Sozialisierung der Rechtspflege ernennen.(86) Der Text von Lamps Manifest ist leider nirgendwo festgehalten, aber in der von ihm am gleichen Tag verfaßten Tageszeitung sind seine Vorstellungen einer neuen Rechtspflege enthalten. Komme niemand mit dem Einwand, daß die Rechtspflege nicht örtlich sozialisiertwerden könne, sondern durch Verfassungsgesetze für größere Gebiete sozialisiertt werden müsse. Das ist falscher Aberglaube, der nur von den Berufsrichtem aufgebracht worden ist, damit sie besser ihre Laufbahn aufbauen können und eine einheitliche Geheimsprache überall in Wirksamkeit setzen können, durch welche sie sich selbst unentbehrlich für die Rechtspflege machen. Ich bitte die gelehrten Richter, mir die Behauptung zu widerlegen, daß unsere Gesetze mehr nach den Interessen der Rechtsprechenden als nach denen der Rechtsuchenden gemacht worden sind... Nicht nur Ehesachen und Streitigkeiten ur Mein und Dein sind so eingerichtet, daß man, obwohl man recht hat, zu seinem Recht nicht kommen kann, oder doch so spät, daß es eigentlich zu spät ist, nicht nur hier herrscht berechtigte 81 Empörung der Rechtsuchenden über das widersinnige gerichtliche Verfahren. Auch die Strafrechtspflege hat einen solchen Stoff von Erbitterung und Empörung geschaffen, daß der Funke, der jetzt hineingefallen ist, die bisherige Strafrechts- pflege fortsprengt. Der Erziehungsgedanke hat an die Stelle des Strafgedankens zu treten. Die gedankenlose Einsperrung armer, schwacher Menschen, die den rech- ten Weg nicht kannten oder sichdarauf nicht halten konnten, in Zuchthäusern und Gefängnissen widerspricht der Menschenwürde, ebenso natürlich die Todes- strafe.(87) Lamp war am 19. März noch in anderer Hinsicht aktiv geworden. Auf einer Buchdruckerversammlung in Elberfeld schlug er den Arbeitern der Bergisch- Märkischen Zeitung vor, unter seiner Mitarbeit eine Parteizeitung herauszugeben. Die Herausgeber der Bergisch-Märkischen Zeitung hatten Kapp unterstützt. Lamp besetzte mmit den Arbeitern die Zeitung, ließ die Angestellten entfernen, sie etwas später aber wieder mitarbeiten. Auf der erwähnten Massenversammlung ließ Lamp sich auch als »Volksbeauftragter für die Sozialisierung der Presse« ernennen.(88) Er verfaßte die erste Nummer der Zeitung, die er »Direkte Aktion im Westen« titulierte. Der Aktionsausschuß Elberfeld griff ein; Lamp erreichte aber, daß die Zeitung zusammen mit einer weiteren von ihm verfaßten Zeitung, die den Titel »Die Brandung« trug, am 23. März erscheinen konnte.(89) In der Begründung dieser Aktion bezog sich Lamp auf den Aufruf des Aktionsausschusses, indemu.a. die Sozialisierung der hierzu reifen Industrien und das Verbot der Zeitungen, die den Putsch unterstützt hatten, gefordert wurde. Beides Bedingungen, die nach Lamps Auffassung bei der Bergisch- Märkischen Zeitung (BMZ) gegeben waren. Es wollte mir nun scheinen, daß ein Blatt, das in der bisherigen Weise nicht mehr herauskommen kann, einen leeren Betrieb hinterläßt, der naturgemäß schleunigst benutzt werden muß.(90) Seine Aufgaben als Volksbeauftragter für die Sozialisierung des Pressewesens sah Lamp folgendermaßen: Herausgabe einer Tageszeitung unter inhaltlicher Mitbestimmung der Druckereiarbeiter und Kostenloser Mitarbeit von jedermann; der sozialisierte Betrieb sollte beispielhaft wirken; nach Sammlung von Erfah- rungen sollte das Modell auf die anderen Betriebe übertragen werden.(91) Auffallend in beiden Blättern ist Lamps schwungvolle, metaphorische Diktion, mit der er die Stimmung der Massen in den Märztagen zum Ausdruck bringen wollte. Inhaltlich bewegten sich Lamps Artikel im Rahmen der Forderungen des Aktionsausschusses nach der Diktatur des Proletariats auf der Grundlage des Rätesystems und der sofortigen Sozialisierung. In zwei Leitartikeln »Was ist Räteverfassung?« und »Was wir nicht wollen« entwickelt Lamp seine Vorstellungen über das Rätesystem und die Sozialisierung, die sofort in Angriff genommen werden müßten, und betont die Bedeutung von Beispielen in einzelnen Betrieben. 82 In der »Direkten Aktion im Westen« erläuterte Lamp seine beiden Aktionen und »Die Brandung« enthält noch eine exzellente Kritik Lamps am Beschluß des Aktionsausschusses, den Generalstreik abzubrechen. Lamp hob zwei Kritikpunk- te hervor: 1. daß der Aktionsausschuß nicht durch die Wahl der Arbeiter entstanden sei und dadurch nicht, wie dieser behauptete, die Vollmacht besäße, so weitgehende Entscheidungen zu treffen Darum vermögen wir ihm (dem Aktionsausschuß) bei allem Verständnis für die weltbefreienden Einigungsgedanken der Arbeiterschaft nicht die Befugnis zuzu- erkennen, einfach zu kommandieren: Hinein in die Fabrik! Selbstbestimmung, Demokratie—wo blieb sie in diesem Fall? Glaubte man das ganz Natürliche bei einer jeden Bewegung, nämlich daß die Arbeiterschaft selbst bestimmen will, was zu geschehen hat, hier nicht notwendig zu haben? 2. die Feststellung, daß das Argument des Aktionsausschusses, die Lebensmit- telversorgung sei gefährdet, »das große Bangemachen sei — um die Massen von der Straße wegzubekommen« und dies der Grund sei, »warum man es so eilig hatte mit dem Beginn der Arbeit«. Die Angst der Funktionäre vor der Selbständigkeit der Massen bringt Lamp mit dem treffenden Satz zum Aus- druck: Man liebt die Demonstrationen, jedoch nicht die Demonstranten, wenn sie den Erfolg naturgemäß und mit Recht zur vollen Auswirkung gelangen lassen wollen. Der Aktionsausschuß distanzierte sich »auf das Entschiedenste« von Lamp und stellte fest, daß er keiner der drei sozialistischen Parteien angehörte.(92) Auf- schlußreich ist der Kommentar der Volkstribüne (USPD-Blatt) über Lamps Aktionen und seine Person: Ein Idealist vom Scheitel bis zur Sohle, ein Einzelgänger, ein Sonderling, ein Mensch, der in kein System hineinpaßt, der sich keiner Ordnung unterstellt, ist der neue Volksbeauftragte Bernhard Lamp. Das alles braucht kein Tadel zu sein, es kannunter Umständen sogar ein Lob sein. Lamp stand beim Ausbruch des Krieges mitbeidenBeinen fest im bürgerlichen Lager. Der Krieg hat ihn scheinbar aus dem Gleichgewicht gebracht, er wankte, fiel und purzelte, gleich alle Leidenssituationen überschlagend bis hin zu den Kommunisten. Und kaum hatte er festen Boden unter den Füßen, da purzelte er aufs neue. Heute ist er Anarchist, Syndikalist oder wer weiß was. Er selbst weiß es am wenigsten. Von einer gereiftenÜberzeugung, von einer festen Anschauung kann bei ihm keine Rede sein. Er überläßt sich ganz seinen Gefühlen, die durch die kolossalen Ereignisse völlig aus dem Gleise geworfen sind. Wir zweifeln nicht daran, daß er es gut meint, wenn er mit einem Ruck die ganze Rechtspflege aus den Angeln heben will, wenn er die in Jahrhunderten verankerte Gerichtsbarkeit und den Strafvollzug, die gewiß einer gründlichen Umgestaltung bedürfen, nun mit einem Male ganz nach seinem persönlichen Geschmack umwandeln will ... Lamp sozialisiert auch die Presse. Diese Sozialisierung besteht darin, daß er mit ein paar bewaffneten Arbeitern zum Baumeister gehtund das Personal zwingt, einBlättchen für ihn zudrucken. Gestern 84 hieß es die »Direkte Aktion im Westeng, heute betitelt es sich »Die Brandung«, der morgige Name steht wohl noch nicht fest. Der Inhalt des Blättchens ist nur pathologisch zu werten. Wenn, wir wiederholen es, wir das gute Herz und die guten Absichten des Genossen Lamp nicht in Zweifel ziehen wollen, so muß doch mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß seine Kapriolen die Sache der Revolution schwer schädigen. Sozialismus bedeutet Gemeinschaftlichkeit. Ge- meinsames Streben, gemeinsames Handeln nach einem festen Plan tut heute dem Proletariat mehr not wie jemals.(93) Wie ist dieser Aufruf zu bewerten? 1) Lamps Aktionen werden nicht aus dem Zusammenhang der Massenaktion erklärt, sondern aus »Lamps abnormer Persönlichkeitsstruktur«. Die Patho- logisierung ist ein beliebtes Mittel zur Diffamierung politischer Gegner. 2) Es wurde eine gezielte Desinformation der Leser betrieben. Nicht berichtet wurde, daß Lamp sich während beider Aktionen mit dem Aktionsausschuß in Verbindung setzte, sich auf Massenversammlungen bestätigen ließ und, als der Aktionsausschuß eingriff, freiwillig das Feld räumte. Die Behauptung, der Inhalt von Lamps Blättern sei nur pathologisch zu werten, wird mit keinem einzigen Zitat untermauert—und dies aus gutem Grunde. Lamp berichtete über die Massenversammlungen der Arbeiterschaft, die von der SPD- und USPD- Presse manipulativ verschwiegen wurden.(94) 3) Die Behauptung, Lamp habe die Arbeiter der Zeitung gezwungen, die Blätter für ihn zu drucken, war eine schwerwiegende Verleumdung. Nicht mit putschistischen Aktionen, sondern mit der tatkräftigen Unterstützung der Arbeiter wollte Lamp die Sozialisierung in Angriff nehmen. 4) Der Kommentar bezieht sich im sachlichen Teil der Kritik nur negativ auf Lamps Sozialisierungsvorstellungen, gibt aber keine Richtung an, in welcher Weise eine Veränderung zu geschehen habe. Die Feststellung, daß Sozialis- mus gemeinsames Handeln nach einem festen Plan bedeute, ist in dem Zusammenhang völlig abstrakt. Am 28. März 1920 erschien unter Mitarbeit Lamps »Die Schöpfung, Kulturpo- litische Tageszeitung für das sozialistische Neuland«, herausgegeben von der Freien Arbeiter-Union Elberfeld-Barmen. Zwei weitere Nummern folgten. Die Herausgeber kündigten ihr Blatt wie folgt an: Die Schöpfung will ein ausgesprochen politisches Organ sein mit ganz bestimm- tem Vorsatz: lediglich für die Interessen des Proletariats einzutreten unter Aus- schaltung jedes politischen Kompromisses, weicht sie nicht und wenn sie sich sofort wieder in Urnebel auflösen müßte.(95) Von der »Schöpfung« distanzierte sich nicht nur die KPD-Bezirksleitung, die ihre Mitglieder aufforderte, entweder »die irrsinnige Redaktion sofort abzusetzen oder aus der FAU auszutreten«(96) sondern auch die FAUD: Die in Elberfeld-Barmen herausgegebene Zeitschrift »Neue Schöpfung« steht in schroffem Gegensatz zu der auf dem 12. Kongreß in Berlin einstimmig beschlos- 85 senen Prinzipienerklärung. Alle zielbewußten Syndikalisten lehnen es ab, sich mit den Tendenzen dieser Zeitung einverstanden zu erklären.(97) Nach dem einzig überlieferten Ausschnitt zu urteilen, waren die heftigen Reaktionen zu verstehen. Unsere neue Wahrheit. Der Staatsanwalt—ein Biest. Ein gefährliches Untier ist der Staatsanwalt. Er ist wie ein angekurbelterPanzerwagen, der, durch eine gedankenlose Maschine getrieben, über alles hinwegmalmt. Er zermalmt jeden Menschen unter sich, er zermalmt dem Säuglinge die Mutter, er rei ßt vorn liebeshungrigen Weibchen das Männchen und steckt es hinter Mauern. Er läßt dem kräftigsten Leben den Hals abrichten, er tobt wie ein blindes Biest einher, zertrampelt, zermalmt, vernichtet und baut nichts auf. Der Staatsanwalt vernichtet nur — der Staat vernichtet nur, er baut nichts auf. Die Polizei — wird umgebracht. Als die »echte« russische Revolution kam, würgten die fesselfreien Russen ihre Wächter ab. Das war ein wonniges Schlachten. Denn selbst aus diesem großen Polizistenschlachten stieg die beginnende russische Menschenfreiheit auf. Hört, ihr Polizistenmeute! Wir merken uns das. Das nächste Mal zerschlagen wir eure Hundsköpfe auf dem Pflaster zu Brei! Wir hassen euch tödlich! Seid Verbrecher! Wir, jeder, sind Gott.(98) Zitiert nach Hans Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau. Spethmann, der im Auftrag der Zechenbesitzer die Geschichte des Ruhrbergbaus schrieb, bezeichnete »Die Schöpfung« in ideologischer Hinsicht als Produkt der KPD. Form und Inhalt des Pamphlets lassen nicht den Schluß zu, daß Lamp der Verfasserwar. Eben- sowenig entsprach es dem Stil Heinrich Drewes, eines weiteren führenden Elberfelder FAUD-Mitgliedes, der von 1921-23 Redakteur der syndikalistischen Tageszeitung »Die Schöpfung« in Düsseldorf war. Der genaue Hintergrund wird nicht mehr zu ermitteln sein, doch möchten wir noch eine Vermutunganstellen. Der letzte Satz »Seid Verbrecher! Wir, jeder, sind Gott« ähnelt der Ausdrucksweise der sogenannten Haeusser Jünger, einer reli- giösen Sekte der 20er Jahre.(99) Nachweislich war der Elberfelder Anhänger dieser Sekte, Ernst Leiverkus (in Elberfeld in den Jahren stadtbekannt als »Jesus- Jünger«), zunächst Mitglied der KPD und Anhänger der Anarchisten.(100) In einer Ausgabe der »Schöpfung« setzt sich der Redakteur Drewes mit einem anderen Vertreter dieser Sekte auseinander, dem Düsseldorfer Lehrer Ludwig Joist, der auch Mitglied der FAUD war. In diesem Artikel wird auch der besagte Leiverkus erwähnt. Drewes resümierte in dem Artikel: »Hoffentlich zeigen unsere Organisationen in Zukunft solchen Leuten gegenüber eine geschlossene Tür, denn es ist Tatsache, daß gerade unsere Bewegung, weil sie Freiheit und Ungebundenheit des einzelnen gewährleistet, zum Tummelplatz dieser Geister wird, die den Begriff Freiheit durch Frechheit ersetzen.«(101) 86 (tin 3113mor)! ?(tar .nit nelterti node nil; drew ‚grape3eidten vertebra. lit tn.Wiiwc; fur IO.{at;e perrorbco. i:; ift errci.bt non Dic tro,lodt! Ytedioanwalt t! ani ”t.t feinen leutldtluft, tt Den ungetltrrit ‚!u treten, mil Dem iloDc beitegett: er tit am aber.Ds 7 I(rr, pc;t.rien. Ter':[ecite Iag tea eiFrad)tceiei:c:, Das nadi Den Jeiisleijcen her Ghriftenheit els Dan ;'teit Dee tichurt Des bctianbes orb (rielcts anı,.je'icr. mitt, ift !u {cinerr iorestapc Gewerben. 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Unterftiibt wurbe fie in ihrem abid)tulidien 23orgeben bind) eine feile unb feige Trefle — unter Organ lit bas ein3ige irr LBuppertal getvefen, bas wieberbolt unb mit 9ladibruct bie sofortige rtilaffung °amps geforbert unb Darauf hingewiefen hat, Dab Vamp weber ein $3erbred)er ‚noch ein BahnjInniger aemefen ift. — Tie biirattlidien 3eitungen haben 3war hie 93at- ridit über bie Geiitesgeftörtheit humps, über bic nod) feinerlei eftfteflungen getroffen waren, unbefeben übernommen. Ipätet ‚abet (di bödit 3ngetnöpft gegeigt, als lid) tiefe 9tadtrid)t als 1lacbe erwies: Pamp wurbe rerf7aftet unter Dem i3ortoanbe. bah er art bet 13 ricftaftenfprengung am Gefängnis t enbab! im 4tuguft--wahr Idieinlidi eine Cpittciarbeit — beteiligt fei. Yltier:nit Die geridit< lieben Grmittelungen in biefem 13erfabren YRaterial ge.Icn Tamp 3utage geförbert gaben, wijien wir nidit. Wit vermuten aber Rut, bah Die linierfucbung nidits 43elaftenbes gegen ihn ergeben bat unb bah man besbelb peril:Mt bat, ben unbequemen Vann, wenn IE 01 a fo im \rrenbaus 3u begraben. 9tid)t oie IU nor etwaiger Strafe, fonbern ber (5ebantc, bahman Zeitungs-Faksimiles und Flugblatt zu Lamps Tod; die Zeitungsausschnitte datieren auf den 28. und 30.12.1920 ibn für peijtespcitürt ertliiren unb !ebeitbta tinter Den Bauern eines 'trrenhaufes begraben mürbe, trieben ibn in Den iunger (ereil. Es tarn It:gracben toerben, bag Pnmo eine erientriffie Natur gewefen ift. Die nicht mit Dem allgemeinen '.Ainhitabe aemellen werben tonnte. sein 41ti[le aber, tob Ober areiteit! ftanD uneridttittertidt in ihm teil. Um fa ntehc mitre es bie A3ftidht bec ixrantwottliclen Beamten aemejen, ihn aus feiner haft in eetInnen. nZas hoben fie nicht goan nub Dec-DalD icüjt iie Die gable Swncre Des |'_torraurjes ben Tt.iti;utorbes. YLtir !Iagen an, bah man einen !9Ynnn belritligt bat, her bee heute berrfddenDen Clique ein Tont im tfuae mar. Der fie Der, adltete unb oft genug grain brr tabitnliftijdten SL:jtil ben bot muni Der jlarrc'littcit ins (6ciicht gej,bleubert liai. Vamp rit nuntot. 1&is abet wirb mit baren. 'oie inn in Den Z. ob getrieben baten? 'iiirb man he gerate to la:,itn [alien, wie Die racla, anbeten, hie (ide armen dic hcuoluticn rerfünbigt unb an beten banben ban 3ilut reoolationürer |it:aicta,ier !lebt? EBer mödtte baron lmeifeln! Lein Tart. Der tiere,ft,iateit im tapitaliftildten *lalienftaate notelet! 31m flplectotle tamps. es wirb line ge'dttteben, sit liadttldtt rem been Zobe Qantue hat wohl In ber getarnten 2Irbeiterj,t>ait Dee 113'4pertale tint bahret Pinang jeldhen bewegtet Zeilna&rte unb 2raleet Ikruorgeruien. eehlen he Dab lunaehft unglaublich web unfafi: bat. ilbet es mat Docb gerbe nab harte lalfatie. Jet 110. telminget ZuD hat [tine biiteen Sdtatien abet einen Dienldten a.n. ebreitet, ber two {eiset etlenttijcben'9itigungen feinen Brübirn tm 4lrbeitstittcl now manche wertvollen Ziertal* (kitte Zelten törnen. Go hoben Dena gelobe jie an be: Labte einet Vannes, be: dual nit later Rlajjen,dtidtt entflammte, bie unmittelbar Do: Dem ttutbrudt bet 9lroolution audh nab in ten rinithaur.gen Der bürgerl:tben (t efetigdpit belangen war, Dann abet infolge tines unjmeijelbaft oorhanbcnen tiefen fokalen tbeatihis in reitienter Icbnraet bitten aeffeln entgog limb eöltig in be: proletartjcben spmice aufging. h eft Itiicite (intw.dlung l'antpe Inuit mon !einen unD wü'biatn, neu far biete feiner tanhlungen One OErllärung ‚iu finDen. lamp murre am 12. %ptil 1881 gu Aki geboten unb genoh tine forgfältige oetltebung. Seine gtofle Begabung in feinen 1xufjiiben fief feinen Qebrern aus, ale et Zit:ntanet in 'jfotsbam mar. Sie erikirten ibn fürreif tunt IInioetjttäto tiibium, bem et In 2aufanne unb Betltn oblag. Betnmtlicb ftarb fein Mier, bet Itlfttonom in {tief mat, auf einet Cfrpeb:tion In Zeutfdt. Oitaftlta, an bet et Iu (Iltengteguiieuuttgsproeden tellnahm. 2emnp mat teen Yuttb,dmnittamenfdt. lieben betoottageaben poiftagen f*tiibigteiten, bie fach ol,ijadt in geretbelu unabertreffe Zither% Iltusbtudsformen duherten, war er alierbings feit feine: Ititbbett sine ionn eftdnblge liatut,” b:e, Zugenbfids{btmmungen antenna:in, Datum als (Ciharatkt fach nlebt gtrttigenb bane fettigen tannen, um Die jangften 12/relgrriffe lu meltern. lier Gzunblug feines 2Befens wan aber ungweifethatt tenet aus titter Dienfltlidttelt geborene foliate iDittgefübt, bas er g. B. audt Darin betätigte, bah et welted) (inlet:idht one jegliche 33regatung erteilte. linterfta$urgrbebarflgen Dienjdnn gu bet» fen war bet ihm Drin je1bftuetftänblititjte Carte. 9tamenlieb 87 88 letnen in ben Sanaott bet 3ulti3 jdtmadttenben Rlietrten tam Das suftatten, Denn et belch Eilt „feine Gefangenen" eine grate Diebe. IInD es’ttt !rich Die getingfk Elite Diets Zraster(piels, bag gehabe btefe $fife tltm son Det gtaulamen 3>ic;ı als tin 3eidten }einet Eedlteaidrmddte ausgefegt werben (otik. Erie be. grunDete Das Damit, bat et an „93etjdpenäungslutbt" leibe, wens et anbeten bilfe geaaät3tte. Yule tob unto wee grau4tm in bet Xat muh eine &harem }ein, bit burdtgretfenbe $ills tetftung in bet Not nitbt anbers bemettet, als mit bet (tigern febaft bet tterrlidtbelt. ileb:igene mat !amp out in anieren tin)l.n eint Mines !Foote. Et befall eineEisatt Pit ein son ihm afunbencs Xtatent titles Ytiettteugs, bas attetbings butt) Den Krieg nidtt butte ansgenutt !Derben Onnen, fett obit sot kinem prat= ttjdjen oerfotg (taub. 3n bus öfTenttt4e Osbert trat itantp mit Beginn bet Neva Infirm tin,petit in to(knben liettadIrn, Dann in unmet feller serbeabes Tatep..:Ziefe zdligfelt ramps tft freu duiferjt umiljitten geme(en fits in Whom Zabe.. Won mail atzt.Wine ante* tamplisirrte Statut nub, wie jt4on betont, Jettee Anal rirttaeidItmg in ßetrattft skim, um Erstbi fit (eilt DanDeln iu ftnDen. YBädtrenb Des ItabbNerifftbes trat et betanntlirb bejonbers !?error, WA abet mit }eineu Vialplabmen bei bet Otlieflttng bet 6etidtte asf bru idtazien tlterlptwb bee Ilttionstomitces. Ce ift fett bitt nidtt bet Ort, liber bas 9ctdp tage abet ]hetiebtige feints 9Reftnatpuen an ftteiten, unawetfel: bait ift, ». L'antp von ben belles ibebanten babel bettelt mnrbe. (Et beablidttigle awl), in tfetbint'ung met at.anben, tine 3t1= lung beranssugeben, Die. ausgebaut bit ptoletartfd}t Caller, politic van Writer Sark aus beftanbeln (Mite. ‚„ to Sdtiipfung', fiat Dezen Name Dub 3bee et lobes nitbt Derart, roortlidt wax, brachte es abet nur auf beet Tiumnietu, bann idettctte bis 33eiterttetautgabe an trniberwinblid;en 3djmte:lg. kites. ‘Members betarttt wehte i!arep bei feinem lufttotes im Iieibenjeet Ilfommnniiisnptaseg. ih np enternabte blet !sm e4len Stale ben 93etiud, an tbaidtt>ijtette tk illutotitat bet Getidtte iu btedten ttnD fie non *rem loben berantot. artnjten. Ein linterfangrn ran ganz beioobeta Zragmeite, bas, in Die %hafts irbtfett, tie Bettie bes 36sgectagtes in pie iusotgefebenet !Belie is f4 illea im;tauae ip. Tenn Der: Witty wir uns sidtt, bu is Det egtltttttsa G tUsnp bet 6esi4le 1$it t:genilide Zebeneeng Liegt. Ile) its Sr** gefdtlogen sn babes, i$ Das Betbiet! Oaetps, bas that Onto* I4mdletn tarn. Gene Corte is Melees Or. ase$: 44 sat4k bas kb ıs4. au he IBaittteitr rotbaff seil as* eissaf else grate, siebt cis fatale $ebeetesg erlangen. Ss i4lemenett bens sadi bietet leairpfer bet $theft is Tabesbanben. Eis eon bet 3teßtl g bees ffiilb, sat es tim shit setg3sat, to bet unabbasgigkft sale $seibert an huben, fat bis et eis ra titles jeellf4des Etepjinben batte. 9Rcge truth beta tab ens sabsett, Dab bas Enka bet @tenets; si4t ItMrga eiteraft utrb als bast% nait bet tleyett* feine gaup iiennlicbtetf in ben ties* bet ptoletat4en Sane petit ink seen M jets may, out wit kiss* Tots befiege t, less: aaa Men IR bet *gin tittles slat,' sie es is Deaf infancies Sale ijettt. Is feien !kW abet sang wit ba biitgstt'4es Sni$(4aft astig entgegestafen, somit wit met In niacin Sinai fpted4es: !lifts Me Sett ist allebewl Ehre den Zoe 1 N N N nn Ip Y IE ı In [a0 ! r iin Birigpicler ger Kersgi;anb ung,,fo aa at" oral itbt far' miert fcßentviitbe beroet't- bat, bent amß8tneitett ‚Q. 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Dies wird bestätigt in einer zeitgenössischen Arbeit über den Märzaufstand von Colm, der anhand von Unterstützungslisten für die Opfer, bei denen bei 374 die Gewerkschaftszuge- hörigkeit angegeben war, folgende Verteilung errechnete: ADGB 53,2%, FAUD 44,9%, Hirsch-Dunkersche G. 0,8%, Christliche G. 0,8%.(103) Demnach war die FAUD im Verhältnis zu ihren Mitgliedern überproportional vertreten. Fest steht jedoch, daß die Kampfleiter der Roten Armee keine Syndikalisten waren, wie dies in der KPD- und SPD-Literatur über die Mülheimer Kampfleitung der Roten Armee behauptet wird.(104) Lucas kritisiert, daß in der bisherigen Literatur eine relative Nähe von Syndikalismus und Linkskommunismus behaup tet wird. Er faßt die Differenzen jedoch gerade am Beispiel des Ruhraufstandes wie folgt zusammen: Syndikalisten waren die 'animateurs' jener Großbelegschaften im Bergbau des westlichen Ruhrgebiets, die 1918/19 die große Streikbewegung entfaltet und in der Auseinandersetzung mit der Arbeitsgemeinschaft Politik der Gewerkschaften politisiert worden waren; diese Belegschaften beteiligten sich führend an den Straßenschlachten gegen Freikorps und staatliche Polizei und beachteten dann während der ganzen Dauer des Aufstandes jederzeit die Möglichkeit, die die Situation bot, vermieden jede abenteuerliche Einzelgängerei und brachen schließlich, als sie eine weitere Fortsetzung des Kampfes als aussichtslos betrachteten, die Bewegung außerordentlich diszipliniert ab. —Linkskommunisten soweit sie als solche identifizierbar sind, waren dagegen Arbeiter, die durch Erfahrungen mit der militärischen Konterrevolution von 1919 politisiert worden waren, zum Teil Zuchthaus oder Gefängnis hinter sich hatten und vom Arbeitsplatz her ziemlich isoliert waren, (Straßenbahner, Dekorationsmaler, Maschinenbauer sind die Berufe, die bisher ermittelt werden konnten), aber im überlokalen Kontakt mit- einanderstehend und 'opinion leaders' kleiner, verschworener Gruppen; im Aufstand von 1920 daherund wegen ihrer militärischen Erfahrung rasch wichtige Komman- dostellen der Roten Armee einnehmend, wurden sie ein schweres Problem für die Bewegung, weil sienichts als den bewaffneten Kampf gelten ließen, jede politische Debatte innerhalb der Bewegung als Schwäche ansahen, Verhandlungen mit der Regierung bereits als solche als Verrat bezeichneten und dann, als der bewaffnete Kampf verlorenging, nach der Devise 'Sieg oder Untergang handelten.(105) 91 Auch in der bisher für Wuppertal erschienen Literatur wird die Nähe von Linkskommunismus und Syndikalismus am Beispiel zweier Aktionen der Linkskommunisten als unzutreffend behauptet.(106) Am 28. März 1920 putschten Linkskommunisten gegen den Aktionsausschuß. 70 Bewaffnete unter Führung Karl Hensmanns stürmten das Rathaus, in dem eine Sitzung des Aktionsausschusses stattfand; sie hielten das Mitglied des Ausschusses Charpentier (KPD) eine Nacht lang gefangen und verhafteten ein anderes Mitglied in seiner Privatwohnung. Am nächsten Morgen gaben sie ihr Vorhaben auf, verweigerten aber, die Waffen abzugeben und verschanzten sich im Wehr- kommando der Roten Armee am Mäuerchen in Elberfeld. Der Aktionsausschuß ließ das Gebäude von der Arbeiterwehr umzingeln, daraufhin gaben sie auf.(107) Am 20. August unternahmen Mitglieder der KAPD, in der sich mittlerweile die Linkskommunisten organisiert hatten, einen handstreichartigen Sturm auf das Rathaus in Velbert und riefen die Räterepublik aus. Die isolierte Aktion brach nach wenigen Stunden zusammen. Am selben Tag hatte die KAPD auch in Wuppertal zu einer Versammlung auf dem Exerzierplatz aufgerufen (1000-1500 Teilnehmer). Nach der Versammlung formierte sich ein Demonstrationszug zumRathaus,, wo es aber im Gegensatz zu Velbert nicht zu Auseinandersetzungen kam.(108) Bei beiden Aktionen wird in der Literatur eine Teilnahme der FAUD behauptet, die quellenmäßig nicht zu halten ist. Dem spricht auch entgegen 1) Lamps Aktionen waren nicht putschistisch 2) Auf einer Versammlung der FAUD bezeichnete der Referent die Linkskom- munisten als Karabinerkommunisten und "agents provocateurs‘.(109) 3) Ein Polizeispitzel schrieb über das Verhältnis zwischen Syndikalisten und Kommunisten während der Märztage: »Der blutige Kampf hat die scheinbare Einigung der Syndikalisten und Kommunisten herbeigeführt.«(110) 5.Die Anarcho-Syndikalisten in den Streiks und Erwerbslosenunruhen im Rheinland Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch war der letzte große Streik mit eindeutig »politischem« Charakter im rheinland-westfälischen Industriegebiet. Nach 1920 nahmen die Streiks einen stärker »ökonomischen« und weniger »politischen« Charakter an;(111) die Arbeitskämpfe bis 1924 waren der Versuch der Arbeiterschaft, mit der zunehmenden Inflation Schritt zu halten und die revolu- tionären Errungenschaften zu verteidigen (8-S tundentag).(1 12) Die FAUD nahm regen Anteil an den Arbeitskämpfen dieser Periode. Obwohl sie im Industriegebiet an keinem Ort stark genug war, selbständig Arbeitskämpfe zu inszenieren und 92 damit das von ihnen abgelehnte Tarifsystem der Gewerkschaften zu durchbre- chen, konnte sie doch oft einen großen Einfluß auf die Streiks ausüben, der weit über die Zahl ihrer Mitglieder hinausging; dies besonders in den zahlreichen, spontanen »wilden« Streiks dieser Zeit, und wenn die von den Zentralverbänden abgeschlossenen Tarifvereinbarungen nicht den Erwartungen der Streikenden entsprachen.(113) Im November 1921 streikten in Düsseldorf 20.000 Metallarbeiter. Nachdem der christliche Metallarbeiterverband sich für die Arbeitsaufnahme entschieden hatte, schloß sich der DMV diesem Beschluß an. Auf einer öffentlichen Versammlung der Düsseldorfer Metallarbeiter wurde daraufhin folgende Resolution beschlos- sen: Die am 2. Dezember in der Tonhalle tagende, öffentliche von ca. 4000 Mitgliedern besuchte Versammlung verurteilt entschieden die von den drei Spitzenverbänden (Christliche, Hirsch-Dunkersche, DMV) bei den Lohnbewegungen in Duisburg und Düsseldorf beliebte Taktik, die von Anfang an so eingestellt ist, daß sie mit Natumotwendigkeit zurNiederlage der Arbeiter führen mußte. Die Versammelten entschieden sich gegen die Arbeitsgemeinschaften und gegen jedes Paktieren mit dem Unternehmerrum. Die Versammlung ist der Meinung, daß wenn die Zentralgewerkschaften die von den Syndikalisten stets propagierte Taktik des bewaffneten Kampfes auf breiter Grundlage (sozialer Generalstreik) befolgt und eine Einheitsfront aller Gruppen im Rheinland gebildet hätten, die jetzige Nieder- lage erspart geblieben wäre. Die Versammelten versprechen von nun an im Sinne der revolutionären Gewerkschaftsbewegung tätig zu sein.(114) Am 10. November 1922 brach im Walzwerk Mannesmann ein »wilder« Streik aus wegen Lohndifferenzen, die Belegschaft der Firma Mannesmann war mehr- heitlich syndikalistisch und unionistisch organisiert. Innerhalb weniger Tage breitete sich der Streik auf die Düsseldorfer Metall- und Bauindustrie aus; die Gesamtzahl der Streikenden wurde von der Polizei auf 45.000 geschätzt, von der Streikleitung auf 100.000. In einem Flugblatt der Streikleitung wurde zum »Generalstreik mit den schärf- sten Mitteln« aufgerufen und die Arbeit nicht eher aufzunehmen empfohlen, bis die Existenz der Streikenden gesichert sei. Der Streik richtete sich auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie; auf einer Versammlung der Streikenden wurde ein Gewerkschaftsfunktionär verprügel. Die freigewerkschaftlichen Betriebsräte beschlossen am 14.11. den Generalstreik, nachdem ein Arbeiter bei Auseinandersetzungen mit der Polizei getötet worden war, rückten aber kurz darauf von dieser Position ab mit Rücksicht auf die Gewerkschaften, die den Generalstreik ablehnten. Am 16.11.1922 brach der Streik zusammen, nachdem es zu einer Einigung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gekommen war.(115) Die Polizeibehörden machten in erster Linie die Kommunisten für den Streik verantwortlich. Dem spricht entgegen, daß für ein Flugblatt der Streikleitung der „Verleumdung und Niederfracht sind der Wahrheit Wiederzecher I" Gerüchte wildester Art suchen dem Charakter des Kampfes eine andere Gestaltung zu geben. KeinMittel läßt man unversucht, der gewaltigen Aktion den Todesstoß zu versetzen. Giftige Pfcile der Lüge und der Gemelniteit werden gegen die geballte Masse geschleudert. In einer Weise, die nur Lumpen eigen ist, sucht man die Leitung der Bewegung zu besudeln. Die ganze Charakterkorruption und die Verkommenheit der blirgerlichen Gesellschaft tragen die Büttel, Handlanger und Prostituierte leuer,Gesell-scilatt zusammen, um die stinkenden Jauchekübel niedrigster Gesinnung Ober die leitenden Personen der Bewegung zu ergießen. Strebersucid, Ehrgeiz, kapitalistische Knechtsel!gkelt läßt Journalisten, Redakteure und sich ein- bildende „Arbeiteriührer" die hervorragendsten Persönlichkeiten in dieser reaktionären Kloake werden. Besonders ein Teil der „Arbeiterführer" (weil der Staub der Tradition, der ihre Gehirne bedeckt, die Ge- genwart nicht erkennen läßt) sind eifrig bemilht, durch unlautere Manipulationen gegen Persönlichkeiten der, Bewegung ihre — — — Ohnmacht zu beweisen. Kämpferscharl Die Bewegung ging nicht von Personen aus. sondern es war der eiserne Wille der Massen. die geladene Erbitterung, die unbegrenzte Not, der Hunger unserer Frauen und Kinder, die Un- gewißheit der Gegenwart insgesamt, die der Arbeiterschaft gebot. Hand anzulegen, um einer noch grauenhafteren Zukunft die Tore zu schließen. Positive Garantien für die Sicherung des Lebens und der Existenz der schaffenden Bevölkerung war und Ist der Leitstern des Kampfes. Möge dieser Ruf als Willensausdruck der gesamten streikenden Arbeiter allen Widersachern in die Ohren gellen — nicht um ihre „Sympathien' zu erheischen, sondern der Massen- schrei hungriger Kehlen muß ihre I.ligen ersticken. Gebt ihnen die Antwort!!! Brüder und Schwestern! Nichts kann und darf-Iniseren Kampfeswillen hemmen, auch nicht die einzelnen Nfireler und Miesmacher, die glauben, schon etwas verloren zu haben. Haben wir verloren, oder gewonnen? Gewonnen haben wir — 3 Tage Arbeitskraft, 3 Tage unser eigen zu sein, 3 Tage für uns ge- hungert und nicht für andere, Für unser menschenwürdiges Dusels müssen wir alles einsetzen. Ohne die Beauftragten der Streikenden verhandelt man bereits !hinter den Kulissen des Kampfes. Was wollen die Leute, die gegen ens sind, für uns tun? Verschachert sollt Ihr werden —. unter den alten Bedingungen in die Tretmühlen gejagt werden. ist mit einer Lohnerhöhung oder Vorschuß eine Garantie (fir die Zukunft gegeben? — NeinlI! Das heißt vom Ragen in die Traufe kommen. t!ie Generalstreikleitung hat Vertrauen zu Euch, daß Ihr Euch würdig zeigt des Gelöbnisses ant dem Hin- denbnrgwall: „Die Arbeit nicht eher aufzunehmen bis unsere Existenz gesichert ist" Wenn unsere Gegner diesen Willen such haben, dann mögen sie den Weg zu uns finden, den sie, wenn es sich um Ausbeutung und Unterdrückung handelte, stets gefunden haben. Das sei unser geschlossener Kampfeswfilel kit Viic.gfg »falnSi3 - i asag9lL ii AtL7 ‚rb Durch das verrnleriscbe Verhalten der Oewerkschaftsbiirnkratic, sowie durch die Slinnehpresse, werden unter den Streikenden Ocrlichte verbreitet, als oh die auernb!icklich bestehenden. Ldime durch Schiedsspruch der Tarligemeinscimil um «dR Y. erhöld werden sollen. Dies Ist eine direkte Irretührnng der Streikenden. Nicht 557 not den (icsnmiverdiensl, sondern ud den nackten Grundiohn- Dallie könnt Ihr Euch noch kein Brei mehr kauten, abgesehen von der fortschreitenden Teuerung, die diese Lohn-,Zulage" zu einer Farce macht. Arbettubraderi Wont Ihr Euch diese Verhöhnung in Euerm grenzenlosen Elend gefallen lessen? Neln! Und nocll- sals neini Denkt an die Oesamlfnrdenrg aller Hungernden: Auskömmliche Versorgung mit Brat, Kleidung und Wohnungen. Sollen wir schon Inn Elend langsam zu Grande gehen, dann lieber oleo als eil der letzten Aushculdng unserer Arkcilskralt. Arheltshröderl Ballet nur noch wenige Stunden Im Kemple aus. Unsere Bruder in Rheinland und Westfalen, die dasselbe Elend sparen, wie wir, werden in diesem heroischen Kample der Düsseldorfer Arbeiterschaft eingrellen. Deshalb dart u nicht heissen: ‚Abbruch des Kemples", wodurch Ihr in nach giüsseres Elend sinken wlirdet, sondern haltet die Kamptiront tachlossen, bis unsere menschlichen Forderungen restlos erfailt sind. Generalstreik mit den schhrfsten Mitteln das mess enure Parole sein, gegenüber dem brutalen Vorgehen der Kapitalisten. Es lobe der Generalstreik, es lebe die leroiutloellt Die Generalstreikieltungt i. A. Dieta N. Alle auflauclienden Garneule können die Kolben dadauch abstellen, !adern sie sich giro lotermat..an Ie jolt Nzirks.sir 5i5lokalan holen. Drusk: Zeltangsdruck-Ges to. b. tL Desaeiderf Flugblatt der Generalstreikleitung in Düsseldorf 1922 94 Tin Ole 2ettefldat ı unb tffIGfl! *ettlerifictaftsfollegen: Geit meCjreren Zagen befinbet jic9 bie Ziifjelborfer Qlrbeiterfdjajt im Rampf. aine O3ollberfamnittg ber freigewertid)aftlidjen 2ietriebs* täte übertrug.nactj eingeljenbett cXierattutgen bie prima bes Rantv f es ben f&eavertfdiaften. 3n boCTem 23erantwortunggefütjl befdjlof3 eine gemeinfatneBeratung berBetriebräte3entrale unb Bewertjd)aftsborjtänbe von ber weiteren 2Insbeljnnng bes Sa',nvfes vorläufig-äb: 6tanh 5tt nehmen unb benjelben fo mie er gegentuärtig jteCt, fort3uc fet3en. SJie nod) in ben Zetrieben befinbtidjen Otrbeiter marten ifieaveFjr bei Rul[; bie weitere ab. Zie Gewertidjaften werben 3ux nädjft berjudjen, burdj aierCjanblungen eine erfolgreiche Zeenbignng bea Stainvfes tjerbei3ufüljren. gegenwärtige ungeheure Qtot muf3 alle in 3rage tommenbeti Organifationen unb Terfonen beeinfluffen, bie, Beenbigung bes b2ampfe6 balbigjt 3u erntDglict)en. Q3on ben Mer= Janblintgen wirb Zer glrbeiteridjaft auf fdjneiljtettt QBege genntnis ge. geben. 6esvert(djaftstoilegen° 213ir erfudjen bringenb, biete 93arole ttunntetjr an3uertennen unb 3u befolgen. etellt eudj rejtlos hinter eure fIrganifationen. ietjnt alle anbeten 93arolen ab. EN EEUERTENT Bm 4Tuftrage ber freien 6etroerffefjaften: Zas %ewert rajaftstartell. Zie Zetriebsrite3etttrale. Deud: 51. (Seri(d) & Qo., (5. m. 6. D., DUjje(Doife Flugblatt der freien Gewerkschaften zum Generalstreik; aus: HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr.16896 95 damalige Syndikalist und spätere Separatistenführer Bertram Dietz verantwort- lich zeichnete, daß der Vorsitzende der Metallarbeiterföderation der FAUD, Theodor Holzapfel, eine Streikversammlung anmelden wollte, sowie die fol- gende Erklärung der Vollversammlung der Betriebsräte, die in Düsseldorf mehr- heitlich kommunistisch organisiert waren: Die Vollversammlung betont besonders, daß nur durch das passive und sabotie- rende Verhalten der gewerkschaftlichen Instanzen die Syndikalisten einen derar- tigen Einfluß auf die Bewegung nehmen konnten.(116) Infolge des Düsseldorfer Generalstreiks begann am 17. November am linken Niederrhein ein mehrwöchiger Streik;(117) auch hier waren Syndikalisten die Streikführer. Der Streik begann in einem Betrieb in der Ortschaft Oedt. Die Streikenden forderten u.a. Goldlöhnung, vollen Lohn bei Kurzarbeit, Lieferung von billigen Kohlen. Von Oedt aus sandten die Arbeiter Radfahrerabteilungen in die benachbarten Orte und es gelang ihnen, den Streik auf die Metall- und Textilbetriebe in Süchteln, Dülken, Lobberich, Mönchengladbach, Viersen und einen syndikalistisch organisierten Betrieb in Krefeld auszudehnen.(118) Die lange Dauer des Streiks war möglich, da die Bauern die Streikenden mit Lebens- mitteln unterstützten und deren Kinder in Kost nahmen.(119) In Elberfeld folgten 300 Arbeiter der Firma Jäger dem Düsseldorfer Streikauf- ruf, als treibende Kraft wurde der Syndikalist Wirtz genannt;(120) in der Firma Jäger war nach wie vor ein großer Teil syndikalistisch organisiert und die Belegschaft galt als »äußerst radikal«.(121) Während eines Streiks im Jahre 1923 wurden sämtliche Arbeiter der Firma entlassen, weil sieauf dem Firmengelände demonstriert hatten.(122 )Ein ehemaliger Arbeiter der Firma sagte über diese Zeit: In den Jahren 1920/21 da war jede Woche was los. Kommunisten und Syndika- listen zogen während der Arbeit raus, zum Rathaus, demonstrieren. Es waren mehrere hundert, es können aber auch tausend gewesen sein.(123) Während eines Streiks zertrümmerten die Radikalen das Mobiliar der Direktion und sperrten diese zur Durchsetzung ihrer Forderungen im Keller ein. Die Erwerbslosenbewegung Wegen der Auseinandersetzungen über Reparationsforderungen mit der deut- schen Regierung besetzten Franzosen und Belgier Anfang Januar 1923 das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung rief zum passiven Widerstand gegen die Besatzungsmächte auf; der sogenannte Ruhrkampf hatte eine enorme Inflations- welle zur Folge, da die Regierung Unterstützung für die von französischer Repression betroffenen Bevölkerungsteile und für Kohlen für das nicht mehr vom Ruhrgebiet belieferte Reich zahlen mußte. 96 Von der Inflation waren besonders die Erwerbslosen betroffen; im Laufe des Jahres 1923 kam es im gesamten deutschen Reich zu Hungerunruhen. Im April 1923 kam es in Mülheim/Ruhr zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Notstandsarbeitern auf der einen und Polizei und Bürgerwehr auf der anderen Seite. Die Erwerbslosen waren bei der Stadt als Notstandsarbeiter eingestellt. Um ihren Forderungen nach Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen, zogen sie in einer Demonstration zum Rathaus, in dem sich die Beamten verbarrikadiert hatten. Da die Stadtverwaltung Verhandlungen mit den Erwerbslosen ablehnte, stürmten diese das Rathaus; im Verlauf der Auseinandersetzungen gab es 2 Tote und 10 Verwundete bei den Erwerbslosen. Nach diesem Vorfall stürmten die Erwerbslosen einen Waffenladen. Nach zwei Tagen gelang es der Polizei und der Bürgerwehr, die Erwerbslosen zu besiegen.(124)Die FAUD unterstützte die Notstandsarbeiter, indem sie beschloß, einen 24-stündigen Generalstreik auszu- rufen mit folgenden Forderungen: 1. Sofortige Freilassung der Gefangenen 2. Sofortige Bildung eines proletarischen Ordnungsdienstes durch alle Arbeiterorganisationen 3. Sofortige Entwaffnung des bürgerlichen Selbstschutzes 4. Sofortige Entschädigung aller Verwundeten und Hinterbliebenen durch die Stadt Mülheim in voller Lohnhöhe nebst freier ärztlicher Behandlung. 5. Sofortige Erfüllung der Forderungen der Arbeitslosen und Notstandsar-beiter.(125) Zur Durchführung des Generalstreiks kam es nicht. Die Versuche der FAUD, auf der einen Seite die Erwerbslosen zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen, auf der anderen Seite zusammen mit den Zentralgewerkschaften mit der Stadtverhandlung über die Forderungen der Erwerbslosen zu verhandeln, schlugen fehl. Obwohl sich unter den Sprechern der Notstandsarbeiter Syndikalisten befanden, hatte die Organisation keinen großen Einfluß bei den Kämpfenden. Die FAUD war aber besonders hart von der Repression nach dem Sieg der Polizei und der Bürgerwehr betroffen; ihr Büro wurde zertrümmert, und viele Mitglieder flohen aus der Stadt, um sich der Verhaftung zu entziehen.(126) Das harte Vorgehen gegen die FAUD war aus der Tatsache zu erklären, daß sie getreu ihren Prinzipien sich nicht der nationalistischen Stimmung während des Ruhrkampfes anschlossen, weil der Kampf der Arbeiterklasse sich nicht gegen fremde Nationen und Rassen richten dürfe, sondern nur »gegen den ausbeute- rischen Kapitalismus« und »seinen MilchbruderMilitarismus« im eigenen Land. Die Arbeiterschaften sollten sich für die Interessen der Thyssen, Klöckner, Hugenberg und Stinnes nicht mißbrauchen lassen. (127) Mit dieser Position zogen sich die Anarcho-Syndikalisten nicht nur den Zorn der nationalistischen Kreise zu, sondern auch den der Arbeiterorganisationen.(128) Auch in Elberfeld-Barmen häuften sich im Jahre 1923 die Demonstrationen der 97 Erwerbslosen und ab Oktober kam es zu regelmäßigen Plünderungen.(129) Im Erwerbslosenrat Elberfeld-Barmen waren die Syndikalisten durch Fritz Enskat (130) vertreten. Im März 1923 war es zu Auseinandersetzungen des Er- werbslosenrates mit dem Vorstand des ADGB gekommen, weil dieser die frei gewählte Erwerbslosenvertretung nicht anerkennen wollte; nach ihrer Meinung sollte der Ortsauschuß des ADGB die alleinige Interessenvertretung der freige- werkschaftlich Organisierten übernehmen. Auf einer vom ADGB einberufenen Erwerbslosenversamm lung wurden deren Vertreter von Erwerbslosen verprügelt; die ADGB-Vetreter machten Enskat dafür verantwortlich und forderten die Erwerbslosen auf, sich nicht von »verant- wortungslosen Schreihälsen auf die schiefe Bahn sogenannter Syndikalisten ziehen zu lassen.«(131) Enskat bestritt, mit der Prügelei etwas zu tun zu haben; auf der besagten Veranstaltung hätte er dies Vorgehen öffentlich gerügt und auf die »üblen Elemente« unter den Erwerbslosen hingewiesen. Das tiefe Mißtrauen der Erwerbslosen gegenüber den Gewerkschaftsführern rühre daher, daß sie »die Interessen einer Stinnes-Republik über das Wohl ihrer Arbeitsschwestern und - brüder« stellten.(132) Die Plünderungen wurden von der FAUD propagandistisch unterstützt. »Die Schöpfung« kommentierte Plünderungen in Berlin-Neukölln 1921 folgendermaßen: Die Expropriation, zu der die Ärmsten der Armen griffen, war ein revolutionäres Handeln. Ein wirklicher Revolutionär darf keine Disziplin kennen, er muß in dem Moment, wo der Kampf um sein Lebensdasein geführt wird, sich aus seinen inneren Gefühlen heraus empören und zur direkten Aktion übergehen.(133) In Wuppertal klebte die FAUD im August 1923 Plakate, auf welchen die »Beschlagnahme aller Lebensmittel für das Volk und durch das Volk« gefordert wurde.(134) Ab Oktober 1923 kam es fast täglich zu Plünderungen(135) der Erwerbslosen in Elberfeld-Barmen. Am 4., 5. und 6. Dezember versammelten sich die Er- werbslosen am Jagdhaus Grenze zu großen Versammlungen; der Versammlungs- ort lag an der Grenze zum französisch besetzten Gebiet, in Elberfeld-Barmen waren die Versammlungen verboten. Am 4. und 6. Dezember kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Erwerbslosen.(136) Die FAUD- Mitglieder Heinrich Drewes, Hans Schmitz und Gottfried Wirtz sprachen auf den Versammlungen und forderten die Versammelten zu Plünderungen auf. Drewes appelliertte an die Versammelten, Ausschreitungen mit der Polizeizu vermeiden.(137) Dies entsprach seiner gewaltfreien Haltung.(138) Es gibt Hinweise darauf, daß die Versammlungen von der FAUD organisiert und auch Arbeiter der Firma Jäger an den Aktionen beteiligt waren. Heinrich Drewes und Gottfried Wirtz wurden wegen ihrer Teilnahme an den Versamm- lungen in Schutzhaft genommen und zu Gefängnis bzw. Zuchthaus verur- 98 teilt;(139) Hans Schmitz konnte sich durch Flucht ins französisch besetzte Gebiet der Verhaftung entziehen.(140) Hans Schmitz, im Hintergrund als Veranstaltungsredner !ali}ei> -rajiDium überfelDei3arnen ‚Olberjelb, ben ........... 13.5. 12:4. 192...3 Der polllelprafibent n(e'/) 7 Iv 2 An ; "“ a errn ilber?rdsidenten un ID tı n e-t er 1fll-- 1 2 Betr.: pntrsga tr @ _ Daguig der Sohutzhaft. Ohne Verfügung. Ich bitte uber den Schriftsetzer iteinrich Drew el, hier, iistelbeckeretresee 13 die Schutzhaft bei dem dehrkxeiakommendo VI erwirken zu wollen. Drewee hat von jeher eine ithrende Holle in der syndikalistieohen Bewe nng gespielt. rs ist Dueserst radikal." Die aus enl. Auszug aus Verhandlungen,die hrer gegen eine Beihe von Personen getiitigt wurden ersichtlich ist, hat Drowse am 4. 12. gelegentlich einer öffentlichen von on. 6000 Personen besuchten Erwerbslosen-tiernmmn 7uni' Hetcreden ge- halten und zu Plunderur:en aui'defordert. Die orreyte '--'enge hat sich dareuf zu TBtlichkeiten gegen Polizeibeamte hinroisaen lessen. Drowee het uowchl on Polizeistello als auch vor dam Äe teriehter,dem er zugeführt wurde, jegliche Aueacge, auch aber seine Person verweigert. 'iiegen der Dringlichkeit dar dache lege ich den Antrug unuittelber vor. DerHerr Eegierun, ;sprüsidont in Barmen hat Abschrift erhalten. gez. Suermondt den Herrn Begierungspräsidenten Abschrift überreiche ich' zur geKenntnisnel Antrag auf Verhängung der Schutzhaft für Heinrich Drewes; aus: HSTAD, Re. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr.17092 100 ) 2) 6) L) 9) 9) 10) 11) 12) 13) Anmerkungen Kapitel II In der neueren Forschung hat sich der Begriff »Deutsche Revolution 1918/19 gegenüber dem alten Begriff »Novemberrevolution« durchgesetzt. Vgl. Rürup, Reinhard: Demokratische Revolutionund »dritter Weg«. Die deutsche Revolution von 1918/19 in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, in: Geschichte und Gesellschaft 3, 1983, S.285. Die Literatur über die deutsche Revolution 1918/19 ist sehr umfassend; vgl. u.a. Mommsen, Wolfgang J.: Die deutsche Revolution 1918-1920. Politische Revolution und soziale Protestbewegung, in: Geschichte und Gesellschaft 4, 1978, S.362-391, Rümp, Reinhard (Hrsg.): Arbeiter- und Soldatenräte im rheinland-westfälischen Industriegebiet, Wuppertal 1975 Zu den verschiedenen Modellen der Arbeiter- und Soldatenräte. Vgl. Feldman, Gerald D., Rürup, Reinhard und Kolb, Eberhard: Die Massenbewegung der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs (1917-1920), in: Politische Vierteljahresschrift III. Jg. (1972), S.95 Lucas, Erhard: Märzrevolution 1920, Bd.1, Frankfurt 1974, S.34 Feldman, Gerald D., Rümp, Reinhard und Kolb, Eberhard: Die Massenbewe- gungen der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs, S.97 Dem Terror der Freikorps fielen u.a. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Gustav Landauer zum Opfer. Der Heidelberger Hochschullehrer und Mitglied der »Deutschen Liga für Menschenrechte«, Julius Gumbel, verfaßte eine materialreiche Untersuchung über den Terror der Freikorpsverbände, ders.: Vier Jahre politischer Mord, Berlin 1922 Feldmann, Gerald, Rürup, R. und Kolb, E.: Die Massenbewegungen ... S.100 ebenda, S.99 Zur Politik der Gewerkschaften während der Revolution. Vgl. Potthoff, Erich: Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation, Bonn 1979 Zur Zentralarbeitsgemeinschaft, Vgl. Feldmann, Gerald: Die Freien Gewerk- schaften und die Zentralarbeitsgemeinschaft 1918-1924 in: Vetter, Hans-Oskar (Hrsg.) Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung, Köln 1975 Zitiert nach Limmer, Hans: Die deutsche Gewerkschaftsbewegung, S.52 Vgl. Mommsen, Hans: Soziale Kämpfe im Ruhrbergbau nach der Jahrhundert- wende in: ders. (Hrsg.) Glück auf, Kameraden. Die Bergarbeiter und ihre Orga- nisationen in Deutschland, Köln 1979, S.249-272 Soweit nicht anders vorgegeben, vgl. zur folgenden Darstellung Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus: Zwei Formen von Radikalismus in der deutschen Arbeiterbewegung, Frankfurt a.M. 1976, S.155-192; ders.: Ursachen und Verlauf der Bergarbeiterbewegung in Hambom und im westlichen Ruhrgebiet, Zum Syndika-lismus in der Novemberrevolution, in: Duisburger Forschungen, Bd./15, 1971, S.1-119 Es entbehrt nicht einer gew is sen Ironie, daß einige Zechenbesitzer die »Achtstun-denschicht« genauso »radikal« interpretierten wie die Hambomer Bergarbeiter und daß daraufhin die Gewerkschaften auf eine Anfrage erklärten, daß jeder Bergmann 8 Stunden unter Tage sein sollte. 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 101 Lucas, Erhard: Märzrevolution Bd.1, S.27 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 12. Kongresses der freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften vom 27.-29.12.1919 in Berlin, Berlin 1920, S.21 Vgl. Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungswelle im Steinkohlenbergbau an der Ruhr, in: Mommsen, Hans; Borsdorf, Ulrich (Hg.): Glück auf, Kameraden. Die Bergarbeiter und ihre Organisationen in Deutschland, Köln 1979, S.234 Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, S.184 ebenda, 5.192 ders. f Tedesco, Claus: Zur Bergarbeiterbewegung in Hambom 191°/19, in: Duisburger Forschungen, Bd.22, 1975, S.141-168 Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG., S.42 ebenda, S.21 Siehe u.a. die beiden Syndikalisten und Mitglieder des Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrates Heinrich Reuss, der bis zu seinem Austritt 1929 aus der FAUD in führenden Funktionen tätig war und Gerhard Serforth, der 1908 der erste Bevoll- mächtigte des deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Mülheim/Ruhr gewesen war. Von 10 Mitgliedern des engeren Rates waren in Mülheim nachweisbar mindestens 3 in der Freien Vereinigung, von 40 Mitgliedern des erweiterten Rates mindestens B. Vgl. die Listen des Arbeiterrates bei Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus und Rätebewegung im westlichen Ruhrgebiet. Die revolutionären Auseinandersetzungen in Mülheim an der Ruhr, S.220-222 und Olsen, Gerold: Syndikalismus und Revolution in Mülheim an der Ruhr, Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Syndikalismus, Staatsexamensarbeit Duisburg 1980, S.39/ 40. Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus und Rätebewegung im westlichen Ruhr- gebiet, 5.168/9 ebenda, S.187 Vgl. zur Person Minsters: Koszyk, Kurt: Das abenteuerliche Leben des sozialre- volutionären Agitators Carl Minster (1873-1942), in: Archiv für Sozialgeschichte 1965 (Bd.V), S.193-225 Vgl. Olsen, Gerold: Syndikalismus und Revolution in Mülheim an der Ruhr, S.50/ 51 ebenda, S.48 ebenda, S.52 Die Essener Sozialisierungsbewegung ist der Gegenstand einer breiten und kontroversen wissenschaftlichen Debatte geworden. Vgl. dazu u.a. Oertzen, Peter von: Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft im Frühjahr 1919, in: Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte 6 (1958), S.231-262; Lucas, Erhard: Arbeiterradikalismus, S.184-189; Mommsen, Hans: Die Bergarbeiterbewegung an der Ruhr 1918-33, in: Jürgen Reulecke (Hg.): Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr, S.275-314; Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungsbewegung im Steinkohlebergbau, S.225-248 Vgl. Tampke, Jürgen: Die Sozialisierungsbewegung im Steinkohlebergbau, S.240 Vgl. Steinisch, Irmgard: Linksradikalismus..., S.210 Während der Hamborner Streikbewegung trat Windhoff in Versammlungen als Redner auf und empfahl den Arbeitern, sich von ihren gewerkschaftlichen Orga- 102 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) nisationen zu lösen und ihre Forderungen durch direkte Aktion durchzusetzen. Vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten Nr. 15032, B1.12 Der Syndikalist, Jg.1 (1919/19), Nr.2 Der Syndikalist, Jg. 1(191%/,9), Nr.4 Zur Biographie Rockers, vgl. Wienand, Peter: Der geborene Rebell, Rudolf Rocker, Leben und Werk, Berlin 1981 Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.I, S.193 Vgl. Tampke, Jürgen: The Ruhr and the Revolution, Canberra 1978 Der Syndikalist, Jg. 1 (1918/19), Nr.1 Vgl. STA Münster, Büro Kölpin, Nr. 310, S.27ff. Nach Angaben von C. Windhoff hatte die FAUD in Wuppertal 6 Mitglieder, vgl. Der Syndikalist, Jg. 3 Nr.52 Vgl. Stern, Leo (Hg.): Archivalische Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewgung, Bd.II, Nr.144, Berlin (Ost) 1959 Vgl. STA Münster, S.37-39 ebenda, S.47 Leider liegen den Verfassern keine genaue Zahlen über die Entwicklung der Firma Jäger vor. Nach Aussagen der Geschäftsleitung der Firma Kugelfischer (früher Jäger) existieren keine Akten mehr aus dieser Zeit. In der Festschrift zum 100- jährigen Bestehen der Firma Jäger wird die Belegschaftszahl für 1914 mit 1.300 angegeben. Vgl. Knies, Hans-Ulrich: Arbeiterbewegung und Revolution in Wuppertal. Ent- wicklung und Tätigkeit der Arbeiter- und Soldatenräte in Elberfeld und Barmen, In: Rürup, Reinhard: Arbeiter- und Soldatenräte im rheinisch-westfälischen In- dustriegebiet, 5.129, und Freie Presse Elberfeld, 6.1.1919. Zur Strafsache gegen Drewes, vgl. HSTAD, Staatanwalt und Landgericht Elberfeld, 5/841 Vgl. Potthoff, Heinrich: Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation, S.45 Der deutsche Metallarbeiter-Verband im Jahre 1920, Jahr- und Handbuch für Verbandsmitglieder, Stuttgart 1920, S.232/233 Jahrbuch 1919 des deutschen Bauarbeiterverbandes, Hamburg 1920, S.126 Vgl. Der Syndikalist, Jg. 1 (1919/18), Nr.42 Als Linkskommunisten wurden die Anhänger des antiparlamentarischen und gewerkschaftlichen Flügels der KPD bezeichnet, die nach dem 2. Parteitag der KPD im Oktober 1919 aus der Partei ausgeschlossen wurden und sich ab April 1920 in der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (KAPD) einen neuen organisatorischenZusammenhang schufen. Zur KAPD, vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus und Linkskommunismus, S.225-251 Zu den Differenzen zwischen Syndikalisten und Unionisten vgl. Böttcher, Hans: Zur revolutionären Gewerkschaftsbewegung in Amerika, Deutschland und England, Eine vergleichende Betrachtung, Jena 1922, S.92-97 ebenda, S.65 Vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus...,S.126 In den Statuten der neuen Organisation, vgl. Der Syndikal is t, Jg. 1 (1918/19), Nr.53 Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.Il, S.194 Zur Entwicklung der beiden Organisationen, vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndika- 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76) 77) 78) 79) 80) 81) 82) 103 lismus... 5.179-214 Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.II, S.192 Vgl. Kapitel II dieser Arbeit Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG, S.62 Sowohl USPD und KPD hatten sich mittlerweile eindeutig vom Syndikalismus distanziert. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 12. Kongresses der FVdG, S.78 In den Statuten der FAUD, vgl. ebenda, S.6-10 Vgl. Präsenz-Liste des 12. Kongresses, ebenda, S.96-100 Vgl. zur Vorgeschichte des Putsches Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.1, Vom Generalstreik gegen den Militärputsch zum bewaffneten Aufstand, Frankfurt, S.71-86 In dem Zusammenhang fiel der vielzitierte Ausspruch des Generals v. Seeckt, »Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.« Zur Haltung der Militärs vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution Bd.1, S.96-107 Zu den verschiedenen Modellen der Aktionsausschüsse vgl. ebenda, S.119-139 Vgl. ebenda, S.147-206, Zu den Kämpfen zwischen Militärs und Arbeitern in Elberfeld, vgl. Winterhagen, Arthur: Die Unruhen in Wuppertal im Jahre 1920 (Staatsexamensarbeit Wuppertal 1964) Vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.1, 5.234. Wie wenig ernst die Regierung ihre Zusicherung meinte, zeigt u.a. die Tatsache, daß einer der Anführer des Putsches, General Lüttwitz, sein Abschiedsgesuch unter Bewilligung der Pen- sionsansprüche erfolgreich einreichte. Ebenso blieb der Brigadeführer Erhardt unbehelligt. Die Brigade erhielt sogar noch eine Sonderzulage von 9 RM/Tag für alle »zur Aufrechterhaltung der Ordnung eingesetzten Verbände«, vgl. Lucas, Bd.2. Vgl. Lucas, Bd.2, S.103-120 Vgl. Lucas, Bd.1, S.248 -303 Zur Bielefelder Konferenz, vgl. Lucas, Bd.3, S.60/92 Zur Dislcussion der Bielefelder Konferenz in der Aufstandsbewegung, vgl. ebenda, S.92-145 ebenda, 5.280 ebenda, S.308, Zur Analyse der psychischenGrundlagen des Terrors der Freikorps, vgl. Theweleit, Klaus: Männerphantasien, 2 Bde, Frankfurt 1977/78 Vgl. Lucas, Erhard: Märzrevolution, Bd.3, S.12 Vgl. ebenda, S.26 zit. nach Lucas, Bd.2, 5.48 ebenda, S.33 ebenda, S.48-50 Vgl. zu Spanien, Bernecker, Walter L.: Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur Geschichte der sozialen Revolution in Spanien 1936-39, Hamburg 1978; ders.: Kollektivismus und Freiheit. Quellen zur Geschichte der sozialen Revolution in Spanien 1936-39, München 1980 Vgl. den Nachdruck des Aufrufs bei Lucas, Bd.1, S.128 Vgl. den Aufruf in Freie Presse Elberfeld, 20.3.1920 104 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106) Vgl. Bergisch-Märkische Zeitung Elberfeld-Barmen Vgl. dazu die von Lamp verfaßte Zeitung »Die direkte Aktion im Westen«, die zusammen mit »Die Brandung« am 23.3.1920 erschien. Leider existiert keine Originalausgabe mehr von beiden Zeitungen. Von Erhard Lucas erhielten die Verfasser eine Mikrofilmkopie der beiden Blätter. Erhard Lucas fand die beiden Zeitungen während seiner Forschungen im Exemplar der Freien Presse Elberfeld vom 20.3.1920. Nach Verfilmung der Freien Presse in der Stadtbibliothek in den 70er Jahren sind die beiden Blätter nicht mehr auffindbar. (Mitteilung der Stadtbibliothek Elberfeld). Vgl. Bergische Tageszeitung, Elberfeld, 22.3.1920 Vgl. Direkte Aktion im Westen ebenda ebenda Vgl. Die Brandung Die Direkte Aktion im Westen ebenda Vgl. Freie Presse Elberfeld v. 19.3.1920 Vgl. Volkstribüne, Elberfeld v. 23.3.1920 Daß Lamp in der Elberfelder Arbeiterschaft eine große Anhängerschaft hatte, wurde von behördlicher Seite bestätigt. Auf eine Anfrage des Regierungspräsi- denten vom 7.4.1920 betreffs der »Schöpfung« antwortete der Elberfelder Oberbürgermeister Hopf: »Der Herausgeber der Zeitschrift »die Schöpfung« ist der Rechtsanwalt Lamp, der hier schon mehrere Jahre als Anwalt tätig ist. Im politischen Leben spielt er eine große Rolle, bekennt sich als Anarchist und nutzt jede Gelegenheit aus, seine Umsturzidee in die Arbeitermassen hineinzutragen.« in: Stadtarchiv Wuppertal, Akten der Stadt Wuppertal, S.XI, Nr.27, Polizeiverwaltung Elberfeld: »Unruhen, Aufruhr, Landesfriedensbruch usw.« Vgl. Volkstribüne, Elberfeld v. 23.3.1920 ebenda Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.19 vom 2. April 1920 Spethmann, Hans: Zwölf Jahre Ruhrbergbau, Berlin 1928, S.208 Vgl. zu Hauesser, Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, Erlöser der 20er Jahre, Berlin 1983 Vgl. STAM, Büro Kölpin, Nr.310 und Interview mit Hans Schmitz Die Schöpfung, Jg.2, Nr.12 v. 20.9.1923 Lucas, Bd.2, S.81 Vgl. Colm, Gerhard: Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes vom März-April 1920, Essen 1921, S.49 Vgl. Könnemann, Erwin, Krusch, Hans-Joachim: Aktionseinheit contra Kapp- Putsch. Der Kapp-Putsch 1920 und der Kampf der deutschen Arbeiterklasse sowie anderer Werktätiger gegen die Errichtung der Militärdikatatur und für demokra- tische Verhältnisse, Berlin (Ost) 1972, S.438, 443 Vgl. Lucas, Arbeiterradikalismus, $.258/59 Vgl. Werner,Gerhard: Bernhard Lamp, der Vorläufer von Holger Meins, in: Gene- 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) 121) 122) 123) 105 ralanzeiger Wuppertal vom 13.12.1974; Winterhagen, Arthur: Die Unruhen in Wuppertal 1920; Sülz, Ulrike: Die Augustdemonstration der Kommunistischen Arbeiter Partei und der Freien Arbeiter Union in Wupertal und ihre Folgen im Spiegel der Presse, Staatsexamensarbeit Wuppertal 1975 Vgl. Freie Presse Elberfeld, 1.4.1920, Volkstribüne Elberfeld, 1.4.1920 und 3.4.1920 Vgl. Sülz, Ulrike: Die Augustdemonstration der KAPD und FAUD... Zur Aktion in Velbert, HSADT, Reg. Düsseldorf, politische Akten, Nr. 15963 Vgl. Volkstribüne Elberfeld vom 21.7.1920 Staatsarchiv Münster (STAM), Büro Kölpin, Nr.310 Feldmann, Gerald D., Streiks in Deutschland 1914-1933: Probleme und For- schungsaufgaben, in: Volkmann, Heinrich, Tenfelde, Klaus (Hg.): Zur Geschichte der Industrialisierung, München 1981, S.281 ebenda Vgl. die regelmäßigen Aufrufe zur »Solidarität mit den streikendenGenossen« im Verbandsorgan »Der Syndikalist«. Im Jahre 1921 hatte die FAUD großen Einfluß auf einen wilden Streik im Bayerwerk in Leverkusen: »Im Bayerwerk hatten die Syndikalisten etwa 300 Anhänger. In dem großen Streik Anfang 1921 hatten sie aber großen Erfolg auf die Gesamtbelegschaft. (Stolle, Utä: Arbeiterpolitik im Betrieb, Frankfurt 1980, S.73) und auf einen »wilden« Streik auf der August- Thyssen-Hütte in Hamborn. (Vgl. »Der deutsche Metallarbeiter-Verband im Jahre 1921, Jahr-und Handbuch für Verbandsmitglieder, Stuttgart 1922, S.113) Die Freiheit, Düsseldorf, 4.12.1921 Zum Streik in Düsseldorf, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 16896, Bl. 271ff. Die Freiheit, Düsseldorf, 17.11.1922 Zum Streik am linken Niederrhein, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 16896, Bl. 271 ff. 1921 hatte die FAUD in Oedt 25, in Dülken 125 und in Süchteln 200 Mitglieder, Vgl. HSTAD Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 15630, Bl. 61 Vgl. Niederrheinische Volkszeitung, Krefeld, 14.12.1922, in: HSTAD, Reg. Düssedorf, Politische Akten, Nr. 16896, Bl. 312 ebenda, S.123 HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten Nr. 15409, Bl. 44, »Nach Angaben eines Arbeiters sollen in den Gebäulichkeiten der Firma Eisenwerk Jäger u. Co. Elberfeld größere Mengen an Waffen und Munition versteckt sein, daß sie selbst bei genauen Durchsuchungen nicht gefunden wurden. Bei der Firma Jäger sind schonverschiedene Durchsuchungen nach Waffen vorgenommen worden, jedoch ohne Erfolg. Es ist jedoch mit Bestimmtheit anzunehmen, daß sich dort Waffen befinden, da fast die gesamte Belegschaft des Werkes nur aus äußerst radikal gesinnten Leuten besteht.« Vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 17101, Bl. 133 Interview mit Herrn Erich Hellen (Wuppertal). Hellen war selbst nicht syndika- listisch organisiert, sondern im DMV; er gehörte nach eigner Aussage nicht zum radikalen Teil der Belegschaft. 106 124) 125) 126) 127) 128) 129) 130) 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139) 140) Zu den Ereignissen in Mülheim, vgl. HSTAD, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr. 16759 und »Der Syndikalist«, Jg.5 (1923), Nr.17 Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.17 ebenda Vgl. das Flugblatt der FAUD »An die Arbeiterschaft Rheinland-Westfalens« vom Februar 1923, in: HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr. 16993, Bl. 53 Schlageter-Rede Vgl. die regelmäßigen Lageberichte der Elberfelder Polizei an den Regierungs- präsidenten in HSTAD, Reg. Düsseldorf, Pol. Akten, Nr. 17101 Enskat war in den Jahren 1920/21 einer der führenden Leute der Elberfelder KAPD und an der putschistischen Aktion 1920 in Velbert beteiligt. Dann trat er über zu den Syndikalisten. Von der politischen Polizei wurde Enskat folgendermaßen charakterisiert: »Als einzelnes Mitglied trat der frühere Kommunist Fritz Enskat in üble Erschei- nung. Infolge seiner Beredsamkeit und seines Eifers zur Erlangung seiner Ziele ist er einer der größten Hetzer des Wuppertals geworden, der vor allen Dingen die Erwerbslosenbewegung in sein syndikalistisches Fahrwasser zu treiben versucht.« HSTAD Reg. D., Pol. Akten, Nr. 16870 Freie Presse Elberfeld, 17.3.1923 Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.39, 29.3.1923 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.108, 22.11.1921 HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 17101, Bl. 128 siehe Anm.129 Zu den Versammlungen der Erwerbslosen, vgl. HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 17101, Bl. 195/96, HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, Nr. 5/ 614 und die Presse in Elberfeld-Barmen Vgl. HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, Nr. 5/614 Nach Aussage von Karl Drewes (Velbert), Sohn von Heinrich Drewes, war sein Vater zeitlebens einVertreter des gewaltlosen Widerstands; dies entspricht dem Eindruck, den die Verfasser aus den zahlreichen Artikeln Drewes gewonnen haben. Vgl. HSTAD, Landgericht und Staatsanwaltschaft Elberfeld, Nr.5/614 Nach Aussage von Hans Schmitz jun. (Düsseldorf) 107 Kapitel III Radikaler gewerkschaftlicher Tageskampf oder revolutionärer Propagandazirkel Kontroversen über Strategie und Taktik Der Generalstreik und bewaffnete Aufstand gegen den Kapp-Putsch war die letzte große Massenbewegung der Arbeiterschaft, die eine Chance zu einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung geboten hätte.(1) »Große revolutionäre Bewegungen setzen immer Hoffnungen frei, die über ihre äußeren Möglichkeiten hinausgehen.«(2) Umso bitterer war natürlich die Nie- derlage 1920, da durch den Terror der Freikorps die Verhältnisse noch bedrük- kender wurden als zuvor. Es ist fast zwangsläufig, daß in einer solchen Situation nach Schuldigengesucht wurde. Die Auseinandersetzungen über die Ursachen der Niederlage verschärften die ideologischen Gegensätze zwischen und innerhalb der Arbeiterorganisationen. Die USPD, die bis dahin das Schwanken der Massenbewegung zwischen parlamentarischer Demokratie und Rätesystem wieder-gespiegelt hatte, zerbrach; die Mehrheit der Mitglieder votierte Ende 1920 für die Verschmelzung mit der KPD.(3) Die Linkskommunisten organisierten sich ab April 1920 in der KAPD.(4) Die Geschäftskommission der FAUD zog folgendes Resume&e aus der Nieder- lage: ..daß wir von jetzt ab klar und eindeutig unsere eigenen Wege gehen und einen starken Trennungsstrich zwischen uns und den politischen Parteien ziehen. Bei solchen Aktionen, wie der Aufstellung einer Roten Armee handelt es sich um nichts weiter als um die Eroberung der politischen Macht durch eine andere Gruppe als die jeweils regierende. Da wir die Eroberung der politischen Macht grundsätzlich ablehnen, können wir uns als Syndikalisten auch an der gesamten Aktion dazu nicht beteiligen.(5) Obwohl sich ein großer Teil der Mitglieder in Rheinland-Westfalen mit der in diesemArtikel vertretenen Position der Gewaltlosigkeit nicht einverstanden erklärten, stimmten sie in Bezug auf die Trennung von den politischen Parteien der Geschäftskommission zu; auf einer Konferenz in Rheinland-Westfalen wurde beschlossen, den Passus aus den Leitsätzen zu streichen, der es den Mitgliedern freistellte, sich den politischen Parteien anzuschließen.(6) Die FAU-Elberfeld 108 erklärte im Januar 1921 die Mitgliedschaft in politischen Parteien fürunvereinbar mit den Prinzipien des Syndikalismus: Die politischen Parteien gründen sich auf der Grundlage des Zentralismus und stehen damit in schroffem Gegensatz zum Föderalismus, der Grundlage des Syndikalismus. Ferner: die Parteien sind der zersetzende Teil der Arbeiterbewe- gung, Syndikalismus dagegen bedeutet Einheitsbewegung der Arbeiter als ausge- beutete Klasse. Der Grundsatz der Parteien ist, die Arbeiter zu Knechtseelen des Staates zu erziehen, was nicht vereinbar ist mit dem Ziel des Syndikalismus, mit dem freien Sozialismus.(7) Auf dem 11. Kongreß der FAUD, im Oktober 1921 in Düsseldorf, wurde für die gesamte Organisation die Trennung von den politischen Parteien vollzogen.(8) Die parteikommunistisch orientierten Mitglieder der FAUD hatten sich schon Ende 1920 in der FAU-Gelsenkirchener Richtung, später »Union der Hand- und Kopfarbeiter«, einen anderen organisatorischen Zusammenhang geschaffen.(9) Auch auf internationaler Ebene wurde die Trennung von den Kommunisten vollzogen. Nach anfänglicher Solidarität mit Sowjet-Rußland und der Bereit- schaft, sich an der Gründung einer »Roten Gewerkschaftsinternationale« (RGI) zu beteiligen,(10) nahm die FAUD eine zunehmend distanzierte Haltung ein aufgrund der vom 2: Komintemkongreß beschlossenen Aufnahmebedingungen, in denen sie das »auf die Spitze getriebene Autoritätsprinzip«(11) sah; in einer Urabstimmung wurde beschlossen, auf den 1. RGI-Kongreß keine FAUD-Delegierten zu entsenden.(12) Nach der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes, der der Machno- Bewegung(13) und der Verfolgung von Anarchisten in Sowjet-Rußland, ver- öffentlichte Rudolf Rocker eine Broschüre, in der er anführte, daß aufgrund der äußeren und inneren Bedrängnisse Sowjet-Rußlands Anarchisten und Syndika- listen bisher mit ihrer Kritik zurückgehalten hätten, aber jetzt nicht mehr länger schweigen könnten, denn wenn man die Mißachtung der individuellen Freiheitsrechte länger dulde, laufe man Gefahr, daß die gesamte Idee des Kommunismus diffamiert werde.(14) Unter maßgeblicher Intitiative Rudolf Rockers wurde im Dezember 1922 auf einem Kongreß in Berlin die Internationale Arbeiter-Association gegründet, die die Tradition der bakunistischen 1. Internationale fortsetzen wollte »zum end- gültigen Sturz von Staat und Lohnherrschaft, zur Errichtung einer staatenlosen Gesellschaft.«(15) Rocker verfaßte auch die Prinzipienerklärung der ITAA und wurde zusammen mit Augustin Souchy und dem in Berlin im Exil lebenden russischen Anarchisten Alexander Shapiro ins Sekretariat gewählt.(16)Die auf dem Kongreß anwesenden Delegierten vertraten nach eigenen Angaben 1,5 Millionen Mitglieder in aller Welt.(17) 109 Interne Diskussionen Nach dem Abflauen der revolutionären Massenbewegung begann auch in der FAUD eine heftige Debatte über den zukünftigen Weg der Organisation. Grob gefaßt ließen sich zwei Strömungen unterscheiden: 1. Eine auf radikale, den Verhältnissen angepaßte Gewerkschaftsarbeit und auf Mobilisierung der Organisation gerichtete Strömung, deren Wortführer vor allem Rudolf Rocker, Fritz Kater, der Vorsitzende der Geschäftskommission, Carl Windhoff, der Vorsitzende der Agitationskom mission Rheinland und der Mülheimer Anarcho-Syndikalist Heinrich Reuß waren. 2. Eine aktivistische, auf die unmittelbare Durchführung der sozialen Revolution unter Vernachlässigung der gewerkschaftlichen Tageskämpfe gerichtete Strö- mung, die sogenannte Opposition in der FAUD. Deren Wortführer kamen vor allem aus dem Kreis der »Föderation kommunistischer Anarchisten Deut- schlands« (FKAD)(18) in Düsseldorf und Berlin. Die Redakteure der ab Juli in Düsseldorf erscheinenden Tageszeitung »Die Schöpfung«,(19) Heinrich Drewes(20) und Fritz Köster (21) machten sich zu Fürsprechern dieser Strömung. Die Kontroverse begann im Jahre 1921 mit einemgrundsätzlichen Artikel Fritz Katers »Was ist die FAUD und was sind ihre nächsten Aufgaben ?«.(22) Kater sah die wichtigste Aufgabe der FAUD in der Aktivität in den Tageskämpfen zur Verbesserung der Lohn-und Arbeitsbedingungen; nur dadurch könnten der FAUD neue Mitglieder zugeführt werden und verbunden mit deren Erziehung im syndikalistischen Sinne könne die Organisation stark genug werden, selbständige Aktionen durchzuführen; er kritisierte die mangelhafte Solidarität vieler neuer Ortsvereine, die ihre Beitragspflichten nicht erfüllten und sich nicht an Kongreß- beschlüsse hielten. In der »Schöpfung« erschien unmittelbar darauf ein Artikel des österreichischen Anarchisten Pierre Ramus(23),»Praktische Wirklichkeits- aktionen und der Syndikalismus«, worin er folgendes ausführte: Worin besteht in der Gegenwart die aktuelle, revoltionierende Betätigungsform des Syndikalismus? Programmatisch ausschließlich in der prinzipiellen anarchistischen Fundierung der »Streikresolution«. Und diese geleitet in ihrer praktischen Betätigung dazu, daß die FAUD notgedrungen die theoretisch längst verfehlte und wirkungslos durchschaute Alltagsstreikbewegung der Zentralverbände mitmacht, ohne diesen etwas Gehaltvolleres entgegenzustellen..Dadurch wird aber die kostbare Kraft des Syndikalismus vergeudet, seine Mitgliedschaft und Organisation eigentlich in den Dienst der Zentralverbände gestellt... Mit demResultat, daß die Syndikalisten ebenso wenig wie die Zentralverbände vom Lohnsystem losgelöst werden, dessen Beseitigung in Angriff genommen werden muß. Und auf letzteres kommt es an. Der Syndikalismus ist keine Bewegung der Ideen, dazu 110 haben wir die sozialistische und anarchistische Bewegung, die befruchtend aufdie Arbeiterbewegung einzuwirken hat und anspornen muß. Die Bedeutung des Syndikalismus liegt darin, eine revolutionierende Aktionsbewegung zu sein. (24) Kater stellte in seiner Replik fest, daß die Konsequenz aus Ramus' Position der Verzicht auf gewerkschaftliche Tageskämpfe bedeute. Der Redaktion der »Schö- pfung« warf er vor, mit solchen Artikeln würde die Organisation geschwächt, sie wollten aus der FAUD einen »Experimentierapparat und Diskutierclub« machen und würden damit der organisationsfeindlichen Tendenz in der FAUD Vorschub leisten; es sei Zeit zum Handeln und nicht zum »Spintisieren, Theoretisieren und Eigenbrödeln.«(25) Neben den ideologischen Gegensätzen bestanden zwischen den Konrahenten erhebliche persönliche Animositäten,(26) die durch einen Artikel Ramus' im Vorfeld des 13. Kongresses noch verschärft wurden, als dieser der Geschäftskommission Zentralismus vorwarf.(27)Der 13. Kongreß der FAUD im November 1921 in Düsseldorf befaßte sich überwiegend mit den innerorganisatorischen Auseinandersetzungen, die sehr persönlich ausgetragen wurden.(28)Erschwerend kam noch hinzu, daß auf dem Kongreß die sogenannten »Individualisten« auftraten, die gegen jegliche Organisation waren, Mitgliedsbücher und Beiträge ablehnten.(29) Die Auseinandersetzungen setzten sich im Verlauf des Jahres 1922 fort; auf dem 14. Kongreß im Novbember 1922 in Erfurt kam ein gewisser Ausgleich der Kontrahenten zustande und erst 1925 erreichte die FAUD eine organisatorische Stabilität. Im folgenden sollen nun die wesentlichen ideologischen und taktischen Differenzen der beiden Strömungen dargestellt werden. Interessengemeinschaft oder Ideengemeinschaft? Bei den Auseinandersetzungen in der FAUD flammte ein alter Streit zwischen Anarchisten und Syndikalisten wieder auf: die Frage, inwieweit sich der Syndi- kalismus als Weltanschauung selbst genüge.(30) Die Opposition kritisierte, daß die FAUD zu sehr den interessengemeinschaftlichen Aspekt betone und die Ideen vernachlässige. Oder, wie es ein Elberfelder FAUD-Mitglied ausdrückte, daß es in der Organisation zwei bis drei verschiedene Strömungen gebe, »von denen die eine einen reinen gewerkschaftlichen Charakter trage, während die Opposition mehr das geistige Element betone.«(31) In den Ortsvereinen, wo die Opposition dominierte, wurden für die Mitglieder sehr rigide Maßstäbe angelegt. Die Mitglieder durften sich beispielsweise zu 111 keiner gesetzlichen Institution wählen lassen.(32) Im selbständigen Bezirk Bilk der FAUD wurden die Mitglieder dazu verpflichtet, vier Blätter der anarchisti- schen und syndikalistischen Bewegung zu beziehen.(33) Von einem Mitglied der FAUD wurde diese Praxis folgendermaßen kommentiert: Man hört innerhalb der FAUD immer nur von Ausschließen ...Man kommt nicht als fertiger Syndikalist in die FAU hinein, sondern wird es in ihren Reihen... Hat man die Kollegen erst einmal,dann heißt es aufklären und nicht hinauswerfen... Man verschone mich mit dem Satz: Klein aber rein. Das ist gewöhnlich der Weisheit letzter Schluß.(34) Die Haltung der Opposition wird im folgenden Zitat deutlich. Im Zusammenhang mit der Unvereinbarkeit zwischen Kirche und FAUD-Mitgliedschaft führte ein Düsseldorfer FAUD-Mitglied aus: Die Massen sind aber bei so konsequenter Durchführung unserer Grundsätze schwer zubekommen. Es kommt mehr darauf an, daß die konsequenten Vertreter einer Idee den nötigen Einfluß auf die Masse haben, wie wir ihn trotz unserer kleinen Zahl im Rheinland haben.(35) In einem grundsätzlichen Referat auf dem 14. Kongreß der FAUD kritisierte Rudolf Rocker diese Haltung scharf, weil sie unweigerlich zum Weg in eine kleine Sekte führe.(36) Zur Frage, ob der Syndikalismus sich selbst genüge, bemerkte Rocker, daß sie rein akademisch gestellt sei, weil es keine Idee gäbe, die sich selbst genüge: Die syndikalistische Bewegung würde in dem Moment zur gewöhnlichen Ge- werkschaftsbewegung degradiert werden, wenn sie die großen Prinzipien des freiheitlichen Sozialismus, ... aus dem Auge verlieren würde... Der Anarchismus bleibt unfruchtbar, wenn er nicht in der Arbeiterbewegung wurzelt. Deshalb müssen beide Bewegungen einander ergänzen.(37) Wie weit sich die FAUD in Richtung Anarchismus entwickelt hatte, zeigt auch die Tatsache, daß sie sich ab 1922 FAUD [Anarcho-Syndikalisten (AS)] nannte.(38) Im Mai 1922 veröffentlichte die Opposition einen Aufruf, in dem sie die völlige Beseitigung jeglicher Zentralisation der Presse und der Organisation der FAUD forderte; im einzelnen wurde u.a. vorgeschlagen, den »Syndikalist« in eine wissenschaftliche Monatsrevue umzuwandeln, jeder Agitationsbezirk sollte von den Bezirken übernommen werden, die Geschäftskom mission sollte nur noch die Organisation nach außen vertreten, den »Syndikalist« herausgeben und die Zahl der Festangestellten sollte von 5 auf 2 reduziert werden.(39) Im Rheinland trat die Opposition auf der Konferenz der FAUD im Mai 1922 für die Auflösung der Agitationskommission (A.K.) ein; die Agitation sollte nicht zentral, sondern von den jeweiligen Arbeiterbörsen betrieben werden, dies entspreche syndikalistischen Grundsätzen,(40) die Mitglieder würden durch die A.K. unselbständig gehalten. Der Debatte vorausgegangen waren heftige ideologische und persönlicheAuseinandersetzungen in der A.K. zwischen dem Vorsitzenden und den anarchi- Ming. : Aal>ung: firbeiter, Uertrauensleute, Betriebsrätel erm IYlittwodi, den 8. -Februar, abends ‚°7 :Dr ım bobaie ehem.- ‚Dehttter Källe wrauiarjee BETYENE ne x „Tagesordnung ct. *; ist das Recht, der ee „Arbeits tederiegung;',(Stretkrechi)rin rr.eiahrNeue. Maßnahmen der Reichsregierung zum Eisenbahne. streik_ ' . - . al, U yig ta. 4 A, 17506. x ST i as rgN 7 . m . b inyes . Alta Arbeiter end Yartraaenaledte rl are tißieneite RL. tiel, ( ihllen a ef", 'die. den Znaammeaeehlan aller;Werktitl eh eu einet.' . y : i näb tiitt Y, Y SL INS 7: N Hu KUamar "tm. ?.3L Geeinigten,, Arbeitcra(afte .är..r.,: a lad®Ko aqr 1i9'7 ft! _ K-" ‚leeweekea, es ereehelnen, is Ihrerseits Jeder den'beleatragen u lei r,Eäan die 'REAett .aller ber+,' Apstellen. Bier IM der Weg geraden, jede )(daunt kiren inc.': kianeY fi Llede Arbeitetpirtei, jede6nppa! let kler vertreten, bier trennt nee atahta weir. ‚1,,,..1-,. ‚Ip «"h"47q A nE hl elt l ‚i" IPA . 111e Kapitalisten haben sieh lingsi die Iliade is;geelnigfe7Klas'se Aier;die .Sck a.kee der:. birgerllehen Parteien hinade gereleht.. Obbeutsch-natlohal, I b:-Ceiilii ıb; cbb Demo-' 'krat. ob Gläubig oder Unglstibig ;ihr, spdrtihre Einigkeitjeden Tag.‘;, $o keen nneh bei nee jeder seine polltlsobe bder e6nstige. Rabtaog;behalten, ‚aber"als „Klasse der Arbeit wollen wir einig dein® genre i euebe“jedeYeräamlangderwerdande& Geelnigten Arbeit.rkiass< filer hat keine Partei oder sositi‘e Orpaiaetlei firnich j RN beadnea, bier ie—. p Alma tar die gesamte arbeitende Klasse.,<' di Ausschuss zur B11dund "derfinheistro bestehend au Ilttgliedern der . % sPDusPo:AP.D. ;S:1.P.n.% SyallBalisiee: Flugzettel, aus: HSTA Düsseldorf, Reg. Düsseldorf, Politische Akten, Nr.15997 113 stisch orientierten Mitgliedern.(41) Windhoff warf diesen, wie er sie nannte, » Über-Anarchisten« vor, sie und die »Individualisten« wären für den Rückgang der Bewegung im Rheinland verantwortlich.(42) Schärfster Kontrahent Wind- hoffs auf dem Kongreß war der von Berlin nach Gerresheim gezogene Anarchist Rudolf Oestreich, der für den Streit alleine die Person Windhoff verantwortlich machte und feststellte, daß sich auch in der FAUD das 'Bonzentum' breit mache; die Funktionäre der FAUD dürften nicht länger als ein Jahr freigestellt wer-den.(43) Die Mehrheit des Kongresses sprach sich für die Beibehaltung der A.K. aus; um zukünftige Streitereien zu vermeiden, wurde ihr Sitz nach Mülheim/Ruhr verlegt. Insbesondere die kleinen Ortsvereine in der Provinz sprachen sich für die A.K. aus, da sie nicht über die Mittel verfügten, ohne Hilfe Agitation zu betreiben. Die unterlegenen Gruppen erklärten, künftig keine Beiträge mehr an die A.K. abzuführen.(44) Erst nach den Inflationswirren gelang es im Rheinland, eine einheitliche Organisation durch die Gründung der Provinzbörse zu schaffen. Der rigiden, dogmatischen Haltung der Opposition innerhalb der Organisation entsprach eine aktivistische Haltung nach außen im Sinne des Syndikalismus als revolutionierende Aktionsbewegung. Die Redaktion der »Schöpfung« machte sich zum Fürsprecher der Einheitsfront des Proletariats; sie forderte die Einbe- rufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeitertages, an dem alle Arbeiterorgani- sationen teilnehmen sollten und auf dem alle grundsätzlichen und parteipoliti- schen Gegensätze zu unterlassen seien.(45) Für den Kongreß wurde von der »Schöpfung« folgende Tagesordnung vorgeschlagen: 1. Der Verzicht auf Profitwirtschaft, gemeinsames Tragen von Last und Leid 2. Kontrollausschüsse zur Überwindung der Produktion und Betriebsräte gewählt aus den gesamten Gewerkschaftsorganisationen 3. Fristeröffnung an Regierung und Untemehmerschaft 4. Generalstreik des ganzen deutschen Proletariats im Falle der Ablehnung.(46) Besonders bei den Bergarbeitern wurde der Vorschlag der »Schöpfung« begrüßt; auf zwei Zechenversammlungen wurden alle Arbeiterorganisationen aufgefordert, den Vorschlag der »Schöpfung« in die Tat umzusetzen.(47) Im Bezirk Zoo in Düsseldorf wurde ein provisorischer Ausschuß zur Bildung der Einheitsfront von Funktionären aller Richtungen gebildet. Es wurde betont, daß die Einheitsfront des Proletariats nicht von oben geschaffen werden könnte, sondern nur, wenn alle Arbeitsbrüder von den Christen, den Sozialdemokraten aller Schattierungen, bis hin zu den Syndikalisten in den Versammlungen ihres Bezirks oder des Distrikts zeitweise zusammen kommen, über wirtschaftliche Dinge diskutieren, ihre par- teipolitische Meinung zu Hause lassen und sich als Arbeitsbrüder kennen und achten lemen.(48) Auch in Elberfeld wurde ein provisorischer Ausschuß zur Bildung der Einheits- front aus Funktionären aller Richtungen etabliert. Auf einer Versammlung am 114 2.10.1921, auf der 200 Personen anwesend waren, erging folgender Aufruf: 1. Einheitliche Forderungen an die Unternehmer und an den Staat. 2. Gemeinsame Forderungen zur Sicherung der Lebensbedingungen der Lohnarbei- ter, Befreiung der Arbeiter aus der Lohnsklaverei; Beseitigung jeglichen Profits 3. Einberufung eines allgemeinen deutschen Arbeitertages, der Beschluß fassen soll über die Forderungen der Arbeiterschaft über Kampfbeginn und Kampfme- thode.(49) Der Ausschuß führte noch drei weitere Veranstaltungen durch mit folgenden Themen: am 6.11.1921 »Einigung der Arbeiterklasse«,(50) am 4.12. »Wie sichert sich die Arbeiterschaft der Zukunft?«(51) und am 8.2.22 »Ist das Recht der Arbeitsniederlegung in Gefahr?«(52) Die Aufrufe schienen in der Wuppertaler Arbeiterschaft keine große Resonanz gefunden zu haben, da bei den Veranstaltungen nie mehr als 200 Personen anwesend waren; einen Redner veranlaßte dies zu der Bemerkung, daß das Proletariat noch nicht genug gehungert habe, »sonst müßte der Saal voll sein. «(53) Miteintscheidend für die geringe Resonanz der Versammlungen war sicherlich die Tatsache, daß USPD und SPD vor dem Besuch der Veranstaltungen warnten. Die Bäuernfängerei größeren Stils versucht wiederum der sogenannte 'proviso- rische Ausschuß zur Bildung der Einheitsfront' ... Es gibt leider auch in unserer Partei unverbesserliche Schwarmgeister, die sich einbilden, auf diesem Wege könne die gewiß bitter notwendige Einheitsfront der Arbeiterschaft hergestellt werden. Die Partei als solche hat mit dem Unternehmen nichts zu tun. Es handle sich in Wirklichkeit um ein Schwindelmanöver der Kommunisten und Syndika- listen, die auf diese Weise versuchen wollen, ihre stark gelichteten Reihen durch Mitglieder der SPD und USPD aufzufüllen.(54) Die Geschäftskommission der FAUD stand der Einheitsfront ablehnend gegen- über. Im März 1921 war es zur Bildung eines Aktionsausschusses zwischen A.A.U. und FAUD gekommen, der von der Geschäftskommission heftig be- kämpft wurde, da in den Vereinbarungen die »Diktatur des Proletariats« als Übergangsstadium anerkannt wurde.(55) Die Geschäftskommission vertrat den Standpunkt, eine Kampfeinheit wäre nur in Zeiten des »aktuellen Klassen- kampfs« möglich, bis dahin sollte von syndikalistischer Seite immer auf die »Vergeblichkeit der Bemühungen aller Staatssozialisten von der SPD bis zur A.A.U. hingewiesen werden.(56) 115 es FIrBer: Aa be 116111101111111BZWiliMa ® Arbeiter! Arbeiterinnen! Männer und Frauen! Schon röcheln h den deutschen Zuchthilusern EureKameraden, die infolge des vo vulta erstrefals luf ihre letzte Stunde warten, die sie aus den Krallen der Klasscnlustiz entreisen soll. 1. n,tihr_es zulassen, ohne Euch dagegen zu empören, daß die Besten und Edelsten Euch entrissen wefss, durch die Niedertracht Eurer Bedrücker. Kapitalisten und ihre schmarotzenden Sllidner rösten zum Tdumpfzng, der fiber die LeStCbeln Eurer Bruder hrcitet, rum sicheren Ziel der Ilnalersten Reaktion, Mir sie gilt es das letzte Hindernis zu diesem Ziele zu be- 'Iugen. Brüder! Schwestern! Menschen! An Euch richten wir uns, die ihr noch ein pulsierendes Herz unter Eurem Arbeitskittel tragt. Wer wagt es noch — aus kleinlichem Partelboder — sich In die Reihen eines Nerzlosen Gesindels ‚stellen? -- Seid Such bewußt, daß Euer Schicksal mit dem Furor schmachtenden Kameraden, mit Pausend landen verl nUpft äsf! Wenn Ihr Oeschick beendet. Dos Eure sich dann wended t 37 Befreiung Mens chen an Euch verlassen, weil Ihr ale verlassen hakt. Noch Ist es Zell, wean Ihr entschlossen und geschlossen, Euch, den Tageszank vergessend, ihr die rt Kameraden einsetzt. rs 10110 Oiiu?, neesigji 113011 110110f ’ hint In Massenf Gerechtigkeit besiegt Gowalll! Die Demonstrationsversammlung findet statt ItLii, all srEdfesluU egayküg UMDIT duog am Stndlthenter. Aulstellung am. Stadttheater,. A.A.U. K.A.P.D. P, A. U, D. (Syndikalistenl. Föderation der Metallarbeiter. Föderation der Dannrbever. Fürderallon der Holzarheiter. Pörderallon der Kommunalarheiler. Syndlikatlsilscher Frauenbund. Revolutionäre Jugend ZellungsdrudoUexeliechnil nt, b. H. DUsseldorf - 116 2.Die Diskussion über das Betriebsrätegesetz Im Februar 1920 wurde das Betriebsrätegesetz verabschiedet. Die inhaltlichen Bestimmungen des Gesetzes blieben weit hinter den Forderungen der Betriebs- rätebewegung zurück: Die FAUD lehnte das Gesetz ebenso wie das Tarif- und Schlichtungsssystem ab.(57) Uneinigkeit bestand darüber,inwieweit sich die Organisation aus taktischen Gesichtspunkten an den Betriebsratswahlen beteiligen sollte. Die Debatte darüber war auf allenKongressen der FAUD bis Ende der zwanziger Jahre Gegenstand heftiger Diskussionen. Auf dem 14. Kongreß wurde beschlossen, daß die Beteiligung an den Wahlen grundsätzlich abzulehnen sei, es aber den einzelnen Mitgliedern der FAUD freigestellt sei, sich zu beteiligen.(58) Die Diskussionen über die Wahlbeteiligung waren aber nicht nur rein prinzipieller Natur, sondern stark bestimmt von den konkreten Erfahrungen vor Ort. Heinrich Reuß (Mülheim) trat für eine flexible Regelung ein. In Betrieben, wo die FAUD stark genug sei, ohne Betriebsräte ihre Interessen durchzusetzen, sei eine Wahlbeteiligung abzulehnen. Sei dies nicht der Fall, spräche ersich für eine Wahlbeteiligung aus; der Betriebsrat könne Einfluß nehmen auf Entlassungen und Einstellungen, ihm sei es möglich gewesen, mit Hilfe der Betriebsräte Genossen Arbeitsstellen zu besorgen; syndikalistische Betriebsräte sollten auf die gesetzlichen Bestimmungen pfeifen und sich auch nicht freistellen lassen. Was die prinzipielle Seite anbelange, müsse zwischen gesetzgebender und gesetzlich sanktionierter Institution differenziert werden. Er sei der Meinung, daß in dieser Frage die taktische die prinzipielle Seite bedeutend überwiege.(59) Der Hamborner Delegierte auf dem 14. Kongreß nahm eine ähnliche Position ein: Wir müssen Theorie und Praxis unterscheiden. Das Betriebsrätegesetz hat aller- dings eine große Kornuption erzeugt. Wir in Hambomn haben sie dadurch abge- dämmt, daß unsere Betriebsräte nur ein Vierteljahr dem engeren Ausschuß ange- hören dürfen. Wenn wir die Beteiligung an den Betriebsräten überhaupt ablehnen, dann werden viele unserer Bergarbeitergruppen auf 10 Mann zusammenschmel- zen. Mit dreitausend Mitgliedern kann ich in Hambom aber mehr für die soziale Revolution leisten als mit zehn. Unsere international zusammengewürfelten, oft unbeholfenen Mitglieder in Hamborn brauchen den Betriebsrat zu ihrer Vertre- tung.(60) Von den Gegnern der Betriebsräte wurde eingewandt, das Betriebsrätegesetz lähme die Revolutionäre und führe zur Korruption. Alfred Metz (Duisburg) führte auf dem 14. Kongreß aus: Bei unseren Mitgliedern ist die Antipathie gegen die Betriebsräte so groß, daß ich einen anderslautenden Beschluß nicht vertreten könnte...Nicht umsonst nennt man bei uns die Betriebsräte Speck- und Schnapsräte.(61) 117 In Elberfeld war es wegen der Betriebsräte zur Zersplitterung der Metallarbeiter- Föderation gekommen. Nach Darstellung von Hans Schmitz (FAUD Elberfeld) hatte der Syndikalist und Obmann des Betriebsrates der Firma Jäger, Glittenberg, der Entlassung von 150 Arbeitern zugestimmt; der Betriebsrat der Firma bestand in der Mehrheit aus Syndikalisten. Auf einer Betriebsversammlung hatte er den Vorschlag von Hans Schmitz, die Entlassung mit allen Mitteln zu verhindern, als Phrase und Unsinn bezeichnet und sich gegen eine offene Abstimmung ausge- sprochen, mit dem Hinweis, daß dies von der Direktion nicht erwünscht sei. Nach den Entlassungen seien dann in der Firma Überstunden geleistet worden.(62) We- gen Veröffentlichung dieser Vorgänge im »Syndikalist«, die nach Darstellung seiner Kontrahenten »wahrheitswidrig und verleumderisch« seien, wurde Hans Schmitz aus der Metallarbeiter-Föderation Elberfeld ausgeschlossen.(63) Die Arbeiterbörse Elberfeld solidarisierte sich mit Schmitz. Kurze Zeit später wurde der Ausschluß revidiert; auf dem Kongreß der Metallarbeiter-Föderation der FAUD war es einer Kommission gelungen, eine Einigung der beiden Parteien zu erreichen. (64) Schmitz bezeichnete seine Kontrahenten als Reformisten; die Elberfelder Metallarbeiter hatten auch eine Arbeitslosenversicherung eingeführt, was gegen die Statuten der FAUD verstieß.(65) Diese Genossen bilden innerhalb des Syndikalismus eine reformistische Richtung, die wohl gute Sozialdemokraten sind, aber keine Syndikalisten.(66) In einem weiteren Artikel in der »Schöpfung« präzisierte Schmitz seine Kritik am Betriebsrätegesetz. Mit eigener Tatkraft müßten die Syndikalisten eigene Insti- tutionen in den Betrieben schaffen; in jeder Abteilung sollten Vertrauensmänner gewählt werden, die die Belegschaft mit den Verhältnissen im Betrieb vertraut machen müßten, syndikalistische Agitation betreiben und vor allem »in jeder Bewegung für die Interessen der Arbeiter ausschlaggebend eingreifen.«(67) Zwischen dem Betriebsrätegesetz und dem Syndikalismus bestehe ein prinzi- pieller Unterschied: DerFörderalismus, die Organisationsform des Syndikalismus, gründet sich auf der Individualität der Person, stärkt die Energie, den Charakter jedes einzelnen. Ohne dies ist der Syndikalismus nicht lebensfähig. Das Betriebsrätegesetz birgt das Vertrauenssysteme in sich und vernichtet die Individualität, wirkt lähmend, wie uns die Praxis zeigt, auf die revolutionäre Energie des Arbeiters und führt zur Korruption. Unsere Aufgabe muß es sein, jeden Arbeiter zur Persönlichkeit zu erziehen, damit er selbst den Mut findet, vor den Ausbeuter hinzutreten, ihm die Heuchlerfratze herunterzureißen. Wir dürfen nicht vordem Kriechertum, das vor dem Ausbeuter auf dem Bauche rutscht, Konzessionen auf die Preisgabe unserer Ideen machen; tun wir es, so liefern wir den Syndikalismus der Verfäulnis und der Korruption aus.(68) Obwohl die Beteiligung an den Wahlen zu den gesetzlichen Betriebsräten tendenziell in der FAUD abgelehnt wurde, gab es vor allem im Bergbau relativ 118 viele syndikalistische Betriebsräte. Im Jahre 1920 stellte die FAUD im Ruhrbergbau 340,(69) im Jahre 1921, 120 Betriebsräte.(70) Der »Syndikalist« kommentierte das Ergebnis zu den Betriebsrätewahlen im Ruhrbergbau wie folgt: Wir müssen gestehen, daß uns das Wahlergebnis der Syndikalisten auch nicht gefällt. Nicht aber um deswillen, daß zu wenig, sondern viel zu viel sich an den Betriebsrätewahlen beteiligt haben. Volle Befriedigung und reine Freude hätte es bei uns ausgelöst, wenn nicht nur gar kein Syndikalist gewählt worden wäre, sondern wenn kein einziger Syndikalist sich an der Wahl beteiligt hätte.(71) In der Metallindustrie stellte die FAUD im Bereich des Bezirks Essen des DMV, der das westliche Ruhrgebiet und das bergische Land umfaßte, 1922: 125 und 1923/24: 81 Betriebsräte.(72) In der Textilindustrie stellte sie in der untersuchten Region 1921: 45, 1922: 54 und 1924: 72 Betriebsräte.(73) 3 .Die Organisation der FAUD Die organisatorische Entwicklung der FAUD war zunächst durch äußere Um- stände sehr erschwert. Infolge des Kapp-Putsches waren viele Ortsvereine zer- stört, viele führende Mitglieder der Organisation fielen im Kampf, wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt oder mußten fliehen.(74) Erschwerend kam hinzu, daß die FAUD durch ihr rapides Wachstum bei weitem nicht über genügend propagandistisch und organisatorisch befähigte Mitglieder verfügte, um den komplizierten anarcho-syndikalistischen Organisationsaufbau in die Praxis umzusetzen.(75) Wir erwähnten, daß sich in der FAUD das Industrie- gegenüber dem Berufsver- bandsprinzip durchsetzte, gleichwohl bestanden bis 1933 Berufsföderationen. Vorgesehen waren in der FAUD zwölf Industrieföderationen auf Landesebene.(76) Zum Zeitpunkt des Gründungskongresses bestanden vier: (77) 1.Föderation der Bergarbeiter 2.Föderation der Bauarbeiter 3.Föderation der Metall- und Industriearbeiter 4.Föderation der Kommunal- und Verkehrsarbeiter 1922 kamen noch zwei weitere hinzu:(78) 5.Föderation der Holzarbeiter 6.Föderation der Textil- und Bekleidungsarbeiter Die organisatorischen Schwierigkeiten zeigten sich u.a. darin, daß viele Orts- vereine ihren Verpflichten gegenüber den jeweiligen Föderationsleitungen und der G.K. nicht nachkamen, und keine Fragebögen über den Stand der Organisation 119 beantworteten. Teils lag dies an ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den Ortsvereinen und der Geschäftskommission; in vielen Fällen war es aber auf mangelnde, organisatorische Fähigkeiten vieler Mitglieder zurückzuführen.(79) Für die geringe organisatorische Durchdringung der FAUD sprach auch die Tatsache, daß in vielen Ortsvereinen keine Industrieföderationen gebildet wur- den, sondern alle Mitglieder in der »Freien Vereinigung aller Berufe« zusam- mengefaßt waren. 1922 hatte die FAUD 502 Ortsvereine in mehr als 400 Orten, es bestanden 214 Freie Vereinigungen aller Berufe, 43 der Bauberufe, 126 der Bergarbeiter, 80der Metallarbeiter, 5 der Holzarbeiter, 12 der Verkehrsarbeiter, 2 der Lagerarbeiter, je 1 der Kopfarbeiter, Glaser und Töpfer.(80) Die Metallindustriearbeiter-Föderation entwickelte sich wie folgt: 1920 1921 1922(81) Ortsvereine 39 83 107 Entsprechende Daten über die Verteilung im Rheinland liegen nicht vor; im Mai 1922 existierten im Bereich der späteren Provinz Arbeitsbörse Rheinland 110 Ortsvereine der FAUD. Dort bildeten die Metall- und Bergarbeiter die stärksten Ortsvereine. Organisatorisch am weitesten fortgeschritten waren die OrteDüs- seldorf und Mülheim mit jeweils 5 Industrie- bzw. Berufsföderationen.(82) Im Gebiet des heutigen Wuppertal bestanden jeweils »Freie Vereinigungen aller Berufe«; ebenso in Elberfeld, Barmen, Vohwinkel und Sonnborn, Metallarbeiter-Föderationen in Elberfeld, Barmen und Vohwinkel, Bauberufe in Elberfeld. Besondere organisatorische Schwierigkeiten ergaben sich bei der Streikunterstützung, die bis 1930 nicht zufriedenstellend gelöst wurde. Jedes Mitglied war verpflichtet, mindestens ein Prozent des Wochenverdienstes als Beitrag zu zahlen; die jeweilige Höhe der Beiträge wurde von den Ortsvereinen autonom geregelt. Im Falle eines Streiks galt zunächst eine Karenzzeit von drei Tagen. Mindestens zwei Wochen mußte der jeweilige Ortsverein für die strei- kenden Mitglieder Streikgelder zahlen. Waren nach dieser Zeit keine finanziellen Mittel mehr vorhanden, so waren alle der FAUD angeschlossenen Organisationen zur Unterstützung des Kampfes verpflichtet. Aus diesem Grunde waren alle Ortsvereine zur Bildung eines Solidaritätsfonds verpflichtet. Erging von der G.K. bzw. den Föderationsleitungen ein Aufruf zur Solidarität, so waren die Ortsvereine verpflichtet, der Föderationsgeschäftsleitung bzw. der G.K. im Falle der freien Vereinigungen aller Berufe, mindestens 1 Prozent des Wochenlohns pro Mitglied zur Verfügung zu stellen.(84) Sowohl die Beitrags- wie auch die Solidaritätsleistung waren sehr unter- schiedlich. In vielen Ortsvereinenwurde der geforderte Mindestbeitrag nicht erhoben; 1922 schwankten die Beiträge einzelner Ortsvereine zwischen 10.- und 120 60.-RM.(85) Einen interessanten Einblick auf die von Ortsvereinen erhobenen Solidaritätsgelder ergibt eine Statistik der G.K. aus dem Jahr 1922. Einen Fragebogen bzgl. der Solidaritätsleistungen beantworteten 325 von 502 Orga- nisationen. Demnach brachten an Solidaritätsleistungen auf:(86) Zahl der Ortsvereine Mitglieder Solidaritäts- leistung pro Kopf in Mark Alle Berufe 113 15655 137 Mark Bauarbeiter 30 4620 102 Mark Metallarbeiter 73 21259 83 Mark Verkehrsarbeiter 16 2261 75 Mark Holzarbeiter 4 732 342 Mark Bergarbeiter 79 11594 22 Mark An der Tabelle ist folgendes bemerkenswert: — die größten Solidaritätsleistungen wurden von den Berufsgruppen erbracht, die schon vor 1914 in der Organisation waren und in denen die gewerkschaftliche Mentalität der Mitglieder wahrscheinlich sehr ausgeprägt war. Hier handelte es sich vor allem um Gruppen mit besonders hohem Handwerkeranteil.(87) — bei den nach 1918 hinzugekommenen Organisationen fallen vor allem die deutlich niedrigeren Solidaritätsleistungen der Bergarbeiter auf. Der FAUD gehörten vor allem die ungelernten Bergarbeiter im westlichen Ruhrgebiet an. Wie wir erwähnten, war die gewerkschaftliche Erfahrung dieser Mitglieder sehr gering. Erhard Lucas nennt in seiner Untersuchung über Hamborn u.a. zwei Charakteristika dieses "Arbeitertyps', Unsicherheit der Zukunftsperspektive und Zielgerichtetheit auf Unmittelbarkeit.(88) Beides Eigenschaften, die eine langfristige Gewerkschaftsarbeit sehr erschwerten. Der Ausbau der Arbeiterbörsen verlief mit ähnlichen Schwierigkeiten wie bei den Industrieföderationen. Auf der 1. Reichsarbeiter Börsen Konferenz der FAUD waren von rund 500 Ortsvereinen nur 200 einer Arbeiterbörse ange- schlossen.(89) Über die genaue Anzahl der Arbeiterbörsen im Rheinland stehen keine sicheren Daten mehr zur Verfügung. Soweit sich dies aus dem Vereinsan- zeiger des »S yndikalist« entnehmen ließ, bestanden Arbeiterbörsen inden Jahren 1920-1924 in Aachen, Düsseldorf, Duisburg, Elberfeld,(90) Hamborn, Krefeld, Köln, Mönchengladbach und Solingen. Kreis-bzw. Bezirksarbeiterbörsen in Aachen, Düsseldorf, Köln, Elberfeld,(91)Mülheim und linker Niederrhein (Kre- feld, Mönchengladbach...). Eine Provinz-Arbeiterbörse Rheinland wurde erst 1924 gebildet, da in den jeweiligen Orten die organisatorischen Voraussetzungen noch nicht geschafft waren.(92) Die Funktion der Provinzbörse nahm die in der Organisation umstrittene 121 Agitationskommission Rheinland wahr. Zum Aufgabenbereich der Arbeiterbörsen gehörte vor allem die Regelung der Solidarität im Falle eines Streiks im jeweiligen Börsenbezirk, die Agitation und die Bildung der Mitglieder. Das Regulativ der Arbeiterbörse Düsseldorf sah zehn Kommissionen vor: 1.Rechtsschutzkommission 2.Pressekommission 3.Unterstützungskommission für Inhaftierte und deren Angehörige 4.Agitationskommission 5. B ildungskomm i ssion 6.Frauen- und Jugendkommission 7.Kommission für freigeistige Bestrebungen 8.Kommission zur Behandlung sozialer Gegenwartsfragen 9.Kommission für freie Berufe und geistige Arbeiter 10.Rätedurchbildungskommission.(93) Die Arbeiterbörse Elberfeld hatte 1923 eine Agitations-, Bildungs- und Inhaf-tiertenkommission. Die Agitationskommission war für die Herausgabe von Flugblättern verant- wortlich, führte Veranstaltungen zu aktuellen Themen durch, oftmit auswärtigen Referenten,(94) und warb für syndikalistische Ideen auf den Veranstaltungen anderer Organisationen.(95) Die Bildungskommission verwaltete die organisa- tionseigene Bibliothek, (96) führte regelmäßige »wissenschaftliche Vorträge und Vorlesungen« in Esperanto und Stenographie durch.(97) Zusätzlich wurden öffentliche Veranstaltungen zu Schul- und Frauenproblemen durchgeführt.(98) Die durchschnittliche Teilnahme von 100-150 Personen an den Veranstaltungen läßt auf die Zahl der am Organisationsleben Beteiligten schließen. Regelmäßig wurde auf Veranstaltungen über die mangelnde Beteiligung der Mitglieder geklagt. Im Vorstand der Arbeiterbörse Elberfeld waren in den Jahren 1920-23 ein Stamm von 5-10 Personen regelmäßig vertreten.(99) Dieser Mangel an organisatorisch und agitatorisch befähigten Leuten kam im Regulativ der Düsseldorfer Arbeiterbörse zum Ausdruck. Dort wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, »daß nur genügend qualifizierte Genossen«(100) als Börsendelegierte gewählt werden sollten. Zum Zeitpunkt des Gründungskongresses hatte die FAUD im Bereich der späteren Provinz-Arbeiterbörse Rheinland nach eigenen Angaben 50.000, im ganzen Reichsgebiet 111.675 Mitglieder. Im Rheinland hatte die Bewegung zu diesem Zeitpunkt ihre numerisch größte Stärke erreicht, da sie durch die Grün- dung der FAU-Gelsenkirchener Richtung und der AAU viele kommunistisch orientierte Mitglieder verlor. Gleichwohl gelang es der FAUD in den Jahren 1920/21 noch neue Ortsvereine zu gründen, so z.B. im Aachener Steinkohlerevier, wo sie in ihrer Blütezeit4.500 Mitglieder hatte.(101) Auf dem Höhepunkt ihrer zahlenmäßigen Entwicklung im 9399119914 mm m Ytr $relea 4IrYNlaeLalsa (139i1ilkollfka) 4tlitialsi141I9(t(atcas. 2Bany Art E„vr.eet beery au, E.am.aa ma.- Stan. b.Llelmn. Itr n.k.m.. e.141e011 go.-111"] - aa.n.eta.Y W eeele.: NEE ende ren c0eAlm. 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"4119:dt ‚11, In, nilbinmn Barren Dt rbernirichuung N Bfenbiabeget in bet Rol by. 914i. b, in bnaaw4 ‚railer 3.14 bet S.,mMli4un ban p b: non ber abri4,iebab 123 Jahre 1921 hatte die FAUD ca. 150-200.000 Mitglieder.(102) Ab Anfang 1922 ging die Bewegung kontinuierlich zurück, im Mai 1922 waren auf dem Kongreß der rheinländischen Organisation 97 Delegierte, die 23.530 Mitglieder vertra-ten.(103) Die Mitgliederzahl sank rapide im Verlauf des Inflationsjahres 1923/24, demzufolge sank die Auflage des Verbandsorgans »Der Syndikalist« von 120.000 im Jahre 1921, auf 21.000 im Jahre 1924.(104) 4.Ursachen des Mitgliederrückgangs in der FAUD (AS) Die Ursachen für den rapiden Mitgliederverlust ab 1923 sind sehr vielschichtig. Wesentlichster Faktor war die Inflation; auch der ADGB erlebte einen Mitgliederexodus; er verlor fast die Hälfte seiner Mitglieder. Eine Tabelle über die Mitgliederentwicklung in Verwaltungsstellen des DMV zeigt, daß die Verluste der freien Gewerkschaften teilweise noch verheerender waren als für die FAUD:(105) Verwaltungsstelle Mitglieder / jeweils Ende des Jahres 1918 1919 190 191 192 1923 1924 Barmen 6.276 14.174 13.998 13.370 13.353 10.572 4.292 Düsseldorf 16.597 27.467 28.122 29.122 26.937 19.840 4.327 Duisburg 13.885 18.152 17.033 13.974 10.551 10.134 2.025 Mülheim/R. 6.195 4.536 3.730 4.006 2.970 2.971 1.110 7.Bezirk Essen 136.262 140.49 143.106 117.811 108969 29.865 Zu der Tabelle ist folgendes zu bemerken: Die DMV-Mitgliederverluste im Jahre 1922 sind wahrscheinlich auf den großen wilden Streik in Düsseldorf und in Essen bei Krupp zurückzuführen; die Mitgliederverluste für Düsseldorf 1921 beruhen offensichtlich auf dem verlorengegangenen Streik desselben Jahres.(106) Die Verluste für Duisburg im Jahre 1921 sind zurückzuführen auf einen »wilden« Streik auf der August-Thyssen-Hütte in Hamborn.(107) In Mülheim ist deutlich der große Einfluß der FAUD zu erkennen, es ist die einzige Verwaltungsstelle, die nach 1918 keinen Zuwachs zu verzeichnen hatte. Mitverantwortlich für die katastrophalen Verluste in den Jahren 1923/24 waren neben der materiellen Verelendung während der Revolution die Einstellung der Erwerbslosenunterstützung durch die Gewerkschaften und die Enttäuschung, daß 124 die Gewerkschaften die Abschaffung des 8-Stunden-Tages nicht hatten abwehren können.(108) Es ist auch davon auszugehen, daß der größte Teil der 1923/24 ausgetretenen FAUD-Mitglieder nicht zu den freien Verbänden wechselten, sondern aus Resignation über die Niederlage sich keiner Gewerkschaft mehr anschlossen. Dies bestätigten die Verbandsstatistiken des DMV:(109) Übertritte von FAUD zum DMV 1921: 1966 1923: 1615 1924: 339 Im Zusammenhang dieser Übertritte steht eine weitere wesentliche Ursache für den Rückgang der anarcho-syndikalistischen Bewegung: der Druck seitens der Zentralverbände, die die FAUD-Mitglieder als Unorganisierte betrachteten undsomit aus den Betrieben drängten. Sowohl in der »Schöpfung« als auch im »Syndikalist« waren regelmäßige Rubriken »Vom Terror der Zentralverbände«. (110) Da von Entlassungen besonders radikale Arbeiter betroffen waren und in vielen Betrieben die FAUD sich nicht an den Betriebsrätewahlen beteiligte, verlor sie in vielen Fällen ihren innerbetrieblichen Einfluß. Der Ruhrkampf und die rheinische Separatistenbewegung hatten der FAUD ebenfalls stark zugesetzt: 1. da sie sich weigerte, anläßlich der Ruhrbesetzung wie z.B. die KPD in das Geschrei gegen die französischen Imperialisten einzustimmen und deshalb als »Franzosenfreund« und »Verräter« angegriffen wurde. 2. in einigen Orten FAUD-Mitgliederzurrheinischen Separatistenbewegung übergingen (111) und die Organisation als Ganzes als Separatistenbewegung denunziert wurde, obwohl sie diese entschieden ablehnte. Auf einer Konferenz der rheinländischen Organisationen wurde folgende Resolution verabschiedet: Zwingt schon die antistaatliche Einstellung die Syndikalisten, die rheinische Sonderbündlerbewegung abzulehnen, so zeigt sich auf wirtschaftlichem Gebiete erst recht, daß es sich um rein kapitalistische Machtinteressen handelt. Die Errichtung einer Rheinlandrepublik wird von den französischen Kapitalisten begünstigt und von seinem Schildknappen, dem französischen Militarismus unterstützt... Auf der anderen Seite sehen die deutschen Kapitalisten ihre Alleinherrschaft bedroht und unterstützten auf jede Weise die großdeutsche und nationalistische Bewegung. Die Konferenz erklärt, sich weder in das Schlepptau der einen noch der anderen nehmen zu lassen. Sie weiß die Abneigung gegen die sich immer mehrhäufenden Gewaltmethoden derreaktionären preußisch-deutschen Regierung, sowie gegen die Untätigkeit und nationalistische Politik der reformistischen Zentralverbände und der politischen Parteien zu würdigen, sie 125 sieht jedoch in der Beteiligung an der ewegung eine Preisgabe der Grundsätze des Syndikalismus. Syndikalistische Organisationen, die in ihren Reihen Mitglieder dulden, die sich für die Separatistenbewegung einsetzen, stellen sich außerhalb der FAUD.(112) Unter welchem Druck die FAUD im Rheinland auch von Seiten der Arbeiter- organisationen stand, zeigt u.a. ein Artikel des Oberhausener Generalanzeigers: Gewerkschaften und Kommunisten gegen Syndikalisten im Ruhrgebiet: Wie ich höre, haben die Kommunisten es abgelehnt, mit Syndikalisten im Ruhrgebiet gemeinsame Sache zu machen. Die Vertreter der Gewerkschaften fordern von der Regierung, daß die schärfsten Mittel gegen die Syndikalis ten angewendet werden; und wie ich höre, ist jetzt beschlossen worden, alle zu entlassen, die in französische Dienste treten. Man will die Führer der Bewegung verhaften und beabsichtigt, die Leiter zu beseitigen. Bei den Arbeitgebern ist in Aussicht genommen, über die syndikalistischen Anhänger einen strengen Boykott zu verhängen. Sie sollen fortan im Ruhrgebiet geächtet sein, da sie eigenen Kollegen in den Rücken fielen. Von der Regierung erwirken die Gewerkschaften, daß sie dem weiteren Treiben der Syndikalisten den Boden entzieht. (1 13) Infolge des militärischen Ausnahmezustandes vom November 1923 bis Anfang März 1924 war die FAUD verboten,(114) dies wird zu ihrer weiteren organisatorischen Destabilisierung beigetragen haben. Daß noch regelmäßig der »Syndikalist« erscheinen konnte, verdankte die FAUD der Solidarität der ausländischen Schwesterorganisationen.(115) Fritz Kater und Carl Windhoff machten alleine die »Individualanarchisten« und Teile der anarchistischen Opposition für den Niedergang der Bewegung verantwortlich. Dies war natürlich stark überspitzt, traf aber im geringen Ausmaße zu. In Köln ging die FAUD von 3000 auf 500 Mitglieder zurück, aufgrund des Einflusses der Individual-Anarchisten.(116) Die anarchistische Opposition stand zuvor fest auf dem Boden der Organisation, aber durch ihre Einstellung, »daß nicht nur in den großen Mitgliederzahlen die Macht und die Stoßkraft einer Bewegung, sondern der geistige Hoch- oder Tiefstand eines jeden einzelnen Mitgliedes der Bewegung das Barometer ihrer Kraft«(117) sei, verlor sie zwangsläufig viele Mitglieder. Nach dem verloren- gegangenen Streik 1921 warf ein FAUD Mitglied in einem Artikel die Frage auf, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, sich an den Teilstreiks der Zentralverbände zu beteiligen. Die Streikunterstützung sollte generell wegfallen und die Mitglieder- beiträge für die Propagierung des Generalstreiks verwendet werden.(118) Aufgrund dieser Einstellung ergab sich, daß die FAUD in Düsseldorf in spontanen Erhebungen eine führende Rolle spielen konnte, aber nicht in der Lage war, viele Mitglieder an die Organisation zu binden. Für andere Orte wird dies ähnlich zutreffen. Die FAUD war ein Produkt der Revolutionsjahre 1918-1920, das Engagement in der Organisation war für viele Mitglieder verbunden mit der Hoffnung auf eine 126 baldige revolutionäre Umgestaltung. Als in den folgenden Jahren diese Hoffnungen enttäuscht wurden, war ein Großteil der Mitglieder nicht mehr bereit, die Entbehrungen materieller Art auf sich zu nehmen und zog sich resigniert aus dem politischen Leben zurück. Es ist auch davon auszugehen, daß das Engagement in der FAUD in vielen Fällen zu innerfamiliären Konflikten führte. Bei den Hauskassierungen(119) erhielten die Kassierer oft nur das Geld, wenn der Mann zu Hause war. Auf diesem Hintergrund ist der permanente Appell weitsichtiger FAUD-Mitglieder zu verstehen, die syndikalistischen Frauenorganisationen besonders zu fördern. Nicht zuletzt war der Rückgang der Bewegung auf organisatorische Fehler und Mängel zurückzuführen. So soll die Mitgliederzahl in einer Stadt des Ruhrgebiets wegen Abschaffung der Hauskassierung von 6000 auf 2000 Mann zurückgegangen sein.(121) 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 127 Anmerkungen Kapitel III Vgl. Feldman, Gerald D., Kolb, Eberhard, Rürup, Reinhard: Die Massenbewegung der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkrieges (1917-1920), S.103 Lucas, Erhard, Märzrevolution, Bd.3, S.431 Flechtheim, Ossip, K., Die KPD in der Weimarer Republik, S.152-158 Vgl. Bock, Hans-Manfred: Syndikalismus... S.225-236 Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.1 Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.27 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.7 Die Schöpfung, Jg.1 (1920/21), Nr.78 Vgl. Bock: Syndikalismus... S.179-188 Augustin Souchy (gestorben 1.1.1984) reiste als Vertreter der FAUD 1920 in die Sowjetunion. Vgl. seinen Bericht über diese Reise in ders.: Wie lebt der Arbeiter undBauer in Rußland und in der Ukraine. Zu seinem Gespräch mit Lenin, vgl. seine Memoiren: Vorsicht Anarchist! Reutlingen 1983, Grafenau 1985 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.35 An der Urabstimmung beteiligten sich 108 Organisationen der FAUD mit 25.561 Mitgliedern, von denen die Mehrheit gegen die Beschickung des Kongresses war. 300 Organisationen mit ungefähr 75.000 Mitgliedern beteiligten sich nicht an der Abstimmung. Vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.25 — Das Ergebnis vermittelt auch einen Eindruck, inwieweit sich die Mitglieder der FAUD für Beschlüsse, die über ihre unmittelbare Interessenvertretung hinausgingen, interessierten. Nestor Machpo hatte in der Ukraine eine anarchistische Bauernarmee aufgestellt und zunächst mit den B olschewiki gegen die zaristischen Truppen gekämpft. Nach deren Sieg wurden sie von den Bolschewisten brutal unterdrückt. Machno floh zunächst nach Deutschland und wurde dann von dem Aachener Anarcho-Syndi- kalisten Curt Moeller illegal nach Belgien gebracht (Interview mit Curt Moeller), danach ging er ins Exil nach Paris, wo er 1934 starb. (Curt Moeller starb am 14.1.1986, vgl. Nachruf von Peter Walter, in: Schwarzer Faden 2/86 Nr.21) Zur Machno-Bewegung, vgl. Stowasser, Horst: Die Machno-Bewegung; Serge, Victor: Memoiren eines Revolutionärs; Volin: Die unbekannte Revolution, 3 Bde. Vgl. Rocker, Rudolf: Der Bankrott des russischen Staats-Kommunismus, Berlin 1921 Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.1 ebenda, Das Sekretariat der IAA blieb bis 1933 in Berlin. Rudolf Rocker ging es wie dem Propheten, der im eigenen Lande nichts gilt. Er blieb bis zu seinem Tode die überragende Gestalt des internationalen Anarcho-Syndikalismus. Seine teilweise nicht in deutscher Spracheerschienenen Bücher erreichten in Spanien und den lateinamerikanischen Ländern Massenauflagen. Sein Hauptwerk »Nationalismus und Kultur«, in deutsch zuerst 1949 erschienen unter dem Titel »Die Entscheidung des Abendlandes«, Hamburg 1949, wurde von so berühmten Männern wie Bertrand Russell, Thomas Mann und Albert Einstein in höchsten Tönen ge- 128 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) lobt. Vgl. Wienand, Peter: Rudolf Rocker, S.13 Nach Ang aben der FAUD waren folgende Landesorganisationen auf dem Kongreß vertreten: Argentinien (200.000), Chile (20.000), Dänemark (600), Deutschland (120.000), Holland (22.500), Italien (500.000), Mexiko (30.000), Norwegen (20.000), Portugal (150.000), Schweden (23.000); vgl. Der Syndikalist, Jg.4 (1923), Nr.1 Die bedeutendste anarcho-syndikalistische Organisation, die spanische CNT, schloß sich 1923 derlAA an; vgl. Rudolf Rocker: Memoiren, S.230 Die FKAD bestand neben der FAUD bis 1933 und gab die Zeitschrift »Der Freie Arbeiter« heraus. Zur Geschichte dieser Organisation, vgl. Linse, Ulrich: Die Transformation der Gesellschaft durch die anarchistische Weltanschauung. Zur Ideologie und Organisation anarchistischer Gruppen in der Weimarer Republik, In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd.XI, 1971, S.289 »Die Schöpfung, Sozialrevolutionäres Organ für das sozialistische Neuland«. Die Zeitung erschien von August bis Dezember 1921 als Tageszeitung, dann als Wochenzeitung bis Januar 1924. Drewes war wahrscheinlich auch schon Mitarbeiter der Elberfelder »Schöpfung« Fritz Kös ter war ein Veteran der anarchistischenund syndikalis tischen Bewegung in Deutschland. Er gehörte zur Bewegung der »Jungen« in der SPD und war 1912 Redakteur der theoretischen Zeitschrift der »Freien Vereinigung«, weshalb es zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und Kater gekommen war. Köster war stark von Gustav Landauer beeinflußt, der nach seiner Meinung als Einziger »den Durchgeistigungsprozeß« in der »Freien Vereinigung« hätte fördern können. (Vgl. Die Schöpfung Jg.1, 1921/22, Nr.549). Fritz Köster starb im Dezember 1933. Vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.35, Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.39 Pierre Ramus (Pseudonym für Rudolf Großmann) wanderte als junger Mann in die USA aus; wegen führender Beteiligung an einem Streik wurde er dort zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt, floh nach London und gab dort eine anarchistische Zeitschrift heraus. Ramus zerstritt sich mit den dortigen Anarchisten (u.a. Rocker) und ließ sich dann in Wien nieder. (Vgl. Rocker, Rudolf: Memoiren, Bd.II, S.456). Ab 1918 gab er in Klosterneuburg bei Wien die anarchistische Zeitschrift »Erkenntnis und Befreiung« heraus. Mit den deutschen Anarchisten stand er in engem Briefkontakt, insbesondere mit dem Redakteur der »Schöpfung«, Heinrich Drewes. (Vgl. Briefwechsel Drewes — Ramus, im Nachlaß Ramus IISG Amsterdam). Ramus galt in anarchistischen Kreisen als Intrigant. Rudolf Rocker lehnte es Ende der 20er Jahre ab, zusammen mit Ramus aufzutreten, da dieser den ehemaligen Anarchisten Siegfried Nacht als Untersuchungsbeamten der stalinistischen Geheimpolizei denunzierte (Vgl. Wienand, Peter: Rudolf Rocker, S.347). Insbesondere in den anarchistischen Kreisen der Düsseldorfer FAU hatte er eine starke Anhängerschaft. Die Elberfelder FAU schlug ihn als Referent für den 13. und 14. Kongreß vor. (Vgl. der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.38, Jg.4 (1922), Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.19). Ende der 20er Jahre hatte Ramus in Elberfeld nicht mehr diese Sympathien; auf einer FAUD-Konferenz im Rheinland bat der Wuppertaler Delegierte Fritz Benner die Duisburger Genossen, Ramus nicht wie vorgesehen für eine antimilitaristische Kundgebung als Referenten zunehmen; Ramus wurde von 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 129 den Wuppertaler Anarcho-Syndikalisten aufgrund seiner strikt gewaltfreien Po- sition »Dr. Unblutig« genannt. Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.42 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.39 Vgl. zu den persönlichen Spannungen zwischen Kater und Köster, Anm.21, zwischen Rocker und Ramus, Anm.23 Zwischen Ramus und der Geschäftskommission war es zum Zerwürfnis gekom- men, weil dieser den Redakteur des »Syndikalist«, Franz Barwich, beschuldigte., ohne Angaben von Quellen aus einem seiner Bücher abgeschrieben zu haben. »Aus sachlichen Meinungsverschiedenheiten entsprießend, haben wir eine un- glaubliche persönliche Feindschaft kultiviert. Die hinter jeder Äußerung und Handlung des Gegners auf eine Unterstellung oder Schlechtigkeit schließt.« Später stellte sich heraus, daßderherausragendste Vertreter der Individualisten auf dem Kongreß ein besoldeter Spitzel der KPD war, mit dem Auftrag, die Orga- nisation zu zersetzen. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD 1925 in Dresden, S.24. Ober den 13. Kongreß der FAUD berichtete das Korrespondenzblatt des ADGB (1921, S.652) wie folgt »Katers weitere Klagen, daß die Bewegung jetzt durch alle möglichen Spintisierer und Eigenbrödler überflutet worden war, wurde durch die Zusammensetzung des Kongresses bestätigt. Da saßen in wallenden Lodenmänteln und merkwürdigen Kostümen Typen, die an Gustav Nagel erinnerten, jene sonderbaren Sektierer, die sich Individual-Anarchisten, Siedlungskommunisten und noch anders nennen. Sie sprachen auch und vertraten dabei eine Art mystischen Klosterideals. Keine Agitation in der Masse! Die Masse ist unfruchtbar, sammelt weise, sorgfältig geprüfte Auserwählte, die nur durch das Beispiel wirken.« —Zum Zusammenhang zwischen den zahlreichen Sekten und dem Anarcho- Syndikalismus vgl. Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, S.129-136. Die Diskussion ging zurück auf die kontroverse Debatte zwischen dem französi- schen Syndikalisten Pierre Monatte und dem Anarchisten Enrico Malatesta auf dem internationalen Anarchistenkongreß 1908 in Amsterdam. (Vgl. die Redebei- träge in: Oberländer, Emil: Anarchismus, Dokumente der Weltrevolution, Frei- burg und Olten, 1972). Vor dem 1. Weltkrieg war es auch in Deutschland zu Zerwürfnissen der beiden Richtungen über diese Frage gekommen. (Vgl. Der Syndikalist, Jg.6 (1925), Nr.22) Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.4 So in Wiesdorf, vgl. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.4 Der selbständige Bezirk Bilk hatte extrem anarchistisch, sektiererische Tendenz und wurde Ende 1922 aus der FAUD wegen organisationsschädigendem Verhalten ausgeschlossen, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.26 Die Schöpfung, Jg.l (121/22), Nr.66 Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.53 Vgl. Rocker, Rudolf: Das Prinzip des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralis- mus, Frankfurt 1979, S.26 ebenda 130 38) 39) 40) 41) 22) 43) 44) 45) 46) 47) Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51 ebenda Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.136/37 Windhoff hatte ein Rundschreiben an alle Organisationen verschickt, in dem er schwere Vorwürfe gegen das damalige Mitglied der A.K. und den späteren Separatistenführer Bertram Dietz erhob, der deshalb aus der A.K. ausscheiden mußte. Über den Inhalt des Schreibens existieren keine Quellen. Das feindselige Klima zwischen den Kontrahenten kommt in einem Brief des besagten Dietz an Pierre Ramus zum Ausdruck: »Der Genosse Karl Windhoff, ein Jünger Katers und Barwichs, ist augenblicklich in unseren Sitzungen der Gegenstand hitziger Aus- einandersetzungen und wird aus der Agitation hinausfliegen. Die vorwärtstreiben- den Geister bleiben Sieger.« Nachlaß Pierre Ramus, Mappe 6c; Brief von Bertram Dietz an Pierre Ramus vom 14.2.1922. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, daß die Opposition in der FAUD sich scharf von den »Individualisten« distanzierte. In Mengede war die vollständige Abschaffung der Mitgliedsbücher beschlossen worden. Drewes kritisierte dies als Auswüchse falsch verstandenen Anarchismus. Rudolf Oestreich war schon vor dem Kriege einer der führenden Männer des deutschen Anarchismus und war lange Jahre Redakteur des »Freien Arbeiter«. Oestreich gehörte zu den schärfsten Verfechtern eines anarchistischen Kurses der FAUD und führte die Sektiererei des deutschen Vorkriegsanarchismus fort. Ähnlich wie Ramus schreckte er nicht vor Denunziationen zurück, um seinen Einfluß geltend zumachen; seinen »Erzfeind Windhoff« denunzierte er im »Freien Arbeiter« als Streikbrecher (vgl. Der Syndikalist, Jg.6 (1922). Aus der FAUD wurde er 1927 wegen »fortgesetzter organisationsschädigender und unkamerad- schaftlicher Handlungsweise« ausgeschlossen. Seine anarchistische Haltung hielt ihn nicht davon ab, 1928 Rudolf Rocker wegen Beleidigungvor einem bürgerlichen Gericht anzuklagen. Vgl. Wienand: Rudolf Rocker, $.346; Vgl. Die Schöpfung, Jg .1 (1921/22); Nr.136/137. Es spricht nicht für die Glaubwürdigkeit der Kritik Oestreichs, daß er selbst drei Jahre in Berlin freigestellt war (vgl. Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.20) Auf dem Kongreß traten die Vertreter von 21.950 Mitgliedern für die B eibehaltung der A.K. ein; für die Abschaffung die Vertreter von 1.050 Mitgliedern. Nach dem Kongreß trennten sich noch weitere Ortsgruppen von der A.K., u.a. auch die Elberfelder. Im Oktober 1922 waren ihr noch 14.204 Mitglieder angeschlossen (vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.21 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.7 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.43 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.16. Bei den Bergarbeitern waren die Grenzen zwischen den linksorientierten Organisationen von jeher fließend. Im Februar 1922 schlossen sich die FAUD, FAU-Gelsenkirchener Richtung, AAU und AAU- Einheitsorganisation zu einer »Kampfgemeinschaft gegen die Arbeitsgemeinschaft und allen den sich aus der Politik derselben, gegen die oben genannten Organisationen ergebenden Maßnahmen« zusammen. (Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.12) 48) 49) 74) 75) 131 Die Schöpfung, Jg.l (1921/22), Nr.107 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.73. Im Ausschuß waren je zwei Vertreter von KPD, KAPD, SPD,USPD und FAUD vertreten (vgl. HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15409, Bl. 270 HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15997, Bl. 84 HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 15409, Bl. 269/70 ebenda, S.277 ebenda, S.270 Freie Presse Elberfeld, 3.12.1921 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.17 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.38 Vgl. den Kommentar nach der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes in: Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.9. Zum Betriebsrätegesetz allgemein, vgl. Korsch, Karl: Arbeitsrecht für Betriebsräte, Frankfurt 1964 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.51 Vgl. die beiden Artikel von Reuß zur Betriebsrätefrage, in: Die Schöpfung Jg.1 (1921/22), Nr.9 und Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.12 Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51 ebenda. Die Bezeichnung als Speck-und Schnapsräte rührte daher, daß zu den Aufgaben der Betriebsräte auch die Beschaffung und Verteilung von Lebensmit- teln gehörte; in vielen Fällen hatten sich die Betriebsräte persönlich bereichert. Vgl. Die Schöpfung, Jg .1 (1921/22), Nr.10 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.19 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.21 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.29 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.21 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.19 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.28 ebenda Vgl. Saurma-Jeltsch, Peter von: Der Syndikalismus in Frankreich und die syndi- kalistischen Tendenzen in der deutschen Arbeiterbewegung, Breslau 1920, S.53 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.24 ebenda Vgl. Der deutsche Metallarbeiter im Jahre 1924. Jahr- und Handbuch für Ver- bandsmitglieder, Stuttgart 1925, S.103 Vgl. Jahrbücher des Deutschen Textilarbeiterverbandes 1922, S.64 und 1922/23, S.143 Vgl. Der Syndikalist, Jg.2, Nr.27. Durch den Zuzug von syndikalistischen Berg- arbeitern aus dem Ruhrgebiet wurde die Bewegung im Aachener Steinkohlerevier wesentlich belebt. Vgl. Theissen, R., Walter, P., Wilhelms, J.: Anarcho-syndika- listischer Widerstand an Rhein und Ruhr. Nach Carl Windhoff fanden sich unmittelbar nach Kriegsende in Düsseldorf 7, in Hamborn 10-15 und in Elberfeld 5 ehemalige Mitglieder der »Freien Vereinigung« zusammen. In Anbetracht dieser Tatsache ist trotz der besagten organisatorischen Schwächen der Aufbau der FAUD mit zeitweilig 50.000 Mitgliedern im 132 76) 77) 78) 79) 80) 81) 82) 83) 84) 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) Rheinland eine organisatorische Leistung gewesen. Vgl. die Broschüre »Die Arbeiterbörsen im Syndikalismus«, Berlin 0.). Vgl. Protokoll des 12. Kongresses der FVdG Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.28 Vgl. das Referat Augustin Souchys auf dem 18. Kongreß der FAUD, in: Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses vom 29.5.-1.6.1930 in Berlin, Berlin 1930, und die Rechenschaftsberichte der G.K. und Föderationsgeschäftsleitungen auf den Kongressen dieser Zeit. Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.47 Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.2 und Jg.4 (1922), Nr.56 Das Differieren der Zahlen ergab sich aus den unzureichenden statistischen Unterlagen der G.K. und der Föderationsgeschäftsleitungen. In Düsseldorf: Föderation Alle Berufe, der Metall-, Bau-, Kommunal- und Ver- kehrsarbeiter, Holzarbeiter und Fliesenleger; in Mülheim: Alle Berufe, Bergbau-Metall-, Verkehrsarbeiter und Lederarbeiter. Die Aufgaben sind dem Vereinsanzeiger und den Listen über Solidaritätsgelder aus dem Syndikalist entnommen. Vgl. die Streikresolutionen der FAUD, in Oerter, Fritz: Was wollen die Syndika-listen, Berlin 1920, S.15 und die erweiterte, vom 14. Kongreß beschlossene Fassung im Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.52 Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.48 Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.47 Die Bauberufe bildeten das stärkste Kontingent in der Freien Vereinigung; bei den Holzarbeitern waren die Berliner Musikinstrumente-Arbeiter organisiert, wie zu vermuten ist, eine finanziell privilegierte Berufsgruppe. Vgl. Lucas: Arbeiterradikalismus, S.280/81 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.142 Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.34 Die Kreisarbeiterbörse Elberfeld wurde am 21.5.1922 gegründet; vgl. Der Syn- dikalist, Jg.4 (1922), Nr.22 Vgl. die Diskussion auf der rheinländischen Konferenz der Arbeiterbörsen im Oktober 1922, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.21 Die Schöpfung, Jg.1 (1921/22), Nr.73 Rudolf Rocker sprach in Elberfeld 1921 über »Freie Erziehung, freie Schulen im Sinne Francisco Ferrers, vgl. Die Schöpfung Jg.1 (1921/22), Nr.6; Fritz Köster: »Der Faschismus in Deutschland« im April1923 (vgl. HSTAD, Reg. D.,Pol.Akten, Nr. 16993, Bl. 19-21 Die Agitation der FAUD scheint teilweise recht erfolgreich gewesen zu sein: In einem Polizeibericht über eine Versammlung von Eisenbahnern in Elberfeld mit 800 bis 1000 Teilnehmern hieß es: »... Dann folgte der Syndikalist Schmitz (Elberfeld). Er griff die Führer der Gewerkschaften an, die bisher immer »ge- bremst« hätten; man solle sie zum Teufel jagen. Nur durch Selbsthilfe sei einzig und allein noch etwas zu erreichen.« (HSTAD, Reg. D., Pol. Akten, Nr. 16409, Bl. 213) 1930 hatte die B ibliothek der FAUD einen B es tand von ca. 1000 Bänden (Interview 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111) 133 mit A. Benner). Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.41 Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.32 In fast allen Vorständen der Orts- bzw. Kreisarbeiterbörse waren vertreten der Arbeiter Hans Schmitz, der Schlosser Otto Kocherscheidt, der Schlosser Julius Grunewald, der Bauarbeiter Reinhold Münch und der Schneider Hermann Stein- acker. Die Schöpfung, Jg.l (9121/22), Nr.73 Interview mit Curt Moeller Nach Schätzungen der politischen Polizei; vgl. Bundesarchiv Koblenz R 134, Bd.5, S.119; Bd. 9, S.57; Bd.15, S.103. Rudolf Rocker nennt in seinen Memoiren die Zahl von 150.000 Mitgliedern für das Jahr 1921. Der Syndikalist, Jg.3 (1922), Nr.20 Vgl. Der Syndikalist, Jg.2 (1920) und Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.17 Die Zahlen sind entnommen aus den Jahr- und Handbüchern des DMV 1919,1920, 1921, 1922, 1923, 1924, 1925; der 7. Bezirk Essen umfaßte das gesamte Ruhrgebiet von Düsseldorf bis Hamm. Die Verwaltungsstelle Barmen gehörte zum Bezirk Hagen. Vgl. Kap. V, Abschnitt 5 Vgl. Kap. V, Anm. 113 Ende 1923 wurde jegliche Erwerbslosenunterstützung von Seiten des DMV eingestellt. (Vgl. Der DMV im Jahre 1923), Ende 1923/Anfang 1924 gab es im ganzen Industriegebiet große Streiks gegen die Abschaffung des 8-Stunden-Tages. Vgl. Hand- und Jahrbücher des DMV, 1922, 1924, 1925 Die freien Gewerkschaften veröffentlichten in der Düsseldorfer Arbeiterpresse 1922 Erklärungen, daß alle Arbeiter, die nicht Zentralverbänden angehörten, als Indifferente betrachtet würden. Vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922/23), Nr.10 Die Gewerkschaftsbürokratie verbreitete auch des öfteren das Gerücht, daß nur Mitglieder der Zentralverbände den vollen Tariflohn erhalten würden. Vgl. Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 In einzelnen Betrieben kam es sogar zu von Gewerkschaftsfunktionären angezet- telten Streiks, damit syndikalistische Arbeiter entlassen wurden. Vgl. Die Schö- pfung, Jg.2 (1922/23), Nr.48/50 So in Düsseldorf, Krefeld, Mülheim/Ruhr, Mönchengladbach, Hamborn und Duisburg. Vgl. HSTAD Reg. D., Pol. Akten Nr. 17082, dem führenden Anarcho- syndikalisten Alfred Metz (Duisburg) wurde von separatistischer Seite der Ober- bürgermeisterposten angeboten, was dieser dankend ablehnte. (Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.25) Ein Führer der rheinischen Separatistenbewegung war das ehemalige FAUD- Mitglied Bertram Dietz aus Düsseldorf. Dietz kam über den linksradikalen All- gemeinen Arbeiter Verband in die FAUD, war zunächst im Vorstand der Düssel- dorfer Metallarbeiter-Föderation, dann aber ab Mitte 1920 besoldeter Funktionär der Agitationskommission Rheinland-Westfalen in Dortmund. Er gehörte zum extrem anarchistischen Flügel der FAUD und wurde nach Auseinandersetzungen 134 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119) 120) mit Carl Windhoff aus der Agitationskommiss ion Anfang 1922 ausgeschlossen. Aus der FAUD wurde er kurze Zeit später ausgeschlossen, agierte aber weiter im selbständigen Bezirk Bilk in Düsseldorf. Während des Generalstreiks war er noch in der Generalstreiksleitung. Ende 1922 trat Dietz mit dem Separatistenführer Smeets in Köln in Kontakt. Aufgrund seiner genauen Kenntnis der FAUD im Rheinland gelang es ihm wahrscheinlich, eine Anzahl Anhänger zu gewinnen, zumal er damit warb, die Rheinische Republik könnte sich als Räteherrschaft auf syndikalistischer Grundlage bilden. Vgl. Der Syndikalist, Jg.3, (1923), Nr.50/51 Nach dem 2. Weltkrieg tauchte B. Dietz wieder in der anarchistischen Szene Deutschlands auf. In der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS), in der sich die ehemaligen FAUD-Mitglieder nach dem 2. Weltkrieg sammelten, wird er 1950 in einem Rundschreiben erwähnt. Dort wird vor ihm gewarnt, da er Düsseldorfer Genossen geschädigt habe. Weiter wird berichtet, daß er aus der »Ostzone« geflohen, dort eine zweifelhafte Rolle gespielt und eine hohe Funktion inne gehabt habe. Die Einschätzung im Rundschreiben, daß Dietz zumindest »ein Abenteurer« sei, beschreibt treffend auch sein kurzes und »engagiertes« Auftreten in der FAUD in den 20er Jahren. Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 ebenda Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.32 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.17 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.52 Die Schöpfung. Jg.1 (1921/22), Nr.107 Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.12 Auf dem 14. Kongreß der FAUD vertraten die Delegierten der Düsseldorfer Metallarbeiter die Meinung, Streikunterstützung sollte nicht mehr generell gewährt werden. Der eigentliche Kampf der Arbeiter- schaftbeginne erst, wennkeine Gelder mehr gezahlt würden. Vgl. Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.51/52 Information von Hans Schmitz (jun.), Düsseldorf, der als Kind für die FAUD kassierte. Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD 1930, Berlin 1930 135 Kapitel IV Fisch ohne Wasser, — die FAUD von 1925-1933 l. Orientierung auf gewerkschaftliche Tageskämpfe Die Stabilisierung der ökonomischen und politischen Verhältnisse nach der Inflation zwangen die FAUD zu Konzessionen an die herrschenden Verhältnisse. In der FAUD setzt sich eine stärkere Tendenz durch, die den Verhältnissen angepaßte Gewerkschaftsarbeit für sinnvoll hielt. Unter der Fragestellung gewerkschaftliche Kampforganisation oder Sekte begann Heinrich Reuß 1925 eine Diskussion im Syndikalist, die wegweisend für den Weg der FAUD sein sollte.(1) Reuß forderte scharf eine Beendigung der »Vogel-Strauß-Politik«, weil a) 90% der Mitglieder der FAUD als Gewerk- schaftler beigetreten seien, b) die gesellschaftliche Situation sich geändert habe. Die Macht des Syndikalismus beruhe und wurzle in der Propagierung seiner Ideen innerhalb der Betriebe. Aus diesem Grunde wird von einer syndikalistischen Bewegung nur solange geredet werden können, solange sie innerhalb der Betriebe noch die Möglichkeit einer direkten Betätigung hat.(2) Diese Betätigungsmöglichkeit habe sich die FAUD aber selbst genommen. Schuld daran trügen jene, »die glauben durch Resolutionen, Anträge und Ver- sammlungsbeschlüsse revolutionäre Idealmenschen fabrizieren zu können.«(3) Die Richtlinienzum Betriebsrätegesetz, Knappschaft, Kirchenaustritte, Beteili- gung am Rechtsschutz usw. seien die konkreten Maßnahmen gewesen, die bewußt oder unbewußt dem »Rubel« »in die Hand« gearbeitet, die Arbeiter der »Gewerkschaft ausgeliefert« und die FAUD von der Arbeiterschaft isoliert habe. Insbesondere die rigorose Ablehnung der Betriebsräte könne man »bei einem auf den 'Höhen' wohnenden Theoretiker allenfalls verstehen, bei einem praktisch im Betrieb arbeitenden, revolutionären Gewerkschaftler sei diese Betrachtungs- weise — gelinde ausgedrückt — mehr als oberflächlich.«(4) Reuß betonte die Notwendigkeit eines Stammes erfahrener Funktionäre in den Betrieben, nur dadurch könnten der Organisation neue Mitglieder zugeführt werden. Die Mitglieder müßten an die Organisation gefesselt werden, wenn die FAUD zur Massenorganisation anwachsen wolle. Insbesondere müßte der alte Ehrgeiz vermieden werden, »aus jedem Mitglied einen Theoretiker des Anarcho-Syndikalismus zu machen.«(5) 136 Indem wir in geistiger Hinsicht oft zu große Anforderungen an den Einzelnen stellten, erreichten wir, daß mancher Genosse sich in unserem Kreis recht einfältig vorgekommen sein muß und es infolgedessen vorzog unseren Veranstaltungen fernzubleiben.(6) Der 15. Kongreß der FAUD 1925 in Dresden unterstrich die Position von Reuß. Rudolf Rocker betonte in seinem grundsätzlichen Referat »Die prinzipielle Grundlage des Syndikalismus und der organisatorische Aufbau der FAUD« (7)die Bedeutung von Gegenwartskämpfen und hob ausdrücklich hervor, daß der Syndikalismus »keine individualistische sondern eine soziale Theorie« sei.(8) Der Duisburger Anarcho-Syndikalist Alfred Metz hielt ein Referat über »die gegenwärtigen Aufgaben der FAUD«.(9) Metz stellte fest, daß nach 1919 der gewerkschaftliche Charakter der FAUD etwas in den Hintergrund gedrängt worden sei. »Viele ehrliche Kämpfer« seien »in den verworrenen politischen und ökonomischen Verhältnissen« der Meinung gewesen, »es sei schon an die Zeit gekommen, die soziale Revolution durchzuführen.«(10) Mittlerweile hatte sich aber die »sogenannte Demokratie fundiert« und die Kapitalisten hätten »ihre Machtposition, stabilisiert«. Es könne jetzt nicht mehr von einer revolutionären Situation gesprochen werden, die Arbeiterschaft müsse sich »grundsätzlich mit der jetzt bestehenden wirtschaftlichen Reaktion befassen.« Die Tagesfrage sei für die FAUD akut, da sie »täglich eine nach der anderen von den kleinen Macht- positionen verliere,« die sie früher errungen habe.(11) Die FAUD müsse Fraktionen bilden in den Betrieben, »um auf Belegschafts- versammlungen und in eventuellen Kämpfen einen entscheidenden Einfluß auszuüben.« Die FAUD müsse die Arbeiterklasse mitden Methoden der direkten Aktion bekannt machen, teilweise sei es in der praktischen Gewerkschaftsarbeit notwendig, mitden Unternehmern in Verhandlungen einzutreten um die Gewerk- schaftsbürokratie in Verhandlungen auszuschalten. In der Frage der gesetzlichen Betriebsräte stimme er mittlerweile der Position des Genossen Reuß zu, dies sei »keine Prinzipien, sondern eine reine Zweckmäßigkeitsfrage.« In den Betrieben der Schwerindustrie sei die Beteiligung notwendig. Wenn nur einige Syndikali- sten in den Betrieben waren, hatten sie es nicht durchsetzen können, auf Betriebs- versammlungen zu reden. Säßen FAUD-Mitglieder aber im Betriebsrat, könnten sie mit »Broschüren, Zeitungen und anderem Agitationsmaterial oder durch Reden in Belegschaftsversammlungen den Einfluß der Gewerkschaftsbürokratie ganz unterbinden.(12) Auf dem Kongreß wurde zur Betriebsrätefrage eine Resolution angenommen, in der diese als nebensächlich für die Organisation bezeichnet wurden. Im Unterschied zum 14. Kongreß, wo die Beteiligung dem einzelnen Mitglied freigestellt wurde, sollte nun die Organisation vor Ort über die Zweckmäßigkeit entscheiden.(13) Die Orientierung des 15. Kongresses auf den gewerkschaftlichen Tageskampf 137 und die Herausbildung einer innerbetrieblichen Strategie war wesentlich für das Überleben der FAUD als Gewerkschaft bis 1933. Dadurch wurde, zwar im bescheidenen Maße, eine Basis im ökonomischen Bereich geschaffen. Gleich- wohl traten noch 1925 einige Ortsvereine vehement gegen die gesetzlichen Betriebsräte ein, so die Metallarbeiter in Wiesdorf und Düsseldorf.(14) Auf einer Konferenz der Bezirksarbeiterbörse Köln und Elberfeld sprach sich nur der Vohwinkeler Delegierte aus taktischen Gründen für eine Beteiligung aus. Die Konferenz erklärte: — In Anbetracht dessen, daß wir als Syndikalisten, die wir nicht lediglich eine Interessengemeinschaft sind, sondern in höherem Maße eine Ideengemeinschaft darstellen und somit unsere anzuwendende Taktik unter allen Umständen mit dem Prinzip und den Grundsätzen der Organisation in Einklang zu bringen haben, werten wir die Beteiligung an den Betriebsräten nicht nur als ein Verstoß, sondern als direkter Verrat an den Grundsätzen und Prinzipien des revolutionären Syndikalismus.(Herv. d.d.Verf.) Desweiteren wurde von den Gegnern der ge- setzlichen Betriebsräte erklärt, daß für sie in Fragen der Taktik, die mit dem Prinzip in direktem Widerspruch stehen, keine Toleranz am Platze sei.(15) Eine flexiblere Einstellung zu den gesetzlichen Betriebsräten setzte sich in der rheinischen FAUD als Ganzes erst Ende der zwanziger Jahre durch. Eine Kon- ferenz beschloß, allen Ortsgruppen die Beteiligung an den Betriebsratswahlen zu empfehlen, »um der FAUD mehr Einfluß unter den Belegschaften zu schaffen und das Rückgrat der Zentralverbände in den Betrieben zu brechen.«(16) Auch in der Frage der Tarifverträge war die FAUD gezwungen, Konzessionen an die herrschenden Verhältnisse zu machen. In zwei Berufsgruppen, bei den Fliesenlegern und Bandwebern, waren nach Streiks Verträge mit den Unterneh- mern abgeschlossen worden. In der Organisation hatte dies zu heftigen Debatten geführt. Von den Befürwortern der Verträge wurde argumentiert, »daß die Fliesenlegergenossen und einige Textilarbeitergruppen sich ihren Einfluß durch lange zähe Kämpfe errungen haben und um nicht umsonst gekämpft zu haben, daran gehen wollen ihre Arbeitsverträge selbst abzuschließen und zu regeln, um nicht durch ihre Gegner dessen beraubt zu werden, was sie sich erstritten haben.« Selbstverständlich sei, daß die FAUD nicht wie die Zentralverbände im Reichs- maßstabe Tarifverträge oder sonstiges, wie nach revolutionären Wirtschafts- kämpfen gestalten wolle, dies müßten die kämpfenden Arbeitergruppen selbst tun. Prinzipiell sei klar, daß die FAUD an Stelle des zentralverbändlerischen Tarifmonopolismus keinen syndikalistischen setzen wolle, und daß wir jeden Gedanken an eine Arbeitsgemeinschaft verwerfen und die reformistischen Organisationen allezeit und mit aller Kraft bekämpfen werden, daß wir für eine völlige Ausschaltung der Staatsbehörden aus der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen eintreten und wirken.(18) Ab 1927 versuchte die FAU auch die Vertretung ihrer Mitglieder vor dem Arbeitsgericht durchzusetzen. Vom Reichsarbeitsgericht wurde die FAUD nicht 138 er Syndikalist rgan der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Anarcho-Syndikallstan) Angeschlossen der Internationalen Arbalter-Association „Dar Syndikallat", ‚Abonnamantsprsis g.eomeganga .m Ara .Emllkeir, dl. .ml.Angat 1914 Mr dl. .oge.cbloaeom Ger,nrkech.hm pro ecbbelllga Exam. each II09kdgern Bamboo verboten wind.), plat 0,10 Goldmark, dumb die Expedition vot.r Knuobmd „.Kbdot »de Wort. Annal Jonn.benda s S u moo.dich 0,60 Goldmark. Audsttd 0,60 Goldavh v and Expedition! s vr Eiuelezempier 0,15 Goldmark. brrftz Katar, Be In 0.34, Kapamlikueatr.20, 11 ’ y Telegramma: -:.JrudRAbr Bedin. Vi, Jahrgang — Nr. 17 um 1. Mad 1925 Weckruf! Dia Sagen Intl Erwed)en la Reihen, Kameraden! Ana Werk! Die Kinder od relm Drudr und Zwang und Steal! Die ihr die Arbeit Daft, Nat Brot und Bett nod Meld! Armen and Ihr S4wad)en, Mit der man eub belade,, — Ans Werk, ale zu befreien gesinnt end) Mut die Tat! . Werft von end) eure Last! Am ihrem Weh und Leid! Die 117r dem Herrn den Spaten fahrt, Werft ale, wohler ale fallen magi line Werk, 1!)r Manner and il)r Fronen! Die Hauser bent, das Feuer ad)Brt, — Sd)afft selbst end) enera Arbeitstags Den Bindern gilts die Welt an bauen! tehot O)r end) nicht no Brot und Land? Pfeift oaf des Herren Diemtgebotl Men sch, fahl' did) Meusd) und sei kelnBmd! Jeu eignen Spaten in die Handl Kitt 11)m — end) selb.t bock! euer Brot! Freil)elt auf freiem Aoergruodi tort mit der Feast', die end) band! Hitt 11)m — end) selbst »elft sus der Noti Dem Volk den Boden! Sot)lleft den Bunds Erich MOOam. R\ N a ER 3 139 als tariffähige Organisation im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes angesehen, mit dem Verweis auf die prinzipielle Haltung der FAUD zum Tarifsystem. Einzelnen Ortsvereinen gelang es aber, durch Änderung ihrer Satzung anerkannt zu werden. Die Nichtanerkennung der Tariffähigkeit hatte für die FAUD noch weiter- gehende Konsequenzen. Dadurch war es gesetzlich möglich, von Organisationen der FAUD abgeschlossene Arbeitsverträge für ungültig zu erklären und damit gleichzeitig die Arbeitsnachweise, die bei den Töpfern, Fliesenlegern und teil- weisebei den Bauarbeitern durchgesetzt worden waren, außer Kraft zu setzen.(19) Die taktischen Konzessionen der FAUD waren das Eingeständnis, daß ihr Prinzip der »direkten Aktion« angesichts der zunehmenden Formalisierung und Institutionalisierung des industriellen Konfliktes in Form von Tarifverträgen, staatlichem Schlichtungssystem und Betriebsräte- und Arbeitsrecht und der Übermacht der gewerkschaftlichen Zentralverbände nicht realisierbar war, und daß die praktischen Auswirkungen der direkten Aktion, z.B. der Sabotage publizistisch nicht ausgewertet werden konnten, da sie durch gesetzliche Beschränkungillegalisiert war. Zwar war die direkte Aktion spontan aus Arbeiterkämpfen entstanden, wurde aber größtenteils massenhaft nur in revolutionären Phasen angewandt. Angesichts der realen Verhältnisse ab 1925 bot sie für das Gros der Arbeiter- schaft »zu wenig Sicherheit, zu großes Risiko, zu wenig Erfolg. Als Verhaltens- muster im innerbetrieblichen Alltag ließ es an Momenten jenes Pragmatismus fehlen, der sich vornehmlich an der eigenen Reproduktion orientierte. Im Grunde erhielt die direkte Aktion ein stark avantgardistisch bestimmtes Moment.«(20) Die Orientierung der FAUD auf reformistische Teilziele hatte eine organisa- torische Durchstrukturierung zur Folge. Auf dem 16. Kongreß wurde die »Pro- grammatische Grundlage« dahingehend verändert, daß bei der Gliederung nicht mehr von Berufen, sondern nur noch von Industrien gesprochen wurde. Die Bildung einer Industrieföderation wurde nicht mehr von einer Mindestzahl von 25 Mitgliedern abhängig gemacht, sondern der Kräfteeinschätzung des Ortsvereins überlassen. Die Aufgaben der Industrieföderation wurden präziser gefaßt: Die Industrieföderationen erkunden in erster Linie mit Hilfe ihrer Geschäftskom- mission die in ihrer Industrie herrschenden Arbeitsmethoden, Arbeitszeiten und Lohnverhältnisse. Sie suchen zu ergründen die Art der Produktionsweise, die Bezugsquellen der Rohprodukte und deren Gewinnung, die Absatzgebiete der Fertig- und Halbfertigfabrikate usw. und suchen an Hand gemachter Erhebungenund Studien den Mitgliedern durch Wort und Schrift das nötige Wissen zu vermitteln, bei ihnen das Klassenbewußtsein zu fördern und gegebenenfalls die zweckentsprechende Kampfestaktik zu empfehlen.(21) Eine wesentliche Änderung wurde bei der Streikunterstützung beschlossen. Die Verteilung der Solidaritätsgelder wurde vollständig in die Hände der Arbeiterbörsen bzw. der Geschäftskommission gelegt. Dies wurde begründet: 1) aus rein praktischen Erfahrungen, da nur 1/3 der Mitglieder Industriefö- 140 derationen angeschlossen waren und dadurch von den Föderations- Ge-schäftsleitungen bei Solidaritätsrufen nicht erreichbar wären. 2) aus prinzipiellen Gründen wurde argumentiert, in der Solidaritätsbe- kundung liege auch ein »erzieherisches«, ein pädagogisches Moment. Die Ausübung der Solidarität solle in die Hand der Arbeiterbörsen gelegt werden, da diese das Mitglied nicht als Berufsangehörige, sondern als Klassengenosse erfasse. Die weltanschauliche Propaganda ist nach unserer Auffassung in der Hauptsache die Aufgabe der Arbeiterbörsen, die die Arbeiter allgemein als Klassengenossen zusanunenschweißt, während die mehr beruflichen und industriellen Fragen von den Industrieföderationen zu regeln und zu klären sind... Auch bei der Tätigkeit der Solidarität wollen wir mit unseicm Regulativ den Börsen die Aufgabe zuweisen, den Gedanken der Klass enzusammenfassung zu dokumentieren und in den Reihen unserer Mitgliederschaft immer weiter auszuweiten. Wir anerkennen den hohen erzieherischen Wert der Solidarität unter Klassengenossen.(22) Der Tagessatz der Streikunterstützung wurde vom fünffachen auf den dreiein- halbfachen Wochenbeitrag reduziert auf Grund des starken Lohngefälles inner- halb der Organisation. Es kann nicht angehen, daß die Streikunterstützung der einen Berufskategorie höher ist als der Lohn einer anderen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die minderbezahlten Arbeiter, deren Lohn in manchen Fällen nicht einmal die Höhe der an manchen Orten gezahlten Streikunterstützung erreichte, gezwungen waren, zu der Streikunterstützung noch von ihrem kargen Arbeitsverdienst durch Extrabeiträge beizusteuern. Eine solche Solidaritäts- und Unterstützungsregelung ist unsozial.(23) Gegen die neuen Solidaritätsregelung opponierte eine kleine Gruppe der Bauar- beiter, der auch die alte Geschäftsleitung angehörte. Diese Gruppe bildete nach dem Kongreß eine eigenständige Föderation und gab monatlich das Organ »Der syndikalistische Bauarbeiter« heraus.(24) Versuche der Einigung zwischen den nunmehr zwei Bauarbeiter-Föderationen scheiterten an der Nichtanerkennung der Solidaritätsregelung durch die Opposition, die den Beschluß als Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht betrachteten. Zu der Opposition gehörten vor allem die Maler und Zimmerer, Berufsgruppen, »die stark von zünftlerischen und fachar- beiterlichen Leistungsidentifikationen«(25) geprägt waren. Die neue Solidaritäts- regelung hätte für sie eine partielle Zurückstellung ihrer Berufsegoismen zu Gunsten der Gesamtbewegung bedeutet. Von den rheinländischen Bauarbeiter- gruppen gehörten nur vereinzelt Mitglieder aus Krefeld und Duisburg der Oppo- sitionsgruppe an.(26) Die Beschlüsse über die organisatorische Strukturierung auf dem 16. Kongreß waren konsequent gekoppelt mit der Diskussion über die Rationalisierung der Wirtschaft, die 1926 in Deutschland begann. Gegenüber der »wirklichen Entwick- lung des Fließbandsystems und der Monopolisierung« wurde von anarcho- 141 syndikalistischer Seite festgestellt, war »die Berufsföderation überflüssig« gewor-den.(27) Der Anarcho-Syndikalismus teilte nicht den naiven Fortschrittsglauben der Gewerkschaften und marxistischen Parteien an die industrielle Entwicklung, den Michael Vester als »Dampfmarxismus« bezeichnet.(28) In der von Rudolf Rocker verfaßten Resolution über die Rationalisierung hieß es: Der Kongreß ist der Meinung, daß der Weg zum Sozialismus nicht lediglich durch eine stetig gesteigerte Ertragsfähigkeit der Produktion bedingt ist, sondern in erster Linie durch eine klare Erkenntnis der gesellschaftlichen Zustände und dem festen Willen zu konstruktivem, sozialistischem Handeln, die beide in dem Streben nach persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ihren geistigen Niederschlag finden. Der Sozialismus ist nicht bloß ein wirtschaftliches, sondern auch ein psychologisches und kulturelles Problem und erstrebt in diesem Sinne, den Menschen wieder geistig mit seinem Werke zu verbinden, indem er bestrebt ist, die Arbeit möglichst vielseitig und attraktiv für den einzelnen zu gestalten — ein Streben, das mit den Methoden der modernen Rationalisierung niemals zu vereinbaren ist.(29) Als Strategie gegen die zunehmende Monopolisierung und Rationalisierung schlug die FAUD erstens die Gründung internationaler revolutionärer Wirtschaftsorganisationen vor und zweitens den Kampf für den 6-Stunden- Tag, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu begegnen.(30) Ergebnisse von Betriebsratswahlen Ein Indikator für den gewerkschaftlichen Einfluß der FAUD sind die Ergebnisse der Betriebsratswahlen. Bergbau — Wahlergebnisse der FAUD im Ruhrbergbau(31) 1925 1926 197 1928 1929 1930 1931 abgegebene Stimmen 9,9 7,9 6,0 5,5 3,2 4,3 1,4 1T.inv.H. der Stimmen 3,0 2,9 2,0 1,8 1,8 1,5 0,6 142 Metallindustrie — Anzahl der Betriebsräte der FAUD im Bezirk Essendes DMV(32) 1925 196 1927 198 1929 1930 1931 35 18 14 13 19 12 2 Textilindustrie — Anzahl der Betriebsräte der FAUD im GAU Barmen des Deutschen Text darbe iter-Verbandes(33) 1925 1926 1927 1928 1929 1930 männlich 36 13 3 15 14 21 weiblich 3 1 1 1 Die Ergebnisse zeigen, daß die FAUD, wenn auch in geringem Maße bis in die 30er Jahre eine betriebliche Basis hatte. Um selbständig Aktionen durchzuführen oder Arbeitskämpfe im anarcho-syndikalistischen S inne zu beeinflussen, war die Organisation nicht mehr stark genug. Wie die innerbetriebliche Arbeit praktisch aussah, Könnte an Hand von Fir- menarchiven beurteilt werden. Die Schwankungen in der Textilindustrie im Jahre 1927/28 waren wahrscheinlich auf die differierende Zahl der erfaßten Betriebe zurückzuführen und auf den Textilarbeiterstreik 1927 inKrefeld. In der Textilindustrie war es der FAUD gelungen, Frauen zu organisieren. Es ist davon auszugehen, daß die Weberin und Protagonistin der syndikalistischen Frauen- bünde im Rheinland Trautchen Caspers die einzige syndikalistische Betriebsrätin war. Die Wuppertaler FAUD stellte Anfang der 30er Jahre einen Betriebsrat, den Riemendreher Fritz Benner.(34) Für die Bauindustrie, in der die FAUD am stärksten verankert war, liegen keine Statistiken vor, wahrscheinlich auf Grund der kleinen Betriebsgrößen in dieser Branche. In drei Berufsgruppen war die FAUD stark genug, um selbständig Aktionen durchzuführen, bei den Fliesenlegern in Düsseldorf und bei den Bandwebern und Riemendrehern in Krefeld. air "ORGAN DER FREIENARBEITER-UNION DEUTBCHLANDS“ (ANARCHO®SYNDIKA- AN.eDIEINTER NATIONALE ARBEITER®eASSUZIAI ION [Ha ga Er: ae ua Fe ee a en Br Beillhr:4, .n. Nr.31 ee Kanes ” a KRIEG! 0 I LITARISMUS °.... $ührer für die Lelinchmer a dta Scladtfelderrun arenel ajpdelter nicht Inne Be 7 ig EHEN STILL* WENN DEIN TARKER. ARM ES WILL! 2 143 144 2. Die Düsseldorfer Fliesenleger Die Düsseldorfer Fliesenleger waren schon vor dem 1. Weltkrieg mehrheitlich in der »Freien Vereinigung« organisiert. Die Organisation war 1901 unter maßgeb- licher Initiative Carl Windhoffs gegründet worden.(35) In der Agitationskom- mission Rheinland, die 1904 etabliert wurde, waren drei von sieben Mitgliedern Fliesenleger.(36) Auf Reichsebene waren 1906 achthundert Fliesenleger in der Freien Vereinigung organisiert.(37) Der Kampf derFliesenlegerorganisation war vor dem 1. Weltkrieg stark auf die Verkürzung der Arbeitszeit gerichtet: Undnichtdamitistunsere Aufgabeerfüllt, daß wir unseren Stundenlohn um 5 oder 10 Pf. in jedem Jahr erhöhen, im übrigen aber stumpfsinnige Arbeitstiere bleiben, nein als Menschen müssen wiruns höhere Ziele stecken. Wir müssen bestrebt sein, teilzunehmen an allen Errungenschaften der Kultur, und müssen verstehen lernen, das Leben im edlen Sinne zu genießen. Kunst und Wissen soll nicht ein Privileg bleiben für eine kleine, besitzende Minderheit sondern die Arbeiterschaft muß daran ihre Rechte geltend machen, und ihren Teil davon beanspruchen. Und wird ihr dies dauernd vorenthalten, muß sie es sich erkämpfen. Um aber die Schönheiten der Kunst zu genießen und sich Wissen aneignen zu können bedürfen wir der Muße. Wer 10-12 Stunden täglich arbeitet, wird nicht mehr die Kraft und den Trieb in sich fühlen, sich geistig weiter zu bilden, und evtl. das nachzuholen, was der Klassen- staat mit seiner Jugend an ihm versäumt hat. Drum ist eine der Hauptpflichten unserer Organisation die Verkürzung der Arbeitszeit.(38) Die Arbeitszeit der Düsseldorfer betrug vor dem Kriege 8 1/2 Stunden, damit dürften sie eine Ausnahme gebildet haben innerhalb der gesamten Arbeiter- schaft.(39) Die Fliesenleger waren von jeher gegen langfristige Tarifverträge eingetreten. In der Revolutionsphase 1918/19 setzten sie einen Tarifvertrag mit 24-ständiger Kündigungsfrist durch, auf Grund desssen sie von der Inflation weniger betroffen waren, als die anderen Arbeiterschichten.(40) Da die Löhne der Fliesenleger in Düsseldorf 30% höher lagen als in benach- barten Städten, wurden auf Düsseldorfer Baustellen häufig auswärtige Firmen angestellt. Die syndikalistischen Fliesenleger regten daher 1924 die Gründung einer Interessengemeinschaft aller organisierten Fliesenleger in Rheinland-Westfalen an, der sich fast alle Fliesenleger des Rhein-Ruhr-Gebietes anschlossen. In Düsseldorfbestand eine solche Interessengemeinschaft schon seit 1921.(41) Auf einer Konferenz 1925 wurde folgendes Regulativ für die Interessenge- meinschaft verabschiedet, das deutlich die Handschrift Carl Windhoffs trug: 1. Die Fliesenleger des rheinländisch-westfälischen Industriebereichs schließen sich zu einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft föderativ zusammen unter Aus- schaltring aller Parteipolitik. 2. Die organisatorische Selbständigkeit und Selbstverwaltung der einzelnen Orts- 145 gruppen bleibt bestehen. Jedem einzelnen Fliesenleger muß volle Organisationsfreiheit gewährt werden, das heißt, jeder Kollege schließt sich an diejenige Organisation an, die ihm seiner Überzeugung gemäß am besten zusagt. Der Zweck der Interessengemeinschaft ist: Die Hebung der sozialen und wirt- schaftlichen Lage der Fliesenleger. Dies soll erreicht werden: a) durch Errichtung von Arbeitsnachweisen in jedem Ort und für den ganzen Industriebezirk und Regelung des Lehrlingswesens. b) durch Ausschaltung unlauterer Elemente (Lohndrücker, Streikbrecher, Zwischenmeister) unter Anwendung geeigneter Maßnahmen und stän- diger gegenseitiger Information. c) durch Erziehung der Kollegen in allen Orten zur weitgehenden Solidarität (gegenseitige Hilfe) d) durch Anwendung wirtschaftlicher Kampfmittel, wie Streiks, Boykotts, passive Resistenz und so weiter. e) durch Haftbarmachung der einzelnen Unternehmer für die durch ihre Schuld verursachten Lohnausfälle bei Streiks und Sperren. f) durch moralische und wo notwendig auch materielle gegenseitige Unter- stützung bei Lohnbewegungen und Streiks g) durch Einwirkungen auf die Unternehmer und Plattenfabriken zwecks Lieferung nur guten Materials h) durch gegenseitige Belehrung, Abhaltung von Vorträgen, Stellung und Austausch von Rednerm, Lieferung geeigneter Flugblätter, Broschüren,Bücher und Zeitungen. i) durch Herausgabe eines periodisch (etwa 14-tägig) erscheinenden Mitteilungsblattes.(42) Die Unternehmer schlossen sich nach der Bildung der Interessengemeinschaft enger zusammen und versuchten 1926 nach der Kündigung des Tarifvertrages folgende Bedingungen durchzusetzen: 1. 2: 3. Abschluß eines einheitlichen Bezirktarifes für das Rheinland und Lohn- verhandlungen nur mit der Spitzenorganisation des Unternehmerver- bundes. Lohnabbau von 30-40% und Abbau von Zulagen für Nachtarbeit, Sonntagsarbeit und auswärtige Arbeiten. Abbau der Ferien.(43) Die rheinländischen Fliesenleger traten in den Abwehrstreik und konnten durchsetzen, daß nur örtliche Tarife vereinbart wurden. Die Düsseldorfer Fliesenleger streikten 7 Wochen und es gelang ihnen als einzigem Verband, den Lohnabbau abzuwehren.(44) Von den rund 120 Düsseldorfer Fliesenlegern waren rund 90 syndikalistisch organisiert. Fliesenlegergruppen hatte die FAUD ebenfalls in Essen, Mönchengladbach und Krefeld.(45) Die Interessengemeinsdchaft wurde energisch und in vielen Fällen auch durch 146 denunziatorische Angriffe auf Carl Windhoff von der Gewerkschaftsbürokratie bekämpft. Um wieder Einfluß auf die Fliesenleger zu gewinnen, zahlten sie in Düsseldorf 45.-Mark pro Woche Streikunterstützung, in Elberfeld-Barmen und Köln hingegen nur zwischen 12.- bis 23.-Mark.(46) Der solidarische Geist der Düsseldorfer kam besonders zum Ausdruck, als sie mit der beginnenden Arbeitslosigkeit 1929/30 einen Tarifvertrag durchsetzten, der die Fünftage-Woche und die abwechselnde Beschäftigung der Erwerbslosen vorsah. Weil der Tarifvertag von den Unternehmern nicht eingehalten wurde, streikten sie noch im Herbst 1932 sieben Wochen.(47) Die Stundenlöhne der Fliesenleger waren im Vergleich zum Durchschnitt extrem hoch.(48) 1925: Durchschnittslohn 65,9 Mark; Fliesenleger 150 Mark 1928: Durchschnittslohn 109,2 Mark; Fliesenleger 180 Mark Bei den Zahlen muß noch berücksichtigt werden, daß die Fliesenleger im Akkord arbeiteten und dadurch die Löhne noch höher waren.(49) In Streiks wandten die Düsseldorfer Fliesenleger verschärft die »direkte Aktion« an. Wurden Streik- brecher auf den Baustellen eingesetzt, kam es entweder vor Ort zu direkten Konfrontationen oder nachts wurden die Fliesen abgeschlagen. Wir hatten immer so einen kleinen Fäustel dabei, den mußte man immer am Schnittpunkt von vier Fliesen treffen, dann waren mit einem Schlag gleich vier kaputt.(50) Die Anwendung solcher Kampfformen setzte natürlich ein unbedingtes Vertrauen in der Berufsgruppe voraus. Dies wurde durch folgende Bedingungen ermöglicht: 1. Die Fliesenleger hatten einen Arbeitsnachweis und bestimmten dadurch über Einstellung und Entlassungen.(51) 2. Die Fliesenleger mußten für die Ausbildung ihrer Lehrlinge (meist eigene Kinder) selbst aufkommen, wodurch sie eine doppelte Kontrolle ausübten, nämlich zum einen über die Einstellung der zukünftigen Gesellen, und zum anderen über die Anzahl und über die Gesinnung.(52) 3. Die Düsseldorfer Fliesenleger entfalteten eigene kulturelle Aktivitäten. Am 1. Mai unternahmen sie zusammen mit ihren Familien, die Kinder wurden an diesem Tag nicht in die Schule geschickt, gemeinsame Aus- flüge und Feiern. Ein Fliesenleger erinnerte sich an einen Maiausflug, wo Erwachsene und Kinder schwarze Fähnchen mit weißem zerbrochenen Gewehr trugen.(53) 4. Das Fliesenlegen setzt eine hohe Geschicklichkeit voraus, die nicht für jeden erlernbar ist; durch das besondere Ausbildungssystem war gesichert,daß die zukünftigen Gesellen den Arbeitsanforderungen entsprachen. Die Fliesenleger waren nach Lohn und Bewußtsein, die »Elite« der Bauarbeiter. 147 Die Krefelder Textilarbeiter In Krefeld hatte die FAUD in zwei Berufsgruppen die Mehrheit, bei den Namen- bandwebern und den Riemendrehern. Schon vor dem 1. Weltkrieg war die Hälfte der Krefelder Bandweber in der »Freien Vereinigung« organisiert. Nach dem Kriege verloren sie zunächst ein wenig an Einfluß auf Grund ihrer Ablehnung des Tarifsystems und der gesetzlichen Betriebsräte.(54)Die FAUD hatte ab 1927 wieder einen starken Einfluß bei den Bandwebern, nachdem der Deutsche Textilarbeiterverband in einem Tarifvertrag über die Einführung des 3-4 Stuhl- systems zugestimmt hatte und somit einer verschärften Ausbeutung der Textil- arbeiter. Bis dato hatten die Bandweber nur 2 Stühle gleichzeitig bedient. Ähnlich wie die Fliesenleger gründeten die syndikalistisch organisierten Bandweber eine Interessengemeinschaft um tarifberechtigt zu werden.(55) Am 3. Januar traten sie in einen Streik mit folgenden Forderungen: 1.keine Einführung des 3-4 Stuhlsystems 2.Die 48-Stundenwoche 3.20% Lohnerhöhung/Garantielohn und 14 Tage Ferien 4.Anerkennung des von der Interessengemeinschaftgeschaffenen Arbeits- nachweises.(56) Der Streik dauerte 18 Wochen und endete mit einem Sieg der Arbeiter. In dem langen Arbeitskampf hatten die Bandweber nicht nur gegen das vereinte Unter- nehmertum zu kämpfen, sondern standen unter massivem Druck der Gewerk- schaftsbürokratie und der Öffentlichkeit. Die sozialdemokratische »Freie Presse« druckte Inserate der Unternehmer ab, in welchem zum S treikbruch aufgefordert wurde.(57) Der Textilarbeiter-Verband unterstützte die Anwerbung von Erwerbslosen in Barmen, die als Streikbrecher eingesetzt wurden. Den Barmer Erwerbslosen wurde mit der Streichung der Unterstützung gedroht, falls sie nicht die Arbeit annähmen.(58) Die Riemendreher in Krefeld hatten ebenfalls eine Interessengemeinschaft gegründet und waren Anfang Januar 1927 wegen Lohnerhöhung und der Aner- kennung eines Arbeitsnachweises in den Streik getreten. Ihr Kampf endete mit einer Niederlage; 60 Streikende wurden gemaßregelt.(59) Der Kampf der Rie- mendreherblieb erfolglos, weil in diesem Beruf Arbeitswillige leichter angelernt werden konnten und die Streikbrecherarbeit nicht verhindert werden konnte. Wie bei den Bandwebern wurden auch hier vom Textilarbeiterverband die Streik- brecher offen unterstützt. Die Bandweber galten wie die Fliesenleger bei den Bauarbeitern, als »Elite« der Textilarbeiter. Sie hatten innerhalb ihrer Berufs- gruppe einen starken Zusammenhalt.(60) Der Erfolg des Streiks war aber nicht zuletzt auf die große Unterstützung durch 148 die gesamte Organisation der FAUD zurückzuführen, die über 30.000 Mark spendete.(61) 3. Zur Agitation der FAUD im Rheinland Trotz der Orientierung auf konkrete Gewerkschaftsarbeit war ein Großteil der Aktivitäten der FAUD auf die Agitation ihrer Ideen gerichtet. Besonders in kleinen Ortsvereinen, die keinen gewerkschaftlichen Einfluß hatten, war die FAUD eine reine Ideengemeinschaft. In seinem grundsätzlichen Referat »Die Stagnation in der syndikalistischen Bewegung und deren Überwindung« auf dem 18. Kongreß der FAUD kritisierte Augustin Souchy die zu starke Betonung der öffentlichen Agitation: Im Verhältnis zu ihrer Zahl treibt die FAUD sicherlich mehr mündliche Agitation durch Wanderredner als andere Organisationen der Arbeiterbewegung. Dies soll keineswegs verworfen werden, denn man kann nie zu viel tun. Doch öffentliche Reden und Versammlungen genügen nicht. Für eine reine Ideenbewegung würde diese Art der Werbung zureichend sein; für eine wirtschaftliche Kampforganisation aber sind öffentliche Versammlungen nurein Zubehör. Die Haupttätigkeit muß auf dem Gebiet der Organisation entfaltet werden. Wollen wir die Reihen unserer Organisation stärken, dann müssen wir in Zukunft mehr Organisation als Agitation ins Land schicken.(62) Die Agitation im Rheinland wurde von der 1924 gegründeten Provinzial-Arbeiter- Börse (PAB) Rheinland organisiert. 1926 wurde ein Regulativ beschlossen, daß neben der Agitation die Regelung der Solidarität und organisatorischer Fragen als Aufgabengebiet für die PAB vorsah.(63) Die PAB hatte zunächst ihren Sitz in Mülheim, ab 1926 in Düsseldorf(64) und ab 1929 in Krefeld.(65) Die PAB hatte eine Geschäftsleitung, bestehend aus: 1.dem Obmann 2.dem Kassierer und 3.dem Schriftführer. Obmänner der PAB waren der Bauarbeiter Heinrich Melzer (Mühlheim), die Metallarbeiter Johann Gerlach (Düsseldorf) und Tümmers (Krefeld). Für das Jahr 1925 liegen Daten über die Tätigkeit der PAB vor. Sie stellte demnach fiir:(66) — öffentliche Versammlungen: 66 Referenten — Mitgliederversamml ungen: 8 Referenten —-Belegschaftsversammlungen: 15 Referenten —-Erwerbslosenversammlungen: 6 Referenten — Vorträge: 11 Referenten Dazu kamen noch die Veranstaltungen der Ortsvereine und Börsen mit eigenen Referenten. Regelmäßig wurden Veranstaltungen und Demonstrationen durch- geführt, zum 1. Mai, zu Antimilitarismus und Klassenjustiz. Vor allem die 149 15 Pfennig DicB ore iu„iderArbei/erh/ctter vt In Walkatneräreseile Organ dEr Freien Arbeiter--UNION Deutschlands (Anereho.syndik.11eten) Angeschloeeen an die Internationale Arbeiter.A.eazl.tlon B .n .enef* er. _ .ere..e. .rb r & r w F - 1\.. Jahrgang Berlin. den 23. April 1927 Auf zur Maidemonsfrafion 1927! 1 i :] rarbidcheiide, Gentime: Yb. Dem Proletariat zum 1. Mai. |de side 1 eibea Ihe, bawie ‚en die m diker. As R ie Schniud] 7 7.4, nr Dur... Zukunft la. $,dldim Shum, derw...e ne. Ban. «.de,n Wldbe, Jerry na © Ömn. 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Uhl. wı, aml Dj aırw YbeörrgerD’nc£Thi Dugendbewegcen Bowmen net, wen sie sieh ihrer Bigenheit; SO ibewu k wairene Diese innere Ilcdc4 Ida gerie£ erra dann in Cieffailbrs wenn Me Verbiwdungsserenge zum prolletarrischen Affitag durchschnitten wurden; doh. dem Zeitpunkt, w© d;esen Jugendlichen gat mehr der Kontakt Apbents- Ind Ausbildungskollegen flehites modem such deg' zur ktmpffenden Aribeitter©rgainisagn©n (dite die MUD nach 1924 zummnndestr, nır- Elllerffelld nicht mehr sein konnte). Wenn O1 nn much noch Verbindungen - _s FEnill°ne Abrissen (zoBo infolge des Lebensstils, der Fa>hr= wurde die ildlentitr ains radikale Arbeiterjugend Nlei6l% hohl und IoIIOB. mMaullffeehticeren«o l- ivilberraseht daher nicht, wenn vide Mitgliedes der IR IIbxerffellder Preien Jugend MÖrgenrd4ge und der Syndikalistrsclb-anarchistischen Jugend p):itrer nicht tnn dler türtlielhien MUD exderimm ainarelhim=syndiPeadisttischen Jugendbereich 1bl°netvaemlo Mnige ginr cnwurr IC.PID Onleinme h Mudln) geinige zogen sieh ins Privadelbew zurucko wit der aindere aktive Freidenker in der alMfeh©-syndamiäsaelhi beak- ft77uBeen GpPoAt le in Elberfeld unto 1930 »ca. 2,tmt Mitglieder« haute. Bis aid’ wenige Aus [IA hmmen (Walter Tacken, Ritz Minus) gab es iseiwe pers©nelllle KOndnunttg mu der spSt;eren SAID Wuppertal ab 1929. Die Aibyrc. izumng der beiden fallen Merffellder Jugend-,-r uppen gegeneiwwndert seheing loeiw schwerwiegendes Problem gewesen zu selle. a fist wieio OiD-' "'e, rsine 213 aktive Gegnerschaft oder Konkurrenz bekannt. (Derartiges wäre bei der sonst üblichen eifersüchtigen Abgrenzung in der »Schöpfung« oder im »Syndikalist« aufgetaucht). Zu Anfang (zumindest bis 1922) war die Mitgliedschaft sowieso nicht verbindlich geregelt. Nach allem, was wir wissen, scheint die FJN die ältere und größere Gruppe gewesen zu sein. Da in allen anarcho-syndikalistischen Jugendgruppen Gruppen- oder Fraktionszwänge verpönt waren, weil sie nicht mit der individuellen Freiheit vereinbar seien, haben wir uns beide Gruppen als lose und sich durchdringende Vereinigungen vorzustellen, die oft gemeinsam auftraten, besonders, wenn es um ihre Identität als Jugendliche ging. Die vielfältigen Formen ihres Auftretens erfaßten daher auch nicht immer alle Gruppenangehörigen: die einen wanderten mehr, die anderen lasen mehr, wieder andere waren besonders aktive Organisatoren; einige waren für gewaltsame Aktionen, die (meisten) anderen dagegen. Die Elberfelder Jung-Anarcho-Syndikalisten scheinen aber in jedem Fall zeitweise zu den aktivsten örtlichen Jugendgruppen gehört zu haben, denn die Elberfelder Polizeiverwaltung meldet dem Düsseldorfer Regierungspräsidenten am 19.8.21: In der Jugendbewegung am rührigsten die syndikalistisch-anarchistische Ju- gend... Sie ruft in grellen Plakaten zu einer Versammlung auf.(53) Wir wissen nichts Genaues über den Inhalt dieser und ähnlicher Versammlungen und ebensowenig, ob die Polizei in diesem Fall die »Syndikalistisch-anarchi-stische Jugend Elberfeld/Sonnborn« meint, oder ob ihre Spitzel hier aus Unklarheit eine vage Sammelbezeichnung verwendeten. In jedem Fall dürften größere Veranstaltungen in Elberfeld und Barmen von beiden Gruppen getragen, organisiert und besucht worden sein. In den späteren Jahren lockerten sich — vermutlich parallel zur sinkenden Zahl und Bedeutung der Industrieföderationen der FAUD — die Bindungen an die älteren Syndikalisten. Die FJM scheint 1924 oder 1925 zerfallen zu sein. Einige ihrer arbeitslosen Mitglieder bauten sich im Gebiet der heutigen Nüller-Straße auf städtischem unbesiedelten Gelände Holzhütten, in einem Fall auch ein Steinhaus: Die haben sich billig Bretter von Reklametafeln besorgt. Die wurden als Abschir- mung aufgestellt uind dann konnte man dahinter ungestört hochmauem. Am Schluß wurde die Verschalung abgemacht — die Strafe war viel billiger als die Baugenehmigung! Ehemalige Morgenröte-Mitglieder trafen sich bis 1933 regelmäßig in einem »Debattierzirkel« am Arbeitsamt oder auf der Straße am Elberfelder Neumarkt. Sie waren dort unter den Arbeitern bekannt und belächelt als die Wuppertaler »Kakaophilosophen«. »Die hatten ihre eigene Philosophie und versuchten, da- nach zu leben«, faßt ein späteres SAJD-Mitglied zusammen. Vielfach näherten sich die Lebensformen denen von Landstreichern und »Tippelbrüdern« an, die zeitweilig von Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten als potentielle Rebellen angesehen, prinzipiell geschätzt und vereinzelt umworben wurden, so von Erich Mühsam. Dieser war unter den Anarcho-Syndikalisten des Wuppertals hochver- 214 ehrt(54) und war nach langen Streitigkeiten mit seiner Anarchistischen Vereini- gung kurz vor seiner Ermordung indie FAUD eingetreten.(55) Mühsam hatte pathetisch und provokativ formuliert: Verbrecher, Landstreicher, Huren und Künstler — das ist die Boh@me, die einer neuen Kultur die Wege weist.(56) Aus den Düsseldorfer Gruppen Auch in Düsseldorf gab es »Jjugendbewegte« Formen unter den jungen Anarchi- sten und Anarcho-Syndikalisten. Die Syndikalistisch-anarchistische Jugend hatte sogar in den späten 20er Jahren (1926) noch den Plan, ein proletarisches Gegenstück zum »Zupfgeigenhansl« herauszubringen. Dies läßt Rückschlüsse auf die Nachhaltigkeit der Bräuche »des Wanderns, Singens und Springens« und auch des Kampfliedes in Düsseldorf zu, da um diese Zeit viele ursprüngliche Jugend-bewegungsformen schon abzubröckeln begannen, z.B. das Reigentanzen. Die Düsseldorfer Jugendlichen handelten dabei interessanterweise ebenfalls in Zusammenarbeit mit älteren Syndikalisten: Die Syndikalistisch-anarchistische Jugend Düsseldorfs und die Arbeiterbörse Düsseldorfs haben die Absicht, ein proletarisches Kampf-, Wander- und Reigen- liederbuch herauszugeben. Material mit Liedern und Reigen an Hubert Pootmann. SAJD D'dorf ArbeiterbörseD'dorf(57) Ob dieses Vorhaben verwirklicht wurde, ist nicht bekannt — es existiert unseres Wissens kein gedrucktes Exemplar. Die Idee dürfte zumindest bei dem einfluß-reic hen Fliesenlegerführer Carl Windhoff auf wenig Gegenliebe gestoßen sein. (In Düsseldorf wurden die Syndikalisten von den Gegnern auch »Windhoff-Gewerkschaft« genannt.) In dieser Stadt gab es die meisten verschiedenen anarchistischen, syndikali- stisch-anarchistischen und syndikalistischen Gruppen und Jugendgruppen. So führte die Fliesenlegerjugend lange ein Eigendasein, über das keine Berichte vorliegen. Sie stieß erst 1926 zur »Syndikalistisch-anarchistischen Jugend Rhein- lands«, scheint aber aktiv und zahlenmäßig nicht unbedeutend gewesen zu sein, denn die Düsseldorfer Vertreterin erklärte auf der »Konferenz der SAJ Rheinlands in Elberfeld« im Juli 1927: Die Hollandfahrt hat uns sehr heruntergebracht... Aber durch den Zugang der Fliesenlegerjugend haben wir einen großen Aufschwung zu verzeichnen.(58) Bis mindestens 1924 bestand neben den schon erwähnten Jugendgruppen in Düsseldorf-Eller und -Bilk noch eine vergleichsweise starke »Freie Jugend-Gruppe«, die Kontakt zu Ernst Friedrich und Max Schulze-Sölde hatte. Mit letzterem als »Feuerredner« führte sie 1923 in den Wäldern bei Ratingen eine Sonnwendfeier durch. Sie umfaßte zwischen 1921 und 1924 »durchschnittlich 30 oder 35« Jugendliche, »in unsern besten Zeiten waren wir 50.« 215 Die Gruppe lehnte den »gewerkschaftlichen Syndikalismus überwiegend ab«, war aber u.a. an der gemeinsamen Sonnwendfeier der rheinisch-westfälischen Jugend 1922 im Neandertal beteiligt. Diese Gruppe geriet des öfteren wegen öffentlicher Nacktbade-Aktionen mit der Polizei aneinander. Sie bestand »überwiegend aus Arbeiterjugendlichen«, von denen ebenfalls viele jedes Jahr »auf die Walz« gingen, »oft vom Frühling bis zum Wintereinbruch«. Dies schloß natürlich all die Mitglieder aus, die wegen Arbeit oder Familie nicht so lange abkömmlich waren— so berichtet ein ehemaliges Mitglied, der spätere Düsseldorfer Kommunist Rudolf Treiber, der damals eine Ausbildung zum technischen Zeichner machte und fast der einzige Lehrling in dieser Gruppe war: »Da war zum Beispiel ein Freund von mir drin, der war Rottenarbeiter bei der Reichsbahn, der konnte »in'n Sack hauen«, wann er wollte. Und viele hatten eben gar keine Arbeit....« Die Freie Jugend Düsseldorf war streng gegen Alkohol und Nikotin — von daher kamen »Kneipen« als Tagungsorte »nicht in Frage.« (Die Jugendlichen dürften dafür auch nicht das Geld besessen haben.) Ihre »Heimabende« 1 x wöchentlich fanden in den Räumen der Düsseldorfer AB der FAUD (!) in der Schirmerstraße statt. Beiträge wurden abgelehnt, »wir nahmen nur Spenden, besonders von der FAUD«. Rudolf Treibererinnert sich, daß »oft Diskussionsredner von der FAUD bei uns auftauchten, so Carl Windhoff und Anton Rosinke.« Wie verschieden die Ansichten der Jugendlichen in dieser Gruppe waren, und wie wenig der Name »Freie Jugend« etwa geschlossene Anhängerschaft für Ernst Friedrichs Pazifismus bedeutete,zeigt die Gegenüberstellung zweier, miteinander eng befreundeter Mitglieder: Rudolf Treiber, aus dem Hause eines gebildeten, selbständigen Friseurmeisters (SPD), der mehrere Tageszeitungen, u.a. auch die anarchosyndikalistische »Schöpfung« bezog und »den Kunden schon mal sagte: wartet mal, ich muß erst mein Buchkapitel zu Ende lesen...«, hatte eine Lehrstelle, was damals noch die Ausnahme war. Er war früh literarisch interessier— »Meine ersten Bücher waren Tolstois »Auferstehung« und »Mein Leben«, und ich fing auch mit 16 Jahren selbstzu schreiben an.«(59) Erwarnach eigenen Worten stark von den gewaltlosen Ideen Tolstois und von Gustav Landauer beeinflußt. »ich war damals Vegetarier aus prinzipieller Gewaltlosigkeit und habe am Mittagstisch meiner Eltern jahrelang das Fleisch verweigert...« Unter dem starken Eindruck von Landauers »Aufruf zum Sozialismus« ging Treber im Frühjahr 1924 für 2 Jahre in eine anarchistische Siedlungskommune auf dem Solberg im Schwarzwald. »Wir hatten dort 27 Obstbäume, eine Kuh, 3 Ziegen und Hühner—die haben wir aber nie geschlachtet, nur die Eier haben wir gegessen...« (Die dortige Gruppe verlor sich anscheinend nicht nur in der Landidylle — »wir hatten mehrmals Haussuchungen durch die Polizei, z.B. weil wir antimilitaristische Plakate an die Kirchen geklebt haben.«) Treibers älterer Freund Philipp Urban dagegen war ungelernter, häufig arbeits- loser Arbeiter. (»Ich arbeite so mit der Schippe...«)(60) Auch er hatte starke 216 literarische Interessen, las aber vor allem Nietzsche (»Der hatte Nietzsches Gesammelte Werke zu Hause — sonst hatte er nicht viel...«), daneben auch Bakunin und Kropotkin. »Philipp Urban trug immer eine geladene Pistole, propagierte die »direkte Aktion« und die »Expropriation der Expropriateure«. Urban meinte das wörtlich und augenblicklich: Er spannte an der Ortsausfahrt zwischen Düsseldorf und Ratingen des öfteren nachts Drahtseile, womit er die Autos zum Anhalten zwang. (»Autos waren damals noch höchst selten — das war das Symbol des Bourgeois«) Gegen die Herausgabe von Wertgegenständen oder Geld ließ er die Insassen weiterfahren. Von diesen »Einkünften« finanzierte Urban z.T. seinen Lebensunterhalt (und vermutlich auch die gesammelten Werke Nietzsches), den anderen Teil steckte er in Flugblätter und Plakate, die er »z.T. in Einzelaktionen« oder mit der Jugendgruppe verbreitete. Philipp Urban wurde im Jahre 1925 verraten, verhaftet und zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Lüttringhausen absaß. In seinem Prozeß soll er eine beeindruckende politische Verteidigungsrede gehalten haben. (Über diese Vorgänge ist schriftlich lediglich eine im selben Jahr geschriebene Darstellung Treibers erhalten, die unter dem Titel »Amnestie« in der Jugendbewegungszeit- schrift »Junge Menschen« erschien, und neben ihrem Inhalt auch ihrer Form halber erwähnt zu werden verdient, die politischen Aufruf, zeitgeschichtliches Stimmungsbild, Dokumentation und Kurzgeschichte in einem ist.) Die »friedliche Koexistenz« bzw. sogar Freundschaft so heterogener Menschen ist ein wichtiges Charakteristikum jener Frühzeit der anarchistischen und syndi- kalistischen Jugend. Hier ging es zum wenigsten um Dogmen und deutlich gegeneinander abgegrenzte »politische Linien«. Ähnlich wie in der bürgerlichen Jugendbewegung ging es vor allem um Freundschaft (und auch um Feindschaft) von Personen, die aber nicht zufällig in der Regel der eigenen Klasse entstammten. Entsprechend persönlich wurden auch alle Auseinandersetzungen ausgetragen. Amnestie! Amnestie! vie :hon So schallt es in allen Tonarten, aus all en Ecken, wc wenigstens noch etwas I m p- rinlen für Recht und Wahrheit lebt - - dmnestie! Die Eraktimren des Rcirhstngrs fingen mehr oder weniger weugchrnde Anri . e cin, die Kommuuistru schreien sich die liaise wund, und Erich Miihsani, der eben erst selbst aus dem bayerischen Ked.er entlassen wurde, reist von Stadt zu Sta.t, um Ihr seine nach in Gefang. nschaft Rhniacirtenden Brüder zu wirken Heraus 'd den Politischen (icfangenen! — Ame neaie! Und welcher Mensch der wirklichen Jugendbewegung stimmte nicht mit ein in diesen Ruf. Fechenb.rch, der nach din Anrichte., von Fachjuristen belbst nach 'be rgerlichen Gesetzen zu U urecht verurteilt ist, wurde „begnadigt" - Freiheit für die 7010 politischenVerbrecher" wird laut gefordert, da ihre „Verbrechen" doch nur rel.nive sind in Bezug auf die jeweiligen Shaws- und Regierungsformen — und, gesagt, die Jugenu trau das Recta, es am ersten und lautesten zit fordern. Aber unzählbar rind die anderenOpfer unserer Justiz, die nichtpolitischen, die „ge- meinen" Verbrecher und wer hat dasireseelle Auge dines Otto Zirker, um auch in ihnen noca den Stenscli zu sehen -- noch den Grader. .. Die den verwaschenen hLm.O Kiltrl mit den grauen Streifen an- "enrgen haben, mögen sich hinter den (ütteru damit abfinden, daß sich draußen — außer einem weinenden Weib vielleicht — ihrer keiner mehr erinnert. Lider doch? - Seine Mutter war eine, über die der ehrsame Ifürger die Nase rnm pft -- sie gebar ihn unehelich. Und» da sie, allein- stehend, unfähig war, ihr Kind von ihrem kargen Dienstbotenlohn zu niihren, gab sie es in die Fanlilie eines ländlichen Arbeiters. Don wuchs er auf mit seiner zahlreichen Pllegehrüdern. Es war ein keines Dörfchen noch, in dem er zur Schuh ging, in dem er am plätschernden Brunnen spielte, wo er mit seinen Kameraden die üblichen Jungenstreiche ausführte, und wo er auch später bei Bauern arbeitete. Ein Dörfcirenwar es, wo die Hauser sich noch i erst eckten hinter den griinen Kronen der Obstbäume, so 'die' windbewegten Wogen der Getreidefelder es umratunlen, und Blu» nieselesen duftend in den f !Mime! lachten. Dora !chic er mit seinen Brüdern. Als er idiler wurde, trieb's ihn auch zeitweise in die Stadt. Denn eue seiner Mutter hatte er wohl etwas geerbt, was ihn auf die Dauer uubetriedigt hielt im Kreise der Bauern. tr las Bücher, und er hörte und ah ant den Buhnen Wesen und Worte und lauschte in stuminen großen Sälen rau-unbend klingenden lanen, die alle seiner Seele irgendwie bekannt z'i sein schienen — wer weiß woher. Dann kam der Krieg. Dieses entsetzliche Ungeheuer, das unter Millionen anderen auch ihn hineinriß in den Schlamm von Schmutz und Blut und feldgrauen Uniformen — verschüttet — verwundet - gefangen. Und vor ein paar Jahren ward er dann entlassen — hingewor-en ... „Nun sieh', wie du fertig wirst." Der Krieg war ihm, aber zum Erlebnis geworden, Er blieb fortan in der Stadt. Er konnte nicht mehr bei den stillen Landleuten leben, die in ewiger Ruh und Gottesdemut ihren Acker pflügen. Er blieb jetzt in der Stadt — bei den tausend andern, die gleich Ihm ein unruhig pochendes Herz vor sich hertrugen, die da dumpf sinnen — aufspringen - vorstürmen — zurückge- schlagen werden und wieder sinnend vor sich hergehen. Es muhte doch kommen — das Große — Umwandelnde. Fabriken fragen täglich an seinem Leib, und wildes Rattern eiserner Walzen und Zischen glü- hender Eisenblicke zerdrückte fast seine Seele. Und dann hieß es wieder eines Tages „fers Vaterland", und die Arbeiter verließen die Betriebe Und wirklich, solange es im Interesse dieses Staates ging, scheute er sich nicht, die Leute auch fürs Nichtstun zu bezahlen. Als aber der passive Widerstand zusammenbrach, da drückte man den arbeitslos gemachten Proletariern die Stempelkarte in die Finger. — Auch die Familie, bei der er ein mabtiertes Zimmer bewohnte, hatte einen erwerbslosen Ernäh- rer. Darum gab er den Leuten auch wei- terhin seine Miete, und was dann noch Übrig blieb, von der wöchentlichen Unter-stützune — wer wüßte es nicht. Und so monatelang — eine kalte Stube — regennasses Pflaster _ zu den Füßen windgepeitschte Wasserpfützen, darin — lichtgeblendet — bunte Fenster sich spiegeln — hinter hellen Scheiben hundert Dinge tausendfach — aus offenen Türen flattert warmer Duft verschwenderischer Speisen und leises Singen ferner, rauchverhangener Geigen — und satte Barger — Damen, pelzumkleidet — und alles — alles da, nur e — nicht für all die Ausgestoßenen der Not. — Doch draußen — hinter den letzten Vor-stadlhäusern — wo auch der letzten Laterne trübes Dämmern versprüht im Finstern der Nacht — wo die Straße stumm hinauszieht zwischen langen Reihen schwarzer Bäume, die noch Schatten werfen in den tiefsten Schatten — dort — dort —fliegt nicht ein Auto die Straße hin'— Lichtkegel streichen .lauernd far Sekunden die seitlichen Stä'pme — schwere Koffer sind mit Riemen ‚efestigt —Schneeschuhe Iugen aus dem Führersitz. Damen und Herren genießen schon im voraus die Wine terfreuden — Schneegestöber und Ballmusik wirbeln in ihrem Hirn mit Duft von Sekt und finsterem Tannengrün — Winterfreude juhelt selbstzufrieden — hahaha! Ein Schuß - das Auto halt. Und die Koffer müssen sich öffnen, und Ledertaschen speien widerwillig Dollarnoten aus in Hände, die es nicht gewohnt sind, solche Fetzen zu besitzen. Und dann taucht Nacht die schwarze Maske über alles, und die Straße gleitet wieder lautlos in die Ferne. Nur die Bäume rauschen leise hinter den Lichtern her, die eilend in die Nacht verschwinden. — Als ich zu Weihnachten, dem Fest des Friedens und der Liebe, nach hier kam, durfte ich meinen Freund im Untersu- chungsgefängnis besuchen. Man halte ihn in seinem stillen süddeutschen Heimatdörf- chers,.in das er sich zurückgezogen hatte, verhaftet. Sein kranker Pf'egevater, den er nun die letzten Wochen gepflegt hatte, starb am folgenden Tag. — Und nun konnte ich ihn hier zweimal besuchen, Zweimal im Monat fünf Minuten unter Aufsicht mit ihm sprechen. Einen Brief, den ich ihm schrieb, bekam er nicht. Einen seiner Mutter erhielt er nur zum Teil. Als ich ihn das zweite Mal besuchte, sah er mere- lich' schlechter aus. Ein Herzleiden, das ihn bisher wenig belästigt halte, begann jetzt — monatelang der Sonne beraubt — zu wählen in seiner Brust. Er meldete sich krank, und darauf steckte man ihn in Einzelhaft. Diese sei ihm aber unerträglich, sagte er, und er wollte sich dann lieber wieder gesund melden, um in seine alte Zelle zurückzukommen, die sie zu dreien sich teilten, er, ein Geldfälscher, und ein Dritter, der zwei leere Sacke gestohlen haben soll. Ja, die Gefängnisse sind wohlbesetzt, und wenn Besuchstag ist, dann hocken die Leute dichtgedrängt auf den 'Holzbänken des Wartezimmers und warten auf den Aufruf ihres Namens. Dech fast nur Menschen der arbeitenden Klasse sieht man dort. Und wenn dann ein Name aus des Beamten Mund laut wird — dann steht wohl eine Frau auf — ein Kindchen auf ihrem Arm — und folgt dem Warter durch den langen Gang — und ein kleines Mädchen trippelt hinterher — an einer losen Kordel einen Pappkarton tragend für seinen gefangenen Vater. Und — Jugend! — wieviel solcher Ktr- kerpaläste gibt's? Du ziehst des Sonntags hinaus — streifst mit Klampfe und Singsang durch die W51- der — folgst dem klarb'auen Fluß durchs Tat und steigst auf Berge. hoch in die sonnendurchwebte Luft. lind da schaust du — Jugend — weit über ebenes Land und über die Erdwogen der Berge. wo kleine Pünktchen weiß und bunt die Wohnstätten guter Menschen bedeuten. und — weißen Bändern gleich — die»Straßen verbindend von Ort zu Ortchen ziehen. Und im fernen Nebel des Horizontes den Oberglänzenden Lauf des grcßen Stromes. . Und dennoch wachsen umjeden Berg die öden Gemäuer roten Steines hoch — mit den doppelten Mauern, fünf Meter hoch, und den schweren eisenbeschlagenen Toren. Außen kleben an den Mauern die kleinen Häuschen der Aufseher; mit den winzigen Vorgärtchen, aus deren hartem Boden dürftig Hälmchen sprießen, wenn — wie jetzt — der Frühling kommt. Hinter den Mauern aber starren tausend blinde Fensterluken in den Tag mit unbarmherzig harten, kalten Eisengittern. Und hinter jedem Gitter hocken drei Menschen — Menschen, die warten — warten, warten auf die zweimal fünf Minuten im Monat, in denen sie einen Lieben sehen, sprechen können. Warten — warten auf die Frei- heit.— Vorige Woche bekam er sein Urteil. Richter, gebunden an grausige Paragraphen und erkaltet in der Gewohnheit ihres Berufs, sprachen es aus und Schälten, fern jedem Verstehen, sagten „Ja und Amen" ... Dreieinhalb Jahre! — Als der Angeklagte in seiner Verteidigung auf die schreienden Gegensätze der Zeit hinwies, erklärte der Vorsitzende mit der grauen, kältesten Miene, das gehöre nicht zur Sache und entzog ihm das Wort. Und ein Jugendlicher, der dagegen protestierte, wurde von diensteifrigen Beamten an die Luft befördert. — Und wahrl.ch — Protest ist zwecklos. Amnestie! ruft das Proletariat — Am- nestie! ruft die Jugend; doch, denkt daran, daß auch die meistengemeinen" Ver- brecher nur Opfer einer Weltordnung sind, die nur Kinder und Greise „göttlich" nen- nen können. Darum ruft: Amnestie für alle Opfer der Justiz! Doch hofft nicht, sie von den Macht- habern erbetteln zu können. Rudolf Treiber. 217 218 3. Die Freie Schule und die Freiheitliche Kindergruppe Die Erziehungsinitiativen der Anarcho-Syndikalisten stützten sich vor allem auf das Wirken des spanischen Anarchisten und Pädagogen Francisco Ferrer (1859- 1909). Dieser gründete unter dem Eindruck der vom Katholizismus beherrschten Schulen Spaniens sowieangeregt durch pädagogische Experimente im Umkreis des französischen Syndikalismus (Paul Robin) im Jahre 1901 in Barcelona eine eigene Schule, die »Escuela Moderna«. (Ferrer war 1907 auch Mitbegründer der »Solidaridad Obrera«, des späteren Organs der anarcho-syndikalistischen CNT.) Über das alte Schulsystem schrieb Ferrer: Ein Wort wird genügen, es zu charakterisieren: Gewalt! Die Schule beherrscht die Kinderphysisch, moralisch und intellektuell ... Sieberaubt sie jeden Kontaktes mit der Natur (!), um sie bilden zu können, wie die bestehende Ordnung es verlangt ... Die Lehrer sindbewußt oder unbewußt bloße Organe des Willens der herrschenden Klasse... Von ihren frühesten Jahren an und mehr als irgend jemand sonst haben sie Disziplin und Autorität über sich gefühlt. Und wenige sind es, die dieser despotischen Bestimmung entronnen sind; im allgemeinen sind sie machtlos dagegen, denn sie sind von den Schulorganisationen in einer Ausdehnung unterdrückt, daß sie nichts anderes als zu gehorchen wissen.(61) Ferrer sah konsequenterweise einen Nachteil darin, bereits ausgebildete professionelle Lehrer in seiner Schule einzusetzen, »einen noch größeren Nachteil aber sah er darin, Freiwillige zu beschäftigen, die keine Erfahrung hatten.«(62) Deshalb gründete er zusätzlich eine Schule für Lehrer, die von den Behörden zugleich mit der »Escuela Moderna« geschlossen wurde. In Ferrers »Moderner Schule« lernten zunächst 30, im Jahre 1903 266 Jungen und Mädchen. Sie waren Arbeiter- und Mittelschichtskinder und hatten koedukativen Unterricht—eine für damals und für Spanien sensationelle Neuerung. Dazu Ferrer: Nach meiner Meinung war die gemeinschaftliche Erziehung von wesentlicher Bedeutung... Die Naturwissenschaften, die Philosophie und die Geschichte vereinigten sich im Gegensatz zu allen Vorurteilen in der Lehre, daß Mann und Frau zwei ergänzende Faktoren der menschlichen Natur sind... Die Frau darf nicht auf das Haus beschränkt werden. Das Gebiet ihrer Fähigkeiten muß weit über das Haus hinausgreifen—es muß sich bis zu den letzten Grenzen des Gesellschaftslebens ausdehnen... Die Frau muß sowohl hinsichtlich der Quantität als auch der Qualität das Gleiche lernen wie der Mann. Wenn die Wissenschaft ihren Einzug in den Geist derFrauhält, wird diese es sein, die ihrreiches Gefühlsleben, dieses charakteristische Element ihrer innersten Natur, den frohen Vorboten von Frieden und Glück unter den Menschen bestimmt.(63) Radikale Sätze für einen spanischen Mann. Allein schon die Einführung der Koedukation war zur damaligen Zeit ein revolutionärer Akt, der besonders in Spanien auf erbitterten Widerstand stieß. Die koedukative Idee teilt Ferrer mit 219 vielen anderen Reformpädagogen dieser Zeit in Europa und den USA. Seine Sicht des Verhältnisses von Mann und Frau zeigt aber bereits zugespitzte Positionen des frühen Feminismus und verrät u.a. den Einfluß der anarchistischen Theoretikerin Emma Goldman, wenn er schreibt: Es ist durch unwiderlegliche Beweise klargelegt und tausendmal wiederholt worden, daß die Männer die Gesetze zu Gunsten ihres Geschlechts und gegen das andere gemacht haben; ebenso, wie der Gesetzgeber, reich und priviligiert, immer gegen den Armen und Enterbten Gesetze schaffte und schaffen wird — denn das Gesetz ist immer der Mißbrauch der Macht. Was aber die Frauen anbelangt, so haben diese noch ärgere Fesseln als die Gesetze: Die Kleidung, die durch die althergebrachte Unwissenheit und deren Folgen, die Vorurteile , festgestellt wird, und vor allem die Vorurteile der Frauen selbst, die gleichzeitig Opfer und Mitschuldige ihrer eigenen Skalverei sind. Über die gemeinschaftliche Erziehung von Jungen und Mädchen hinaus versuchte Ferrer in seiner Schule Prüfungen, Belohnung und Strafe abzuschaffen: Wir, die wir die gemeinschaftliche Erziehung von Knaben und Mädchen, von Reichen und Armen (!) propagiert und in die Tat umgesetzt haben,... sind natürlich nicht gewillt, eine neue Ungleichheit zu schaffen. Darum wird es in der Modernen Schule weder Lohn noch Strafe geben; es wird keine Prüfungen geben, die einigen Kindern das schmeichelhafte Prädikat »vorzüglich« geben... andere unglücklich macht durch ein Bewußtsein der Unfähigkeit... Wenn wir eine Wissenschaft, eine Kunst, ein Gewerbe oder irgendetwas lehren würden, das an besondere Bedingungen geknüpft ist, dann mag eine Prüfung nützlich... sein, ...aber in der Modernen Schule gibt es solche Spezialisierung nicht.(64) Ferrers Kampf galt in besonderem Maße dem »Patriotismus, dem Kapitalismus und der Religion«, die er ein »Netz« nannte, »das die Persönlichkeit des Menschen erstickt und verkümmern läßt.« Ebenso wie Kropotkin verfocht er einen optimistischen, humanistischen und noch von Zweifeln ungetrübten Begriff der Wissenschaft. Sein Erziehungsziel waren »Männer und Frauen..., die selbständig und frei denken und die Wahrheit und Gerechtigkeit lieben. Um dieses Ziel zu erreichen, ersetzt die Schule die dogmatische Methode der Theologie durch die vernunftgemäße Methode der Naturwissenschaft...« Auch das Menschenbild Ferrers ähnelte dem optimistischen von Kropotkin: Es leugnete die egoistischen, aggressiven und »unvernünftigen« Seiten der Menschen nicht, hielt sie aber für überwindbar durch die Mobilisierung der ebenso im Menschen vorhandenen Fähigkeiten zur Vernunft und »gegenseitigen Hilfe«: Der Unterricht ist auf der fortschreitenden Entwicklung des Kindes aufgebaut und vermeidet alle atavistischen reaktionären Instinkte—Religion, Rassenfeindschaft, Klassenvorurteile, Kriegsleidenschaft und Vergeltungssucht — die im Kinde das tote Gewicht der Vergangenheit darstellen und jeden freien und zielbewußten Versuch zur Verwirklichung einer besseren Zukunft für die Menschheit vereiteln.(65) Keines der vorhandenen Schulbücher konnte solchen Ansprüchen genügen. Auf 220 Ferrers Anfrage nach einem geeigneten Geographielehrbuch antwortete z.B. der bedeutende französische Geograph und Anarchist Elisee Reclus, er kenne kein Buch, »das nicht mit religiösem oder politischem Gift durchtränkt sei, oder was noch schlimmer war, mit Behördenroutine.«(66) Ferrer und seine Mitpädagogen arbeiteten deshalb zum einen ganz ohne Bücher, zum anderen nahm Ferrer Kontakt zu vielen Reformpädagogen seiner Zeit auf, ließ sich Bücher übersetzen oder neu schreiben. Zu eigensinnig war die Konzeption der »Escuela Moderna, als daß sie sich den üblichen Schulsystemen oder auch nur den anderen progressiven Schulexperimenten hätte anpassen können: Die charakteristische Note unserer Schulen, die sie sog ar von Instituten unterscheidet, die als fortschrittlich gelten, ist es, daß die Fähigkeiten der Kinder in ihr sich vollständig frei entwickeln sollen ohne Anpassung an irgendeinen dogmatischen Umstand, nicht einmal an das, was man die Überzeugungssumme der Lehrer oder ihres Gründers nennen könnte. Jeder Schüler soll aus der Schule entlassen werden mit der Fähigkeit, Meister und Leiter seines Lebens sein zu können.(67) Im übrigen zeigte Ferres Pädagogik Parallelen zu vielen zeitgenössischen Reformpädagogen, so in ihrem Versuch, die Trennung von »Kopf- und Handarbeit« Theorie und Praxis in Form der »Arbeitsschule« aufzuheben, um einseitige Spezialisierungen der Kinder zu verhindern und überhaupt Gegengewichte zur fortschreitenden Arbeitsteilung und Trennung der Lebensbereiche zu schaffen. Zur längerfristigen Verwirklichung dieser Ideen ist Ferrer nicht gekommen — eine weitere abgeschnittene Utopie des Anarchismus, die auf spätere Generationen um so größere Anziehungskraft ausübte. Die Idee war zertreten, aber »rein« geblieben, sie war kein bloßes Himgespinst, sondern schien praktikabel, sie war nicht an eigenen, inneren Widersprüchen gescheitert, sondern an äußerer Gewalt. Ferrers zeit- und ortsgebundene Verteidigung des Protestantismus als Wegbe- reiter »vernunftgemäßen« Denkens wurde von den deutschen Anarcho-S yndi- kalisten nicht geteilt; auch Kropotkin erschien sie »etwas zu enthusiastisch«.(69) Ferrer schrieb überschwenglich — und natürlich gegen die katholische Kirche gerichtet: »Durch den Protestantismus verschwand die priesterliche Hierarchie und aller Fetischismus.« Dieses offenkundige Fehlurteil berührte jedoch nicht seine prinzipielle Stellung zur Religion: Der Protestantismus wird, wie alle Religionen, untergehen. Wenn die Menschheit mit der Wissenschaft besser umgehen kann, wird der Glaube an höhere Mächte... überflüs sig sein... (70) Francisco Ferrer wurde im Juli 1909 nach einem blutigen Arbeiteraufstand in Barcelona unter der— falschen — Anschuldigung der Rädelsführerschaft verhaftet, von einem Militärgericht zum Todeverurteilt und trotz weltweiter Proteste am 13. Oktober desselben Jahres in der Festung Montjuch hingerichtet. Nach nur 8-jähriger Tätigkeit wurden seine Schulen geschlossen, viele Lehrer und Schüler/innen verhaftet und Lehrmaterialien zerstört. Die pädagogische Idee lebte in ent- sprechenden Experimenten in Frankreich und im Gedanken an Ferrer selbst unter 221 Der Kampf um weltliche und »freie« Schule Zu Beginn der Weimarer Republik entbrannte im ganzen Reichsgebiet ein heftiger »Schulkampf«. Arbeiter und Arbeiterorganisationen, vor allem die proletarischen Freidenker aller Richtungen, forderten von der an die Macht gelangten Sozialdemokratie die endgültige Trennung von Kirche und Staat auch im Schulwesen. Besonders die Volksschulen waren damals fast durchweg kon- fessionell orientiert. Jungen und Mädchen wurden getrennt unterrichtet, Reli- gionsunterricht und Schulgebet waren obligatorisch. Die Arbeiter forderten für ihre Kinder »weltliche Schulen«, »Gemeinschaftsschulen« oder »Freie Schulen«, ein Schlagwort, das damals in aller Munde war, unter dem aber naturgemäß extrem Verschiedenes verstanden wurde: a) Die Forderung nach Verwirklichung »proletarischer Erziehung« durch den Staat — »frei« von bürgerlichem Einfluß — so z.B. im Umkreis von USPD und KPD b) die staatsfreie Schule (etwa nach den Modellen der »Freien Schulgemeinde« Gustav Wynekens oder anderer, zumeist bürgerlicher Reformpädagogen) c) Die lediglich religionsfreie, »weltliche« Schule — eine Forderung, die oft auf die bloße Abschaffung des Religionsunterrichts und Schulgebets hinauslief, bzw. auf die Einrichtung eines wahlweisen »Ethik«-Unter- richts, und schließlich die »Ferrer«-Schulen der Anarchisten und Anarcho-S yndikalisten, die frei von Staat, Kirche und Kapitalismus sein sollten. Diese Frage war verständlicherweise in den stark katholisch geprägten Orten des Rheinlandes ebenso umstritten wie im tief protestantischen bzw. reformierten Wuppertal. Da die Kirchen und die meisten Behörden entsprechende Verände- rungen verweigerten, kam es im Frühjahr 1921 im gesamten Reichsgebiet, insbesondere in den Zentren der organisierten Arbeiterbewegung zu großange- legten Schulstreiks. Die Arbeitereltern schickten ihre Kinder oft monatelang nicht zur Schule. Hierbei entwickelte sich in vielen Städten des Rhein-und Ruhr-, des westfälischen und des bergischen Raums häufig eine geschlossene Einheitsfront, der sonst zerstrittenen sozialistischen und freidenkerischen Organisationen, z.B: in Düsseldorf, Elberfeld, Mülheim/Ruhr, Gladbeck und Dortmund. So streikten in Düsseldorf bis zu 2000 Schüler ca. 7 Monate lang,(71) in Gladbeck über 700 Schüler sämtlicher Volksschulen für mehrere Wochen.(72) Aus Dortmund ist ein Aufruf »an die freigesinnte Elternschaft« erhalten, der von der Düsseldorfer »Schöpfung« verbreitet wurde. Er fordert die Dortmunder Arbeitereltern und - kinder zum »aktiven Streik bis zum Sieg« auf — zu diesem Zeitpunkt (Oktober 1921) waren in Dortmund mehrere Tausend Schüler seit fast 6 Monaten im d — 222, Schulstreik. Gemeinsame Unterzeichner dieses Aufrufs waren: »Freie Schulge- sellschaft, USPD, KPD, FAU, Freigeistige Gemeinschaft, proletarischer Frei- denkerbund, deutscher Monistenbund und Volksbildungsgemeinschaft »Die Menschen«(73) — eine seltene Einmütigkeit linker Arbeiterorganisationen. Der Aufruf wirft ein Licht auf die inneren Probleme der Kampfform des Schulstreiks: Die Intensität der Beteiligung reichte vom einfachen individuellen Zuhausebleiben bis zum »aktiven Streik«, Einrichtung von »Streiklokalen« durch die Eltern und Kinder, in denen die Schüler — wie ihre Väter und Mütter in den herkömmlichen Streiks die Streiktage »stempelten«, ihr Gemeinschaftsgefühl erneuerten und die weiteren Maßnahmen berieten. Hierbei waren die Anarcho-Syndikalisten besonders aktiv: Viele noch lebende Anarcho- Syndikalisten berichten, daß sie als Schulkinder an solchen aktiven Streikformen teilgenommen und sie z.T. als erste Kinder eingeleitet haben. Die höchste Kampfform war der Versuch, während der Streikzeit einen Ersatz- und Gegenunterricht zu organisieren. War dies schon eine praktische Notwendigkeit, weil die Eltern — oft beide — zur Arbeit gingen und die Kinder nicht zuhause verwahrlosen lassen wollten, so war diese Verwandlung des Streiklokals zur Gegenschule zugleich ein Ansatzpunkt für vielfältige Experimente mit »proletarischer Erziehung« — für die Anarcho-Syndikalisten die Keimform und Chance zum Aufbau von »Freien Schulen« im S inne Ferrers. In Düsseldorf war das Vermächtnis Ferrers besonders lebendig geblieben — schon vor dem Krieg hatten die relativ starken anarchistischen und syndikalistischen Gruppen dort Ferrer-Feiem abgehalten, so im Oktober 1910 und 1913. Die letztere, die von Anton Rosinke geleitet wurde, führte selbst zu harter Konfrontation mit staatlicher Gewalt: Sie wurde von der Düsseldorfer Polizei gewaltsam aufgelöst, was heftige Straßenkämpfe zur Folge hat-te.(74) Am Beispiel Düsseldorfs soll die anarcho-syndikalistische Initiative kurz erläutert werden. Hier berichtet die »Schöpfung« im September 1921 — der überparteiliche Schulstreik war noch im Gange und erst 3 weltliche Schulen erkämpft: Friedensstraße (Bilk), Jägerstraße (Lierenfeld) und Gerresheim: Im Anschluß an den Ausbruch des Düsseldorfer Schulstreiks waren die Eltern und die Streikleitung genötigt, in Gasthäusern besondere Streikschulen einzurichten, um die Kinder von den Straßen und Höfen fernzuhalten. Nach Meldung des Düsseldorfer Mitteilungsblattes weigerten sich die Düsseldorfer sozialistischen Lehrer, auch die kommunistischen, an den Streikschulen zu unterrichten, und mit wenigen, aus der Umgegend herbeigeholten Hilfskräften mußte ein stark be- schränkter Schulbetrieb begonnen werden.(75) Der Artikel berichtet weiter, man habe sich »plötzlich vor eine Frage gestellt gesehen, die auch im größeren Kreise von Arbeitereltern immer wieder vorgelegt und beantwortet werden könnte: '... Welche Unterrichtsfächer des öffentlichen Volksschulbetriebes sind für die freie Schule noch zu verwerten?« Die anarcho- syndikalistischen Eltern und wenige der FAUD, der Freigeistigen oder Frei- 223 denkerbewegung angeschlossene Lehrer antworteten zunächst praktisch: »Die Antwort in Düsseldorf lautete: Naturkunde, Rechnen, Deutsch und darin wurde der Streikunterricht erteilt«. Dabei wurden die Eltern als wichtigste Stützen be- trachtet: Es brauchen doch nicht immer geprüfte Lehrer sein, die als Handlanger des staatlichen Erziehungsmonopols, trotz unwesentlicher Reformen und zweckloser Aufopferung auch in den religionslosen Weltschulen letzten Endes unbewußt staatlichen Bildungsabsichten dienen. Auch die angeblich ungebildeten Eltern können kurze und vorläufige Ausdrucksformen finden... Wir warten auf die Eltern, wir kommen nicht weiter ohne sie! Darüber hinaus machte man sich Gedanken über weitergehende Unterrichtsin- halte und hierbei wurden Bergarbeiterstimmen aus Mülheim/Ruhr und Hamborn zitiert: »Warum lernt man den Kindern nicht mehr Naturheilkunde und die Wissenschaft der Heilkräuter?« — »Mehr Belehrung über Gesundheitslehre und wirtschaftliche Verhältnisse« — »Ein Kind soll in der Jugend erfahren, vor allen Dingen, daß es seinen Kameraden, im Kampfe jeder Art, die nötige Solidarität entgegenbringt.« — »Die Kinder müssen mehr Abwechslung haben, sonst wird ihnen die Schule leid!« — »Vom fünften bis zum achten Lebensjahr müßten die Kinder in einem Garten spielen, von acht bis zehn Jahren sollen sie sich vor allem in der Natur aufhalten.« Dies alles sprengte den Rahmen des notdürftigen Streikunterrichts ebenso wie es weit über das populäre Nahziel lediglich religionsfreier Gemeinschaftsschulen hinauswies. Auch die Umgangsformen mit den Schülern, ja mit Kindernüber- haupt, wurden zur Diskussion gestellt — die Anarcho-Syndikalisten versuchten eine Öffentliche Diskussion zu entfachen, die sich auch auf die »häusliche Erziehung« erstrecken sollte. Der Autor des oben genannten Artikels wandte sich nicht nur generell gegen die »Prügelstrafe«, sondern schloß daran seine »zweite Frage« an, es sei auch noch kritisch zu überprüfen, »welche erzieherischen Mittel...in der häuslichen (!) und öffentlichen Erziehung als Ersatz für die körperliche Züchtigung angewendet« würden! Dies waren Grundzüge eines frühen, antiautoritären Programms proletarischer Erziehung. Parallel zum aktiven Streik für die weltliche Gemeinschaftsschule wurden, nicht nur in Düsseldorf, »freie Kindergruppen« eingerichtet, in denen all diese Prinzipien zu verwirklichen seien und die »Selbsttätigkeit« und die »Interessen« der Kinder gefördert werden sollten. Aus ihnen sollten sich in mehreren Schritten die »Freien Schulen« entwickeln. »Die Schöpfung« schrieb: Inzwischen ist aber der Anfang der Freien Schule bereits gemacht durch Gründung der freien Kindergruppen in einzelnen Industriestädten. Spielen, Lesen, Volks- tänze, Wandern, um sich gegenseitig kennenzulernen, Beobachtungen und Erfah- rungen für später zumachen anTieren, Pflanzen, Menschen —Spielkameraden und Nachbarn. Und um die freie Zeit nicht mit Kino, Bummelplätzen und Schmökern auszufüllen.(76) 224 Sogleich wurde jedoch vor »ausschließlichen Lese-Wander- und Spielclubs« gewarnt. Diese »erste Stufe« sei zur »Gemeinschaftsschule« zu erweitern Aufgrund der gemachten Naturerfahrungen vereinigten sich die Kinder zu Ge- meinschaftsstundenkurzer, ernsterAussprachen über den Sinn und die Gestaltung des gesellschaftlichen Verkehrs auf der Grundlage der gegenseitigen Hilfe und eigener, naturgemäßer Lebensweise. Ferrers »Arbeitsschule« wurde als die »dritte S tufe der Freien Schule« bezeichnet. Sie sei erst dann möglich, wenn es gelungen ist, die Eltern zu Vorbereitungen und Förderung der Ausgestaltung der Gemeinschaftsstunden, zur Teilnahme am Unter- richt als Hilfslehrer und zur Lieferung von Material zu bewegen. Auf der dritten Stufe verwenden wir die Einrichtung von Schulwerkstätten, Schulküchen und Schulsiedlungsland (!), um körperliche Arbeit als Ausgangspunkt und Ende aller Kopfarbeit zu machen... In der Arbeitsschule wird nichtmehr, wie bisher im wesentlichen Sehen, Hören, Schreiben, B erechnen, Zeichnen gelehrt. Hier wird die Hobelbank zur Rechentafel, das Gemüsebeet zum Zeichenbrett für die Pflanzen- reihen, der Kochherd zur Wärmekraftmaschine. Hier wird die Richtigkeit der Kopfarbeit selbst geprüft am Genuß und Gebrauch der gefertigten Werkzeuge und gezogenen und zubereiteten Nahrungsmittel. Diese »dritte Stufe« der »Arbeitsschule« geht einerseits auf Gedanken Ferrers zurück, andererseits stimmt ihre Konzeption fast wörtlich mit entsprechenden Formulierungen deutscher Reformpädagogen überein, die in den Jahren ihre Konzepte von der Schule als »Lebensgemeinschaft« (Wyneken) und »Arbeits- schule« (Kerschensteiner, Petersen, u.a.) zu verwirklichen suchten. Der Düsseldorfer anarcho-syndikalistische Lehrer Ludwig Joist, der selbst an der weltlichen Schule in der Friedensstraße unterrichtete, schrieb: »Die Schule der Emanzipation des Kindes kann nur einestaatenlose Privatschule sein.«(77) Entsprechend lautete die Formulierung einer Entschließung zur Freien Schule, die auf dem 13. Reichskongreß der FAUD 1921 in Düsseldorf angenommen wurde — lediglich durch den Zusatz »sozialistisch« von bürgerlichen Privatschulkon- zepten unterschieden: Der Kampf um die freie Schule ist ein Kampf um Befreiung des Kindes vom staatlichen Erziehungsmonopol. Wir unterstützen alle Bestrebungen freigeistiger Eltern und Verbände zum Ausbau der religionslosen Weltschulen, aber nur unter unserer Parole: restlose Befreiung vom Staatsmonopol der Erziehung, Selbstbe- stimmung der Jugend und Elternschaft in staatslosen, sozialistischen Privatschu- len.(78) Wieder haben wir fast wörtlich Formen und Formulierungen der bürgerlichen Jugendbewegung und Reformpädagogik vor uns, und wiederum ist darauf zu verweisen, daß die »sozialistische Privatheit« der Anarcho-Syndikalisten in Verbindung mit ihren, damals noch relativ straff organisierten proletarischen Zusammenhängen um die Arbeiterbörse gesehen werden muß. Das Düsseldorfer Beispiel zeigt, wie sich diese »proletarische Einbindung« in der Praxis auswirkte. Hier kam es praktisch nicht zum Aufbau der »dritten Stufe« der freien Schule, 225 wenn man von dem kurzfristigen Versuch einer »Werk- und Heimschule Urden- bach« absieht, die im Jahre 1923 südlich von Düsseldorf als Halbinternat von der »Freien Schulgemeinde Düsseldorf-Flingern« errichtet wurde, finanziert mit Spendengeldern der Düsseldorfer Arbeiterschaft, und von den örtlichen Anarcho- Syndikalisten propagandistisch unterstützt.(79) Die Anarcho-S yndikalisten selbst brachten es hier nicht zurStufe »Arbeitsschule« — im Gegensatz zu Genossen in Jena (»Schule der gegenseitigen Hilfe«(80), ihr Mitarbeiter Johannes Stein trat 1922 als »Ressortleiter Ferrer-Schulen« in die Rist der SAJD ein) und Hamburg(»Versuchs- und Gemeinschaftsschule«),(81) die jedoch ebenfalls nicht von langer Dauer waren. In Düsseldorf mag eine Begründung für das Steckenbleiben in Kindergruppen und »Gemeinschaftsstunden« in der engagierten, z.T. führenden Beteiligung am gemeinsamen proletarischen Kampf um die »weltliche Schule« selbst liegen: Trotz der eigenen, weitergehenden Träume wurde um diesen »realen Fortschritt« von der FAUD und den anarcho- syndikalistischen Jugendlichen und Kindern mit aller Kraft gekämpft. Weltliche Schule Jägerstraße. »Durch Kampf zum Sieg« lautete die Inschrift auf einem der Schilder, die von unseren Kindern, welche am 19. d. M. in ihrem nunmehrigen Schulsystem eingeschult wurden, getragen wurden. Ein harter Kampf wars, der gegen verschiedene Mächte geführt werden mußte, gegen unsere natürlichen Gegner, die Anhänger der konfessionellen Schule sowohl als auch gegen (leider muß dies gesagt werden) die Lauheit so vieler unserer eigenen Klassengenossen, die noch immer nicht ihr Programm kennen oder nicht gewillt sind, ehrlich und ganz dafür einzutreten. Umso schwerer wiegt der Sieg, der Erfolg, der nunmehrdas Werk lohnt. Alle Wünsche sind ja nochnicht erfüllt, es bleibt noch viel zu tun übrig. Der in Kürze zu wählende Elternbeirat wird tüchtig zu schaffen haben, um das zu erreichen, was die Elternschaft erwartet. Die Eltern von Eller-Lierenfeld wünschen den Bezirken, die ihre Schule noch nicht haben, daß unser Nachgeben in Bezug auf die Lokalfrage auch für sie von Nutzen sei und sie möglichst bald ebensoweit sind als wir. Lobend muß erwähnt werden, daß die Ellerer bis auf eine kleine Minderheit den Weg nicht gescheut hatten, bis zur Ronsdorferstr. zu kommen, um mit den dort und in der Erkratherstr. Wohnenden gemeinsam den Zug mitzumachen. Es war wirklich erhebend für die jungen, als auch für die alten Herzen, als sich gegen 1/28 Uhr der imposante Zug in Bewegung setzte. Das Jugend- Tambour-Korps von Oberbilk an der Spitze hat Trommelfelle und Blasinstrumente gründlich bewegt, so daß es manch Einem recht eindringlich in die Ohren gellte, was er noch ist und was er eigentlich sein wollte. Weit über 500 Kinder zogen unter guter Führung und mit musterhafter Ordnung alle mit Blumensträußchen versehen ihrem Ziele in der Jägerstrasse entgegen. An die 200 der Alten, Weiblein und Männlein, ließen es sich nicht nehmen, ihre Jugend auf diesem Gang zu begleiten. Einige recht geschmacklose den geistigen Tiefstand der Urheber verratende Anrempeleien prallten an unserer geschulten Ruhe ab. Nach einigen kurzen, treffenden Ansprachen und aufklärenden Worten und nachdem die Jugend für die nächsten Tage zum Unterricht bestellt war, ging es unterklingendem Spiel wieder heimwärts. Und wieder ist ein Stein abgebröckelt von dem alten, morschen Bau des Unterrichtswesens. Wir bauen auf! Schöpfung 58 (1921) 226 Auch wenn die Düsseldorfer »ein Bedeutendes mehr forderten: ... die freie Arbeits- und Gemeinschaftsschule im Sinne Ferners«, erkannte die Redaktion der »Schöpfung« »die weltliche Schule als einen Fortschritt gegenüber der Konfessionsschule an«(82) Ludwig Joist beschwor die Arbeiter: Proletarier! Du sprichst von Sozialismus und erziehst Dir bei deinen eigenen Kindern Gegner! Erwache endlich aus dem Schlummer... Schicke Dein Kind in die weltliche Schule! (83) Zugleich organisierte Joist zusammen mit der Redaktion der »Schöpfung« eine heftige Kampagne gegen die »neuen Götter« in den weltlichen Schulen (die Schulleiter), und wies darauf hin, daß unter dem »neuen Etikett« häufig der »alte Ungeist« fortlebe, daß weiterhin geprügelt werde, weiterhin religiöse Lieder gesungen würden, das Singen sozialistischer Lieder im Unterricht aber geahndet würde. Joist fragte: Was war das Ergebnis dieses monatelangen Durchhaltens (im Schulstreik)? Ausweisung des Konfessionsunterrichts aus der Schule—im übrigen herrschte die Dressur, die Kasemenpeitsche nach wie vor. Und die Schriftleitung der »Schöpfung« kam zudem Schluß, daß von allen Hoffnungen auf die weltliche Schule, bisher nichts verwirklicht worden ist, wenn man die Ausmerzung des Religions- unterrichts als einen Erfolg ansehen will, die aber bei den konfessionellen Schulen auf Antrag ebenfalls möglich ist. Dahingehend ist der Untertänigkeitszustand, der blinde Autoritätsglaube der Schule ihr bisher treu erhalten geblieben, so daß wir Freiheitlichen mit Recht heute den Kampf um die weltliche Schule in einen Kampf gegen die weltliche Schule ummünzen können ... Auch die Republik braucht gehorsame Untertanen, ebenso wie die Monarchie — die weltliche Schule sorgt dafür, daß sie sie erhält.(84) In dieser »Doppelstrategie« für und gegen die weltliche Schule verzettelten sich die Anarcho-Syndikalisten. Ludwig Joist versuchte eine Zeitlang, diesen Gegensatz in seiner eigenenPerson auszutragen und umzusetzen, indem er sich um einen »Freieren« Unterricht bemühte, das Lehrer-Schüler-Verhältnis zu lockern versuchte, das »Siezen« abschaffte usw.. Zugleich reiste er als Redner in der rheinisch-bergischen Region umher und hielt Vorträge für die Freie Schule unter Themenstellungenwie: »Schulkaserne oder Lebensgemeinschaft?«.(85) Joist verfocht 1922 auch die Idee, angeschlossen an die soeben errichtete Düsseldorfer »Siedlung Freie Erde« eine Freie Schule zu gründen: Die Siedlung Freie Erde bei Düsseldorf-Eller hat schon manchen Menschen angelockt, weil in ihr ein gewisser freier Zug weht. Unabhängig vom Staate wird hier versucht, ein freies Leben zu führen ...Wäre es nun nicht möglich, hier den Keim jungen Lebens einzupflanzen,...wenn nicht nur ein reger Besuch dieser Siedlung stattfände, sondern wenn sich wirklich freie Menschen bereit erklärten... dort eine freie Schule zu schaffen, die Franzisco Ferrers treues Abbild wäre.(86) Joist scheint dafür keine »wirklich freien Menschen« gefunden zu haben. Ludwig Joist wurde im Herbst 1922 unter Vorwänden aus dem Schuldienst entlassen, was 227 zu politischen Protesten von Schülern und Eltern führte. Diese Entlassung scheint u.a. mitverantwortlich dafür zu sein, daß Joist im Jahre 1923 vollständig »aus der Bahn« geworfen wurde: Da er als arbeitsloser Lehrer praktisch »nichts Konnte«, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt war, wurde er Hilfsarbeiter beim Bau der Oberkasseler Brücke. Als solcher war er noch eine zeitlang bei der FAUD tätig und schrieb in der »Schöpfung«, ehe er 23-jährig (!) einer damaligen spirituellen und Selbstdarstellungsmode folgend, zum »Ich-Menschen« konvertierte. Ich Bin Luzifer ES Christus Das ewige Leben, der Ober-winder des Todes. derLichtbringer In dem Chaos der letzizeft, der Friede nedi entsetzlichem Blutbad I m Chder GOTTMENSCH I Der edile Deulsdie I erbaue des Wahre Vaterland I erfülle des Christentum I a verwirklkhe den Sozlallsmus I besibllge den Kommunismus I erridite den Anarchismus I öffne die Pforte des Paradieses ersdsliebe des Himmelreich I verkünde die Belgians Breiheini ICH, LUDWIG J01SsT, BIN TAT Exkurs: »Ich-Mensch«, »All-Mensch« und Anarchismus Diese Strömung ging von dem Hamburger Ludwig Haeusser(87) aus; vom Umfeld der rheinisch-bergischen Anarcho-S yndikalisten schlossen sich ihr außer Joist noch Max Schulze-Sölde und der Elberfelder Walter Leiferkus an. Auch bei Schulze-Söldeerfolgte diese »Wandlung« nachseinem sozialen » Abstieg« zu den Hamborner Bergarbeitern! Diese »Spinner«, wie sie von ihren ehemaligen Ge- nossen genannt wurden, propagierten vordergründig die »Erfüllung des Christen- tums«, »Das ewige Leben« usw., letztendlich aber sich selbst (»Ich der Gott- mensch...<). Wir haben es hier mit einem Zerfallsstadium der radikalen Betonung der Rolle der Person zu tun — die Person löste sich von ihren sozialen Zusammenhängen. Dies war nicht nur auf einzelne Anarcho-Syndikalisten bürgerlicher Herkunft beschränkt — schon im Kaiserreich waren 2 regional bekannte anarchistische Arbeiter bzw. Handwerker aus dem Wuppertal zu einem vergleichbaren sen- dungsbewußten, personalistischen »Christentum« gelangt: Fritz Binde, Uhrmacher in Vohwinkel, der, aus evangelischer Handwerkerfamilie in Thüringen, 228 zunächst Mitglied der SPD war, später Anarchist, Freund Landauers und Mitar- beiter bei dessen Zeitung »Der Sozialist«. Und Johannes Christian Josef Om- merbom, Arbeiter aus Barmen, der sich vom stadtbekannten radikalen SPD- Agitator über die »Jungen« in der SPD zum Anarchismus Landauers entwickelte. Beide vertraten in Landauers »Sozialist« einen extrem vergeistigten Sozialismus, so daß selbst Landauer sie in einem polemischen Artikelals »Weichtiere« angriff. Fritz Binde betrieb nach den Worten seines Freundes Ommerborn »die voll- ständige Vergasung (= Vergeistigung) der proletarischen Interessen.« Beide wurden später zu evangelischen Wanderpredigern. Dieser weltanschauliche Wechsel von extrem persönlichem und geistigem Anarchismus zum messia- nischen Predigertum ist, vor entsprechendemfamiliären und sozialen Hinter- grund nicht so überraschend, wie es zunächst scheint. Als Bindeglied fungiert die bis ins Unendliche aufgeblähte Bedeutung der Person. Ommerborn gibt dies selbst — ohne kritische Absicht — wieder, wenn er Fritz Binde aus dessen anarchistischer Zeit zitiert: Man darf sich nicht so sehr mit der Sache identifizieren, die man verficht; man muß den Mut haben, in sich selber die Bestätigung der Sache zu sehen, die man verficht — denn letzten Endes kommt es doch immer wieder auf die Befriedigung des eigenen Ichs heraus! Auf diese Weise unterliegt man nicht denEnttäuschungen der anderen! Die Resignation ist hier deutlicher Auslöser eines extremen Personalismus, für den die »Sache« sekundär wird. Unter den rheinischen Anarcho-Syndikalisten gab es auch andere vereinzelte Erscheinungsformen hypertropher »Vergötterung« des Menschen. Gerade weil mit beispielloser Konsequenz jegliches »höhere Wesen« geleugnet und bekämpft wurde, die Anarcho-Syndikalisten aber mit dem dürren »Materialismus« nicht zufrieden waren, der — vor allem im Umkreis der Sozialdemokratie — aus einem populärwissenschaftlichen Gemisch von Ideen Darwins, Haeckels (Monismus) u.a. bestand, waren Einzelne durchaus auf der Suche nach »Religionsersatz«. Hier spielten z.B. die Ideen von Nietzsche eine Rolle, dessen »Übermensch« von den deutschen Anarcho-Syndikalisten nicht als Symbol einer neuer Herrenrasse mißverstanden wurde, sondern als Ideal menschlicher Emanzipation aufgefaßt wurde, die allein durch den »Willen« zu bewerkstelligen sei. Nietzsche selbst war in diesem Punkt beeinflußt von dem Individualanarchisten Max Stirner, der u.a. geschrieben hatte: »Suchet nicht die Freiheit... in der Selbstverleugnung, sondern suchet euch selbst... werdet jeder von euch ein allmächtiges Ich.(89) Ein Beispiel für solche Gedanken ist ein Gedicht in der »Schöpfung« aus dem Jahre 1921. Der Autor,ein führender Anarcho-Syndikalist, der nur unter dem Pseudonym »Proleditus« schrieb, und zahlreiche, richtungsweisende und zentral placierte politische Artikel in der»Schöpfung« veröffentlichte, formulierte hierin unter dem Titel »All Mensch« u.a. 21ü'2fenft. Ylas bill Du. 'Dienten? Woo wilijt Du fein? Ikt bent, was fnRft bu werben! — i'u bitt ein kind), ein Reim, ein Strobl, ein winlig Rittndten, ninncftreut Ins %ll unb mit ihm tins, Dertiteltenb unb gebannt., 'Poch wie ein Spiegel aufi, Der all. Strafgen !fingt, vereint nub formt am f futni t bu Dieb yur 1 e[t, ctt einyig eigenen; !clue-Kt buret Seit unb 9iar.n, bem xi[Bnix gteitl5; Dergtbjt In L'ttft unb Gdwuer,i, mieft aft unb f unn, buret) eigne Straft unb heilere 91?rtdtt, unb blci5"t beet) immer was Du Wit: ein ° II im 91(1. Ttu greifjt nub wirfttrfaht, ine jnnerjte Denfenit, geprceitt, bdrdtgllittt, with wie ein I2bclftein, in t;:rew mectrftojten rollft bu bu Tal. Tin anbete 9111 rollt neben bit, treutt beine 180bn; ein Stoll — vereint — bu bridt{t — Tin Gtild löft !let) Don bit — acin $erbbtst flodt — bu ‚titterft, trefft: mein Stinbl Net) hilt Du mac)tine, wie Die 93ftan3e, ber ein fraud) Dan Samenfora entfiilhrt, Stun mtt ft ea, fdrroebt, tollt feine Mahn, tuft eine '!Brit wie bu. — Ikin 1henten ftrattlt fhhtaus tlerb was bu wirfjt Ieht fort, bleibt unocrloren, mie Du leibft, auch wenn Du Idngft oerflof en bifi im ate Glaub entfliebjt Don stern +u Stern, Go ringst bu mit bem GdtiAjul, tait bent Tin: Tvt formfit unb wirft geformt, Du (tegft unb wire befiegt ale Gdhilpfer nub tfxfdtiipf, — Ints hilt Du. 9Renfcth? Sch., wit !it's nimntft: ein Stein, ein !doom, ein 213ttrm, tin (fiott! ;Ye wie ben 4Beltgelft bu begrelfft unb role er Did) erfayt unb aus bit wirft buret) &firn nub liety unb elan!. — Drum lebet ftrebel Tent' an bas Viichjle, ban bu werben foDift! a Er Ps Imyon° n/nwirottbitus, MO »V'7VV9VI»JOCI»I»JYI.JI'dMOOF+J aus: Die Schöpfung 42/1922 229 230 Was das Bedürfnis nach Religiosität betrifft, so hatte auch Gustav Landauer, ohne allerdings dadurch zum weltfernen »Gottsucher« zu werden und sich vor den Tageskämpfen zurückzuziehen, der Menschheit eine neue »Religion« prophezeit. Für ihn war es mit der bloßen Verneinung der alten Götter nicht getan, und er scheute sich nicht, den Begriff der Religion im wörtlichen Sinne zu gebrauchen, d.h. als Gebundenheit der Menschen aneinander und an einen gemeinsamen »Geist«. Allerdings Könnten solche Bindungen nur auf der Basis der Freiwillig- keit entstehen. Landauer schrieb: Hat die gleiche Richtung des Geistes in den Individuen dieseerst mit ihrem natürlichen Zwange gepackt und zu Bünden geballt, ist also die Idee... wieder einmal aus dem Geiste des Einzelmenschen herausgetreten und zum Menschen- bunde, zur Körperschaft, zur verbindenden Gestalt geworden, ... dann ist es leicht möglich, daß einmal auch wieder Jahrhunderte der geistigen Überwältigung, der bindenden Weltanschauung oder des Wahns zu den Menschen kommen.(91) Landauer betont jedoch: _ Wir suchen solche Überwältigung nicht, wir wehren uns dagegen und sind durchaus nicht nach der Befangenheit lüstern... kann sein, daß das Notwendigkeit ist; es kann auch ganz anders kommen. Wir sind noch lange nicht soweit. Was jetzt unsere Aufgabe ist, steht klar vor uns: ...Nicht die Künstlichkeit einer Religions- imitation, sondern die Wirklichkeit der sozialen Schöpfung unbeschadet der vollen geistigen Unabhängigkeit und Mannigfaltigkeit der Individuen.(92) Bei der Masse der proletarischen Mitglieder der FAUD und der anarcho-syndi- kalistischen Kulturorganisationen dürfte ein atheistischer Materialismus die Regel gewesen sein, der sich von den übrigen Freidenkeranschauungen nur durch die Militanz und Kompromißlosigkeit unterschied, mit der die Anarcho-Syndi- kalisten alle Spuren von Kirche und bisheriger Religion in ihrer Umgebung und ihrem persönlichen Leben abzuschütteln versuchten. Damit hatte man vollauf zu tun und es ist bezeichnend, daß aus der späteren Generation der SAJD Ende der 20er Jahre niemand einem vergleichbaren Mystizismus und Phantastentum ver- fiel wie Ludwig Joist. Diese ausnahmslos proletarischen Jugendlichen, häufig Kinder von Anarcho-Syndikalisten oder Freidenkern, waren in ihren Familien und Kindergruppen ganz ohne Gebet, Weihnachtslieder und Gott als drohende Erziehungshilfe der Eltern aufgewachsen. Sie kannten keine Sehnsucht nach »wahren« christlichen Werten, wie sie in Joistschen Formulierungen auch in der Zeit seines Schulkampfes durchschimmerten, wenn er etwa schrieb: »Es gibt Lehrkräfte ander weltlichen Schule, die fast täglich zur Kirche gehen, jedoch nichts Inniges den Kindern mitgeben ...(93) Kindergruppen Die Idee der »Freien Schule« war unter den rheinisch-bergischen Anarcho- Syndikalisten immerhin so stark, daß neben und in dem aktiven Kampf um 231 weltliche Schulen in einigen Städten antiautoritäre Kindergruppen entstanden. Diese waren nicht nur bloße Organisierung des Nachwuchses, sondern Organe und Ausdruck des Schulkampfes. Sie wurden von einzelnen erwachsenen Anarcho- Syndikalisten oderhäufig von führenden Mitgliedern der Jugendgruppen initiiert und wiesen alle Merkmale der »ersten« und »zweiten Stufe« der Freien Schule auf: Fahrten und Wanderungen mit Belehrung über Pflanzen, Tiere usw., Volkstänze, Theaterspiele und Erzähl- und Gesprächskreise. Solche Kindergruppen existierten ab 1921 zeitweilig in Duisburg, Hamborn, Düsseldorf, Gerresheim, Elberfeld und Aachen;(94) weitere können im rheinisch-bergischen Raum vermutet werden. Der »Syndikalist« rief etwa zum »Zellenbau«(95) in den Konfessionsschulen auf, um den Widerstand gegen religiöse, militaristische und autoritäre Unterrichtsinhalte und -formen zu organisieren und den Schulstreik vorzubereiten. Es sind also auch in Städten, wo der Schulstreik nicht oder verspätet in Gang gekommen war, anarcho-syndikalistische Kindergruppengründungen anzunehmen, so in Krefeld: 1927 berichtet die syndikalistisch-anarchistische Jugend Krefelds, daß »Krefeld sich im Schulstreik befindet« — hier ist von der Jugend möglicherweise auch Kindergruppenarbeit geleistet worden. In Düsseldorf wurde eine Kindergruppe von dem bereits erwähnten Hubert Pootmann geleitet, eine weitere von den drei Schwestern Beiermann, Töchtern eines syndikalistischen Bauarbeiters. Die Gerresheimer Gruppe organisierte Antonie Rosinke, Tochter des führenden FAUD-Mitglieds Anton Rosinke, die Elberfelder Gruppe Maria Steinacker, Tochter von Johann Baptist Steinacker, welcher der Nestor, (groß-)väterliche Freund, Anlaufpunkt und junggebliebene Mitkämpfer der Elberfelder Bewegung war. Es fällt auf, daß bis auf Pootmann ausschließlich Mädchen bzw. Frauen die Kindergruppen leiteten —, und daß alle Genannten aktive Mitglieder ihrer örtlichen Jugendgruppen waren! Fast alle stammten darüberhinaus aus den Familien führender örtlicher Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten. Für Spiele und Vorträge wurden ältere Genossen in die Kindergruppen einge- laden — so war der Elberfelder militante Anarcho-Syndikalist und »Reichsredner der FAUD«, Hans Schmitz, in der Kindergruppe Maria Steinackers beliebter Spielkamerad, Freund und Lehrer. Von ihm wird berichtet, daß er selbst erfolg- reich die Organisation von Schulfesten in der weltlichen Schule (Wörtherstraße) übernahm, in die sein Sohn und viele andere Mitglieder der Elberfelder Kinder- gruppe gingen, weil er die Lehrer für zu »langweilig und reaktionär« hielt. Es wird berichtet, daß Hans Schmitz mehrfach in die Schule ging, wenn Kinder geschlagen wurden, den betreffenden Lehrer aus dem Unterricht holte und zur Rede stellte.(96) Im Jahre 1923 oder 1924 führten sowohl die Elberfelder als auch die Gerres- heimer anarcho-syndikalistischen Kindergruppen öffentlich »Des Kaisers neue Kleider« von Andersen auf. Häufig besuchten sich die Kindergruppen der 232 einzelnen Städte gegenseitig oder unternahmen gemeinsame Wanderungen. Die Elberfelder Kindergruppe hatte in dieser zeit ca. 10-15 Mitglieder zwischen 8 und 12 Jahren, die Gerresheimer Gruppe ca. 20 Kinder. Maria Steinacker starb bereits im Jahre 1924 — in Elberfeld scheint in den folgenden Jahren niemand eine vergleichbare Bereitschaft, Fähigkeit und Geschicklichkeit besessen zu haben, mit Kindern umzugehen — die Kindergruppenarbeit kam zum Erliegen. Über die Mitgliederzahl und Aktivität der anderen rheinisch-bergischen Kindergruppen ist wenig bekannt. Aus späteren Jahren ist ein Bericht der Hambomer Kindergruppe von einer Fahrt zum Oberrhein erhalten. Die Kinder schrieben ihre Eindrücke von Bad Ems nieder, wo sie Zwischenstation machten: Wir mußten dabei an zu Hause denken, an die rußige Stadt des Eisens und der Kohle. Tausende von alten abgearbeiteten und müden Arbeitern, meistens Berg- leute, die wir täglich sahen, stellten wir in Vergleich mit diesen wohlhabenden Bürgersleuten.(97) Hier wurde nicht Flucht aus der Realität getrieben, sondern Fahrt und »naturge- mäße Lebensweise« der Kinder mit politischer Diskussion ihrer Erfahrungen verbunden. Der hier zitierte Bericht wurde von Hamborner Kindern in der anarcho- syndikalistischen Kinderzeitung »Proletarisches Kinderland« verfaßt. Diese er- schien überregional ab 1929 — ihre Initiatoren waren Kindergruppen im Mann- heimer Raum in Zusammenarbeit mit einer »Arbeitsgemeinschaft Freiheitlicher Kindergruppen« derGemeinschaftproletarischerFreidenker (GpF). Die GpF war der stark anarcho-syndikalistische beeinflußte Flügel der alten Freidenkerbewe- gung. Sie existierte getrennt von den sozialdemokratischen und kommunistischen Verbänden seit 1928 und hatte ihren Sitz in Düsseldorf. In Düsseldorf war auch zeitweilig die anarcho-syndikalistische Kinderzeitung »Kinderwille — Organ der freiheitlichen Kindergruppen Deutschlands« gedruckt worden, die von der FAUD- Mannheim zwischen 1928 und 1929 herausgegeben wurde. Das »Proletarische Kinderland« trat ihre reichsweite Nachfolge an, es erschien in Leipzig bis »mindestens 1931« und wurde von den rheinischen Gruppen maßgeblich mitge- tragen. Das »Proletarische Kinderland« verstand sich selbst als Organ der Freien Schulidee — es kämpfte »als einzige atheistisch-sozialistische Kinderzeitung Deutschlands... gegen die Kulturreaktion, besonders gegen die Schulreaktion, für eine freie, sozialistische Gesellschaft und Erziehung.«(99) Sie wurde zwar von erwachsenen und älteren Jugendlichen finanziert, gedruckt und herausgegeben, enthielt aber zu großen Anteilen Kinderkorrespondenzen, Fahrtenberichte, An- prangerungen von schulischen und familiären Mißständen u.ä. Die freiheitliche Kinderbewegung versuchte sich analog zur FAUD reichsweit föderativ zu organisieren, wobei der Schwerpunkt im Mannheimer Gebiet blieb. Für den rheinisch-bergischen Raum fand im März 1930 in Essen eine »Konferenz der Förderer und Leiter der freien Kindergruppen des Bezirks Rheinland« (100) statt. Hier wurde ein Bezirks-»Informationsleiter« gewählt und beschlossen, sich Organ der Freiheitlichen Kindergruppen I. Jahrgang. 1928 No. 5. Hallo liebe Kinder, wißt ihr schon, wir bauen jetzt Panzerkreuz.er. Ja, sagt einmal, woher kommt denn das Geld dazu, WO wir doch nötiger Wohnungen bräuchten, als schwimmende Mordmaschinen? Das Geld /:um Bauen miissen die Arbeiter durch St.nern und Zölle auf Lebensmittel aufbringen. Irrst mub der Arbeiter das Geld aufbringen, dann beutet ihn der Unternehmer mit seinen sauerverdienten und abgehungerten Steuergroschen aus, und schlielttich wird er noch mit denselben Mord-» walten, die sie selber bauten, umge-braeh t. Ist das nicht ein herrlicher Fortschritt im 20. Jahrhundert? Religion „$ut not: cc Ein wahres Gesch!chtchen. Tante Ami ist zu euch gekommen und läßt \ \ es sich angelegen sein, den Ifinf-jährigen Bubi in die biblischen Geschichten | einzultiliren, denn sie glaubt, daß ‚seine religiöse Irrziehung" vernachliis-sigt sei! . So liest sie ihm eines Tages von der ! \ . \ Hochzeit zu Kanaa vor: „Und Jesus , sprach zu seiner Mutter: Weib, was \ . habe ich mit dir zu schallen? Meine - Stunde ist noch nicht ge-kommenl" -- Worauf Bubi in strahlender Bewunderung herausplatzt: „Au, gaMlensch, der war aber frech, was?I" Liebe Kinder! Solltet Ihr den Inhalt nicht verstanden haben, so schreibt an die Redaktion Proletarier «e Knabe. Li oiaumschnitt von Artur Swelter. 233 234 auf Reichsebene als »Arbeitsgemeinschaft der GpF und der Freien Kindergruppen« zu konstituieren und eine Reichskonferenz einzuberufen, die im Juni 1930 zustandekam. Bis 1933 wurden mehrere »Reichsferienlager« organisiert, wobei eines an mangelnden Finanzen scheiterte (1931). Im Jahre 1932 wurden aus finanziellen Gründen dezentral 3 Ferienlager der Freiheitlichen Kinderbewegung geplant, eines davon an einem nicht bekannten Ort im Rheinland.(101) Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, ob dieses Lager zustandekam, welche Gruppen sich beteiligten und wo zu dieser Zeit Kindergruppen im rheinisch-bergischen Raum bestanden. Die Kindergruppenbewegung in dieser Region scheint aber neben dem Mannheimer Gebiet und Berlin nicht unbedeutend gewesen zu sein. Die freiheit- liche Kinderbewegung fand zwar immer wieder vereinzelte kinderfreundliche und weitblickende Erwachsene, die sie unterstützten. Auch sie hatte aber heftige Anerkennungskämpfe mit der FAUD durchzustehen. Diese solidarisierte sich erst auf ihrem 19. Kongreß (März. 1932) mit den selbständigen Kindergruppen und ihrer Rist, und versprach finanzielle Unterstützung nach den eigenen — mittlerweile sehr bescheidenen — Möglichkeiten. Allerdings waren mit diesem Angebot Bedingungen verknüpft: Ebenso wie die Jugendgruppen der SAJD, die mittlerweile über die finanzielle Abhängigkeit enger an die FAUD gebunden waren und sich ihr auch ideologisch genähert hatten, sollte die Freiheitliche Kinderbewegung Tätigkeits- und Kassenberichte an die berliner GK_ abliefern.(102) Die Kindergruppenarbeit wurde nach der Machtübernahme Hitlers von den Anarcho- Syndikalisten eingestellt.(103) 4. »Junge Anarchisten« — die syndikalistisch-anarchistische Jugend ab 1925 Die Jahre 1923 und 1924 müssen als Einschnitt in der organisatorischen und weltanschaulichen Entwicklung der FAUD und der SAJD angesehen werden. Kam es im Jahre 1923 im Zusammenhang mit Inflation und Ruhrkampf noch einmal zu kurzfristigen Massenkämpfen, Lebensmittelunruhen und der rheini- schen Separatistenbewegung, so beschleunigte die aktive Beteiligung der rhei- nisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten den Rückgang ihrer Mitgliederzahlen noch mehr. Im Sinne der direkten Aktion hatte die FAUD in vielen Städten die spontanen Plünderungen von Lebensmitteltransporten, Brotfabriken u.ä. unter- stützt, z.T. auch dazu aufgerufen, so in Elberfeld, Düsseldorf und Köln. Hierbei wird von einer besonders aktiven spontanen Beteiligung proletarischer Frauen berichtet — ähnlich wie bei den Lebensmittelunruhen gegen Ende des I1.Welt- kriegs. Dies führte zu zahlreichen Verhaftungen oder wie im Falle von Hans Schmitz zum»Abtauchen« führender rheinisch-bergischer Anarcho-Syndika- 235 listen in die Illegalität. Die offizielle Distanzierung sämtlicher anderen Arbeiter- organisationen von diesen Akten proletarischer Selbsthilfe tat ein Übriges, um die FAUD und die beteiligten anarcho-syndikali stisc hen Jugendlichen und Frauen zu isolieren. Der zweite Faktor, der zu einer massiven Einbuße an Mitgliedern und Glaub- würdigkeit besonders der rheinischen FAUD führte, war die teilweise aktive Unterstützung der rheinischen Separatistenbewegung. Mit dem führenden FAUD- Redner Bertram Dietz befürworteten beachtliche Minderheiten der Anarcho- Syndikalisten in Düsseldorf, Mönchengladbach, Krefeld und Aachen ein taktisches Zusammengehen mit Smeets, Adenauer u.a. bürgerlichen Separatisten, deren Ziel, eine sogenannte »Rheinische Republik«, von der französischen Besatzungsmacht unterstützt wurde. Möglicherweise versprachen sich die Anar-cho-Syndikalisten um Dietz von dem neuen Kleinstaat günstigere Kampfbedingungen — die überwiegende Mehrheit der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten sowie die Berliner GK und der »Syndikalist« lehnten das separatistische Abenteuer entschieden ab. Dazu der AachenerSchreiner Curt Moeller, der—seit 1920 Mitglied der FAUD — selbst vor allem in der Kulturbewegung tätig war und im katholischen Aachen große Diskussionsveranstaltungen (bis zu 1000 Besuchern) zu Themen wie »Kann es einen Gott geben?« mitorganisierte: »Politisch wäre das Rheinland sowieso nicht selbständig geworden. Und kulturell hätte das alles einen Riesenrückschlag bedeutet. Die Separatisten waren stockreaktionär und erzkatholisch. Wir hatten mit dem rheinischen Katholizismus schon so genug zu tun. Die »Rheinische Republik« hätte uns zum direkten Ableger des Vatikans gemacht.« Dietz' Engagement führte zu einem empfindlichen Verlust an Einfluß und zu heftigen Flügelkämpfen innerhalb der rheinisch-bergischen Bewegung. Er wurde 1923 aus der FAUD ausgeschlossen. Endlich muß die ab 1924 einsetzende relative Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse genannt werden, die dem Konzept unmittelbarer Massenkämpfe, das die FAUD als Gewerkschaft verfolgte, zunehmend weniger Ansatzpunkte bot. Sank im Folgenden die Bedeutung der FAUD, so wuchs andererseits eine neue Generation anarcho-syndikalistischer Jugendlicher heran, die nun weitgehend Arbeit hatten, zunehmend auch Lehrstellen; viele von ihnen hatten Kindergruppen durchlaufen und gelernt, nach der Wirklichkeit ihres proletarischen Alltags zu fragen. Das alles in Frage stellende Kriegserlebnis und die daraus resultierende Zerstörung sozialer Kontinuität bestimmte das Denken dieser Generation nicht mehr. Unter den jetzt 14-18jährigen Arbeiterjugendlichen griff »eine neue Wert- schätzung der Klassenkampf-Organisation«(104) Platz und zwar um ihre eigene Lage als Jungarbeiter zu verändern. Sie hatten sich mit dem Klassenkampfge- danken nun nicht mehr in der Form auseinanderzusetzen, daß eine in ihren Augen 236 mächtige, funktionierende Gewerkschaftsorganisation der Erwachsenen sie zur Anpassung zwingen wollte. Die Dominanz und die »Zuständigkeit« der örtlichen Arbeiterbörsen für den Klassenkampf war geschwunden. Geblieben war die autonome Jugendorganisation und die Notwendigkeit, sich als Jungarbeiter oder Auszubildende gegen Ausbeutung, Unterbezahlung, Unterdrückung und Bevor- mundung zu wehren. Linse formuliert zutreffend: Hatte zunächst die Jugendlichkeit das eigentliche Bestimmungsmerkmal abgege- ben, so später das bekenntnis zum Jungproletariat... Hatte man zunächst die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe betont, so wurde später wieder der Aspekt der Klassenzugehörigkeit vorrangig und überdeckte den Generationskonflikt.(105) Besonders aus den rheinischen Gruppen kamen ab 1924 diesbezüglich starke Impulse. Auf der 4.Reichsjugendkonferenz der SAJD in Hannover (Dezember 1924) hieß es über die Bezirke Rheinland und Westfalen: »So wie diese Bezirke bisher die Elitegruppen der SAJ waren, so sind sie es heute noch.«(106) Besonders die beiden SAJD- und FAUD(!)-Mitglieder Eugen Betzer (Dülken) und Georg Radlbeck (Duisburg-Rheinhausen) trugen den Gedanken der wirtschaftlichen Kämpfe, der straffen Organisation und der Verbindung zur FAUD vor. Auf einem Bezirksjugendtreffen des Rheinlands wurde im April 1924 die Bezirksinforma- tionsstelle (Bist) ins Leben gerufen. Ihre Aufgaben, die Organisation engerer Zusammenarbeit der Orte, Werbung und Unterstützung neuer Gruppen und Eintreibung der Beiträge für die Rist und die Jugendzeitung »Junge Anarchisten« wurde in diesem Jahr der Rheinhausener Gruppe Radlbecks übertragen. Radlbeck selbst wurde Vorsitzender der Bist Rheinland. Radlbeck forderte im »Syndika- list« unter dem Motto: »Entweder Organisation oder leblose Horde«: ..daß wir Schluß machen mit all dem Gefasel über Vegetarismus, Individualis- mus, Gewaltlosigkeit usw. und uns mit all dem Gefasel über Vegetarismus, Individualismus, Gewaltlosigkeit usw. und uns intensiv dem Organisationsfeld zuwenden... Schaffen wir uns eine Organisation, in der es Rechte und Pflichten gibt, dann wissen wir, wer zu uns gehört. Nehmen wir eine Mitgliedskarte und tragen dort monatlich einen Betrag ein. Diese Karte könnte dann als Ausweis gelten. An den eingetragenen Pflichten ist immer zu sehen, was mit dem Besitzer los ist. (109) Aufgrund dieser Entwicklung lösten sich viele westfälische Gruppen von den Rheinländern. Richard Busse, Dortmund, Vorsitzender der Bist Westfalen, kon- terte mit einem scharfen Gegenartikel in den »Jungen Anarchisten«, in der er die Organisation weiterhin als »das Produkt« einer geistigen Erkenntnis von frei- heitssuchenden Menschen« bezeichnete.(108) Im Rheinland bestanden bzw. entstanden 1924/25 SAJD-Ortsgruppen in Düs- seldorf, Gerresheim, Mülheim/Ruhr, Duisburg, Hamborn, Dülken, Mönchengladbach, Elberfeld, Krefeld, Hoc hem merich, Friemersheim, W iesdorf und Ohligs. Die »Jungen Anarchisten« meldeten vom Rheinland, wo die Kameraden unter der französischen Besatzung mit demdamit verbundenen passiven Widerstand und der starken Arbeitslosigkeit stark gelitten haben, daß der .. « Au _ Organ der Syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands . R. Jahrgang Nummer 10 = Wenn aber dein Herz wirklich eins ist mit jenem der Menschheit, wenn du als wahrer Poet ein Ohr hast, um die Stimme des Lebens zu hören. dann wirst du angesichts dieses Meeres von Leiden, dessen Flut um dich herum wogt. angesichts aller dieser Völker, die vor Hunger sterben, dieser Leichen, die sich in den Bergwerken und am Fusse der Barrikaden auftürmen, dieser Züge-von Verbacnten, die alle in den eisigen Wüsten Sibiriens oder in den Sümpfen tropischer Inseln begraben, angesichts des kehren Kampfes. welcher anhebt, der Todesschreie, der Orgien der Sieger, des Heldenmutes gegen die feige Grausamkeit, der Begeisterung gegen die Gemeinheit — dann wirst du "angesichts all dessen nicht untätigbleibenkönnen. Du wirst dichauf die Seite der Bedrückten stellen, denn du wirst be. greifen, dass alles Grosse und Schöne — mit einem Wort: das Leben — auf Seite jener sind, die tilt' das Lichte ‘die Menschheit, die Geredhtigkeit kämpfen) « Peter Kropottin. - Kulturkampf, der Jugend. Der Schulreformer Gustav Wyneken; der File die biir- rerliche Jugend der höheren Schalen zu wirken und sie ni(t dein Ideal einer freien Scludgemeinde zn erfüllen versucht hat, hat in einer ganzen Reihe von Büchern und kleineren Schriften über das Verhältnis von Jugend und Gesellschaft geschrieben. Er ist der Ueberzeugung, da6 die Jugend in der Gesellschaft der Menschen dasjenige Element ist, das das sich immer wieder aus sich selbst erneuernde Kulturbewußtsein der Menschheit darstellt. Die Erwachsenen sind eingespannt in die Welt der Zwecke und der Niitzlichkeiten; die Jugend aber diene dein Geiste, so fordert er; die Jugend sei der reine, ungel ruble und immer- tort strömende Quell alles Edien, Freien, Geistigen. sie sei der eigentliche anvergüngliche Träger der Kultur. Dichter uud Decker, Propheten. Schwärmer. die aus häßlicher Gegenwart fit die Zukunft schauten, Utopisten, die uns ihre Visionen beschrieben von dem, was einst sein soll. wenn die neue Zeit zu den :Menschen gekommen ist. wissen auch von der Jugend der künftigen Generationen zu erzählen .......... freie. aufrechte Knaben und Mädchen. mit weltoffenen klaren Augen und frohenn Doreen vertringen die Jahre ihrer Kindheit und .legend in Freiheit und Senne. wachsen ans heitrem Spiel und Tanz ohne inneren Bruch hinein in die ernste. nützliche Arbeit der Erwachsenen. die elite brüderliche Arbeitsgemeinschaft in allen Ländern der Erde bilden-und es längst verlernt haben um Ike tügtiches, Brat miteinander en künafen — —; wir kören von einer ‚lugend, die von der Gesellschaft gehegt und gefördert wird, um ihren( innersten Wesen leben zu können: von einer Gesellschaft. die erkannt hat, daß die Jugend das ist. 'waG: ein Dichter unserer Zeit von ihr sagt: die ewige - Gliickschance der Menschheit. Aber wir sehen ein anderes Bild. Fremd und be- ziehungslos zu unserem Leben erscheinen uns die Forde- colleen bürgerlicher Schulreformer, und die Visionen 'der Dichter verblassen eu nichts: um uns ist graue düstere Gegenwart. --Die Künstlerin Käthe -Kohlwitz hat uns ein Bild ge- ielchnet — auf einem düsteren Hofe steht ein armseliges, hohles, Iunges Mädchen mit einem Kinde auf den Armen, und auf einem Schilde neben der Haustör lesen wir: Spie- len auf dem Pofe und den Treppenfluren Ist verboten ... Graue Vorstadthüuserreihen, endlose Mietskasernen, stet- gen vor uns auf. In engen, dumpfen Stuben hausen Men- schen, hausen bleiche Mütter mit Ihren Kindern; In grauen-hailer Enge wachsen lassende, wachsen Millionen von Kindern auf in diesen Stuben. wachsen auf ohne die sorgende Liebe der Mutter, die den Tag Biber au( Arbeit geld, um für die Reichen und Nichtstuer zu schaffen und zu (rohnen; und wenn der Vater nach Haus kommt, ist er niide und zermürbt und kümmert sich nicht um sein Kind. — kann es nicht mil leichtem Herzen, weil die Sorgen um den nf(chsten Tag ihn zermartern und quälen. Das ist proletarische Kindheit, proletarische Jugend. Die Kinder in den Bürgerhäusern wachsen anders auf. Von Elters geboren, die nur wenig oder keine Sorgen in ihrem Haus sahnen, verbringen sie ihre Kindheit in wohnlichen Räumen, dürfen ganz sich selber leben, und ihre Mutter kann den ganzen Tag bei ihnen sein; sie genießen besseren - Unterricht, verbringen Ihre .lugend mit der Beschäftigung unit geistigen Dingen, ohne le vor der Notwendigkeit zu stehen, um die Erhaltung ihres Lebens sorgen zu müssen. Auf ihren Schulen and Hochschulen aber zut sozialen Lüge erzogen, bemerken sie nichts davon. daß neben ihnen eine andere Kindheitswelt, eine andere Jugend aufwächst, durch einen Abgrund von der ‚.Goldenen .lugend" der Be- sitzenden getrennt! Die Jugend des Proletariats.” ja, und wenn sie davon merken. wenden sie sich von der .lugend der Armen und Gedrückten mil Stolz und Hochmut ab, la. wenn das arbeitende Volk sich erhebt, um für sein elemen- tarstes Lebensrecht zu kämpfen, dann findet sich die „gol- dene Jugend" herbei, diesen Kampf abzuwehren und zu unterdrücken: als „techniscne Nothilfe" füllt sie den strei- kenden Arbeitern in den Rücken, als zeitfreiwillige Solda- teska stürzt sie sich tilt der Walte In der Hand auf prole- tarische Kämpfer — — So steht die arbeitende Jugend da, eingebunden In das Schicksal Ihrer Klasse, In das harte Schicksal der Frnhn 237 238 KIVGEND* DEUTISHLAN Nummer 3.0 N Nyezz, EIN ‚MUNl‘ Bd WERSTELL 239 Bezirk zu wachsen beginne.(109) Auf dem Hannoveraner Reichskongreß griff im übrigen vor ca. 100 Delegierten Eugen Betzer in einem zentralen Referat die bisherige Formel vom »Kultur- kampf« der anarcho-syndikalistischen Jugend an. Betzer drehte das Schlagwort zu seinem Begriff der »Kampfkultur« um, worunter er nichts anderes als den revolutionären Kampf der Jungarbeiter und Lehrlinge im Betrieb, in der Schule und Ausbildung, sowie den militanten Widerstand gegen Nationalismus, Milita- rismus und Faschismus verstand. Die neugeschaffene Zeitung »Junge Anarchi- sten«, die Ende 1924 in 5000 Exemplaren erschien, dokumentierte diese Aus- einandersetzung um »Kulturkampf« Anfang 1925. Auch die Frage der Anwendung von Gewalt wurde auf dem Kongreß von Hannover unterstarkem Einfluß der rheinischen Gruppen neu und mehrheitlich zugunsten der Gewalt entschieden: Auf dieser Tagung bekannte sich die Jugend... klar und eindeutig zum revolutio- nären Klassenkampf und betont, um den Gewaltlosigkeitsaposteln... die Argu- mente zu nehmen, daß sie im Interesse der sozialen Revolution auch Gewalt anwenden würde, wie es ja auch durch ihre Kämpfe schon praktisch bewiesen würde.(110) Die Parole hieß nun nicht mehr: »Nie woll'n wir Waffen tragen...«, sondern »Krieg dem Krieg!« Unter diesem Motto verbreiteten die Jugendgruppen des Bezirks Rheinland zum Antikriegstag (1.September)1925 nach eigenen Angaben 50.000 Flugblätter, 20.000 Handzettel und klebten 3 Plakate.(111) Die »Jungen Anarchisten« änderten im Gefolge dieser inneren Umwälzung ebenfalls ihr Erscheinungsbild. Aus dem beschwingt-jugendbewegten Titelbild, das sie von der »Jungen Menschheit« übernommen hatten, wurde Anfang 1926 ein düster-entschlossener Kopf, der zwei Jugendliche mit Hammer und Fackel vor einer Zechen- und Fabriklandschaft zeigte. Das Jahr 1926 kann — zumindest was die Zahl der angeschlossenen Jugend- gruppen betrifft — als ein Höhepunkt in der Entwicklung der SAJD Rheinlands betrachtet werden. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß vieleältere Gruppen sich aus Altersgründen auflösten, Mitglieder an die FAUD verloren oder nur ein Schattendasein in Gestalt weniger »Unentwegter« führten, die punktuell einige Genossen zu vereinzelten Aktionen oder Diskussionen zusammentrommelten. So müssen um diese Zeit die Verhältnisse in Elberfeld ausgesehen haben, als die Freie Jugend Morgenröte zerfallen war und die SAJD-Gruppe nur noch auf dem Papier in Erscheinung trat. Zu den oben genannten Jugendgruppen kamen im Rheinland 1926 noch je eine Gruppe in Köln-Stadt, Köln-Kalk und Barmen. Über die neuen Genossen in Köln- Stadt berichtet Hans Schmitz (sen.) aus Elberfeld in den »Jungen Anarchisten« vom Mai 1962: 30 Jungen und Mädel zu einer Jugendgruppe zusammengeschlossen! Es soll unsere Aufgabe sein, das Jungvolk in Köln mit den Ideen des Anarcho-Syndikalismus 240 bekannt zu machen... Dann hielt Kamerad Sch., Elberfeld, eine Bannerrede und faßte das Symbol des Schwarzen Banners in folgende Worte zusammen: Kampf dem Militarismus! Krieg der bürgerlichen Gesellschaftsordnung! Kampf und aufbauende Arbeit für das Morgenrot der Freiheit, der sozialen Revolution! Dies soll die Aufgabe der jungen Anarchisten sein. H. Schmitz Die Barmener Gruppe umfaßte ca. 6 Jugendliche, u.a. die drei Brüder Willy, Fritz und August Benner. Willy und August, beide von Beruf Anstreicher, wurden ab 1929 Aktivisten der SAJD-Gruppe Wuppertal; Fritz, gelernter Riemendreher, wurde führendes FAUD-Mitglied, Betriebsrat und Spanienkämpfer. Auf der Bezirkskonferenz der SAJ-Rheinland (Juli 1926 in Elberfeld) berichtete der Barmer Vertreter Bombe über »unsere Arbeit inder freien Schule«. Es gab zu der Zeit in Elberfeld und Barmen noch wenige weltliche Schulen. Die ca. 5 Jugendlichen gingen ausnahmslos dort zur Schule und setzten sich mit prügelnden Lehrern, Kriegs- und Nazihetze sowie Kirchenliedern im Unterricht auseinander; z.T. im Bündnis mit vereinzelten Freidenkern im Lehrerkollegium. Die Düsseldorfer Gruppen riefen auf diesem Treffen zu besonderen kulturellen Aktivitäten wie »Sprechchören und Aufführung von Theaterstücken«(112) auf. Dies zeigt, daß nicht alle engeren Kulturinitiativen dem Organisations-, Agitations- und Klassenkampfprinzip zum Opfer gefallen waren. Schon der Auftakt dieser Be- zirkskonferenz war ein kämpferischer — sie wurde durch eine »Propagandaver- sammlung in Remscheid eingeleitet«. In dieser bergischen Industriestadt, einer Hochburg der Kommunisten, wollten die jungen Anarcho-Syndikalisten auf diese Weise offensiv Fuß fassen. Ohne Erfolg, wie es scheint: Der Konferenzbericht stellt knapp fest: »Der Besuch war befriedigend, der Kampf mit den Kommunisten sehr scharf. Von den RFB-Mitgliedern blieb mancher nach der Aufforderung, den Saal zu verlassen, doch zurück....(113) Eine dauerhafte anarcho-syndikalistische Gruppe konnte in Remscheid nie gegründet werden. Nicht nur der Ton und das organisatorische Gerüst der SAJD wurden ab Mitte der 20er Jahre härter — es erfolgte auch eine Hinwendung zu alltäglichen Problemen der proletarischen Jugend. Ende 1925 hatte ein kritischer Jugendlicher über Stil und Inhalt der »Junge Anarchisten« geschrieben, ..daß unsere Zeitung mehr als genug gefühlsmäßig gehalten ist, ... gefüllt mit einem von krankhafter Einbildung strotzenden und geschraubten Halb-Intellek- tualismus... (unsere Zeitung) wird gern und am meisten gellen von Menschen, denen das Wort Klassenkampf ein Greuel ist, die ihr ganzes Leben lang Wander- vögel im Stil eines Hermann Löns... bleiben möchten... aber dort nicht, wo sie in Massen verbreitet sein müßte: bei den jungen Arbeitern, Arbeiterinnen und Lehrlingen. Der Jungarbeiter und Lehrling wird nicht überzeugt, ihn interessiert vor allen Dingen so wie die Älteren seine wirtschaftliche Lage,... und da gibt es in unserer Zeitung nichts! Es fehlt an Berichten aus den Betrieben über Lehrlings- elend, Fortbildungsschul-Schikanen und dergleichen.(1 14) Tatsächlich ist in den Jahren darauf ein Anwachsen des Anteils der hier gefor- 241 derten Betriebskorrespondenzen und wirtschaftlich-politischer Artikel zu beo- bachten. Unter dem Eindruck von neuerlich anwachsender Massenarbeitslosig- keit, drohender Arbeitsdienstpflicht und faschistischer Gefahr festigt sich diese konkrete Klassenkampforientierung — ein herausragendes späteres Dokument hierzu ist Willy BennersArtikel »Auf dem Wege zur Arbeitsdienstpflicht im Zeichen des Faschismus«. Weite Kreise der proletarischen Jugend sowie die breite Masse der deutschen Arbeiterschaft überhaupt waren und sind noch heute der irrigen Auffassung, daß der Faschismus sich nur einführen werde mit einem militärischen Handstreich oder Putsch, der Ausrufung eines Diktators — den sie in der Person Adolf Hitlers erblicken — kurz gesagt, in glänzenden, in die Augen stechenden militärischen Aufmachungen nach dem Vorbilde der italienischen Faschisten, die die Einführung des faschistischen Sy- stems gewissermaßen durch ihren Marsch auf Rom eröffneten. Der Generalangriff auf die Lebenshaltung und die ohnehin schon spärlichen politischen Rechte der Arbeiter- schaft, der in den letzten Monaten von der „demokratischen" Regierung der deutschen „Republik" als Interessenvertreter in der Bourgeoisie eröffnet wurde, hat obige Auf- fassung über das Wesen des Faschismus in klarer und eindeutiger Form widerlegt. Der Faschismus findet seinen Ausdruck in erster Linie in der völligen wirtschaftlichen Ver- sklavung der arbeitenden Klasse, in der brutalen Abdrosselung jeglichen Streik- und Koalitionsrechts sowie in der rücksichtslosen Verfolgung all derer, die versuchen, die Arbeiterschaft gegen diesen Kurs zu mobilisieren. Diese Bestrebungen haben wir heute zu verzeichnen und müssen feststellen, daß dieselben teilweise schon von Erfolg gekrönt wurden, ohne auf nennenswerten Wider- stand der breiten Massen der Arbeiterklasse zu stoßen. Die Sozialdemokratie und der vollständig unter deren Einfluß stehende A.D.G.B. (= Allgemeiner Deutscher Gewerk- schaftsbund) haben sich als die besten Wegbereiter dieses faschistischen Regierungs- systems erwiesen. Der Verrat an den Berliner Metallarbeitern sowie an den Ruhrkumpels geben uns ein klassisches Schulbeispiel hierfür. Schon sind Tote zu verzeichnen. Sozialdemokratische Polizeikosaken kartätschen die noch kampfgewillten streikenden Proletarier nieder und fuhren eindringlich vor Augen, daß Mussolini und Adolf Hitler notwendig sind, um die Interessenpolitik der deutschen Bourgeoisie durchzuführen. Die proletarische Jugend hat schon Jahre hindurch die „Erfolge" der wirtschafts- friedlichen Politik der Sozialdemokratie und der Zentralgewerkschaften am eigenen Körper verspürt und sie wird jetzt die Schläge des Faschismus zu ertragen haben. Auf die Jungarbeiterschaft richtet sich schon seit Jahren das Augenmerk aller Handlanger der Bourgeoisie. Die Arbeitsdienstpflicht, schon seit Jahren vorbereitet, ist das nächste Attentat auf die arbeitende Jugend. Die Einführung der Arbeitsdienstpflicht wurde bisher irrtümlicherweise als eine Aktion angesehen, die in erster Linie von den offenen faschistischen Organisationen geplant wurde. Gewiß, die N.S.D.A.P. hat dieselbe mit in ihrem Programm enthalten, aber die Arbeiterschaft hat zu erkennen, daß der Faschismus und seine Durchführung nicht die Sache irgendeiner faschistischen Partei ist, sondern ein Regierungssystem, welches dann in Anwendung gebracht wird, sobald die Interessen des Unternehmertums und der Großagrarier es erfordern. Schon seit Jahren erheben die Anarcho-Syndikalisten mahnend ihre Stimme und wiesen daraufhin, daß der sogenannte „kalte Faschismus" — die Diktatur auf wirtschaftlichem Gebiete — Schritt für Schritt vorwärts stoße. Die deutsche Arbeiterschaft jedoch war taub und sah nicht die kraß in die Augen springenden Tatsachen. ® Der erste Schritt auf dem Wege zur Arbeitsdienstpflicht ist geebnet! Die erwerbslose Jugend soll das erste Opfer sein. Gute Kenner der Psyche der breiten Massen sind „unsere" Politiker. Klar sehen sie die Gefahr, die die direkte und brutale Durchführung der Arbeitsdienstpflicht für alle Jugendlichen heraufbeschwören würde, deshalb geht man sehr klug und vorsichtig vor und beginnt örtlich und ver- steckt unter dem Namen der „Befreiung der jugendlichen Erwerbslosen" die ersten Experimente einzuleiten. Dafür folgendes Beispiel: Das Jugendamt der Stadt Wuppertal ließ die Jungarbeiter bis zu 21 Jahren, die ausgestempelt haben oder aus sonstigen Gründen heraus keine Unterstützung erhielten, vorladen und eröffnete ihnen, sie würden jetzt Arbeit erhalten und zwar wöchentlich 32 Stunden. Im ersten Moment waren die Vorgeladenen freudig erregt, „endlich heraus aus diesem verfluchten Erwerbslosenelend" waren ihre ersten Gedanken. Wie sehen aber nun die Arbeitsbedingungen aus, und vor allem, welche Hintergründe haben diese Maßnahmen? Die Beschäftigten müssen Erdarbeiten verrichten, dafür wird ihnen für die 32 Stunden ein Gesamtlohn von 17,60 Mk. (!) berechnet. Von dieser Summe gehen nun noch die Abzüge für Invalidenversicherung, Krankenkasse usw. ab. Die hervorstechendsteEigenart dieser menschenfreundlichen „Befreiung der erwerbslosen Jugendlichen" ist wohl diejenige, daß einem Teil der „Betreuten" sofort zu Anfang die „Negersteuern" abbehalten wurden. Von dem übrigbleibenden erbärmlichen Rest des Lohnes müssen nun noch die Ausgaben für Arbeitskleider und Schuhe bestritten werden. Ferner wird ein Arbeitsvertrag vorgelegt, der unterschrieben werden muß; derselbe besagt, daß die Beschäftigten keine Kurzarbeiter, sondern Vollbeschäftigte seien. 4 Arbeitstage mit je 8 Stunden werden gerechnet und entlohnt, wer aber nun meint, die übrige Zeit wäre „Freizeit", ist auf dem Holzwege. Für die ersten Wochen werden die Jugendlichen allerdings noch verschont, weil die Vorarbeiten für eine weitere „Erfassung und Betreuung" noch nicht soweit gediehen sind. Es wurde ihnen aber schon erklärt, der 5. Tag werde für gemeinsame Wanderungen, Sport usw. verwandt werden. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Gemeinsame Wanderungen, Sportübungen etc. Der Sportwahnsinn, der gerade auch weite Kreise der Arbeiterjugend in seinen Bann geschlagen hat, soll also zum Mittel gewonnen werden, um der Jungarbeiterschaft die Zwangsarbeit und darüber hinaus die Arbeitsdienstpflicht schmackhaft zu machen. Später werden jedenfalls noch Musikkapellen usw. gebildet werden, kurz und' gut, es werden alles solche Dinge getrieben werden, die die proletarische Jugend schon heute vom Klassenkampf und der Erkennung ihrer sozialen Stellung innerhalb des kapitalistischen Systems abhalten. Hier hat die Arbeiterjugend die Richtigkeit dessen zu erkennen, was wir seit Jahren schon erklären, nämlich, daß die behördliche Begünstigung der sportlichen Betätigung der Jugend ihre bestimmten Hintergründe hat. Was geschieht nun mit denjenigen, die diese „Bescherung" ablehnen? Zunächst tritt einmal das Wohlfahrtsamt in Aktion und entzieht denen, die das Glück hatten noch ein paar Bettelpfennige zu erhalten, die Unterstützung. So scharfe Maßnahmen wie die vorliegenden Gesetze für die Arbeitsdienstpflichtverweigerer es vorsehen, werden noch nicht in Anwendung gebracht, aber wohlgemerkt, die ganze Sache steckt noch in den Kinderschuhen und ist noch im Werden begriffen. Welche Mittel stehen nun der proletarischen Jugend zur Verfügung, um diesem fortschreitenden faschistischen Kurs wirksam entgegenzutreten: Nur umfassende, revolutionäre, wirtschaftliche Massenaktionen sind in der Lage, diesen Angriff auf die arbeitende Jugend abzuwehren. Der Einzelne ist machtlos diesen Methoden gegenüber. Schon heute drohen die Wohlfahrtsämter den Verweige-rem der Pflichtarbeit für die Unterstützungssatz mit dem „Arbeitshaus" und staatlicher Zwangserziehung, soweit es sich um Jugendliche handelt. Erkennen wir den Ernst der Situation und organisieren und propagieren wir die antifaschistische, sozialrevolutionäre Abwehrfront der proletarischen Jugend, die durch umfassende Streiks und Massenwidersetzung gegen die „Betreuung der erwerbslosen Jugendlichen", durch Massenarbeitsverweigerung bei Einführung der Arbeitsdienstpflicht sowie durch passive Resistenz und Sabotageakte den Angriff des Faschismus erfolgreich zurückschlagen wird. Darüber hinaus hat die proletarische Jugend zu erkennen, daß sich ihre Lebenstage innerhalb einer Staatsform, ob sie sich „Demokratie", das „Dritte Reich" oder auch „Diktatur des Proletariats" nennt — die in Wirklichkeit ja doch nur die Diktatur eines Führerklüngels und Parteibürokraten ist — niemals wesentlich verbessern wird. Nur die soziale Revolution, die den Arbeitern die Maschinen und den armen Bauern das Land geben wird, wird auch die arbeitende Jugend von ihren Fesseln befreien. Die Bahn frei für die Jugend der fessellosen sozialen Revolution! Willy Benner Faksimile aus: Ulrich Linse: »Anarchistische Jugendbewegung 1918-1933«, Frankfurt 1976 242 243 In dieser Entwicklung sahen die Berliner GK und einige auch in der FAUD organisierte SAJD-Mitglieder die abermalige Chance, die Autonomie der Ju- gendorganisation zugunsten des alten Konzepts gewerkschaftlicher Jugendfö- derationen rückgängig zu machen. Im Februar 1927 — die Bist war noch immer (!) in Händen der Duisburger Jugend um Georg Radlbeck — beschloß die rheinische Bezirkskonferenz in Düsseldorf im Alleingang die separate Gründung einer sogenannten »Anarcho-Syndikalistischen Jugendföderation«, die in engster organisatorischer Bindung an die FAUD arbeiten sollte. Der Name und das Modell stammten direkt aus der FAUD — ein entsprechender Vorschlag war wenige Monate vorher von derPAB Groß-Thüringen gemacht worden.(115) Dies bedeutete die Spaltung der SAJD. Als Organ der neuen Föderation sollte eine Duisburger anarcho-syndikalistische Jugendzeitung mit dem Titel »Der Stürmer« ausgebaut werden, die in diesen Wochen zum erstenmal erschienen war. Von dieser Zeitung ist kein Exemplar erhalten — nach einem Bericht des »Syndikalist« sollte sie im Gegensatz zu den »Jungen Anarchisten« nicht nur ein Diskussionsblatt für fortgeschrittene Kameraden, sondern speziell ein Agitationsblatt unter den uns fernstehenden Jugendlichen(116) werden. Die anwesenden rheinischen Gruppen erklärten: Die Bist hat den Auftrag bekommen, alle Gruppen im Reiche, die aufdem Boden des Anarcho-Syndikalismus stehen, zusammenzufassen und die Vorarbeiten für den künftigen Reichskongreß der Anarcho-Syndikalistischen Reichsföderation zu regeln. Die Bist Rheinland ist die provisorische Reichsleitung(117) Abermals wurde vom rheinischen Bezirk aus eine Neugründung angesteuert — allerdings in umgekehrter Richtung als 1921/22. Die alten Pläne der Berliner GK, der Altsyndikalisten Kater, Barwich, Windhoff und Reuß schienen aufzugehen. Auf dem Düsseldorfer Treffen wurde weiterhin beschlossen, daß Jugendliche nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Mitglied der neuen Jugendföderation sein könnten—danach hätten sie sich einer Berufsföderation der FAUD anzuschließen. Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, welche rheinisch-bergischen Jugendgruppen sich der neuen Föderation anschlossen. Offensichtlich müssen einige Gruppen als SAJD-Rheinland weitergearbeitet haben, denn es kam im Juni 1928 zu einem Vereinigungstreffen der rheinischen Jugendföderation und der SAJD Rheinland. Nach mehreren Monaten gemeinsamer Separation von der Offenbacher Rist der SAJD —die vereinigten Gruppen nannten sich nun vorübergehend »Anarchistische Jugend Rheinland/Westfalen« —kehrte man auf dem 5. Reichs-jugendkongreß in Halle (Dez.1928) zur SAJD zurück. Das Verhältnis zur FAUD blieb wie vor dem Ausscheren der Rheinländer: man erkannte die »Prinzipienerklärung« der FAUD an und blieb als Jugend selbständig.(118) Eine folgenreiche Neuerung sah dieser Reichsjugendkongreß dennoch vor: Er beschloß eine Abkehr von den bisher jährlichen Reichskongressen und von nun an einen zweijährigen Rhythmus. Dieser Beschluß lockerte die reichsweiten Bindungen in der SAJD erheblich, zumal die Organisation in der Zeit von 1928 bis 1933 keine führenden 244 Leute«(119) hatte, die durch ihre Persönlichkeit überregional wirken konnten oder wollten. In dieser Zeit entwickelten die Jugendlichen der SAJD im ganzen Reichsgebiet neue Kampf- und Agitationsformen, z.T. parallel mit ähnlichen Tendenzen bei der übrigen radikalen Arbeiterbewegung.(120) Es entstanden Sprechchöre, die — wochenlang eingeübt — sowohl als künstlerisches Darstellungs- und Ausdrucks- mittel bei den eigenen Veranstaltungen eingesetzt wurden, als auch als »Kampf- rufe« auf Demonstrationen. Ein ehemaliges Mitglied der Kölner Jugendgruppe berichtet von solchen Initiativen: Vor allem bei unseren Theater-Inszenierungen machte jeder mit. Wir führten politische Revuen auf »Die Donauschiffer« (beinhaltend die Ausbeutung der Donauschiffer) oder »Zyankali« (Theaterstück von Friedrich Wolf gegen den $218) oder Erich Mühsams Gedicht vom Lampenputzer wurde vorgetragen. In Sprechchören riefen wir zum Kampf gegen den Faschismus und gegen den Krieg auf. Wir traten für eine freie Sexualität ein und griffen den $ 218 an. Zur Finanzierung nahmen wir einen kleinen Eintritt. Auch verkauften wir zu diesem Zweck alte Exemplare unserer Zeitung »Junge Anarchisten«; meistens vor Theater- und Kinoausgängen. Bei unseren Wanderungen durch das Vorgebirge brachten wir den Bauern oft welche mit.(121) In einigen Städten wurden »Kampfbühnen« gegründet, Theatergruppen, die auf der Straße und in Versammlungsräumen revolutionäre Theaterstücke oder Sketche darboten. Hierbei waren rheinische Gruppen die Vorreiter. So berichtete der Bezirk Rheinland bereits 1928 von neuen Erfolgen in der Öffentlichkeitsarbeit »durch dramatische Vorführungen einer Kampfbühne.«(122) Es handelte sich hierbei wahrscheinlich um die Düsseldorfer Theatergruppe junger Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten, die sich »Schwarze Schar« nannte und zeitweilig von dem Kommunisten Fritz Langhoff betreut und in Regiefragen unterstützt wurde. (123)(Langhoff, damals Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus, wurde später im KZ Börgermoor zum Textdichter des berühmten »Moorsoldaten«-Liedes.) Die »Schwarze Schar« Düsseldorf hatte nur den Namen und die allgemeine Weltanschauung mit den spätereren militanten anarcho-syndikalistischen Kampfsruppen der SAJD gemeinsam, sie war vor allem Theatergruppe. Nach dem Vorbild der Düsseldorfer beschloß auch der »Rhein-Main-Gau« der SAJD Anfang 1929 die »Gründung einer Kampfbühnengruppe.. zwecks besserer Agitationsmöglichkeit,« und in Berlin bildeten 1931 junge Anarchistinnen und Anarchisten die Kampfgruppe »Es blitzt«, die bei zwei Veranstaltungen der Berliner AB mit großem Erfolg auftrat.(124) Weiterhin ist hier die Einrichtung sogenannter »Reichsferienlager« auch für die älteren Jugendlichen zu nennen als Versuch, Geselligkeit, Erholung und jugend- bewegte Formen mit reichsweiter organisatorischer Festigung im Klassenkampf zu verbinden. Es kamen 1930, 1931 und 1932 solche Ferienlager zustande, alle in Thüringen, unter Beteiligung von jeweils ca. 60 Jungen und Mädchen aus 14-21 245 Städten, auch aus dem Rheinland. Die Jugendlichen vertieften dort in Arbeits- gemeinschaften die Organisationsfrage und die Kritik des Marxismus und führten Wanderungen, Kulturabende und Vorträge durch. Hierbei gingen sie immer auch offensiv nach außen, organisierten »öffentliche Jugendversammlungen in den benachbarten Orten«, » Propagandatouren...und Hausagitation.«(125) Von dem 1. Reichsferienlager 1930 bei Meiningen ist erwähnenswert, daß es auf dem Gelände der sogenannten »Bakuninhütte« stattfand. Gelände und Gebäude waren Besitz der Meininger FAUD. Fritz Scherer, Handwerksbursche und FAUD-Mitglied lebte vom Oktober 1930 bis Mai 1931 als»Hüttenwart« auf der Bakuninhütte und empfing Jugendgruppen, die nach dem Reichsjugendkongreß 1930 in Erfurt auf der Rückreise waren über die Entstehung der Bakuninhütte erzählt er: Der 1. Weltkrieg war vorbei und die Not derB evölkerung sehr groß. Da haben sich mehrere... Freunde zusammengefunden und ein Stück Land gepachtet, um darauf Kartoffeln zu pflanzen. Hier war die treibende Kraft der Seemann Ferdinand Rüttinger. Bald darauf fand sich die Gelegenheit, Land auf der Ellinghäuser Flur käuflich zu erwerben... Jetzt wurde das Pachtland wieder abgegeben ...Vom Jahre 1920 bis 1925 wurde nun auf diesem als eigen erworbenen Grundstück Kartoffeln und Getreide angebaut. Die Anfuhr von Dünger und das Pflügen der immerhin 1/ 2 ha. großen Fläche (auf einem Hochplateau gelegen) kostete sehrviel Geld. Auch kamen mittlerweile wieder mehr Lebensmittel auf den Markt... (der Platz blieb Ausflugsziel für die örtlichen Anarcho-Syndikalisten, so daß es aus Wettergründen 1926 zu der Idee des Hüttenbaus kam). Diese Idee fand großen Beifall, haupt- sächlichbei den Frauen. Jetzt wurde von allen Genossen gemeinsam ein großes Loch ausgehoben. Die Frauen und Kinder suchten Steine und Moos. In ganz kurzer Zeit hatten sie ein Dach überm Kopf... Innen an den Seiten befanden sich Bänke, welche mit Moos und Reisig gepolstert waren.... Jetzt wurden auch andere Menschen auf die Gruppe aufmerksam. Viele griffen mit zu beim Steine fahren und so entstand das erste feste Gebäude. Man konnte sich jetzt endlich anderer Arbeit widmen. Es wurden Anlagen geschaffen, Blumen, Büsche und Bäume gepflanzt. Auch die Kinder wurden nicht vergessen. Unter den Händen des Schlossers Franz Dressel entstand eine Schaukel und ein Kettenkarussell. Es kamen Spenden wie gebrauchte Herde, Öfen, Feldbetten usw.... Jetzt bekam dieserB au den Namen »Bakuninhütte«. Auch wurde eine großer Gedenkstein mit dem Namen unseres Vorkämpfers »Michael Bakunin 30.5.1814-1.7.1876« ausgemeißelt und aufge- stellt....« (126) Mit dem reichsweiten Vertrieb von Baufondskarten wurde später in der Bewe- gung versucht, die finanziellen Mittel zusammenzubringen, um die Bakuninhütte zur »Heimstätte der Bewegung« ausbauen zu können, da die anarcho-syndika- listischen Jugendlichen in Jugendherbergen häufig auf massive Schwierigkeiten stießen oder ausgewiesen wurden, und da wir alle wissen, was die Parteischulen und Heime für die gegnerischen Organisa-tionenbedeuten.(127) Dieses Unterfangen mißlang, Hitlers Machtergreifung durchkreuzte alle weiteren Pläne: 246 Sofort wurde diese Hütte enteignet und der SS übergeben.... Auch die Nazidiktatur ging vorüber...Im November 1946 verstarb unser Freund Otto Walz (Mitinitiator der Hütte) an Krebs. Die letzten 14 Tage war täglich ein Mitglied der Kreispartei der KPD bei ihm am Krankenbett und da liegt die Vermutung nahe, daß Otto im Unterbewußtsein die Hütte mit Grund und Boden durch Unterschrift der Partei übergegen hat. Unsere übrig gebliebenen Genossen, die dem einstigen »Siedlungs- verein für gegenseitige Hilfe« angehörten, versuchten nun, ihre alte, von ihnen erbaute Hütte, wieder zurückzubekommen. Da wurde nach langem Hin und Her und langem Verhandeln mit den Russen gedroht.(128) Die SAJD löste sich reichsweit nach dem Machtantritt der Nazis selbst auf. Die angeschlossenen Jugendgruppen entwickelten teilweise am Ort und in ihrer Region eine entschlossene illegale Widerstandstätigkeit. Im rheinisch- bergischen Raum bewährte sich nun der zuvor geschaffene straffe organisatorische Zusammenhalt auf Bezirksebene. Wie in den letzten Jahren legaler Existenz in der SAID gekämpft und gelebt wurde, und wie nach 1933 der Widerstand organisiert wurde, soll im Folgenden am Beispiel der SAJD Wuppertal gezeigt werden, die zu den aktivsten Gruppen im Reich gehörte. Vor der Bakuninhütte in Meiningen, hier. Mitglieder der anarchosyndikalistischen Jugend aus Frankfurt und Offenbach 247 Aus dem Leben der SAJD Wuppertal Etwa zur selben Zeit, in der die bergischen Schwesterstädte Elberfeld und Barmen zu »Wuppertal« vereinigt wurden (1929), gab es in der anarcho-syndikalistischen Jugendbewegung ebenfalls eine Vereinigung: Die Barmer Gruppe um die Brüder Benner gründeten zusammen mit einigen Jugendlichen aus Elberfeld die SAJD Wuppertal. Die Jugendgruppe umfaßte 1929 ca. 10 Jungarbeiter und 5 Lehrlinge im Alter von durchschnittlich 18 Jahren. Die männlichen Mitglieder waren weit in der Überzahl, es gab nur 3 Mädchen in der Gruppe, von denen eine nach kurzer Zeit wieder austrat. Die Mädchen waren auszubildende Näherinnen bzw. Schneider- innen — unter den Jungen war ein Dreher- und ein Anstreicherlehrling, sowie ungelernte oder Gelegenheitsarbeiter, Tapetendrucker, Anstreicher, Bauarbeiter und Werkzeugmacher.(129) Viele von ihnen wurden im Verlauf der Krise ab 1930 arbeitslos, arbeiteten zwangsverpflichtet am Autobahnbau und spielten »Arbei- terdenkmal«. (So nanntensie die typische, das Kinn auf die Schippe gestützte Haltung der Pflichtarbeiter.) Die meisten dieser Jugendlichen hatten vorher freundschaftliche oder familiäre Kontakte zu älteren Syndikalisten, zu Freidenkern der GpF oder zu ehemaligen Angehörigen der Freien Jugend Morgenröte — einige waren in der Kindergruppe Maria Steinackers gewesen.So wie sie selbst sich im Wesentlichen aus der engeren persönlichen Umgebung der örtlichen Anarcho-Syndikalisten rekrutier- ten, gelang es diesen Jugendlichen auch nie in größerem Maße, fernstehende Arbeiterjugendliche anzuziehen und zu organisieren. Sie blieben ein stabiler, »verschworener Haufen« mit starkem Zusammenhalt nach innen und klarer Abgrenzungnach außen. Außer einem jungen Obstverkäufer und dem gelernten Bandwirker Helmut Kirschey im Jahre 1931 gewann die SAJD keineweiteren festen Neumitglieder dazu, insbesondere keine Mädchen: »Den meisten Mädchen war das ein zu trockener Diskutier- und Aktionsclub — und das Tanzen gehen usw. war ja verpönt; außerdem hätten unsere Jungs da auch gar kein Geld für gehabt.« Tatsächlich hätten die Jungen — nach ihren heutigen Aussagen — gerne mehr Mädchen in der Gruppe gehabt, »aber nicht bloß solche, die sich einen von uns angeln wollten.« Es war u.a. ein scharfer Abgrenzungspunkt von den übrigen Jugendorganisationen, daß man(n) keinen »Poussierclub wie die SAJ oder die Bürgerlichen« haben wollte. Die beiden Mädchen, die dabei blieben, waren durch Mutter oder Geschwister schon lange vor der Gründung der neuen Jugendgruppe zu starkem eigenen politischen Engagement angeregt worden. Sie waren »wegen der Sache« dabei und hatten ihrerseits z.T. ihre liebe Mühe, sich »die Jungs vom Leib zu halten.« Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wurde ins Allgemeine verbannt: 248 »Wir diskutierten über freie Sexualität und Freie Liebe« — aber Liebschaften von Gruppenmitgliedern wurden »nicht gern gesehen«, besonders wenn sie sich auf Partner außerhalb der Gruppe richteten —und in der SAJD führten sie vermutlich zu massiven Eifersuchtsszenen. In dieser Frage klafften Anspruch und Wirklich- keit häufig auseinander, und es wurden konkrete Gefühle und Lebensbereiche ausgegrenzt, weil in der Gruppe befürchtet wurde, die »Poussiererei« würde »vom Kampf ablenken« — ein Vorgang, der auch in anderen Jugendorganisationen mit revolutionärem Anspruch auftrat, z.B. bei KJVD. Es kam dennoch zu Versuchen mit »Freier Liebe« Wir waren fast täglich zusammen, trafen uns immer bei Benners in Unterbarmen oder in unserem selbstgebauten »Jugendheim« in Unterbarmen —das war 'ne Hütte im Garten eines Genossen. SAJD-Wuppertal vor ihrem »Jugendheim«, ca.1931— das scherzhafte Ausholen mit der Axt gegen die Laute signalisiert, bei aller Ironie, ein verändertes Verhältnis der Jugendlichen zu den Formen und Attributen der Jugendbewegung 249 Hier wurde nächtelang diskutiert und gesellig zusammengesessen, »einige ver- suchten sich auf der Gitarre und da haben wir oft Jugendbewegungs- und Arbeiterlieder gesungen, mehr lautals schön.« Dabei setzten diese Jugendlichen sich vom strengen Alkohol- und Nikotinverbot der ehemaligen Freien Jugend Morgenröte ab: »Je politischer die Jugend in den späten 20er Jahren wurde, desto mehr wurde auch wieder gesoffen und geraucht!« Auch in dieser Jugendgruppe. herrrschte ein überaus starkes Bildungsbedürfnis Wir lasen, was uns in die Finger kam, Bakunin, Kropotkin, Rocker, Mühsam, Sinclair, Jack London, Heine, Dostojewski, auch das »Kapital« und Brehms. Tierleben. Wir wollten doch wissen, wie alles zusammenhängt... Das war einfach ein wunderbares Gefühl, daß man lesen konnte! Die nächtliche Lektüre war eine der wenigen rein individuellen Beschäftigungen — fast alle anderen Tätigkeiten waren von Eingebundenheit in den proletarischen Alltag oder in das intensive Gruppenleben geprägt. So berichtete ein männliches SAJD-Mitglied über seinen Tagesablauf im Jahre 1930 — er war damals als Tapetendrucker in einer Sonnborner Tapetenfabrik beschäftigt: Morgens mußt ich um 6 raus — wenn ich verschlafen hab, hieß es ohne Frühstück auf's Fahrrad springen undnach Sonnbom. Nach der Arbeit haben wir uns meistens gleich irgendwo getroffen — damals war ja immer was los: Schlägereien mit den Nazis, Diskussionen am Rathaus mit den Kakaophilosophen, Flugblätter machen oder verteilen, am Gewerkschaftshaus oder auf der Straße. Abends gingen wir immer zu den anderen Organisationen in ihre Versammlungen, um uns da einzu- mischen. Oder wir waren unter uns zusammen. Ich bin damals glaub ich selten vor zwölf ins Bett gekommen — und dann hab ich oft noch bis 3 gelesen... Nee, Langeweile haben wir damals nicht gehabt. Bei den Mädchen war der Anteil an Zeit für ihre eigene Person noch geringer— »nach der Arbeit, da hieß es erst mal einkaufen und die Küche machen, und da gabs ständig noch was zu flicken und in Ordnung zu bringen...« Häufig wurden ältere Genossen eingeladen, mit denen über Fragen des Anar- chismus diskutiert wurde, so mit Hans Schmitz (sen.) und Heinrich Drewes, dem ehemaligen Redakteur der Düsseldorfer »Schöpfung«. Immer wieder ging es dabei gegen den Marxismus (Verelendungstheorie), über Theorie und Praxis der »Freien Liebe«, über die menschlichen Bedürfnisse und was von der freiheitlich- sozialistischen Gesellschaft produziert werden solle; (»wir waren gegen Seiden- strümpfe und Luxusartikel, aber beim Kaffee ging der Streit schon los«), Sport- vereine und -veranstaltungen wurden als »Brot und Spiele« betrachtet und scharf abgelehnt — »Fußballer waren für uns Idioten«.»Wir sorgten schon selbst für Bewegung«,berichteten männliche Mitglieder der Gruppe und spielten damit u.a. auf ihre Kurierfahrten mit dem Fahrrad zuanderen rheinischen Gruppen oder auf die häufigen handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Nazis an. Mit der »Sipo« (Sicherheitspolizei) kamen Mitglieder der Gruppe z.B. aneinander, als sie gemeinsam mit Jugendlichen von der Kommunistischen Jugend und vom Rotfrontkämpferbund 1931 die Zwangsräumung einer zahlungs- 250 unfähigen Arbeiterfamilie an der Paradestraße in Elberfeld verhindern wollten. Dabei kam es zu heftigen Straßenkämpfen, in deren Verlauf das Pflaster aufge- rissen und die Gaslaternen mit Steinen »ausgeworfen« wurden. Das Verhältnis zu den jungen Kommunisten war nicht immer so einmütig. Der KVJD war in der Elberfelder Nordstadt (»Ölberg« oder »Petroleumsviertel«) mit »über 150 Jugendlichen« die stärkste Jugendorganisation. Nach Aussagen ehe- maligerSAJD-Mitgliederrespektierten die Kommunisten die jungen Anarchisten zwar, weil diese »immer ganz vorne dabei« und »nicht feige« waren, dennoch wird berichtet, die SAJD-Jugendlichen hätten wiederholt zu hören bekommen: Bis zur Revolution kann man Euch ja gut brauchen— aber danach seitlhr die Ersten, die an die Wand gestellt werden. In einem Fall kam es sogar zu einer handfesten Prügelei mit kommunistischen Jugendlichen, als der ehemalige Elberfelder Jungpionier und Jungkommunist Helmut Kirschey, der aus einer der bekanntesten kommunistischen Familien stammte, mit einigen weiteren »Dissidenten« 1931 aus dem KJVD austrat und zur SAJD überwechselte, wofür die Kommunisten sich »rächen« wollten.(130) Diese Beispiele und die Bewaffnung zum Selbstschutz gegen den wachsenden Terror der Nationalsozialisten zeigen, daß ab 1930 in der SAID Wuppertal ein völlig anderes Verhältnis zur Gewaltanwendung bestand, als bei vielen Jugend- lichen der frühen Elberfelder Vorläufergruppen. Diese hatten, wohl unter dem unmittelbaren Eindruck des Krieges, häufig pazifistische Ansichten vertreten, hatten oft mehr über Gandhi und Tolstoi diskutiert, als über Bakunin und Malatesta. Die zwei Arme, die ein Gewehr zerbrechen, das Zeichen der antimilitaristischen Bewegung, wurden besonders von den Anarcho-Syndikalisten als ihr Symbol angenommen, als Anstecknadeln getragen und auf Flugblättern, Zeitungen und Postkarten verbreitet. Während viele der früheren Jugendlichen darunter eher das individuelle Bekenntnis verstanden, keine Waffen anzuwenden und zu produzieren, wurde von den späteren, mehr am Klassenkampf orientierten Jung- Anarcho-Syndikalisten dagegen der Vorgang des »Brechens« betont.(131) Dazu kam: Die FAUD war nicht mehr die militante, sozialrevolutionäre Gewerk- schafts- und Kampforganisation, als die sie 1919 angetreten war. Sie konnte ab 1929 in Wuppertal keinen Streik mehr führen. Die Jugendlichen konnten sich daher nicht an eine funktionierende Erwachsenenorganisation anlehnen bzw. von ihr abgrenzen. Sie hatten in einer Situation zunehmend härterer Klassenausein- andersetzung tendenziell die anarcho-syndikalistische Gesamtbewegung zu ver- treten. »Die FAUD in Wuppertal trat kaum mehr in Erscheinung —die konnten mit den paar Mann nicht mehr viel machen.« Weiterhin bestanden aber besonders harte, sich verschlechternde proletarische Lebensverhältnisse im Wuppertal, sowie eine zunehmende Schärfe der sozialen Kämpfe im Betrieb und auf der Straße, angesichts der neuen Massenarbeitslosigkeit und der wachsenden Übergriffe von seiten der Nationalsozialisten, die Wuppertal zum »Flugzeugmutter- 251 schiff der Bewegung« machen wollten. Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung von Helmut Kirschey zu sehen: »In Berlin oder Krefeld war ich nicht zur syndikalistischen Jugend gegangen: Die waren da gewaltlos — aber wir waren in Wuppertal! «Ein anderes SAJD- Mitglied gibt ein gemeinsames »Schlüsselerlebnis« von anarcho- syndikalistischen Jugendlichen aus dem Wuppertal wieder, das die Verschärfung auch der jugendlichen Kampfbedingungen und die Abkehr von früheren pazifistischen Idealen zeigt: Das war Pfingsten 1926, da war ich 14! Wir von der ehemaligen Kindergruppe und einige von der alten Jugend fuhren zum Pfmgsttreffen der antimilitaristischen Liga nach Den Haag, im offenen Lastwagen, mit schwarzen Fahnen und so... Auf der Oberkasseler Brücke in Düsseldorf stoppte uns ein Trupp vom »Stahlhelm« — die ha'm uns windelweich gehauen. Seitdem ha' m wir uns gesagt: »Haut Dir einer auf die rechte Backe, dann gib ihm zwei auf die linke! « ... Unseren Gandhi ha'm die uns regelrecht ausgeprügelt. Mit der Einrichtung der SA-Kaseme in Unterbarmen wuchs der tägliche Terror gegen die Arbeiter — »Du konntest abends als bekannter Sozialist da nicht mehr allein vorbeigehen.« Wer für einen»Roten« gehalten wurde, mußte damit rechnen, von der SA bedroht, verprügelt oder sogar in die Kaserne verschleppt, »verhört« und gefoltert zu werden. Parallel zuanderen linken Arbeitergruppen (RFB, Reichsbanner u.a.) kauften sich viele Mitglieder der SAJD Pistolen. »Von irgendwoher hatten wir in der Gruppe auch ein Gewehr.« Es war weniger die Hoffnung auf die baldige »soziale Revolution« im Sinne des Anarcho-Syndika- lismus, die die Wuppertaler Jugendlichen zur Bewaffnung greifen ließ — darüber machten sie sich »mit der Handvoll, die wir waren« keine Illusionen. Vielmehr hielten sie diesen Schritt für lebensnotwendig, da sie bevorzugte Angriffsziele der SA waren, und nicht daran denken konnten, durch »Stillhalten« verschont zu werden, was auch gegen ihre Prinzipien gewesen wäre: »Du mußt nach vom gehen, dann tun sie Dir nix — nicht zurück!« So lernten die Jugendlichen den Gebrauch und die Pflege dieser Waffen. Da in solchen Dingen ursprünglich niemand aus der Gruppe bewandert war, erhielten sie Anleitung von einem befreundeten Mitglied des Rotfrontkämpferbundes. Mit den Wanderungen und Fahrten wurden jetzt Schießübungen verbunden, so Ostern 1932 in einem ehemaligen Kotten in Balkhausen und im selben Jahr auf einer Fahrt an die Mosel. Die Mädchen beteiligten sich nach eigenen Angaben »we- niger« an diesen Aktivitäten. Allerdings übernahmen sie wichtige Aufgaben, als in Balkhausen die Polizei auftauchte, dievon Beobachtern alarmiert worden war: Die Mädchen versteckten die Pistolen im Suppentopf und transportierten sie auf dem Nachhauseweg in ihren Kopfkissen, wo sie eine weitere Polizeikontrolle unbemerkt überstanden. Ein Beispiel für die Anwendung dieser Waffen war der schon erwähnte, gelungene Versuch des RFB-Mitgliedes, zusammen mit zwei Mitgliedern der 232 SAJD den riesigen Propagandaballon herunterzuschießen, der anläßlich einerSA- Demonstration in Wuppertal 1932 über der SA-Kaserne schwebte. Ein weiterer Vorfall ist sowohl von ehemaligen Mitgliedern der S AJD belegt, als auch durch einen Artikel im »Syndikalist«. Er zeigt u.a. die wachsende Solidarität zu anderen Arbeitern, die zwar ideologisch bekämpften Organisationen — hier dem sozialdemokratischen Reichsbanner — angehörten, aber vom täglichen Terror der Faschisten genauso betroffen waren. Ähnliche Akte der »gegenseitigen Hilfe« und der Arbeiterselbsthilfe »an der Basis« waren in Wuppertal häufig. Nazi-Terror In Wuppertal In Wuppertal-Barmen haben die SA-Mannen vom Hakenkreuz vor längerer Zeit ein leerstehendes Fabrikgebäude in eine Hitler-Kaserne verwandelt, von wo aus sie ihre »Feldzüge« gegen die Bevölkerung des Bezirks Barmen-U. eröffnen, so daß selbst schon die Polizei des öfteren gezwungen war — auf Grund der dauernd einlaufenden Beschwerden—in dieses Mördernest einzudringenund Haussuchungen usw. vorzunehmen. Harmlose Straßenpassanten werden grundlos überfallen. »Tippelkunden« mit Eisenstangen zu Boden geschlagen, weil sie den Gruß »Heil Hitler« nicht erwidern usw. Wie es aber mit dem »Heldenmut« der braunen Mordpest bestellt ist, sobald sie auf energischen Widerstand stoßen, davon zeugt folgender Vorfall: Am Freitag, dem 13. November, abends gegen 11 Uhr, fielen diese vertierten Elemente völlig grundlos einige Reichsbannerleute an. Als in diesem Augenblick fünf unserer Genossen an dem Ort, wo die Keilerei tobte, vorbeikamen, ließen die B anditen von den Reichsbannerleuten ab und stürzten sich mit lauten Drohungen auf unsere Genossen. Dem Genossen Hahn wurde mit einem Schlagring eine tiefe Wunde dicht über dem Auge geschlagen. Als in dem Moment die Horde aus der Kaserne heraus noch Verstärkung erhielt, feuerte der 19jährige Jugendgenosse E.B. vier scharfe Pistolenschüsse ab und —mit der Rauflust war es vorbei. Sofort ließen die Rowdys von den Genossen ab und 30 »Hitler-Gardisten« ergriffen vor dem vordringenden 19jährigen Jung-Anarchisten das Hasenpanier. Der Jugendgenosse wurde von einer hinzukommenden Polizeistreife verhaftet, die dann auch noch eine Durchsuchung der Räuberhöhle vornahm, ohne natürlich etwas zu finden, weil sich die Vorkämpfer des »Dritten Reichs« in ihre geheimen Verließe zurückgezogen hatten, die das umfangreiche Fabrikgebäude ja zur Genüge besitzt. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums mußte in der hiesigen Presse auf Grund der Aussagen der zahlreichen Zeugen und der Empörung der Bevölkerung über die dauernde Terrorisierung selbst zugeben, daß die Anarcho-Syndikalisten, die sich, von einer Versammlung kommend, auf dem Heimwege befanden, von den Na- tionalsozialisten völlig grundlos überfallen wurden, und der Syndikalist B. in Notwehr vier Schreckschüsse abfeuerte. Der Jugendgenosse E.B. wurde am anderen Tage wieder auf freien Fuß gesetzt. Man darf auf den Ausgang der Verhandlung gespannt sein. Es ist nicht das erstemal, daß revolutionäre Arbeiter, die sich bei den Überfällen dieser Banditen so energisch zur Wehr setzen, drakonische Strafen erhielten und die Angreifer leer ausgingen. Die Roheit diesert Horden beleuchtet wohl am besten noch die Tatsache, daß sie sich, wenn ihr »Heldenmut« nicht solch jähes Ende gefunden hätte, auf den 60jährigen Genossen Steinacker gestürzt hätten, der den Genossen zu Hilfe eilen wollte. — Täglich gehen durch die Presse Meldungen von Überfällen und heim- 253 tückischen Morden der Hitler-Faschisten gegen die revolutionären Schichten der Arbeiterschaft. Die Prozesse in Hamburg und Oranienburg werfen ein grelles Schlaglicht auf den Blutrausch und die Verhetzung der SA-Kolonnen. Der blutige Terror in Braunschweig und die Reden der »Prominenten« zeigen der Arbeiterschaft klar und eindeutig auf, daß die Zeiger der Uhr fünf Minuten vor Zwölf zeigen. Noch ist es nicht zu spät zum Sammeln aller linksgerichteten revolutionären Kreise zum eisernen, energischen Abwehrkampf! WillB. Die RGO kriegt eins hinter die feuchten Ohren ... Syndikalist 48/1931 Unfreiwillig ist diese Seite des »Syndikalist« zugleich ein Dokument der Zer- rissenheit Wie die übrigen Arbeiterorganisationen des linken Spektrums schwank- ten die Anarcho-Syndikalisten zwischen proletarischer Einheitsfront gegen den Faschismus und weiteren scharfen Attacken auf die jeweils anderen Richtungen. Unmittelbar im Anschluß an den zitierten Bericht folgt ein Artikel, der eine heftige Polemik gegen die kommunistische Gewerkschaftsfraktion RGO enthält — die Überschrift ist hier noch wiedergegeben. Vor Ort in Wuppertal kam es allerdings 1932 zu einer gemeinsamen »Kampf- gemeinschaft gegen Reaktion und Faschismus«, an der sich die SAJD-Jugend- gruppe sowie Mitglieder der FAUD, SAP und KPD-Opposition beteiligten. Bereits 1931 hatte die SAJD Wuppertal auch mit älteren FAUD-Genossen einen sogenannte »Schwarze Schar« gebildet. Diese bewaffnete Selbstschutzgruppe war die anarcho-syndikalistische Variante des Rotfrontkämpferbundes bzw. des Reichsbanners. Schon auf der Reichsjugendtagung der SAJD 1929 in Kassel war von einzelnen Gruppen die Gründung »Schwarzer Scharen« gefordert worden — das Treffen stand schon damals unter dem Motto: »Gegen Faschismus und Diktatur« sowie »Für den Selbstschutz der arbeitenden Jugend«.(132) In Berlin stellte sich die »Schwarze Schar« 1930 folgendermaßen vor: Die Schwarze Schar ist die überparteiliche Formation, durch welche das Berliner Proletariat die Schaffung einer wirklichen antifaschistischen Kampffront einleitet. Sie beugt sich vor keiner Partei und ist von keiner verräterischen, reformistischen Gewerkschaft abhängig, sondern sie bekennt sich zur direkten proletarischen Aktion und zum Selbstschutz des kämpfenden Proletariats — sie ist also der Ort, wo sich alle Arbeiter finden können. Die Schwarze Schar arbeitet zusammen mit allen antiautoritären Organisationen des Proletariats, die den direkten Kampf gegen Kapitalismus und Staat führen, vor allem mit der FAUD.(133) In den meisten Gruppen wurde der Gedanke als zu militärisch abgelehnt — lediglich in Wuppertal, Kassel und Ratibor konstituierten sich noch Schwarze Scharen. Ein ehemaliges Wuppertaler Mitglied berichtet: Wir trugen schwarze Hemden, schwarze Hosen und Stiefel und 'n Gürtel. Mancher hat mit Schuhwichse etwas nachgeholfen — wir hatten ja kein Geld. Man kann sagen, das war "ne Uniform. Sowas hatten wir als Anarchisten ja immer abgelehnt 254 und viele andere Gruppen lehnten das auch weiterhin ab. Irgendwie war das auch 'ne Art Anpassung: Die Rotfrontkämpfer und das Reichsbanner, die hatten Uniformen, nur wir hatten nichts ...Mit Sprechchören und Liedern gingen wir vor unseren Demonstrationen her... oder bei denen der anderen Arbeiterorganisa- tionen mit... Die hatten einen Heidenrespekt vor uns — sie wußten ja nicht, wie wenige wir waren! Nach Angaben ihrer ehemaligen Angehörigen hatte die Schwarze Schar Wup- pertal höchstens 20 Mitglieder, die meisten davon waren zugleich in der SAJD. Sie berichten von einer gemeinsamen Demonstration und Kundgebung gegen den Faschismus und für den 6-Stundentag(!) im Frühjahr 1931 in Elberfeld, die die SAJD Wuppertal und die Schwarze Schar organisierten und an der sich die Kölner, Krefelder, Duisburger und Düsseldorfer Jugendgruppen beteiligten, sowie einzelne ältereAnarcho-Syndikalisten aus der Region. Sie soll »ca. 400 Genossen« auf die Beine gebracht haben und führte zu heftigen Meinungsver- schiedenheiten mit der Krefelder Jugend, die den »militaristischen Anstrich« der Wuppertaler kritisierten. Die Schwarze Schar Wuppertal hatte auch zwei Lieder, die beide nur unvoll- ständig mündlich überliefert sind. Das eine wurde auf die Melodie des »Horst- Wessel-Liedes« gesungen — »das haben die Nazis aber selbst geklaut: Ursprüng- lich war das ein bekanntes Seemannslied: »Zum letzten Mal haben wir an Bord geschlafen« — warum sollten wir die Melodie den Faschisten überlassen?« Das Lied begann mit den Worten: Wenn Generalstreik tobt im ganzen Lande ... und endete: und schwarze Scharen führen letzte Hiebe gegen Hitlers Banden! Von dem zweiten Lied, das angeblich von Willy Benner gemacht worden war, ist nur der Refrain überliefert: FI Hat acHN Sturm und Revolte, wir: Schwarze Schar! Linse hat im Überblick über die Entwicklung der gesamten — bürgerlichen und proletarischen —Jugendbewegung gegen Ende der Weimarer Republik einen Zug zur »soldatischen Formierung der Jugend«(134) festgestellt Orientierung am Ritterorden oder direkt am Militär bei den Bündischen und Pfadfindern, militä- rische Formen bei den völkischen und nationalsozialistischen Jugendorganisa- tionen und — darauf antworendd — bei den radikaleren Arbeiterjugendverbänden. Zutreffend schreibt er, daß die Mehrheit der SAJD sich diesem Trend entgegenstemmte: 255 Lediglich die anarcho-syndikalistiche Jugend fand es bedenkenswert, daß man doch schlecht ideologisch den Antimilitarismus vertreten, sich aber dann selbst als Kampfbund organisieren könnte; sie sah darin ein deutliches Zeichen für den Neo- Militarismus der deutschen Arbeiterschaft.(135) Die Mitglieder der SAJD Wuppertal kritisierten später selbst die Übernahme des Uniformtrends — nicht aber die bewaffnete Tätigkeit des Kampfbundes als solchem. Linse ist, was Wuppertal betrifft, zu korrigieren, wenn er schreibt: Es gibt keine Zeugnisse, daß die Schwarze Schar irgendwelche Bedeutung im antifaschistischen Kampf erlangte.(1 36) In Wuppertal war sie ein wichtiger Teil des proletarischen Selbstschutzes, glich ihre geringe Zahl durch umso größere Aktivität aus und trug in Arbeitsteilung mit dem RFB, dem Reichsbanner und anderen Organisationen maßgeblich dazu bei, zahlreiche faschistische Übergriffe in Versammlungen und in den Straßen der Arbeiterviertel zu verhindern. Über diese Tätigkeit hinaus entwickelte die Wuppertaler Gruppe ab 1930 eine fieberhafte Öffentlichkeitsarbeit. Auf einer alten Wäsche-Wringmaschine im Keller von J. Steinackers Schneiderwerksstatt wurden neben den schon erwähnten Flugblättern auch Plakate von A. Benner hergestellt. Die Gruppe fertigte Porträtpostkarten von Bakunin, Kropotkin und Landauer an, die sie verkaufte. Kurzfristig wurde mit Hilfe dieser eigenen »Druckerei« auch der Versuch einer Betriebszeitung gestartet: Die Jugendlichen schrieben oder sammelten Lehrlings-und Jungarbeiterkorrespondenzen, die dann von betriebsfremden Anarcho-Syn-dikalisten vor den betreffenden Firmen verkauft wurden, so bei der Aktenord-nerfabrik »Elba« und einer Schneiderei, in der »nur Frauen und Mädchen ausgebeutet« wurden. Von den wenigen erschienenen Exemplaren ist keines erhalten. Im Jahre 1931— die Bist Rheinland lag in den Händen der Wuppertaler Gruppe — wurde auf deren Initiative hin der Aufruf »An die proletarische Jugend« in 3000 Exemplaren gedruckt und unter die regionalen Gruppen sowie in Wuppertal verteilt. Dieser Aufruf war bereits 1929 als Beilage der »Jungen Anarchisten« erschienen(137) und signalisiert die politische Hinwendung der SAJD zu wirt- schaftlichen und politischen Tagesproblemen der Arbeiterjugend. Das Jahr 1931 muß als Höhepunkt der Aktivitäten der Wuppertaler Gruppe angesehen werden. Die Jugendlichen bereiteten zusammen mit der FAUD eine große »Sacco- und Vanzetti«-Kundgebung vor, zum 4. Jahrestag der Hinrichtung der beiden italienischen Anarchisten in den USA. Die gesamte Gruppe studierte monatelang Erich Mühsams Theaterstück »Staatsräson« ein, das den amerika- nischen Justizmord an Sacco und Vanzetti zum Gegenstand hatte. Regie führte dabei der damals 23-jährige Werkzeugmacher Alfred Schulte, der sich dafür ebenfalls am Düsseldorfer Schauspielhaus bei Wolfgang Langhoff Rat holte. Schulte war neben Willy Benner einer der ältesten in der Jugendgruppe, hatte selbst noch engere Kontakte zu den »Altjugendlichen« der ehemaligen »Morgen- 256 röte« und der »Rheinischen Sing- und Spielschar« und verband seine schau- spielerische und künstlerische Begabung in dieser Inszenierung eng mit dem Kampfgeist der Gruppe. Das Stück wurde ein voller Erfolg —die Stadthalle Elberfeld war nach Angaben aller ehemaligen Mitglieder »voll«; man wiederholte deshalb die Aufführung wenige Wochen später vor »ca. 200 Zuschauern« im Hotel Hegelich, Barmen. Erwähnenswert ist, daß auch in dieser Jugendgruppe das jugendbewegte Element nicht gänzlich zurückgedrängt war. Gemeinsam wurde—z.T. zu Fuß, zT. mit dem Fahrrad — an den großen regionalen Treffen der Jugend teilgenommen, so auf den Düsseldorfer Rheinwiesen, am Rhein bei Leichlingen oder am Harkort. Alfred Schulte unternahm mit zwei weiteren Jugendlichen im Frühjahr 1932 eine ausgedehnte Europareise — man war wieder einmal arbeitslos — die hier berichtet zu werden verdient. Die jungen Männer ließen sich bei Paul Hellberg, Betreiber derDüsseldorferFAUD-Druckerei, eine »Visitenkarte« drucken, die neben ihren Fotos in Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch den Satz enthielt: Vertrieben von der Not unserer rheinischen Heimat reisen wir mittelos durch Europa — zur schönen iberischen Halbinsel. Dies war verbunden mit dem —-ebenfalls viersprachigen — Aufruf zu Geldspenden. Die Drei »schallerten« auf den Straßen und Plätzen, wobei sie ihr reiches Repertoire an Volks- und Jugendbewegungs- und Arbeiterliedern auf originelle Weise musikalisch begleiteten: Neben Gitarre, Geige und »Trecksack« (Akkordeon) setzten sie auch eine »singende Säge« ein, die mit dem Geigenbogen gestrichen wurde und jaulend für Aufmerksamkeit sorgte. In Barcelona angekommen, kam es — längst vor der deutsch-spanischen Solidarität in den anarcho-syndikalistischen Kampfverbänden gegen Franco — zu einer »Zusammenarbeit« ganz besonderer Art: Alfred Schulte berichtet, daß er durch Zufall im Hause von Fernandez Orobon aufgenommen wurde, welcher Medien- und Kulturverantwortlicher der anarcho-syndikalistischen CNT war. Dieser habe ihn in der Badewanne auf Deutsch das alte polnische Arbeiterlied »Warschawianka« singen hören, sei aufgeregt hereingekommen und hätte Schulte um den Text gebeten, da er ihn schon lange suche. »Noch am selben Nachmittag übersetzte Orobon mit Hilfe seiner deutschen Frau Hilde das Lied ins Spanische — und das wurde dann die Hymne der CNT.« (Hinzuzufügen ist, daß Orobon die Warschawianka nicht nur ins Spanische, sondern auch ins »Syndikalistische« übersetzte; Ergebnis: A las Barricadas) Nach der Machtübernahme stellte die SAJD — wie überall im Reich — vorsorg- lich ihre offizielle Arbeit ein. Die Jugendgruppen wurden im Gegensatz zur FAUD als Organisation nicht eigens verboten — viele Mitglieder waren als Antifaschisten aber wohlbekannt. Hier wurde die verblichene Tradition der Freien Jugend Morgenröte noch einmal nützlich: Weniger bekannte SAJD-Mitglieder meldeten Ende März 1933 noch eine Versammlung des »Kampfbundes gegen den 2954 Faschismus« getarnt als »Freie Jugend Morgenrötex an — die Veranstaltung wurde von den Behörden nicht beanstandet. Die Jugendlichen trugen mit wenigen älteren Genossen die Hauptlast des anarcho-syndikalistischen Widerstands. Sie organisierten die Verbreitung illegaler Schriften und sammelten Geld für die Familien der in »Schutzhaft« genommenen Anarcho-Syndikalisten, der Brüder Benner und J. Steinacker, später für Spanien. Letzteres war z.B. für den Arbeiter Fritz Krüschedt, Mitglied der Wuppertaler SAJD-Gruppe, im Sinne proletarischer Solidarität und »gegenseitiger Hilfe« so »selbstverständlich«, daß er im rheinisch-bergischen »Syndikalistenprozeß« 1938 arglos davon erzählte — die Nazis werteten die Sammlungen als »Beihilfe zum Hochverrat«. Andere Tätigkeiten waren die Kurierdienste. Eine der Töchter Steinackers dürfte mit 12 Jahren der jüngste Kurier gewesen sein, sie brachte Spanien-Gelder zu Anton Rosinke nach Düsseldorf. Der antifaschistische Widerstand in Wuppertal wurde bereits dargestellt. Hier seien noch einige jugendspezifische Begebenheiten angeführt, die zeigen, wie jugendbewegte Traditionen in oppositionelles Jugendleben und Widerstand unter dem Faschismus umgesetzt wurden. So unternahmen die Jugendlichen auch weiterhin Wanderungen — das Ziel war u.a. die Fortsetzung der grdßen Jugend- treffen zu Ostern und Pfingsten trotz Verbot. So traf man sich etwa mit anderen oppositionellen Jugendgruppen, z.B. der Sozialistischen Arbeiterjugend, des KVJD und Teilen der bündischen Jugend Ostern 1935 in Altenberg. Auf dem Weg zu diesen illegalen Jugendtreffen entstand nebenstehendes Foto, das die SAJD- Wuppertal mit einer Gruppe junger Leverkusener Sozialdemokraten zeigt. Beide Jugendgruppen hatten sich kennengelernt, als sie von einer HJ-Gruppe überfallen wurden und diese mit vereinten Kräften in die Flucht schlugen — gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Ehemalige SAJD-Mitglieder zitieren einen Spruch, den sie damals mit anderen oppositionellen Jugendliche skandierten: Hör Rübezahl, was wir dir klagen — Volk und Heimat sind nicht mehr frei! Schlagt der HJ die Knochen entzwei! Die Konfrontation mit der HJ wurde mitunter auch gesucht —als könnte man mit ihr stellvertretend den Faschismus schlagen — so z.B. regelmäßig zur Kirmes in Beyenburg. Auch Ostern 1936 kam es noch einmal zu einem größeren illegalen Jugendtreff der rheinisch-bergischen Gruppen, die in Opposition zum Nationalsozialismus und zur Zwangseingliederung in die HJ standen:Bündischen, christlichen, sozialistischen, kommunistischen und anarcho-syndikalistischen: Am Rheinufer bei Leichlingen. Hier knüpften viele Jugendliche unterschiedlichster politischer Herkunft Beziehungen, die später zu Jugend-Widerstandsgruppen wie »Toten- kopf« und »Edelweißpiraten« wurden. (Vgl. nachfolgende Photos) Die Jugend- lichen kannten sich oft nur unter Decknamen (z.B. »Perd« (Pferd), »Knabex«, »Iller««), hier gingen spontane »Spitznamen« in bewußte Tarnung gegen die Gestapo-Spitzel über. Von der SAJD waren Ostern 1936 neben der Wuppertaler Gruppe die aus Köln, Krefeld und Duisburg vertreten, wobei im späteren Syndi- kalistenprozeß dem Kölner Jung-Anarcho-Syndikalisten Hans Saballa »Rädels- führerschaft« und »zersetzende Vortragstätigkeit« auf diesem Jugendtreffen vorgeworfen wurde. Mit der Verhaftung der meisten Mitglieder der SAJD, nicht nur in Wuppertal, sondern auch in Mönchengladbach, Köln, Duisburg, Krefeld, Dülken im Jahre 1936/37 endete die Geschichte ihrer organisierten anarcho-syndikalistichen Tä- tigkeit. Bis auf Helmut Kirschey wurden aus Wuppertal alle männlichen SAJD- Mitglieder verhaftet und — zusammen mit jungen und älteren Genossen aus der ganzen Region— wegen »Hochverrat« zu hohen Haftstrafen verurteilt. 259 SAJD-Wuppertal, während der Nazi-Zeit; rechts der ermordete Hermann Hahn SAJD-Wuppertal, illegales Treffen 260 Illegales Treffen in Altenburg 1935; im Vordergrund Hans Schmitzaus Wuppertal und eine heute namentlich unbekannte Freundin; fast verdeckt im Hintergrund Hans Saballa aus Köln. 261 Mitglieder der SAJD auf der Fahrt zu einem illegalen Treffen Illegale Treffen von Wuppertaler SAJDlern und Fdelweißpiraten 262 Illegales Treffen von Wuppertaler SAJDlem und Edelweißpiraten. Dabei Hans Schmitz, Hans Kirschey und Paul Oberhenn 1) 263 Anmerkungen Kapitel VI Dieser von Gustav Wyneken geprägte Begriff ging auch auf die proletarische Jugendüber. »Unter Jugendkultur verstand mandabei vor allem Emanzipation der erwachsenen Jugend vom Einfluß der Älteren, offene Diskussion über alle interessierenden Probleme, Gesellschaftskritik, aber auch politische Aktivität und weltanschaulich begründetes Engagement«. Heinrich Kupfer, »Gustav Wyneken«, Stuttgart 1970, S.78. Derlinksbürgerliche Vertreterder Jugendbewegung, Friedrich Bauermeister, der auch das Schlagwort vom »Klassenkampf der Jugend« prägte, schrieb: »Die Jugend hat der Kultur gegenüber ihre besonderen Aufgaben. Ihr Wesen besteht darin, daß sie der geistig noch nicht in den sozialen Körper eingegliederte Teil der Menschheit ist,« Friedrich B auenneister, »DerKlassenkampf der Jugend«, in: Der Aufbruch, Jena, Juli 1915, S.11. Ein führender moderner Jugendsoziologie sieht in der Jugendbewegung »die erste Welle einer im 20. Jahrhundert immer wiederkehrenden Kulturrevolution,... nämlich als inneres Aufbegehren, als bürgerliche Reaktion auf bürgerliche Lebensformen, als Versuch der Zerstörung des Kulturbegriffs von Innen her.« Leopold Rosenmayer, »Jugendbewegung und Jugendforschung«, in: Walter Rüegg (Hg.) »Kulturkritik und Jugendkult«, Frankfurt/M. 1974, S.65 Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung..., S.33 ebenda, S.20 ebenda, S.22 ebenda, S.29 ebenda, S.26 ebenda, S.12 Ernst Friedrich, ebenda, S.37 ebenda, S.34 Franziska Krischer, Der Syndikalist, Jg.2 (1920), Nr.48 ebenda Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.33 Alle Angaben in: HSTA Düsseldorf, Reg. Düss., Nr.15810, B1.7-10 und B1.17 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.39 und Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.40 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.33 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.15 Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.35 ebenda ebenda Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.28 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 Linse, S.37 ebenda 264 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 4) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 5]) 52) 53) 54) 55) Alfred Dressel, in: Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.45 Dressel, Alfred: Bericht über die Reichstagung dersyndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands, Leipzig 1921, S.7 Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten. Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 1983, S.129-149 »Max« (Schulze-Sölde) in: Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.55 Rocker, Rudolf: Jugend und Anarchismus, in: Dressel, Alfred: Bericht...$.8 alle Zitate bei Dressel Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.43 Barwich, Franz: Bericht über die 1.Konferenz der AB, Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.24 Dressel, Alfred: Die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung, Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.32 Der Syndikalist, Jg.4 (1922), Nr.32 Linse, S.43 Protokoll über die Verhandlungen des 15. Kongresses der FAUD, S.14 X.R.: Jugendbewegung, Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.8 Linse, S.43 Aussagen von C. Moeller, G. Krüschedt und H. Schmitz Linse, S.43 Soweit nicht anders aufgeführt beziehen sich die folgenden Angaben auf die Interviews mit noch lebenden Anarcho-Syndikalisten. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 HSTA Döüss., Reg. Düss. Nr.15810, B1.14-16 So Willy Benner durch den Maler und Anstreichermeister, bei dem er bis 1924 lernte; berichtet von seiner Frau Paula Benner. Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.27 Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.44 Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.39 Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.39 und 27 August Benner, Paula Benner Die Schöpfung, Jg.2 (1923), Nr.41 Linse, Anarchistische Jugendbewegung, S.34/35 HSTA Düss., Reg.Düss. Nr.15409, B1.215 So hing sein Bild in der Schneiderwerkstatt des Elberfelder Anarcho- Syndikalisten J. Steinacker. Mühsam verkehrte bei seinen Vortragsreisen öfters im Hause Renner. Dies berichtet Fritz Benner in dem bereits zitierten Brief an Olday: »Es stimmt nicht, daß Mühsam niemals dem 'syndikalistischen Verein von Rocker angehört hat. Mühsam erzählte mir selbst im KZ Buchenwald, daß er sich der FAUD anschloß, als Hitler schon an der Macht war... Dir wird bekannt sein, daß Erich als feuriger Revolutionär, der vom Geiste B akunins beseelt war, den Dr. Unblutig aus Wien, Rudolf Großmann (besser bekannt unter seinem Pseud. Pierre Ramus), und dessen Methoden ablehnte... Aber ausgerechnet als Hitler schon an der Macht 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71) 72) 73) 74) 75) 76) m) 78) 79) 80) 81) 82) 83) 84) 265 war,... ließ die Anarchistische Vereinigung Großmann in einer ihrer Versammlungen über seine unblutigen Kampfmethoden sprechen. Erich wurde wütend: Ihr könnt mich mal am Arsch lecken!'... Ich gehe zu den Arbeitern und kämpfe mit diesen gegen Hitler.' Du willst zu den Bolschewisten', war die Verdächtigung. 'Nein, ich gehe niemals zu den Bolschewisten, ich gehe zu den Arbeitern!' Erich ließ sich am selben Tag in die FAUD einschreiben.« Erich Mühsam in der »Fackel« von Karl Kraus, zit. nach: Haug, Wolfgang: Erich Mühsam— Schriftsteller der Revolution, Reutlingen 1979, S.20 Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.2 Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.29 So u.a. eine »Jugendbewegungsgeschichte« im Feuilleton der »Düsseldorfer Volkszeitung« (1920), Artikel in Ernst Friedrichs »Freie Jugend«, hierbei ein Titelbeitrag über den Deutschen Bauernkrieg im Jahre 1925 und die »Amnestie«. Philipp Urban vor Gericht; nach Angabe R. Treibers. Diesem zufolge hat Urban später in den anarcho-syndikalistischen Verbänden gegen Franco mitgekämpft. Neuere Forschungen haben dies bestätigt, vgl. Degen/Haug/Linse/Nelles: Deutsche Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg und im Exil, Wuppertal 1991. Ferrer, Francisco: Die Moderne Schule. Nachgelassene Betrachtungen über die rationalistische Lehrmethode, Berlin 1923, Repr. Berlin 1975, S.46 Poole, David: Francisco Ferrer, in: Archer/Poole/Ramus: Francisco Ferrer— Über den Begründer der Modernen Schile, Wilnsdorf-Anzhausen 1982, S.14 Ferrer: Die Moderne Schule, S.23; aus dem ersten Lesebuch der'Escuela Moderna', zit. nach Ramus: Die Moderne Schule, in: Archer/Poole/Ramus, S.109 ebenda Programm der 'Escuela Modemä , ebd., S.105 ebenda, S.14 ebenda, S.54 Kropotkin, Peter: Rede zum Tode Ferrers, ebenda, S.99/100 ebenda ebenda Curt Moeller; Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 Arbeiterbewegung, Freidenkertum und organisierte Religionskritik, Ausstel- lungskatalog Berlin 1983, S.20 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.70 HSTA Düss., Reg.Dü+ss., Nr.15988 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.28 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.66 Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.48 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.27 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.14 und 15 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.14 und 15 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.12 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.16 266 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105) 106) 107) 108) 109) 110) 111) 112) 113) 114) 115) 116) 117) 118) 119) In Düsseldorf, vgl. Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.24 und Elberfeld: Dort sprach Joist am 13.3.23 auf einer von J. Steinacker geleiteten Versammlung, nach: HSTA Düss., Reg.Düss., Nr.16870 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.136 Linse, Ulrich: Barfüßige Propheten, S.156-230, vgl. Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr. 12 Alle Angaben und Zitat Fritz Binde, nach: J.C.J. Ommerbom »Mein Fritz Binde«, Barmen 1922, S.52 und S.63 Stimer,Max: DerEinzigeundseinEigentum,zit.nachGuerin,Daniel: Anarchismus, S.30 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.42 Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.101 ebenda Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.16 C. Moeller, He. Saure, H. Schmitz und A. Binder Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.23 G. und H. Krüschedt, H. Schmitz Proletarisches Kinderland, Okt. 1931, zit. nach Linse: Anarchistische Jugendbewegung, S.119 ebenda, S.305; dort auch eine Übersicht weiterer anarchistischer Kinderzeitungen. Otto Reimers, ehemaliges Mitglied der Hamburger AAU-E, rettete vollständige Ausgaben von »Kinderwille« und »Proletarisches Kinderland« über National- sozialismus und Krieg und überließ sie 1977 Ulrich Linse. Proletarisches Kinderland, Sept.31; zit. nach Linse, 5.118 Linse, S.114 ebenda, S.116 ebenda, S.117 Weitere Informationen zum Thema bei: Heribert Baumann: Theorie und Praxis libertärer Kindergruppen in der Zeit von 1919-1933, Diss., Oldenburg 1983 Linse, S.12 ebenda Junge Anarchisten (1925), Nr.2 Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.9 Junge Anarchisten (1925), Nr.4/5 Junge Anarchisten (1925), Nr.12 Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.9 Junge Anarchisten (1925), Nr.9 Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 Der Syndikalist, Jg.5 (1923), Nr.41 Junge Anarchisten (1925), Nr.9 Linse, S.83 Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.12; Linse, S.302/3 Der Syndikalist, Jg.9 (1927), Nr.13 Linse, S.86/87 Hepp, Georg; Frankfurter SAJD- und FAUD-Mitglied, zit. nach Linse, S.90 267 120) Vgl. van der Will: Arbeiterkulturbewegung, S.167-226: Der Sprechchor als proletarische Kunstform‘. 121) Der Syndikalist, Jg.10 (1928), Nr.4 122) Linse, S.93 123) ebenda 124) ebenda, S.95 125) ebenda, S.93/4 126) Scherer, Fritz: Die Bakunin-Hütte. Eine Rückschau; in: Schwarzer Faden (4/84), Nr.16, S.53 127) Linse, S.94 128) Scherer, Fritz; in: Schwarzer Faden 4/84, S.54; vgl. auch: Walter, Mitglied der Kölner SAJD, zit. nach: Theissen u. a.: Anarchistisch-syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr, S.110/111 129) Soweit nicht anders angegeben beziehen sich die folgenden Ausführungen auf Interviews mit noch lebenden Anarcho-Syndikalisten 130) H. Kirschey; alle übrigen SAJD-Mitglieder; Der Syndikalist, Jg.13 (1931), Nr.19 131) Vgl. »Aus einem Gespräch«, in: Junge Anarchisten, Nr.7/8 (1926) (Titel: »Krieg dem Krieg«) B: »Aber ohne jede Gewalt? Woher hast du diese Wissenschaft?« A: »Ja, das hat mir mal einer gesagt, und dann tragt ihr ja auch das zerbrochene Gewehr als Abzeichen.« B: »...aber die Bedeutung des zerbrochenen Gewehrs, ausdem Du auf Gewalt- losigkeit schließst, ist eine andere.... ist uns das zerbrochene Gewehr das Zeichen, das von uns die Zerstörung einer jeden Gewalt fordert.« 132) Linse, S.96 133) ebenda 134) Linse, Ulrich: Lebensformen der bürgerlichen und proletarischen Jugendbewegung; in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung, Bd.10 (1978), S.53 135) ebenda 136) Linse, Ulrich: Anarchistische Jugendbewegung, S.311 268 Kapitel VII »Sozialistisches Neuland« — die Düsseldorfer Siedlung »Freie Erde« Der Einfluß Gustav Landauers Die Siedlungs- und Genossenschaftsexperimente rheinischer Anarcho-S yndika- listen stützten sich vor allem auf die Ideen von Gustav Landauer und standen darüber hinaus in der Tradition der allgemeinen Konsum-und Baugenossen- schaftsbewegung seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Siedlungsex- perimente von Boh&me und Vertretern der bürgerlichen Jugendbewegung.(1) Landauer selbst war Mitbegründer einer der ersten Berliner Konsumgenossen- schaften und hatte die Idee des genossenschaftlichen und Siedlungszusammen- schlusses zum Kern seiner Vision vom »Austreten aus dem Kapitalismus«(2) gemacht. Landauer gab selbst die—nicht nur sozialistischen— Theoretiker an, von denen er in seinem Siedlungsanarchismus beeinflußt war: Proudhon (alles), Etienne de la Boetie, Tolstoi, Hertzka (Das soziale Problem), Silvio Gesell, Petr Kropotkin (Gegenseitige Hilfe und Landwirtschaft, Industrie und Handwerk)(3) Auch Franz Oppenheimer, die englische _Settlement-Bewegung.. .EugenDühring undHenryGeorge in derVermittlung durch Benedict Friedländer(4) Landauer wollte nicht warten, bis die Verhältnisse »reif« seien — und er sah auch bis vor der deutschen Revolution von 1918/1919 nicht, daß sie in seinem Sinne reiften. Gegen den Marxismus gerichtet, betonte er die entscheidenede Rolle des »Willens« und der »Person« in der sozialen Bewegung und faßte zusammen: Für uns sind die Träger der Geschichte Personen.(5) Von hieraus waren individuelle oder Kleingruppenexperimente mit Siedlung und Genossenschaft legitimiert. Sie hatten sich dennoch, pausenlosvor den übrigen Anarcho-Syndikalisten zu rechtfertigen, die ihnen immmerwiedervorwarfen, sie wollten sich mit ihren Initiativen ausdem sozialrevolutionären Kampf zurück- ziehen, seien auf dem Wege der »Verbürgerlichung« und wollten nur individuell »ihre Schäfchen ins Trockene bringen«. Wiederholt beriefen sich die anarcho- syndikalistischen Siedler daher auf das ursprüngliche Konzept der Arbeiterbörse. In Düsseldorf, wo es zu einem der wenigen längerlebigen anarcho-syndika- listischen Siedlungsversuche kam, war der Einfluß Landauers auch persönlich spürbar. Landauer unterhielt gute Beziehungen zu Düsseldorfer Freigeistern, Künstlern und dem weit links stehenden Ensemble des Düsseldorfer Schauspiel- 269 hauses. Von 1916 bis 1918 redigierte er dessen ästhetisch-politische Zeitschrift »Die Masken«(6) und trug sich mit dem Gedanken, nach 1918 hier als Dramaturg tätig zu werden.(7) Der Ausbruch der Novemberrevolution und seine Ermordung 1919 vereitelten diese Pläne. Wie weit er persönlichen Kontakt zu den Düsseldorfer Anarcho-Syndikalisten hatte, ist nicht bekannt — er wurde unter ihnen aber hoch verehrt. Nach einem Bericht Erich Mühsams soll Landauer seine Meinung während der Ereignisse um die Münchner Räterepublik kurz vor seinem Tode modifiziert haben. Sein überraschender, vehementer Einsatz in den revolutionären Massen- kämpfen habe Landauer von seiner Theorie der »kleinen revolutionären Schritte« abgebracht: Den Genossen jedoch, die auch jetzt noch durch Gründungen vegetarischer Siedlungsspielereien Landauers Vermächtnis erfüllen zu sollen meinen, sei be- richtet, daß mir Landauer Ende 1918 und Anfang 1919 wiederholt erklärt hat, derartige Resiggations-Retiraden seien doch jetzt... ganz sinnlos geworden.(8) Dies war zumindest Mühsams eigene Ansicht, und spiegelt bereits Einiges von der Polemik wieder, denen die Siedler ausgesetzt waren, welche im Jahre 1921— die revolutionären Ereignisse von 1919 und 1920 begannen bereits in die Ferne zu rücken — ihren Aufbau in Angriff nahmen. 1) Jm eiste Ri; lIySTAV LANDAIJERS -besiedelten wir am G. JO 121 dieses Brachland u nannten es beslimmuugrsgemäss „IRUEREIE ERDE" | Erhaltene Marmortafel des Hauses der Siedlung »Freie Erde« bei Düsseldorf 270 Anarchistische Siedlungen Vor und neben der hier beschriebenen Düsseldorfer Siedlung gab es ähnliche, praktische Projekte, die mehr oder weniger anarcho-syndikalistischen Ideen nahestanden—dabei in der Regel mehr den anarchistischen, als syndikalistischen: a) b) c) d) e) Der Barkenhoff um Heinrich Vogeler in Worpswede, der anarchistische Siedlung und »Arbeitsschule« zu verbinden suchte.(9) Der Siedlerbund Freie Erde in Bremen, der stark vom Barkenhoff beeinflußt, im »Freien Arbeiter« (Organ der FKAD) schrieb: »Die vernichtende Tendenz der Großstadt, ihrer Industrie und Oberzivilisation und der Untergang des Mammonismus lassen sich nicht mehr leugnen. Die Kulturschädlichkeiten haben die Gesundheit und Lebenskraft der Menschheit herabgedrückt... suchen wir nach neuen Grundlagen für unser Dasein und Rettung durch Zurückeroberung des Naturlebens und Rückkehr oder besser Aufstieg zu den einfachen Grundwerten... Ziel ist die Verbindung geistiger und körperlicher Arbeit, Werkstatt und Landwirtschaft, Kunst und Handwerk, Wissenschaft und Leben.«(10) Der Volksbund fürföderativeNeukultur, in dessen Mittelpunkt der Volkslandbund e.V.(11) in Köln stand. Der Volkslandbund betrieb eine Siedlung in der Nähe von Köln und rief im selben Jahr zur Unterstützung für ein weiteres Siedlungsprojekt im Westerwald auf. In einem seiner Aufrufe, die vom »Syndikalist« boykottiert, von der »Schöpfung« und dem »Freien Arbeiter« jedoch veröffentlicht wurden, heißt es: »Die Volksland-Siedlungsgemeinde, deren Grundstreben die Befreiung des Volksbodens ist, will als Ausgangspunkt einer Bewegung für sozialistische Neukultur nicht mit einer Einzelreform, sondern durch eine Gesamtreform alle Kräfte auf einen Punkt richten, um so mit dem heute Vorhandenen und ohne weiteres Abwarten zum Sozialismus von unten auf, zum sofortigen Aufbau der langerstrebten sozialen Gemeinde zu gelangen.« Angedeutet wird das Mittel der Landbesetzung; wenn es dort weiter heißt: »Das Mittel zum sofortigen Anfang ist die gegenseitige Hilfe. NurdurchSelbsthilfe der Landsucher, und nur allseitige Hilfe aller Arbeitenden wird den Ausweg zu neuem Volkslande freimachen, wo mit einem neuen Gemeinschaftsleben der gemeinsame Aufbau der föderalistischen, freien Gemeinde begonnen wird...«.(12) Hier schimmert bis in die Formulierung Landauersches Denken durch — auch Landauer sprach von »Gemeinden« und sein Begriff der »Tat« schloß die unge- setzliche Landbesetzung selbstverständlich ein. Die Siedlerschule Moorende, (13) die von Leberecht Migge geleitet wurde und die Naturwarte Mönne bei Stettin, alsletzte im Jahre 1922 gegründet durch den Anarchisten Paul Robien (nicht zu verwechseln mit Paul Robin, der 50 Jahre früher das Waisenhaus Cempuis als anarchistischen Schulversuch bei Paris geleitet hat). Robien war zuvor bei den Worpswedem beteiligt gewesen, und wollte mit seiner Naturwarte, »einem naturwissenschaftlichen Beobachtungsposten mit 6-8 Morgen Land als Ernährungsbasis« zeigen, daß »es möglich ist, mitten in einem feindlich gesinnten Volk neutral zu leben. Neutral —darunter verstehen wir außerhalb der Staatsordnung leben, nirgends, bei keiner 271 Behörde amtlich gemeldet zu sein, frei von Zins und Steuer sein, ein Haus ohne baupolizeiliche Genehmigung errichten... «(14) Insbesondere die Kölner Formulierungen und Robiens Ideen lesen sich wie ein »Programm« der Düsseldorfer Siedlung Freie Erde — zumindest, was ihr An- fangsstadium im Juni 1921 und ihre ursprünglichen Hoffnungen betrifft. Die Siedlung »Freie Erde« bei Düsseldorf Im August 1921 schrieb die Polizeiverwaltung Benrath folgenden Bericht an die »Meldestelle der Regierung Düsseldorf« in Essen: Benrath, den 13. August 21 Vor etwa 6 Wochen ließ sich im staatlichenForst im Bezirk der Bürgermeisterei Erkrath in unmittelbarer Nähe der Grenzen von Hilden, Erkrath, Benrath und Düsseldorf eine Kolonne angeblich arbeitsloser Leute nieder. Es handelt sich um etwa 25-26 Personen, darunter einige Frauen. Diese Leute gingen dazu über, bauten sich vorerst eine Blockhütte und machten sich ein größeres Stück Land urbar, welches mit Gartenfrüchten bestellt wurde. In den letzten Tagen ist mit dem B au einesregulären Wohnhauses begonnen worden. Das Fundament ist bereits gefertigt. Wie einwandfrei festgestellt worden ist, haben die Leute sich das Land ohne Einverständnis der Regierung oder der Forstverwaltung angeeignet, allerdings sind sie nachträglich mit der Regierung in Verhandlungen getreten. Um den Sachverhalt nach Möglichkeit festzustellen, wurdenhiesigerseits Erhebungen angestellt. Einer (der Polizei?) vertrauten Person gegenüber, von der sie auf das Ungesetzliche ihrer Handlungsweise aufmerksam gemacht wurden, äußerten sich die Leute etwa wie folgt: »Wir sind jetzt mit der Regierung in Verhandlungen getreten, damit uns das Gelände überlassen wird.« Als sie weiterhin darauf hingewisen wurden, daß sie notfalls durch die Polizei vertrieben würden, sagten dieselben: »Laß sie nur kommen — wir haben das hier besetzt« Nach den Redensarten des scheinbaren Führers der Kolonne zu urteilen, bestehen in der Gegend von Uerdingen und unweit Köln ähnliche Niederlassungen. Im Laufe des Gesprächs, welches mit mehreren Leuten gepflogen wurde, äußerte einer sich noch u.a.: »Wer ist denn der größte Verbrecher? Die, die das Land brach liegen lassen,oder wir, die wir es für die Allgemeinheit nutzbar machen ?« Das Ganze läßt darauf schließen, daß man es hier mit ausgesprochenen Kommu- nisten zu tun hat.Vermutlich bestehen zwischen den einzelnen Niederlassungen Verbindungen. Es ist wahrscheinlich, daß die Siedlerkolonne von gleichgestimm- ten Arbeitern fmanziell und durch Arbeitsleistung unterstützt wird. Die Siedlung wird sonntags und auf den Wochentagen von vielen Interessenten besucht. Die Kolonisten veranstalten unter diesen Sammlungen und vertreiben die anliegenden Aufnahmen (Fotographien) zu 4.-M. pro Stück. Nach weiteren Äuße- rungen dieser Leute gehört zu ihnen auch ein angeblicher Doktor. Der Name es Letzteren war nicht zu erfahren. Um den Bau des massiven Wohnhauses fertigstellen zu können, kauften die Leute 272 größere Mengen gebrauchter Ziegelsteine; angeblich fehlt noch das Geld zur Anfuhr.« Der Bericht schließt mit den Worten: (Es mag möglich sein, daß die Gesellschaft vorläufig ideale Ziele im Auge hat, doch besteht die Gefahr, daß das ganze Unternehmen schließlich in Bandenwesen ausartet und dadurch die öffentliche Sicherheit gefährdet wird.) Wiebling; Pol.Com.(15) Es handelte sich bei dieser Siedlung um die »Freie Erde« Düsseldorf. Die Darstellung des Polizeikommissars Wiebeling gibt in doppelter Weise Aufschluß: Sie enthält erste Hinweise auf die Argumentation und die Praxis der Siedler — und wir erfahren eine Menge über die Vorgehens- und Denkweise der Polizei. »Ausgesprochene Kommunisten« — so schloß der brave Kommissar— im Unterschied zu anderen Polizeiberichten machte er seinen persönlichen Schluß auch als solchen kenntlich, und bedauerte nur, daß er den Namen des »angeblichen Doktors« nicht mitliefern Konnte. Von den übrigen Namen schreibt er nichts — als sei der Intellektuelle als »Drahtzieher« besonders wichtig. Der praktische Aufbau Tatsächlich waren es Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten, durchweg prole- tarıscher Herkunft, die am 6.7.1921 das Geländebesetzt und mit dem Hausbau und der Bodenbearbeitung begonnen hatten. Sie waren zum großen Teil Mitglieder der FAUD Düsseldorf. Einige von ihnen waren Kriegsinvaliden (»Dem einen fehlte ein Arm, der andere hatte das Zittern...«), das Durchschnittsalter der Gruppe betrug 25-30 Jahre. Die Zahl von »25-26« anfänglichen Landbesetzern könnte zutreffen, die Gruppe stabilisierte sich in den kommenden Monaten auf »ca. 15 Mitglieder«.(16) Die meisten von ihnen waren ohne Beschäftigung. Unter ihnen gab es gelernte Maurer, Schuster und Zimmerleute, und sie erfüllten genau die Voraussetzungen, die von den Siedlungsbefürwortern in der Düsseldorfer FAUD genannt wurden: Sie zählten zu »unseren vom Kapital gemaßregelten, brotlosen Genossen«, für die es gelte, »eine Heimstatt zu schaffen.«(17) »Das einzige, was uns nachher beim Hausbau fehlte, war ein Verputzer...« Eine führende Rolle als Anreger und Motoren der Gruppe spielten jedoch zwei der ältesten Siedler, das Ehepaar Waldemar und Anna Kutschke, die mit ihren 3 Kindern an der Landbesetzung und dem Siedlungsaufbau teilnahmen. Waldemar Kutschke, gelernter Schäftemacher, war zu dem Zeitpunkt 39 Jahre alt, seine Frau ein Jahr jünger. Beide stammten aus 12- bzw. 11-köpfigen Arbeiterfamilien. Im Unterschied zu den meisten anderen Männern der Gruppe ging Waldemar Kutschke neben den Siedlungsanstrengungen täglich zur Arbeit nach Reisholz, wo er im dortigen »Preß- und Walzwerk«, einem der größten Düsseldorfer Stahl- 273 und Eisenbetriebe, am Hochofen stand. Dieses Detail ist nicht nur als Zeugnis für Kutschkes hohes, persönliches »Doppelengagement« von Interesse — es enthielt die Möglichkeit für Kutschke, respektiertes Bindeglied zur Arbeiterbörse der FAUD zu sein, die, wie alle Gewerkschaften große Schwierigkeiten hatte, erwerbslose Mitglieder theoretisch anzuerkennen und praktisch einzugliedern. Kutschke war aktiver Vorkriegsanarchist und -syndikalist, das »Verzeichnis der sich im Regierungsbezirk Düsseldorf aufhaltenden Anarchisten« erwähnt ihn schonim Jahre 1912(18) — er war eng befreundet mit dem führenden FAUD- Mitglied Anton Rosinke und beteiligte sich — während der Siedlungsaktion(!) — aktiv am Düsseldorfer Metall- und Stahlarbeiterstreik Anfang 1922, einer der letzten größeren Streikbewegungen, in der die Düsseldorfer FAUD und die rivalisierende linkskommunistische AAUE eine Rolle spielten. Waldemar Kutsch- ke wurde — vermutlich aufgrund der Streikbeteiligung — im Jahre 1922 vom »Preß- und Walzwerk« entlassen, fand jedoch »immer wieder« neue Arbeits- stellen: »Den hat keine Firma lange haben können.« Sein Einkommen war zeitweilig die einzige regelmäßige Geldquelle der Siedler- gruppe, die im übrigen auf Geld- und Sachspenden von der FAUD und anderen Gruppen, auf den eigenen Gemüseanbau — »Wir konnten 1922 die ersten Kartof- feln ernten« — und auf den Verkauf der Ansichtskarten angewiesen war. (Um solche handelt es sich auch bei den folgenden Abbildungen). Besonders die ersten Monate verlangten äußerste Opfer. Es war keine »Blockhütte« (Polizeibericht), sondern eine »Rasenhütte«,(19) in der die Siedler anfangs lebten: Ein geräumiger Unterstand, der mit Grasbollen abgedeckt war. Waldemar Kutschke 274 Bemerkenswert die Texte der beiden Schriftafeln: Auf der mittleren, über dem Eingang, stehen die »Faust«-Worte: Solch ein Gewimmel möcht ich sehn: Auf freiem Grund mit freiem Volke steh'n. Zum Augenblicke möcht ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Das rechte Schild dokumentiert den Traum vom »naturgemäßen Leben« und ist zugleich Aufforderung an die zahlreichen Besucher gewesen, den »Wald, die Flur und das Feld« zu »schonen«: Wir lieben den Wald, wir lieben die Flur, wir lieben die Erde, die Mutter Natur. Wir lieben den Menschen, vom Wahn befreit, der großmäuligen Phrasen Besessenheit. Wir lieben die Tat, die Arbeit, die Kraft, die aus dem Chaos ein Neuland schafft. Drum helft uns und schützt die erstehende Welt und schont uns den Wald, die Flur und das Feld. Wie der Polizeibericht richtig feststellte, wurden — in äußersten Anstrengungen innerhalb weniger Wochen — parallel zueinander mit dem Bau des ersten Steinhauses begonnen, sowie ca. 2500 Quadratmeter Boden »regault« (= Entfernung der Wurzelstumpen früherer Rodung) und bestellt. Im August 1921 wurde das Fundament für das erste Steinhaus gelegt — es sollte, 275 entgegen der ursprünglichen Planung, das einzige werden, das von dieser Gruppe fertiggestellt werden Konnte. Spätere, legale Nachbarhäuser entstammten nicht der Gruppe »Freie Erde«, die sich mit ihren ca. 15 Mitgliedern im Spätherbst 1921 dieses eine Haus teilen mußte — ein Umstand, der mitverantwortlich war für die aufkommenden Spannungen in der Gruppe und die weitere Geschichte von Haus und Siedlergruppe beeinflußte. Die Siedler wurden anfangs durch Arbeitsleistung und Sachspenden örtlicher FAUD-Mitglieder unterstützt. Die Arbeiterbörse war in dieser Frage zerstritten, jedoch gab es spontane Solidaritätsbeweise: So wurde das Fundament und die Grundmauern aus einer »Wagenladung Steinen« errichtet, die aus dem Abbruch einer Oberkasseler Wohnhauses stammten und von den syndikalistischen Bau- arbeitern der »Firma Haniel und Lueg kostenlos zur Verfügung gestellt«(20) wurden. Die Siedler hatten kein Geld, um sich Ziegelsteine zu kaufen; selbst der Antransport der genannten »Wagenladung« erfolgtemittels einer großen Hand- karre, die von den Siedlern für diesen Zweck angefertigt und selbst die immerhin ca. 12 km von Oberkassel zu den Hildener »Banden« gezogen wurde — »aber damals gab's da draußen nur rumelige Feldwege.« Im Folgenden wurden von den Siedlern auch selbst Lehmziegel hergestellt, die auch zum Hausbau verwendet wurden, was diesem keinen »Abbruch« tat Es hielt bis 1972.(21) 276 271 Von den anderen Beispielen der Solidarität aus den Reihen der FAUD ist hier erwähnenswert, daß der anarcho-syndikalistische Sängerverein »Freie Sänger 04« mindestens ein Konzert »zugunsten der Freien Erde« gab — dieses fand »auf dem Siedlungsterrain« statt.(22) Die »Föderation der Verkehrsarbeiter«, eine der stärksten Berufsgruppen der Düsseldorfer FAUD in dieser Zeit, rief im August 1921 ihre Mitglieder auf, eine Demonstration des ADGB zu boykottieren, und stattdessen an diesem Tage einen »gemeinsamen Spaziergang« zu der neuen Siedlung zu machen: Da hier am Sonntag der Tummelplatz der FreienGewerkschaften ist, und wir nicht wollen, daß unsere Genossen und deren Familien zu diesem Klimbim in den Straßen Spalier bilden, fordern wir alle... auf, am Sonntagnachmittag, 2 Uhr vom Worringer Platz aus einen gemeinsamen Spaziergang nach den Hildener Banden zu unseren Siedlungsbrüdern zu machen....(23) Die Siedlung wurde bald ein beliebtes Ausflugsziel Tausender Düsseldorfer Familien, Neugieriger wie Sympathisanten, sowie Treffpunkt der Anarcho- Syndikalisten der gesamten rheinisch-bergischen Region (z.B. auch der Reichs- jugendkonferenz 1921). Hierbei wurde für die Siedler eine weitere Einnahmequelle erschlossen, der Verkauf von Kaffee und selbstgemachter Limonade. Namhafte Düsseldorfer Intellektuelle und Künstler waren hier zu Besuch und organisierten z.T. Benefizveranstaltungen, so Gustav Grundgens mildem Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses, und Gert Wollheim, Mitglied der Künst- lergruppe»Junges Rheinland« um »MutterEy« und des sogenannten »Aktivisten- bundes«. Die »Freie Volksbühne Groß-Düsseldorf« organisierte die Aufführung von Wollheims » Theaterstück im Freien« auf dem Gelände der Siedlung.(24) Unterstützung und regen Besuch erhielt die Siedlung auch von dem Vorsitzenden des Düsseldorfer »Monistenbundes«, Dr. Erwin Quedenfeld, zu dem das Ehepaar Kutschke als aktive Mitglieder der GpF rege Kontakte pflegten. In mündlichen Berichten wird ausdrücklich betont, daß auch Anna Kutschke »entschiedene Freidenkerin« war. »Die war schon als Kind in Sachen Beten die einzige von 9 Geschwistern, die rebellierte.« Eine Ausnahme, denn viele Frauen der Anarcho-S yndikalisten waren und blieben religiös oder »indifferent«. Endlich ist die freundschaftliche Beziehung der Siedler zu Dr. Dr. Amelungsen zu nennen, der hoher Beamter bei der Düsseldorfer Regierung war. Auf die Vermittlung dieses »Doktors« und die folgenden Verhandlungen mit der Regierung dürfte es zurückzuführen sein, daß die Siedlung »Freie Erde« nach anfänglichen harten Auseinandersetzungen mit der Polizei ab Herbst 1921 amtlicherseits geduldet wurde und nach dem Zugeständnis der Gründung eines eingetragenen Vereins 1922 einen »99-jährigen Pachtvertrag« bekam. Bis dahin war es zu mehreren heftigen Zusammenstößen mit der — ZT. »berittenen« Polizei gekommen. In der spärlichen Literatur über die Siedlung »Freie Erde« [2 Kurzdarstellungen von je maximal 20 Zeilen(25)] heißt es, es habe sich bei dem besetzten Gebiet um »Niemandsland« gehandelt. Dies trifft nicht zu: 275 Pgiti enasßSnedIlnan 279 Die Staatliche Forstverwaltung, der das Grundstück gehörte, und der Düssel- dorfer Grundbesitzer Richartz, der anliegendes Gelände besaß, betrieben sogleich die polizeiliche Räumung. Becker deutet den Widerstand der Siedler mit den Worten an: »... sogar bewaffnete Gewalt wurde angewandt.«(26) In einer nichtöffentlichen Stellungnahme des Düsseldorfer Liegenschaftsamtes war sogar von »Molotov-Cocktails«(27) die Rede. Demgegenüber wird von mündlichen Informanten betont, man habe sich »lediglich mit der Mistgabel« gegen die Vertreibung von dem besetzten Gelände gewehrt. Die Tochter von Waldemar Kutschke berichtet: In der Frage war mein Vatermit seinem Freund Anton (Rosinke) immeruneins. Der Anton war auch mal dafür, das Gewehr in die Hand zu nehmen, z.B. gegen den Kapp-Putsch. Mein Vaternie. Die Fäuste und die Mistgabel: ja— aber alles andere hat er abgelehnt. Wie dem auch sei— die Frage wurde durch die Legalisierung der Siedlung erledigt. Zum Anfang bestanden unter den Siedlern starke Tendenzen, den Lebenstil im Sinne einer eigentumslosen anarchistischen Kommune neu zu gestalten. Bis auf das Ehepaar Kutschke lebten Männer und Frauen unverheiratet zusammen — insoweit war man sich über »Freie Liebe« einig. Ob es innerhalb der ursprüng- lichen Siedlergruppe auch bewußte Versuche des Partnerwechsels gab, ist nicht mehr zu klären. Ebensowenig, ob diese Gruppe bereits Formen der Nacktkultur pflegte. »Meine Mutter war für sowas zu hochgeschlossen«, berichtet die Tochter.Entsprechende Gerüchte rankten sich sehr bald um die Siedlung — es war von »sexuellen Ausschweifungen«, von »Höhlenmenschen« und »nackten Wilden« die Rede, was zumindest gut ins Feindbild der katholischen Nachbargemeinden paßte. Die Kinder, die in die weltliche Schule in Lierenfeld gingen, wurden als »Frasehötter« (Rasenhüttenbewohner) und »Wilde« beschimpft und mit Steinen beworfen. »Die Schule war schön — aber der Schulweg war schrecklich.« Die Gerüchte bekamen neue Nahrung als sich im September 1921 mit der Fertigstellung des Steinhauses eine ca. 8-köpfige Gruppe fremder Siedler auf der »Freien Erde« niederließ. Sie nannte sich »La Cavema di Zarathustra« , und bestand im Unterschied zu den vorherigen Siedlern aus mehr Frauen als Männern: Ihr einziger Mann, ein angeblich Berliner »Intellektueller« namens Gerhard Schöndelen, war in Begleitung mehrerer Frauen, mit denen er zahlreiche Kinder hatte. Über ihn wird behauptet, er habe im Sinne von Nietzsches Zarathustraeine Peitsche am Gürtel getragen und die Frauen geschlagen. Diese Gruppe sei es gewesen, so wird berichtet, die offensiven Nudismus und Partnerwechsel gefordert und betrieben habe. »Außerdem durften wir nicht mehr Vater und Mutter sagen, das hieß plötzlich Waldemar und Anna.« Eine Gruppe desselben Namens ist zur damaligen Zeit in Berlin belegt.(28)Ihr Initiator hieß Dr. Goldberg und wurde von der »Schöpfung« in einem Atemzug mit Ludwig Joist von der anarcho-syndikalistischen Bewegung ausgegrenzt: Hoffentlich zeigen unsere Organisationen in Zukunft solchen Leuten gegenüber 280 eine geschlossene Tür, denn es ist eine Tatsache, daß gerade unsere Bewegung, weil sie Freiheit und Ungebundenheit des Einzelnen gewährleistet, zum Tummel- platz dieser Geister wird, die den Begriff Freiheit durch Frechheit ersetzen.(29) Nach der oben angeführten Darstellung soll es im Winter 1921/22 zu heftigen — z.T. handgreiflichen — Auseinandersetzungen zwischen beiden Siedlergruppen gekommen sein, in deren Verlauf die »Zarathustra«-Gruppe im Frühjahr mithilfe der Polizei(!) vom Gelände der »Freien Erde« geworfen worden sei. Sie habe noch eine Zeitlang in der Nähe in einer Rasenhütte gelebt und sei dann »verschwunden«. »Die haben nie mit angepackt — und das war doch erstmal das Wichtigste« faßt Kutschkes Tochter zusammen und betont: »Das waren keine Anarchisten oder Syndikalisten—die haben sich auch gar nicht als solche verstanden!« Die Episode zeigt, welche Welten zwischen dem »praktischen Idealismus« der ursprünglichen, proletarischen Siedlergruppe und der freischwebenden Wanderschar um Schöndelen lagen. Hatten die erwerbslosen FAUD-Mitglieder anfangs ein Modell für arbeitslose Genossen im Sinn, das eng an die Arbeiterbörse gebunden sein sollte, so stand die »Zarathustra«-Gruppe in keinerlei derartigen Zusammenhängen. Der nach den mündlichen Quellen enstehenden Eindruck, die Differenzen hätten sich lediglich aufdas Verhältnis zwischen diesen beiden heterogenen Gruppen beschränkt, trifft allerdings nicht zu. Vielmehr bestanden auch innerhalb der ursprünglichen Siedlergemeinschaft starke Meinungsverschiedenheiten. Nach der Trennung von der »Zarathustra«-Gruppe wurde im Jahr 1922 ein eingetragener Verein (!) gebildet, der den Namen »Produktive Genossenschaft Freie Erde e.V.«(30) trug. »Hatte die »Genossenschaft« auch weitreichende Pläne (Versor- gung der FAUD-Genossen mit Arbeit und Lebensmitteln), so war diese Anpas- sung an das bürgerliche Vereinsrecht nicht bloß äußerlicher Art — im Gegensatz zu eigenen Vereinen der anarcho-syndikalistischen Sängerbewegung war sie hier u.a. Ausdruck zunehmender Kompetenz- und Besitzstreitigkeiten unter den Siedlern. Innerhalb dieses Vereins wurde z.B. die »reguläre« Bewohnerschaft des neuen Hauses festgelegt, das 2 Familien Raum bot, bislang aber von allen Siedlem gemeinsam bewohnt worden war. »Die anderen haben alle auf dem Dachboden im Heu geschlafen N einen Keller hatten wir ja nicht, dafür stand das Grundwasser zu hoch.« Der Wohnraum wurde der Familie Kutschke und einer weiteren »zugesprochen«; über den Prozeß dieser »Besitzübertragung« ist nichts bekannt. Der Vorgang führte aber dazu, daß sich die übrigen Siedler im Verlauf des nächsten Jahres von der »Freien Erde« zurückzogen. Im August 1923 schrieb ein enttäuschter Sympathisant der ursprünglichen Siedlungsidee ein sarkastisches »Märchen« in der »Schöpfung«. Dort hieß es u.a.: Vor langer, langer Zeit machte die Menschheit eine Zeit durch, die man die kapitalistische nannte. Es waren nicht alle Menschen Kapitalisten, sogenannte reiche Leute, sondern nur ein Zehntel, während neun Zehntel arme Leute waren. 281 Die armen Leute waren Menschen, die für die reichen arbeiteten und dafür als Belohnung so viel Mittel bekamen, daß sie eben davon leben konnten. Durch die vielen Enbehrungen kam ein kleiner Teil der armen Leute zum Nach- denken, und sie berieten, wie dies anders zu gestalten wäre. Diese nannte man Revolutionäre. Innerhalb dieses kleinen Kreises kam man zu dem Entschluß, sich auf einem Ödland niederzulassen. Dieses sollte bebaut werden, damit für die Brüder in der nahen Stadt Landerzeugnisse geschaffen würden, die man bisher bei den Kapitalisten kaufen mußte. Und so geschah es. Einige Beherzte zogen hinaus, bauten sich eine Lehmhütte und fmgen mit viel Mühe an, das Ödland zu bearbeiten. Es fanden sich viele Begünstiger dieses. Werkes, das man Siedlung nannte. Sonntags, wenn nicht für die Kapitalisten gearbeitet wurde, zogen sie hinaus zur Siedlung, mit allerlei notwendigen Ge- brauchsgegenständen beladen, wie Hammer, Beile, Sägen, Nägel, Backsteine, Draht usw., die den Siedlern für ihre schwierigen Arbeiten zur Verfügung gestellt wurden... So gedieh nun diese Siedlung, welche mit soviel Feuer und Liebe begonnen wurde, sehr schnell. Aus einer Lehmhütte wurde ein Haus, und alle die... mitgeholfen... hatten, hatten ihre Freude daran. Die dort erzeugten Lebensmittel sollten an eine Vermittlungsstelle, eine sogenannte Arbeiterbörse zur Verteilung gegen geringes Geld abgegeben werden... Das konnte aber erst nach langer Arbeit möglich sein. Im Laufe der Zeit kam es nun zu Streitigkeiten unter den sogenannten Siedlern, und man spaltete sich, weil damals noch Gesetze zum Schutze des Privateigentums bestanden, in Gesetzesanhänger und Gesetzesverächter. In diesem Stieit zogen die Gesetzesverächter den kürzeren und trennten sich von ihren Kameraden.... Im Laufe der Zeit geschah es, daß eine kleine Gruppe... das Werk, dem sie Unterstützung gewährt hatte, besichtigen wollte. Aber wehe, auf dem Gelände, wo man Volksfeste gefeiert... und revolutionäre Lieder gesungen hatte, wehte jetzt ein anderer Geist. Den Draht, der geschenkt worden, hatte man gebraucht um einen Zaun zu errichten, vor dem Halt geboten wurde ... Das schöne Haus war dem ermordeten Revolutionär und Kämpfer Gustav Landauer gewidmet! Wenn er's gewußt hätte! Die Siedlung nannte man Freie Erde.(31) Solche pauschale Abstempelung der verbliebenen Siedlerfamilien zu »Gesetzes- anhängern« war die anarchistische Entsprechung des syndikalistischen Vorwurfs der »Verbürgerlichung« und des Rückzugs vom gewerkschaftlichen Kampf. Zumindest die Familie Kutschke, die in den folgenden Jahrzehnten auf der »Freien Erde« lebte und arbeitete, blieb dennoch in Verbindung zur FAUD. Neben der Errungenschaft des neuen Hauses und des urbar gemachten Bodens, der eine ärmliche Selbstversorgung mit Gemüse und Getreide gestattete, blieb die »Freie Erde« Anlauf-, Erholungs- und Diskussionszentrum für viele Anarcho-S yndika- listen und andere »kritische Geister«. Das Haus selbst bekam während der Nazizeit noch einmal eine wichtige Bedeutung. Die SA maß der abgelegenen Siedlung, wo inzwischen 7 weitere Häuser auf gekauftem Boden legal entstanden waren, keine Bedeutung bei, zumal die Marmortafel »im Geiste Gustav Landauers« vorsichtshalber überputzt worden war. Hier wurde im Winter 1944/45 die Jüdin Martha Gabelmann, Frau eines gleichnamigen Arztes an den Städtischen Kliniken Düsseldorfs, bis zum Sturz Hitlers versteckt gehalten. Ca. 6 Wochen vor 282 Kriegsende richteten die Kutschkes zusätzlich einen Dachverschlag für Gert Binder (Sohn von Ernst und Antonie Binder und Enkel Anton Rosinkes) in diesem Hause ein, der bis zum B. Mai 1945 hier verborgen, auf diese Weise der Einziehung zum »Volkssturm« entging.(32) Das Verhältnis zur FAUD Der anfängliche Siedlungsenthusiasmus unter vielen örtlichen Anarcho-Syndi- kalisten wich — möglicherweise auch im Zusammenhang mit den Differenzen unter den Siedlern selbst — bald einer Haltung der Skepsis und Distanz. Die wortreichen Würdigungen der »Freien Erde« in der anarcho-syndikalistischen Presse wurden weniger, die Spendenaufrufe der »Freien Erde« nach »Lebens- mitteln, Saatpflanzen, Baumaterialien aller Art, Holz, Kisten, Ziegelsteinen, Werkzeugen, Amboß, Feldschmiede...«(33) verhallten. Was aus den Kontakten zu den Kölner und Uerdinger Siedlergruppen und aus diesen selbst wurde, ist nicht bekannt. Über den zitierten Polizeibericht hinaus wird die Uerdinger Gruppe in der »Schöpfung« (13.83.21) und bei Theissen/ Walter/Wilhelms erwähnt. Ihnen zufolge waren auch die Uerdinger Siedler »militant« und wandten ebenfalls das Mittel der »Landbesetzungen« (34) an. Es kam allerdings in anderen frühen Zentren der FAUD wie Hamborn oder Mülheim/ Ruhr unseres Wissens nicht zu praktischen Siedlungsversuchen. Zwei möglicherweise durch die Freie Erde angeregte Siedlungsprojekte »Freie Erde Düsseldorf-Derendorf« und »Freie Siedler Duisburg-Hochfeld« (!) werden nur ein einziges Mal erwähnt.(35) In Düsseldorf ging die praktische Solidarität rasch zurück. Anfangs las man in der »Schöpfung« noch Entschuldigungen: ..doch spielen hier wieder die Wegverhältnisse eine Rolle, denn wenn die Kollegen von ihren Arbeitsstätten nach Hause kommen und zu Mittag gegessen haben, so würde die zu leistende Arbeitszeitkaum eine Stunde betragen, da man dann schon wieder an den Rückmarsch denken müsse, da der Hin- und Rückmarsch ca. 4 Stunden in Anspruch nehmen würde. Das teure Fahrgeld der Straßenbahn kann keiner hierfür erschwingen.(36) Dies äußerte die Versammlung des stark anarchistischen »selbständigen Bezirks Bilk« in der FAUD — umso schlechter war es um die Unterstützung der mehr syndikalistisch orientierten FAUD-Mitglieder bestellt. In diesen Monaten entbrannte anhand der Siedlungsidee im »Syndikalist« und in der »Schöpfung« ein ähnlicher Streit wie in Fragen der Jugendbewegung: Sollte die FAUD mehr eine »Interessengemeinschaft« der letztlich gewerkschaftlichen Massenorganisation sein, oder eine »Ideengemeinschaft« auch kleiner, zur »Tat« entschlossener Grüppchen? Die Schriftleitung der »Schöpfung«, vor allem die beiden Redakteure, der frühere Bauarbeiter Fritz Köster und der Elberfelder Buchdrucker Heinrich Drewes, sympathisierten mit den Siedlern. Schon der 283 Name der Zeitung veriet ja Landauersches Gedankengut — sie hieß im Untertitel »Sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland«. Desgleichen un- terstützen die Siedlung zunächst die »selbständigen Bezirke« Eller und Bilk, sowie die Gerresheimer Mitglieder der FAUD, die in der Regel zugleich in der anarchistischen FKAD organisiert waren.(37) In der Berliner GK hatten die Siedlungsbefürworter einen Verbündeten in Fritz Oerter. Ihnen gegenüber stand die Riege der alten S yndikalisten, in der Region repräsentiert durch Windhoff und Reuß, in Berlin durch Barwich, Winkler und Kater, für die die Siedlung »Spin- tisiererei« war.(38) Die letzte Richtung setzte sich durch—in Düsseldorf auch praktisch spürbar. Die Siedler blieben zunehmend auf sich selbst gestellt. Mangels Unterstützung wurden nach und nach all die hochfliegenden Pläne begraben, die —im Sinne des Konzepts der Arbeiterbörse — die »Freie Erde« zu einer »produktiven Genossen- schaft« ausbauen wollten. Eine zeitlang wurde die Idee noch hartnäckig verteidigt. Noch im August 1922 — längst war die Begrenztheit des Projekts offensichtlich; zu einem zweiten oder dritten Haus reichten Kräfte, Mittel und Rückhalt in der FAUD nicht aus; das angebaute Gemüse deckte knapp den Eigenbedarf — wurde in der »Schöpfung« von den Mitgliedern der Siedlung gefordert Jetzt hängt es von den Genossen in der FAUD ab, ob diese syndikalistische, gewerkschaftliche Organisation einen wirklichen Wert hat, als die einzig revolu- tionäre Organisation der Arbeiterschaft angesehen zu werden, oder ob sie nur einen Abklatsch der Zentralgewerkschaften darstellt, in der viel gequatscht..., doch wenn es kräftiges Handeln erfordert, versagt wird. Die Genossen der Siedlung werden... uns ihre Erzeugnisse unter Ausschaltung des Zwischenhandels zukommen lassen. Wer von den Genossen der FAUD irgend etwas braucht, was in der Siedlung erzeugt wird, hat es durch die Organisation zu beziehen. So ist augenblicklich ein Schuhmacher dort seßhaft. Dem Genossen muß das gesamte reparaturbedürftige Schuhwerk durch Annahmestellen in den Bezirken überwiesen werden,... daß sich dort noch mehr Schuhmacher etablieren können... Ebenso werden in nächster Zeit einige Schreiner mit Werkzeug dort ansiedeln, und es ist mit den Produkten derselben genauso zuverfahren... Das ist Aufg abe der Arbeiterbörse... !(39) Daß die Siedler der »Freien Erde« schon im Oktober 1921 die praktische Distanz der »Organisation« zu bemängeln hatten, und sich gegen den Vorwurf der »Verbürgerlichung« wehren mußten, zeigt ein Artikel eines Mitgliedes der Siedlung. Dort heißt es: Sorgen müssen wir natürlich dafür, daß die Siedlerbewegung nicht in das bürger- liche Fahrwasser gerät. Verhindern können wir das, wenn wir als Organisation Träger der Siedlerbewegung werden.(40) Der Autor, der von Anfang an der Siedlung beteiligte Bauarbeiter Hans Fröhlich, weist die Ansicht zurück, »daß gewartet werden müsse, bis wir zur Expropriation schreiten können«, betont den »Aufklärungswert des Siedlungsbeispiels«, wenn er fortfährt: Verlangt man das, so kann ebenso gut verlangt werden, daß unsere Presse und 284 ganze Literatur, die für Aufklärung zu sorgen hat, zurückgestellt wird, bis die Zeit der Expropriation gekommen ist. Der Artikel schließt mit der Beschwörung des bevorstehenden 13.FAUD-Kon- gresses, »diese Frage voll zu würdigen«. Und Fröhlich zitiert aus dem »Lied des Trutzes«, das eine Art »Erkennungsmelodie« der Düsseldorfer Anarcho- Syndi-kalisten und ihrer »Freien Sänger-Gemeinschaft« war: Beherzigt die Worte... der wunderbaren Komposition des Liedes von P. Ortmann: Es lebt noch eine Flamme, es grünt noch eine Saat, verzage nicht noch bange, Im Anfang war die Tat. Der Kongreß kam nicht zu einer »Würdigung« der Siedlungsfrage im Sinne der Unterstützung anarcho-syndikalistischer Siedlungen »als Organisation«. Dies schnitt den Siedlungen den praktischen Hintergrund ihrer auf die Arbeiterbörsen bezogenen Gedanken ab. Die extensive Idee der Arbeiterbörse blieb noch eine zeitlang das Rechtfertigungsmuster für die Siedler, ehe diese begannen, sich mit dem Zerbrechen ihrer Träume und mit ihrer Isolation abzufinden. Ein später, schon resignierter Artikel resümmiert: Die in der Siedlung »Freie Erde« tätigen Genossen haben Verbindungen für eine ArbeitsgemeinschaftmitdenStadtgenossengesucht. Sie wandtensich vor 1 ängerer Zeit an die Börse. Doch...besitzt man dort heute noch nicht das Verständnis für praktische Arbeiten... Die Siedlergruppe... ist jetzt ein eingetragener produktiv- genossenschaftlicher Verein mit der Aufgabe, im anarchistisch-kommunistischen Sinne Länderstrecken zu bebauen, urbar zu machen, überhaupt so zuarbeiten und leben zu lernen, als sei die soziale Revolution schon gewesen.(41) Was blieb war eine Idee, ein Haus, zwei Familien in bescheidenster Autarkie, ein Treffpunkt — obwohl die »soziale Revolution« ausgeblieben war. Genossenschaftliche Versuche Die rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten haben sich während ihrer ge- samten legalen Geschichte von 1918 bis 1933 immer wieder um genossenschaft- liche Zusammenschlüsse bemüht. Zum einen waren viele von ihnen —kritische — Mitglieder in den sozialdemokratischen Konsum- oder Baugenossenschaften. Anton Rosinke z.B. Schmied in der »Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwaggon)«, war aufgrund seines hohen Ansehens in der Düsseldorfer Arbeiterschaft nicht nur der einzige Anarcho-Syndikalist, der in diesem Betrieb Beschäftigung fand, obwohl die »Einstellung« der »Düwaggon«-Arbeiter vom deutschen Metallar- beiterverband bestimmt wurde — er war auch mit seiner Familie Mitglied der sozialdemokratisch-kommunistischen Baugenossenschaft »Siedlung Freiheit«, mit der sich Anfang der 20er Jahre vor allem die »Düwaggon«-Beschäftigten eine ausgedehnte Arbeitersiedlung in Düsseldorf-Vennhausen errichteten. 285 Zum anderen gab es eigene anarcho-syndikalistische Genossenschaftsexperimente, von denen nur wenige bruchstückhaft bekannt sind. Der größte und bedeutendste derartige Versuch war die Einrichtung einer Fleischgenossenschaft in Dülken, die später mit einer Baugenossenschaftkombiniert wurde. Von der sehr aktiven Dülkener Ortsgruppe der FAUD und der PAB Rheinland unterstützt, wurde der Betrieb des selbständigen anarcho-syndikalistischen Fleischermeisters Hermann Dortans ab Mitte der 20er Jahre vergrößert und begann, mithilfe zusätzlicher, minimal entlohnter Feierabendarbeit von FAUD- und SAJD-Ge-nossen, die Mehrproduktion über den örtlichen Bedarf hinaus. Entsprechend der Anforderungen aus den einzelnen Ortsgruppen und Industrieföderationen wurde bis Krefeld, Düsseldorf und Elberfeld geliefert, unter Ausschaltung des Zwi- schenhandels — jedoch auf der Basis umfangreicher »Selbstausbeutung« der anarcho-syndikalistischen Helfer, die fast unbezahlt die Produktion und gänzlich ohne Entlohnung die Verteilung der Produkte übernahmen. Dieses System funktionierte bis 1933 — u.a. waren auch Wuppertaler SAJD-Mitglieder als Mitarbeiter und Lieferanten tätig, wobei die Lieferungsfahrten mitunter mit Fahrrädern(!) häufig an Kurierfahrten zwischen den Gruppen gekoppelt waren. Die Dülkener FAUD-Gruppe um Dortans begann daneben, ab 1926 in einer eigenen, anarcho-syndikalistischen Baugenossenschaft aus 10 Gewissen mit dem Bau 2-stöckiger Wohnhäuser auf legal erworbenem Baugrund. Es entstanden 2 Häuserblocks mit insgesamt 10 Häusern. Offensichtlich war die Blockbauweise nicht nur aus architektonischen und finanziellen Gründen, sondern auch aus ideologischen gewählt worden. In einer Leserbriefdiskussion im »Syndikalist« über »Proletarische Wohnkultur« wurden solche Wohnblocks im Sinne engerer Gemeinschaft und »gegenseitiger Hilfe« gefordert (42) —dies liegt auf einer Line mit der Theorie und Praxis vieler sozialistischer Wohnungsbaugenossenschaften der damaligen Zeit. Auch die Dülkener Gruppe hatte sich mit massiven »Verbürgerlichungs«- Vorwürfen aus den Reihen der übrigen FAUD auseinanderzusetzen, denen Dortans 1929 in einem glänzenden Artikel (»Experimentalsozialismus«) im »Syndikalist« antwortet. Einige Passagen darauswerfen ein Licht auf die Argu- mentation, den Zustand innerhalb der FAUD. So meint Dortans,(43) ...daß in der Andenmg derBauart kein Klassenkapmf gesehen werden kann. Das ist Sache des Geschmacks und des einzelnen Menschen... Wir würden in diesem Stil (B lockbauweise) nicht mehr bauen, da die Erfahrung gezeigt hat, daß das ideale Wohnhaus das kleine aber doch geräumige Einfamilienhaus ist. Dortans sieht die Garantie gegen das Abgleiten ins »reformistische« Fahrwasser nicht in organisatorisch-technischen Festlegungen des äußeren Rahmens »sozialistischer Wohnkultur«. Ihm zufolge bedürfe es ..zur Lösung solcher Dinge Menschen, Menschen und noch mal Menschen. Eigentlich setzt der Sozialismus überhaupt Menschen voraus. Wenigstens die müssen ganze sein, die den Stoßtrupp bilden. 286 Raffiniert vermag er, dem Vorwurf der Verbürgerlichung zu entgehen: Wie sollte es auch um die Sache der Menschheit bestellt sein, wenn alle ohne Ausnahme nicht mehr einem solchen dummen Häuschen standhalten könnten? Gewiß, nochmals sei es betont, die Gefahren sind groß, die Verhältnisse stark, doch wenn diese kleine Prüfung nicht bestanden wird, dann ist der Sozialismus, dann ist der Anarchosyndikalismus eine Utopie und läßt sich niemals verwirklichen. Es erweist sich, daß der einzige Baugenosse, der zugleich »Revolutionär« geblieben ist und die Anforderungen anarchosyndikalistischer Kritik erfüllt, Dortans selber ist. Es vermittelte einiges von dem ideologischen Druck, der auch innerhalb der FAUD herrschte, wenn Dortans berichtet: Es muß überhaupt betont werden, daß man bei uns von einer wirklich sozialisti- schen Wohnkultur nicht reden darf. Wohl bauten wir die Häuser genossenschaft- lich, schalteten Unternehmer, Poliere und Autoritäten aus, arbeiteten gemein- schaftlich bis zur Fertigstellung der Häuser, dann bezog jeder sein ihm durch Los zufallendes Haus und schalteteund waltete darinnach seinem Gutdünken. Von den 10 Genossen, die damals mit begannen, diese Häuser zu bauen, gehören heute nur noch zwei der Bewegung an... einige wurden auch von uns ausgeschlossen. Und als müßte er klarstellen, daß er nicht zu den »Höhlenbewohnern« der »Freien Erde« zählt, folgt der Abgrenzung nach »rechts« eine nach »links«: Man bedenke nämlich, daß es nicht Holzbaracken oder Erdhöhlenwohnungen waren, die gebaut wurden, sondern zweistöckige Häuser. Auch wenn Dortans sich hier sehr eigennützig als »aufrechter« Anarchosyndi- kalist herausstellt, muß erwähnt werden, daß er in den folgenden Jahren tatsäch- lich versuchte, für seine Person einzulösen, waser als Doppelanspruch forderte: Der Klassenkampf wird dadurch (durch die sozialistischen Experimente) nicht aufgehoben, die revolutionäre Tätigkeit hat hier nicht auszusetzen. Hermann Dortans blieb einer der rührigsten Organisatoren der FAUD in der gesamten Region und wurde im illegalen Widerstand gegen die Nazis einer der wichtigsten Anlaufpunkte für Genossen, die auf der Flucht waren. Hier wurde praktisch von Wert, was er in jenem Artikel 1929 formuliert hatte: Dann kommt als sonstiges hinzu, daß die eigenen Heime auch manchmal sehr, sehr gute Dienste leisten könnten für eine revolutionäre Bewegung. Flüchtigen Genos- sen gewährt man Obdach, wie man es selbst will... Dortans brachte viel antifaschistische Verfolgte von seinem Haus aus persönlich unter Lebensgefahr über die Fluchtlinie der FAUD über die holländosche Grenze. Er wurde im »Syndikalistenprozeß« zu 2 1/2-Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach 1945 trat er der SPD bei und wurde Bürgermeister von Dülken. Weitere genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Anarcho-Syndikalisten werden aus Krefeld und Düsseldorf-Stockum berichtet. In Krefeld, wo die FAUD 1929 noch 4 Industrieföderationen (44) hatte, wurde in den Ortsgruppen Krefeld- Oppum, Bochum und Linn eine Konsumgenossenschaft eingerichtet, die im August 1929 unter dem Namen »Frei Wirtschaftliche Arbeiterbörse« gegründet wurde. Über ihr Schicksal ist nichts Näheres bekannt. In Stockum errichteten in den Jahren 1932-34 anarcho-syndikalistische Arbeitslose eine eigene Siedlung »am Haidhügel«, die» ca. 15 Häuser« zustandebrachte. 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 21) 287 Anmerkungen Kapitel VII Linse, Ulrich: Die Kommune der deutschen Jugendbewegung, München 1973 Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.107 Landauer, Gustav: Vom Sozialismus zur Siedlung (Oktober 1915, zit. nach: Gustav Heineke:Fräihe Kommunen in Deutschland — Versuche neuen Zusammenlebens, Herford 1978 Linse, Ulrich: Die Transformation der Gesellschaft, S.222 Landauer, Gustav: Aufruf zum Sozialismus, S.94; Landauer kritisierte auch stellenweise die Idee des gewerkschaftlichen Interessenkampfes: »Der Arbeiter schlägt zu, schlägt wie durch ein durchlässiges Scheingebilde hindurch und trifft sich selbst.« (S.120) »... der deshalb auf Betreiben konservativer Kräfte die Mittel entzogen wurden: Unter dieser Forderung schrieb 1919 die DüsseldorferZeitung, es sei »Charlatanerie, Landauer und die Masken vom Vorwurf des Anarchismus zu entlastenzuversuchen«. Sie nannte die »Masken« ein »anarchistisches Kampforgan« und einen »Schrittmacher für weitere politische Zersetzung«; in: HSTA Düss., Reg. Düss., Nr.47326 Kalz, Wolf: Gustav Landauer, S.69 Mühsam, Erich: Landauers Aufruf zum Sozialismus, zit. nach: G. Heineke: Frühe Kommunen, S.29. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß Landauer unter dem Eindruck der Novemberrevolution auch sofortige gesellschaftliche Umwälzungen großen Stils fürdurchführbarhielt—seine energische Beteiligung anderMünchner Räterepublik zeigte ihn nicht in »Illusionen« und »Grenzen« antikapitalistischer Siedlungsinseln befangen, wie Fähnders/Rector, Bd.1, S.156 glauben machen wollen. Fähnders/Rector,Bd.1, S.150-159 undUlrich Linse: Zurück o Mensch zur Mutter Erde, München 1983, S.102-126 Linse, Die Transformation, S.223 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.143. Außerdem der interessante Vermerk in der Schöpfung Jg.3 (1923), Nr.39, daß die Arbeiterbörse Elberfeld sich »entrüstet« dagegen wandte, daß der »Syndikalist« einen Aufruf des »Volkslandbundes Köln« nicht abdrucken wollte. »Wir fordern den Syndikalist auf, den Kölner Aufruf nicht zu sabotieren, andernfalls wir die Konsequenzen ziehen müßten.« Aufruf des Volkslandbundes Köln, in: Der freie Arbeiter (1922), Nr.15 Linse, Die Transformation, S.224 ebenda HSTA Düss., Reg. Düss. Nr.15938 J. Müller, G. Möller, falls nicht anders angegeben beziehen sich die folgenden Ausführungen auf das Interview mit J. Müller, der Tochter des Siedlungsgründers. Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.18 Auch 1972 fiel das Haus nicht von selbst zusammen. Es wurde trotz vieler Proteste abgerissen. Waldemar und Anna Kutschke waren bereits gestorben, ihre Tochter 288 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) lebte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr hier. Die B es itzverhältnisse waren unklar. Bis zum Schluß hatte ein »alternativer« Geist dieses Haus begleitet: von 1969 bis 1970 war dortein antiautoritärer Kinderladenbetrieben worden,undeiner geplanten Besetzung des Hauses durch jugendliche Bewohner der Siedlung »Freiheit« in Düsseldorf-Vennhausen kam der Abriß nur knapp zuvor. Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.18 Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.10 Becker, Georg: Die Siedlung der deutschen Jugendbewegung, Diss. Köln 1930, S.59 - zit. nach G. Heineke: Frühe Kommunen, S.58 und nach W. Matull: Der Freiheit eine Gasse, S.62 Becker, $S.58 Stadtchronik Düsseldorf, Bericht des Liegenschaftsamtes, nach Angaben von J. Müller Linse, Ulrich: Brief an Dieter Nelles; Linse erwähnt auch Dr. Goldberg. Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.12 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.18 Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.7 A. Binder, J. Müller; vgl. Matull, S.62 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.44 Theissen, R.u.a.: Anarchistisch-Syndikalistischer Widerstand, S.80 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.37 und 16 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.18 Linse, Die Transformation, S.344, Fußnote 244; sowie Aussage A. Binder Kater, Fritz: Der Syndikalist, Jg.3(1921), Nr.65; sowie auf dem 13. Kongreß der FAUD -neben dem Kongreßprotokoll u.a dokumentiert in: »Correspondenzblatt des ADGB«, Jg.1921, S.652, im Archiv des DGB Düsseldorf. Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.7 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.70 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.21 Der Syndikalist, Jg.11 (1929), Nr.14 Der Sybdikalist, Jg.11 (1929), Nr.19 Theissen u.a., S.79. Die Föderation der »Metallarbeiter, Textilarbeiter, Band- und Gummiweber sowie Fliesenleger«. ebenda, S.79; Th. de Haan (Krefeld) 289 Kapitel VII »Sind anarchistische Frauenbünde notwendig?« oder »Wie weiblich ist die Anarchie?« 1. Frauen in der Männerbewegung Im Zuge der Entwicklung des Kapitalismus wurden auch in Deutschland im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Frauen in immer größerer Zahl dem industriellen Produktionsprozeß unterworfen — zusätzlich zu den Männern und zT. in Kon- kurrenz zu ihnen, oft von den Unternehmern, als »industrielle Reservearmee« gegen die männlichen Kollegen ausgespielt. Brachte dies bereits eine starke Doppelbelastung für die proletarischen Frauen mit sich, die in der Regel weiterhin allein für die Haus- und Familienarbeit und die Erziehung der Kinder zu sorgen hatten, so erhöhten sich die Anforderungen im Umkreis der organisierten Arbei- terbewegung, und der Frauenbewegung: Die relativ wenigen Arbeiterinnen, die sich in den Gewerkschaften und in der SPD, später auch in der FAUD oder der KPD usw. organisierten, hatten nun noch mehr Belastungen zu tragen. So waren es nicht nur wenige, sondern meist auch nur bestimmte Frauen, die aktiv in den Arbeiterorganisationen und in der Frauenbewegung in Erscheinung traten. Jene Frauen, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen z.B. in der KPD Funktionen übernahmen, waren fast ausnahmslos alleinstehend, unverheiratet, geschieden, kinderlos oder hatten zumindest nicht mehr als zwei Kinder... Im progressiven Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung sah es nicht viel anders aus...(1) Diese Sätze von Ernst Bornemann treffen auch auf den Anarcho-Syndikalismus zu: Waren überhaupt nur verschwindend wenige Frauen anarcho-syndikalistisch organisiert, so traten nur einzelne namentlich bekannte Anarchosyndikalistinnen aktiv und öffentlich in Erscheinung. Sie entsprachen exakt und ausnahmslos dem oben beschriebenen Typ. Was Bornemann weiter für die SPD und KPD feststellt, muß auch auf einen großen Teil der Anarcho-Syndikalisten ausgedehnt werden: »Mit verblüffender Blindheit (wurde übersehen), daß die Hausarbeit erwerbstätigen Frauen keineZeit für politische Arbeit läßt, außer wenn die Männer ihren Frauen im Haushalt 290 halfen. Aber eben diese Frage stand niemals im Kernpunkt der parteilichen Auseinandersetzuungen, weder in der SPD noch in der KPD.«(2) Unter den Anarcho-Syndikalisten wurde »diese Frage« immerhin eine kurze Zeit zum »Kernpunkt« der Auseinandersetzungen — d.h. sie wurde von anarcho- syndikalistischen Frauen und vereinzelten Männern gegen den Widerstand des größeren Teils der Bewegung dazu gemacht. In der anarcho-syndikalistischen Presse häuften sich in den frühen 20er Jahren weibliche Klagen über die Männer, die die Beteiligung ihrer Frauen und Töchter an jeglicher (!) anarcho-syndika- listischen Organisation »sabotierten«.(3) Z.B. schrieb die »Schöpfung« über eine Frauenversammlung im Düsseldorfer FAUD-Bezirk Flingern: Auch hier kam man dem Ruf der Frauenbünde nach... Es erschienen 124 Männer, doch nur 21 Frauen. Männer, die sonst die Weltumstürzen wollen, sind nicht fähig, für nur 2 Stunden die Frauen zu vertreten. Aber über die Frauen zu schulmeistern, verstehen sie ausgezeichnet. (4) Dieser Artikel war — ausnahmsweise von einem Mann geschrieben. Häufiger als solche tiefergehenden (Selbst-)Anklagen waren jedoch männliche Aufforderun- gen wie jene »an die Arbeiterfrauen Ratingens«, wo es hieß: Ihr sollt... euer unwürdiges Los... in Gemeinschaft mit dem Manne abschütteln. (Kommt) zur Versammlung aller Frauen und Töchter unserer syndikalistischen Genossen ... Es ist Pflicht eines jeden Genossen, seine Frau, Tochter oder Schwester in diese Versammlung zu schicken.(5) Überwiegend zeigte sich unter den rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten in der Praxis der gleiche »proletarische Antifeminismus«, der auch in den übrigen Arbeiterorganisationen »herrschte«. Dieser Begriff hat eine viel umfassendere Bedeutung, als seine Einführung durch Thönnessen nahelegt. Thönnessen be- schrieb damit zunächst vor allem zutreffend das ablehnende Verhältnis vieler Arbeiter zur Frauenarbeit in der Fabrik, das sich auch in der Politik der Sozial- demokratie und der Gewerkschaften in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts als totales Ignorieren der Frauenfrage niederschlug.(6) Hinter der ökonomischen Konkurrenz gegenüber Industriearbeiterinnen stand jedoch die Rollenzuweisung, die Frau gehöre an den häuslichen Herd. Dies war, übernommen von der Ideologie der bürgerlichen Familie, wie sie seit Romantik und Biedermeier in Deutschland gepflegt wurde, Gemeingut bürgerlicher und proletarischer Männer. In Arbeiter- familien bestanden jedoch in der Regel nicht die finanziellen »Polster«, die es manchen Frauen in bürgerlichen und adligen Familien gestatteten, ein Stück weit aus der erzwungenen Beschränkung auf »Küche, Kinder und Kirche« auszu- brechen, z.B. durch Hausangestellte. Die materielle Not war es, die den proleta- rischen Antifeminismus unverblümter und direkter zutage brachte als den der bürgerlichen Männer. Nicht zufällig war es u.a. wieder Schiller, der die »feindlichen Brüder« in dieser Frage vereinte. Nur unwesentlich verballhomt wurde an bürgerlichen und proletarischen Stammtischen »zitiert«: Ehre die Frauen, sie flechten und weben 291 Hemden und Hosen fürs männliche Leben. Viele Männer dürften derartige Sprüche noch nicht einmal bewußt zynisch gemeint haben — vielleicht faßten sie derlei sogar als echte »Ehrung« der Frauen auf, so wie sie sie haben wollten. Eine typische Auseinandersetzung in diesem Bereich hat E. Lucas dokumentiert. Er führt die »Lebenserinnerungen« des sozialdemokratischen Fabrikarbeiters Moritz Bromme (1905) an: Hier erfahren wir, daß Bromme und seine Frau sechs Kinder im Alter zwischen 10 Jahren und 6 Monaten haben. Die Frau mußte mitverdienen; sie näht fehlerhafte Webwaren aus, nicht selten bis zum frühen Morgen. Da sei es, schreibt Bromme, »kein Wunder«, wenn oft erst die Betten Abends kurz vor dem Schlafengehen gemacht werden, obwohl ich oft und erregt darüber geschimpft habe. Die Frau antwortet mit Gegenvorwürfen: Du läufst die Woche 3,4 und 5 Abende in Partei- Verbands- oder Konsumvereinssitzungen, und alles kostet Geld, mir machst Du nichts weis... Andere Männer... helfen ihrer Frau viel mehr als Du, sehr selten bekommt man von Dir einen Eimer Wasser geholt. Da kommst Du abends heim, redest nicht mit mir, gibst nur kurze grobe Antworten, schreibst., liest, bis Du einschläfst und mir dann die halbe Nacht hindurch wieder eine Kugel voll Öl verbrannt hast. Das nennst Du Ehe. Die Partei und Deine guten Freunde, denen doch meist die Falschheit aus den Augen schaut, die gehen vor... (7) Solches war nicht auf die Vorkriegszeit und nicht auf das sozialdemokratische Milieubeschränkt—es kann als repräsentativ gerade für die Familien radikaler und engagierter Arbeiter gelten. Der Sohn des Elberfelder »Reichsredners derFAUD«, Hans Schmitz, berichtet von seinen Hausbesuchen bei anarcho-syndikalistischen Familien — er war als Kind bereits in der Hauskassierung und im Zeitungsverkauf tätig: Bei vielen wars schon nix, wenn die Frau zuhause war. Dann gabs keinen Pfennig — und oft war da »dicke Luft« wegen dem »Syndikalist« und der Mitgliedsbeiträge. Bei bestimmten Genossen, da bin ich nur hin, wenn ich wußte, die Frau ist nicht da. Nach den spärlichen Informationen, die vorliegen, haben wir es auch bei den meisten anarcho-syndikalistischen Familien im praktischen Alltag mit der ver- breiteten »Arbeitsteilung« zu tun: Er machte Politik, sie machte den Haushalt. Häufig waren die Frauen, vor allen Dingen die der älteren Anarcho-Syndikalisten, noch religiös oder entwickelten sich sogar in einzelnen Fällen aus Opposition gegen ihre Männer verstärkt in diese Richtung! Wurden die Frauen so in den meisten Arbeiterfamilien als bloße »Versorgungs- basis« angesehen, so sah man(n) sie in den Arbeiterorganisationen später zumeist bestenfalls als hilfreiche Randerscheinung — proletarische Frauenorganisationen, die sich auch um frauenspezifische Interessen kümmern wollten, wurden von allen Arbeiterparteien und Gewerkschaften einschließlich der FAUD ebenso argwöhnisch betrachtet wie die bürgerliche Frauenbewegung. »Eine nicht zu unterschätzende Hilfstruppe für die Partei«(8) sah etwa der Düsseldorfer SPD-Vorsitzende Peter Berten 1906 in den Frauen, und das war im 292 Rahmen der durchschnittlichen Parteilinie zu dieser Frage eine »progressive« Position. Bis 1908, als die Novelle des Reichsversammlungsgesetzes das poli- tische Betätigungsverbot für Frauen (nicht für Jugendliche) aufhob, waren der Arbeiterbewegung nahestehende Frauen zwangsläufig getrennt von der Sozial- demokratie organisiert. Die männliche Parteibasis der SPD in Düsseldorf, tradi- tionell »immer auf dem linken Flügel der Partei«, erwies sich als eine der »aufgeschlossensten« im Reichsgebiet — hier stieg der Frauenanteil der SPD von 1908 bis 1914 von 11% auf 31%; im Jahre 1916 gab es in Düsseldorf bereits eine sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Lore Agnes.(10) Neben einigen weitsichtigen und weniger antifeministischen Partei- und Gewerkschaftsvertretern vertraten viele organisierte Männer den Aufruf, weibliche Mitglieder zu werben, häufig bloß in der Absicht, den »Hausfrieden« wieder herzustellen oder die Erziehung der Kinder zu »guten Sozialdemokraten«(11) respektive »guten Anarcho-Syndikalisten« zu sichern. M. Nolan faßt in ihrer Studie »Proletarischer Antifeminismus... am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düs- seldorf, 1890-1914« diese Haltung zusammen: »Vor allem wollten die Männer den negativen Einfluß der unpolitisierten Frauen neutralisieren, anstatt das Potential der Frauen zu mobilisieren.«(12) Diese Haltung änderte sich in der Weimarer Zeit nicht grundsätzlich und war bei allen Arbeiterorganisationen zu beobachten. Auch bei der KPD wurde bestenfalls für die Partei rekrutiert, autonome Frauenorganisierung wurde offiziell nicht gefördert. »Der Rote Frauen- und Mädchenbund« nahm in den ersten Jahren seines Entstehens nicht etwa deshalb einen Aufschwung, weil die Arbeiterinnen sich mittels einer Uniform emanzipieren wollten, sondern weil die Partei ihnen erlaubte, in der Fürstenenteignungskampagne (1924/25) weisungsfrei zu arbeiten. Danach verlor die Vereinigung wieder an Bedeutung.(13) Die von der bürgerlichen Frauenbewegung angeregte Diskussion um die — insbesondere sexuelle — Emanzipation der Frauen wurde unter den Anarcho- Syndikalisten von Anfang an, unter den Kommunisten (beeinflußt von Wilhelm Reich u.a.) ab ca. 1929 intensiv geführt; in der SPD wurde diese Frage überwiegend »links« liegengelassen. Es entstand unter maßgeblicher Mitarbeit von proletarischen Frauen die »sozialistische Sexualreformbewegung«, die »1931 mehr als 150 000 Mitglieder«(14) hatte. Von Seiten der KPD wurde ihre Förderung ab 1932 wieder eingestellt, W. Reich wurde in diesem Zusammenhang aus der Partei ausgeschlossen. Viele proletarische Freidenker/-innen und Anar-cho-Syndikalisten waren hier aktiv, so unter anderem im »Bund entschiedener Sexualreformer«, der u.a. für selbstbestimmte Geburtenkontrolle durch Verbreitung empfängnisverhütender Mittel, sowie für die Abschaffung der $$ 184 (Verbot von Schriften und Artikeln, die dem »unzüchtigen Gebrauch« dienten) und 218 kämpfte. Viele rheinisch-bergische Anarcho-Syndikalist(inn)en waren darin führend tätig, namentlich u.a. Ernst und Antonie Binder, Anton Rosinke und 293 Johann Gerlach (Düsseldorf), Traudchen Caspers (Süchteln), Hans Schmitz, J. Steinacker, Paula Berger (Elberfeld) u.v.a. Angesichts der ungebrochenen gesellschaftlichen Dominanz des Mannes und anhaltender Mehrfachbelastung der proletarischen Frauen ist über die Sozialistische Sexualreformbewegung geschrieben worden, sie hätte zwar zweifellos verdienstvolle Aufklärung geleistet, jedoch unter dem Vorwand sexueller Befreiung die Arbeiterfrau noch tiefer versklavt als zuvor. Denn zu den bereits von ihr geleisteten 3 Tätigkeiten — im Haushalt, in der Fabrik, in der Partei, hat sie ihr zwei weitere aufgebürdet: Die als sexuelle Befriedigungsexpertin und die als »Partnerin« ihres Mannes.(15) Dies alles waren — weitgehend von Männern gesetzte — Bedingungen und Hemmnisse für die Organisation proletarischer Frauen. Für alle Bereiche der männlich beherrschten Arbeiterbewegung galt demnach, was Ulrike Prokop in ihrer Studie zum weiblichen Lebenszusammenhang feststellt: »Die Frau (ist) Objekt der Realisierung einer prinzipiell feststehenden Zielvorstellung... Dieses Zielerhält durch Abstraktion von wirklichen lebendigen Menschen und von deren Denken und Wollen eine falsche, entfremdete Komponente... Die verselbständigten Strategien sind nicht bereit, die realen historischen Konstellationen... und Interessen zu verarbeiten, vor allem aber nicht die Widerstände, die die alltägliche Wirklichkeit der Subjekte den Strategien entgegensetzt.(16) Entsprechend niedrig war insgesamt der Anteil der Frauen an linken Parteien und Gewerkschaftsverbänden. So zeigt die Mitgliederentwicklung der freien Gewerkschaften 1892 einen Anteil der weiblichen Mitglieder von 1,84%, 1914 9,92% und erst 1915 (viele Männer waren im Krieg und eine wachsende Zahl von Frauen in der Kriegsproduktion neubeschäftigt!) steigt ihr Anteil sprunghaft auf 14,85%, erreicht im Jahre 1918 einen Höchststand von 25,11% um in den Weimarer Jahren wieder rapide zu sinken, bis auf 14,21% im Jahre 1930.(17) Eine weitere Vergleichszahl soll ein Beispiel für den Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen geben, und ist aufschlußreich gegenüber dem zu der Zeit noch immer von Männern vorgebrachten Argument, die Frauen hätten den Männern »die Arbeitsplätze weggenommen«. So gab es 1925, verglichen mit 1906, 4,3 Millionen mehr Frauen in der Bevölke- rung. Aber nur 2,9 Millionen mehr Frauen waren erwerbstätig (einschließlich der »mithelfenden Familienangehörigen«), während sich im gleichen Zeitraum die männliche Bevölkerung nur um 3,0 Millionen vergrößerte, nahm die Zahl der männlichen Beschäftigten um 3,8 Millionen zu.(18) Waren die proletarischen Frauen auch nur zu geringen Teilen gewerkschaftlich oder politisch organisiert, so waren sie doch ab Ende des 1. Weltkrieges ein bedeutender politischer Faktor. Der überwiegend konservativen Stimmabgabe der Frauen in den späten Jahren der Weimarer Republik (sowie einer zurückgehenden weiblichen Wahlbeteiligung) stand eine fast 80%ige Wahlbeteiligung der wahlberechtigten Frauen zur ersten Reichtagswahl nach 1918 gegenüber, (19) 294 in der die Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen »weitgehend links« wählten, nach Bornemann vorwiegend »MSPD und USPD — mit dem Wahlboykott der KPD (und der Anarcho-Syndikalisten) konnten sie nichts anfangen, da sie gemeinsam mit der ganzen Arbeiterklasse für das allgemeine Wahlrecht gekämpft hat-ten«.(20) Hier liegt zweifellos eine weitere Kluft gerade politisch interessierter Frauen zum Anarcho-Syndikalismus. Für die FAUD kam die Beteiligung am Parlamen- tarismus prinzipiell nicht in Frage, während der Boykott der ersten Reichstagswahl seitens der KPD eine Episode blieb: die Partei verstand es sehr bald, sich taktisch auf die Wahlberechtigung umzustellen. Darüberhinaus machten die proletarischen Frauen jedoch auf andere, eigene Weise »Politik«: Sie halfen sich gegenseitig beim Überleben, bei Totgeburten, Abtreibungen... Bei Teuerungswellen machten sie spontan »Krawalle«, stürmten Lebensmittelstände und Geschäfte, kauften zu selbstgesetzten Preisen ein oder eigneten sich das Notwendige ohne Bezahlung an... Das alles ohne Pläne, ohne Führer, ohne Organisation...(21) Die führende Beteiligung von Arbeiterfrauen an sogenannten Lebensmittelun- ruhen hat gerade mit ihrer direkten Ermährerrolle in der Familie zu tun. Beispiele solcher Kämpfe werden vor allem aus den letzten Jahren des 1.Weltkriegs be- richtet, in denen die proletarischen Frauen aufgrund ihrer Stellung als Muni- tionsarbeiterinnen u.ä. sowie infolge der Abwesenheit der Männer ein gestärktes Selbstbewußtsein hatten; außerdem aus der Inflationszeit 1923. R. Treiber erinnert sich etwa an den »Hungerwinter 1916/17«, als Frauen in der Düsseldorfer Rethelstraße die dortige Brotfabrik stürmten und das Brot nach Familien verteil- ten. »Da war auch die Lore Agnes anwesend, die hat aber nicht mitgemacht. Das war alles völlig spontan. Dann haben sie die Lore Agnes verhaftet, obwohl die doch Reichtagsabgeordnete war — dabei hatte sie damit wirklich nichts zu tun.« Diese spontanen Formen der »direkten Aktion« wurden von den Anarcho- Syndikalisten aktiv unterstützt und von vielen anarchosyndikalistischen Frauen und Männern initiiert. Hans Schmitz (jun.) berichtet von dem Teuerungsjahr 1923: Es kam schon mal vor, daß wir Kinder abends wieder ausdem Bett geholt wurden. Da hatten die Frauen Brot oder Kartoffeln von irgendeinem Lebensmitteltransport abgefangen. Einmal gab's sogar ganz viel Geflügel —das mußte dann sehr schnell aufgegessen werden, damit es bei den Razzien der Polizei nicht bei uns gefunden wurde. Eine besondere Rolle spielten wiederholt die Frauen der Bergarbeiter, die, wie in Hamborn und Mülheim/Ruhr, zwischen 1919 und 1921 zu großen Teilen syndi- kalistisch organisiert waren. Über das Engagement der dortigen Frauen und die besondere Situation in den Zechenrevieren schrieb der Arbeiterschriftsteller Heinrich Teubert: In den Grubenrevieren arbeitet fast die ganze männliche Bevölkerung in den 295 Schächten. Haus an Haus, Wand an Wand wohnen die Bergleute, und ein Drittel von Ihnen ist immer in der Grube. Da trifft es sich, daß die Frau des Bergarbeiters zu fast jeder Stunde des Tages einen Angehörigen in Gefahr weiß — den Mann des Morgens, den Sohn nachmittags, den Bruder oder Vater in der Nachtschicht. Die Gemeinsamkeit der gleichen Sorgen schafft zwischen den Frauen der Bergleute ein Gemeinschaftsgefühl... Die räumliche Geschlossenheit der Grubenbezirke begünstigt die Solidarität der Frauen mit den streikenden und ausgesperrten Männern, die bei anderen, weitzerstreut wohnendenBerufsgruppen schwer zu erzielen ist. Nicht selten greifen die Frauen aktiv in die Kämpfe der Männer ein, erreichen als Streikposten undbei ähnlichen Anlässen häufig mehr als die Männer. Hierbei zeigt sich fast stets, daß die Frau, einmal von der Rechtlichkeit ihres Wollens durchdrungen, eine ungeheure Energie entwickelt und manchen Mann beschämt. Beim Ruhrstreik 1912 wurden zahlreiche Frauen gerichtlich verurteilt — darunter zu Gefängnis — weil sie Streikbrecher verprügelt, mit Steinen beworfen und beleidigt haben sollen. Die Generalaussperrung der Ruhrbergleute im Mai 1924 sah ebenfalls ganze Kompanien weiblicher Streikposten aufziehen, wobei sie mit Stöcken bewaffnet die Arbeitswilligen auf Schleichwegen abfragen und nach Hause trieben. Zumal beim Wechsel der Nachtschicht sah es seltsam aus, wenn die Frauen mit brennenden Laternen aus ihren Dörfern angezogen kamen und die Zechen in weitem Umkreis umstellten.(22) Nicht nur über derartig militante Formen weiblicher Politik, sondern auch über die »unauffälligen« der weiblichen Nachbarschaftshilfe, Mitbetreuung der Kinder, Krankenpflege usw. schreibt Bornemann: Wenn die männliche Geschichtsschreibung davon so wenig weiß und darüber so wenig berichtet, so liegt das an einem männlichen Politikbegriff, der sich an den staatlich zugelassenen Organisationen orientiert und lediglich die für das Kapital profitbringende Produktionssphäre sieht, die Reproduktionssphäre, ohne die die Produktion nicht denkbar ist, jedoch schlicht als »privat« oder »unproduktiv« ignoriert.(23) Aus Geist und Anspruch der Anarcho-Syndikalisten wäre zu erwarten, daß sie autonomer weiblicher Politik aufgeschlossener begegnen würden, als die übrigen Arbeiterorganisationen. Tatsächlich kamen organisierte, unabhängige Zusam- menschlüsse anarcho-syndikalistischer Arbeiterfrauen nur eine kurze Zeitspanne lang und unter größten Schwierigkeiten aus den eigenen Reihen zustande. Anarchosyndikalistische Fraueninitiativen Bald nach der Gründung der FAUD wurde im ganzen Reichsgebiet die Frage nach anarcho-syndikalistischen Frauenorganisationen aufgeworfen. Ähnlich wie in der Jugendfrage standen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber: Hier die bloße »Eingliederung« der Frauen in die überwiegend männlichen FAUD-Verbände — dort die weibliche Forderung nach autonomen »Frauenbünden«. Auch diese Frage konzentrierte sich in der rheinischen Region— neben Westfalen, Sachsen und Berlin. Der Streit um die weibliche Organisierung war jedoch noch von anderen Umständen geprägt als von der bloßen Männer-Frauen-Opposition. 296 Je nach Industrieregion waren es verschiedene Schichten proletarischer Frauen, die organisiert werden sollten oder selbst die Initiative ergriffen. So war z.B . in der niederrheinischen Textilindustrie mit dem Zentrum Krefeld (der Stadt von »Samt und Seide«) eine hohe Zahl typischer weiblicher Industrieberufe und -tätigkeiten vertreten, wie die Band-, Gummi- und Seidenweberinnen, die sehr früh stark syndikalistisch organisiert waren und am längsten zu den kampffähigen Verbänden der FAUD zählten. In diesen Betrieben waren die Männer oft weit in der Minderzahl. Umgekehrt war etwa Düsseldorf in hohem Grad von »männlichen« Industriezweigen bestimmt, u.a. Metall-, Stahl- und Bauindustrie. Die inden 20er Jahren in Düsseldorf rapide zunehmenden Angestelltenberufe, in denen überwiegend Frauen beschäftigt waren, sind unseres Wissens nicht zur nennenswerten Basis anarcho-syndikalistischer Fraueninitativen geworden — aus Düsseldorf sind ganze zwei — männliche — Angestellte der FAUD bekannt geworden: Der kaufmännische Angestellte B. Schmithals und der Buchhalter Ernst Binder, welcher wohl der einzige Anarcho-Syndikalist Düsseldorfs war, der im Schwalbenschwanz und mit steifem Hut zur Arbeit ging.(24) In solchen Städten stellte sich verstärkt die Frage, wie die proletarischen Hausfrauen, Dienstmädchen u.ä. sich organisieren sollten. Diese berufsspezifische Besonderheit unterstützte vorhandene fern inistische Positionen, die eine gesonderte Frauenorganisation forderten. Die Ideen eines proletarischen Feminismus, die unter rheinischen Anarchosyndikalistinnen wirksam waren, stützen sich zum einen auf die alltäglichen Erfahrungen, die diese Frauen mit dem »kapitalistischen System« und mit den Männern in Beruf undFamilie machten. Zum anderen waren sie von entsprechenden Ideen der bedeutenden Anarchistin Emma Goldman beeinflußt, deren Aufsätze u.a. in der »Schöpfung« veröffentlicht wurden. Weitere anarchistische und frühsozialistische Einflüsse, die neben dem gemeinsamen Kampf mit den Männern die separate Emanzipation der Frau betonten, waren etwa Erich Mühsam, Francisco Ferrer oder Charles Fourier, der »die Befreiung der Frau« zum »Gradmesser der Befreiung der Gesellschaft« erklärt hatte. Daneben wurden Positionen der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Frauenbewegung diskutiert — wiederholt wurde z.B. Helene Sticker und Ellen Key zitiert und die »Schöpfung« brachte des öfteren Artikel der USPD- Außenseiterin Lilly Braun. Überhaupt war »Die Schöpfung« im Zusammenhang mit der Frauenfrage von ähnlicher Bedeutung wie für die Siedler: Die »erste anarcho-syndikalistische Tageszeitung«, die ab 1. Juli 1921 in Düsseldorf erschien und nach fast einem Jahr bis Anfang September 1923 als Wochenzeitung bestand, ehe sie mangels Ver- breitung eingestellt werden mußte, war in starkem Maße das Organ der anarchi- stischen Opposition gegen die Berliner Geschäftskommission. Hier erschienen etwa zur Jugend-, Siedlungs- und Frauenfrage immer wieder solche Stellung- 297 nahmen, die im »Syndikalist« nicht abgedruckt wurden. Die anarcho-syndikalistischen Frauen fanden in der — männlichen —Redaktion der »Schöpfung« häufig die Bereitschaft, ihre Standpunkte zu veröffentlichen, ehe sie sich 1924 eine Frauenbeilage im »Syndikalist« erkämpften. Diese trug den Titel »Der Frauenbund« und bestand bis 1933. »Die Schöpfung« hatte eine eigene Frauenseite — die allerdings bezeichnen- derweise dem Feuilleton der Wochenendausgabe zugeordnet war. Neben Emma Goldman veröffentlichten hier die deutschen Anarchosyndikalistinnen Milly Wittkop-Rocker, Hertha Barwich u.a. Über den Redakteur Fritz Mister bestanden enge Verbindungen zu der Dresdener Frauenzeitung »Die Schaffende Frau«, die dort von Kösters Frau herausgegeben wurde. Außer zahlreichen politischen Ar- tikeln von Aimee Mister, Emma Goldman u.a. erschienen in der »Schöpfung« auch Frauengedichte sowie Näh- und Strickmodelle für preisgünstige Frauen- und Kinderkleider, die der »sozialistischen Frauen- und Modezeitung« entnommen waren, wie sich die »Schaffende Frau« nannte. Die Düsseldorfer Reichsfrauenkonferenz Die Idee selbständiger Frauenbünde schien zunächst Erfolg zu haben. In vielen Städten entstanden 1920/21 syndikalistische Frauenbünde (SFB), die sich zwar nicht auf große Mitgliederzahlen, aber auf starkes örtliches Engagement einzelner Frauen stützen konnten. Im Jahre 1921 — noch bestimmten Optimismus und organisatorische Ausdifferenzierung die junge anarcho-syndikalistische Bewegung — fand am 15. Oktober in Düsseldorf die » 1. Reichskonferenz der syndikalistischen Frauenbünde« statt, unmittelbar vor dem 13. Kongreß der FAUD. Aus der rheinisch-bergischen Region waren auf dieser Konferenz folgende Ortsgruppen vertreten: Düsseldorf (ohne Mitgliederangabe) Mülheim/Ruhr 55 Frauen Friemersheim 21 Frauen Duisburg 20 Frauen Wiesdorf (ohne Mitgliederangabe) Essen (ohne Mitgliederangabe) Krefeld (ohne Mitgliederangabe) Bochum (ohne Mitgliederangabe) Die rheinischen Gruppen waren hier überproportional vertreten, denn »eine ganze Reihe von Frauenbünden in Nord- und Süddeutschland konnten der hohen Kosten wegen Vertreterinnen nicht senden.« Außer den genannten Gruppen waren Frauen aus Berlin (3 Frauenbünde mit 208, 104 und 26 Mitgliedern), Stettin, 298 Erfurt und Schweinfurt vertreten. Daß hier keine Frauen aus Elberfeld und den westfälischen Städten auftrtaten, die keine so weite Anreise hatten, könnte bedeuten, daß es hier (noch) keine Frauenbünde gab. Aus Elberfeld ist während der ganzen anarcho-syndikalistischen Zeit nichts entsprechendes bekannt — die Frauenbünde in Dortmund, Hörde, Mengede, Wattenscheid, Bergkamen, Husen, Witten und Dülken wurden erst 1923/24 gegründet.(26) Über die reichsweite Mitgliederzahl wurde auf dieser Konferenz angegeben, daß sie »augenblicklich auf 1000 stehen dürfte.«(27) Die Essener Vertreterin muß hier gesondert genannt werden. Es handelte sich um die Weberin Traudchen Berendonk, die nach ihrer Heirat mit dem Süchtelner Arbeiter Johann Caspers als Traudchen Caspers zur führenden anarchosyndika- listischen Gewerkschafterin und Feministin der Region wurde. Aus den einzelnen rheinischen Gruppen wurden folgende Aktivitäten der Frauenbünde berichtet: Engagement für die »Freie Schule«, Kindergruppen, Märchenvorstellungen und Spiele für Kinder, gegenseitige Hilfe bei Krankheit, Sexualaufklärung und die Diskussion über den Gebärstreik als weibliche Kampf- form gegen das Elend in der proletarischen Familie und um dem System kein »Kanonenfutter« für den nächsten Krieg zu liefern. Die Genossin Baumbach berichtet, daß die Gruppe Wiesdorf zur Hauptsache die gegenseitige Hilfe bei Krankheiten, Geburt- und Wochenpflege zur Durchführung zu bringen versucht. In diesen Fällen übernehmen die Mitglieder des Bundes die Sorge fürden Haushalt bzw. die Kinder. Die Genossin appelliert an alle Frauen, in diesem Sinne durch praktische Tat mit Liebe und Geduld die Sympathie der Arbeiterfrauen zu erobern.(28) Nur 2 Wochen nach der Konferenz, am 28.10.1921 wird von einer Veranstaltung des SFB Wiesdorf berichtet, die das Thema hatte: »Der Gebärstreik als Kultur- hebel«;(29) die Gruppe Friemersheim folgte mit demselben Thema am 4.11.1921.(30) Die Düsseldorfer Delegierte Henriette Wörndl berichtete auf der Reichskon- ferenz von großen Schwierigkeiten des örtlichen Frauenbundes und »beklagte sich besonders darüber, daß sie von der Arbeiterbörse keine genügende Unter- stützung erhalten.«(31) Die Frauenkonferenz beschloß eine Resolution an den 13. Kongreß der FAUD, die zeigt, wie zu diesem Zeitpunkt von den Frauen das Verhältnis zwischen syndikalistischer Gewerkschaft und Frauenbünden bestimmt wurde. Unbestritten war von Seiten der anarcho-syndikalistischen Frauen, daß »gewerblich tätige Frauen und Mädchen... für die syndikalistischen Organisationen gewonnen werden müssen, damit sie durch die Mitarbeit innerhalb der Gewerkschaften zu Klassenkämpferinnen und Sozialistinnen sich heranbilden können.« Die Reso- lution fährt fort: Aber auch die Frauen und Töchter der Syndikalisten, die nicht als Lohnarbeiterinnen tätig sind, müssen für die Ideenwelt des Syndikalismus gewonnen werden. Der 299 13. Kongreß verpflichtet deshalb alle Genossen erneut, in allen Orten syndika- listische Frauenbünde ins Leben zu rufen... Wie sehr hierin schon der Keim der »eigentlichen«, separaten Frauenorganisation lag, zeigt folgender Zusatz, der von der Mitarbeit auch der Gewerkschafterinnen in den Frauenbünden ausging: Weibliche Mitglieder der Gewerkschaften der FAUD sollen ohne besondere Beitragsleistung in die Frauenbünde eingereiht werden, während gewerblich nicht tätige Frauen und Mädchen einen Monatsmindestbeitrag von 1.-Mark zahlen sollen. Eine eigene Frauenzeitung wurde als »verfrüht« abgelehnt, jedoch wurde eine Reichsföderation der Frauenbünde gegründet. Der Vertreter der Berliner GK, Hans Winkler, führte auf dieser Konferenz aus: ...wie verschieden Mann und Frau geartet sind und wie schwer sich die beiden Geschlechter aus diesem Grunde verstehen können. Man könne infolgedessen nie von einer völligen Gleichheit reden und auch nie von einer Frau genau dieselben Leistungen des Mannes verlangen. Schon durch die Mutterschaft werden die stärksten Kräfte der Frau absorbiert. Die bürgerliche Frauenbewegung hat versagt, weil sie sich einerseits mit der Forderung nach dem freien Wahlrecht erschöpfte..., andererseits aber die Frauen zu Männertypen machte. Eine richtige Frauenbewe- gung muß der besonderen Veranlagung der Frau Rechnung tragen. Nach dieser Belehrung erklärte Winkler es zu »Hauptaufgabe der Frau«, »den Männern klar zu machen, daß die Hausarbeit bzw. Erziehungsarbeit der Frau als Mutter gleichwertig zu erachten ist wie die Erwerbstätigkeit des Mannes. Immerhin gab er im Namen der Geschäftskommission den autonomen Frauenbünden insofern »grünes Licht«, als er betonte: Das verschiedentlich zutage getretene Bestreben, die Frauenbünde abzuschaffen, wird abgelehnt. Die Idee, die nicht berufstätigen Frauen in die Berufsverbände aufzunehmen, ist undurchführbar, außerdem können die besonderen Interessen der Frau nur durch Frauenbünde selbst vertreten werden.(32) Entsprechende Auffassungen sowie die Resolution der Frauenkonferenz setzten sich beim 13. FAUD-Kongreß durch. Fürs erste schien die Frauenautonomie den Sieg davongetragen zu haben. 2. Der syndikalistische Frauenbund Sind Frauenbünde notwendig? In den folgenden Jahren entbrannte eine heftige Auseinandersetzung um die Frauenbünde, in deren Verlauf viele anarcho-syndikalistische Männer Stand- punkte der Verachtung und der ängstlichen Abwehr gegenüber den Frauen formulierten, auf der Seite der Frauen der antipatriarchalische und feministische Gedanke gegenüber den bisherigen Aufgaben des SFB an Bedeutung gewann. Zunächst zu diesen Aufgaben. Sie wurden von Milly Wittkop-Rocker nach der 300 Düsseldorfer Konferenz in einer Broschüre zusammengefaßt, die den Titel trug: »Was will der syndikalistische Frauenbund?« Eingangs war dort der Kampf im Erziehungswesen betont worden, mit dem anarcho-syndikalistischen Kernge- danken, »jeden Versuch zu unterstützen, dem Staat und der Kirche das Monopol der Erziehung zu entreißen. »Sodann wurde auch hier vor allem die gemeinsame Lage mit den proletarischen Männern hervorgehoben und die Frau zunächst als »Lebensgefährtin, ... Mitkämpferin und Gesinnungsgenossin« des Mannes ge- sehen. Bis zur Definition der Frau als »wirksamer Stütze« des Streiks der Männer klang alles wie ehedem bei der Sozialdemokratie. Eine weiblich-anarcho-syndi- kalistische Variante war jedoch bereits, was über die Rolle der Frau als »Kon- sumentin mit der Waffe des Boykotts«ausgeführt wurde: Der Streik erweist sich ohnedies mehr und mehr als ein ungenügendes Mittel, das durch die ganze wirtschaftliche Entwicklung unserer Zeit drängt mit aller Macht auf eine Verbindung der Produzenten und Konsumenten hin, in der die Frau eine große Rolle zu spielen berufen ist... Die gegenwärtige Situation fordert ganz andere Methoden im praktischen Tageskampfe und der Kampf gegen die uner- träglichen Wucherpreise dürfte wohl in Zukunft eine größere Rolle spielen als die fortwährende Erhöhung der Löhne, die gewöhnlich schon am nächsten Tag durch neue Preiserhöhung wieder illusorisch wird. Es ist nichts darüber bekannt, ob die Kampfform des Konsumboykotts, die in der Regel noch schwerer zu organisieren ist als der betriebliche oder überbetriebliche Streik, im Umkreis der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten praktiziert worden ist. Bei den wenigen Frauen, die hier organisiert waren, dürfte dies auszuschließen sein. Frau Rocker setzt sich dann mit den Männern (und Frauen) auseinander, die resigniert äußerten: Ja, wenn die Frau bloß denken würde! ... ich bin der Meinung,daß die Frau zuviel denkt... Aber ihr ganzes Denken dreht sich fortgesetzt uni die trivialsten Kleinig- keiten, so daß ihr Gehirn davon verbraucht und erschöpft wird... ich spreche natürlich von den Frauen der Arbeiterklasse. Die proletarische Hausfrau wird zum Automaten durch Vielseitigkeit—entspricht der »Degradierung zum Automaten« des Arbeiters durch die sogenannte Arbeitsteilung... Der SFB forderte daher die gleichberechtigte Anerkennung der Hausfrauentätig- keit und die »Arbeitszeitbeschränkung der Frau in der Haushaltsarbeit«. Dies war sowohl gegen den Staat und die wirtschaftliche Verfassung gerichtet, in der Hausfrauenarbeit z.B. bezüglich des Rentenanspruches nicht anerkannt war(und ist), als auch gegen die Männer. Der Schluß dieses programmatischen Papiers des SFB enthält Vorschläge zu verschiedenen Frauenaktivitäten,wie z.B. — Einrichtung von »Frauenclubs«. Hierbei wurde im Gegensatz zu den Män- nerorganisationen auch erstmals darauf geachtet, daß sie »angenehm und geschmackvoll eingerichtet« sein sollten, »wo die Genossinnen sich jederzeit treffen können, um zu lesen oder um sich über wichtige Fragen auszusprechen, wohin sie auch nötigenfalls ihre Kinder mitbringen können. 301 — Bestrebungen gegenseitiger Hilfe im Krankheitsfalle — Gruppen zur Förderung künstlerischer Interessen — Einrichtung von tendenziell gemeinsamen Haushalten im »Einküchenhaus«. (33) Neben solchen weiblichen Betätigungsfeldern wurde von anarcho-syndikali- stischen Frauen in den Jahren 1921 bis 1923 auch immer wieder öffentlich auf den Kampf gegen den Mann als solchenorientiert. So schrieb eine Frau in der »Schöpfung«, unmittelbar, nachdem sie die Forderung nach einem absoluten Gebärstreik erhoben hatte (»Gebart vorerst keine Kinder!«): Ich habe nicht die Zeit, noch für meinen Mann auch noch Ansprüche, die täglichen häuslichen Pflichten zu erfüllen. Sie fordert die Normalisierung von getrennt lebenden Geschlechterbeziehungen: Ich liebte meinen Mann genau wie jetzt, wenn ich mit ihm getrennt lebte. Ich würde alles tun, wenn er meiner bedürfte. Er könnte sich herzlich gern auch eine neue Ehe gründen, ich wünsche ihm das beste, nur — frei! Meine sichere Zuversicht ist, daß das Weib der Zukunft vom Mann getrennt leben wird.(34) In einer Antwort darauf sah eine andere »Kampfgenossin« in der Ehe ein »Zusammenketten der Geschlechter« —dies war unter den Anarcho-S yndikalisten verbreitetes Gedankengut Emma Goldmans und Erich Mühsams — und fuhr fort: Wenn die Männer wenigstens Achtung vor jedem geistigen Ringender Frau hätten. Aber jene Männer sind, trotzdem sieeinknallrotes Parteibuch in der Tasche tragen, nichts anderes als Ausbeuter und Sklavenhalter. Sie achten nicht die Eigenart, der nach ihrer Vollendung ringenden Seele der Frau... Und nun ihr Männer, die ihr Sozialisten sein wollt, seid Eurer Frau gegenüber auch Sozialist, kein Vergewaltiger .(35 ) Andere Frauen, die sich vom Gedanken des absoluten Gebärstreiks abgrenzten, weil sie Kinder haben wollten, verfochten die Idee weiblicher Alleinerziehung oder, da dies für proletarische Frauen ökonomisch selten zu verwirklichen war, einer gemeinsamen Mutterschaft auf der Basis weiblicher gegenseitiger Hilfe. Sie griffen u.a. den Gedanken autonomer »Müttersiedlungen« auf, wie sie von Aimee Köster in 2 Fällen aus Berlin berichtet wurden, wo Frauen solches »in den letzten Jahren« praktizierten.(36) Bei diesen Müttersiedlungen kann von Vorläuferinnen heutiger Frauenwohn- gemeinschaften oder Frauenzentren gesprochen werden — auch damals sollten Männer dort keinen Zutritt haben. Eine Frau schrieb in diesem Zusammenhang in der »Schöpfung«: Es gibt nämlich heutzutage Frauen, die gar nicht die Absicht haben, für die Erziehung ihrer Kinder von anderen Hilfe zu erbitten, ja, die noch nicht einmal einen Ehegatten brauchen, um ein Kind zu erziehen. Eine Bewegung von Mütter- frauen hat sich gebildet... und diese Frauen sind die kühnsten und freiesten Frauen... Aber alle Frauen, die mit Inbrunst, Liebe und Überzeugung Mütter sind, haben, sofern sie freien Geistes sind, in heimlichen Stunden einen inneren Groll, daß sie zum Mutterwerden einen Ehemannund Ernährer, einen Hermund Gebieter, einen Haushaltsvorstand benötigen.(37) Martha Rosinke und ihre Kinder (1918) Möglicherweise waren es auch solche Positionen, die, obwohl noch weit mehr in der Minderheit als die Forderungen des SFB, viele männlichen Anarcho-S yndi-kalisten in den Jahren 1923 und 1924 auf den Plan riefen. Trotz Anerkennung der Frauenbünde durch den 13. FAUD-Kongreßwurde von den Männern eine öffentliche Leserbriefkampagne im »Syndikalist« gegen die Frauenautonomie entfacht, die in ihrer Schärfe und Breite die Kämpfe gegen die Forderungen der anarcho-syndikalistischen Jugendlichen und Siedler noch übertraf. Es scheint, daß diese Kampagne, verknüpft mit der praktischen »Sabotage« der Frauenorganisation durch das alltägliche Verhalten der Männer, — die ohnehin schwachen Frauengruppen spätestens 1927 zum Erliegen brachte. Das Desinteresse fern- stehender Frauen dürfte ein Übriges getan haben —es fällt auf, daß in der Regel bei männlichen und weiblichen Anarcho-Syndikalisten nur von den »Frauen, Schwes- tern und Töchtern« die Rede ist. An Ausdehnung über diese eigenen Kreise hinaus konnte realistischerweise nicht gedacht werden. Auch der allgemeine Rückgang der Gesamtbewegung spielte hier ein Rolle — sowohl für die engstirnige Haltung unter den Männern, als auch für die organisatorischen Mißerfolge der Frauen. Diese Kampagnen wurde ausgerechnet von dem Düsseldorfer Anarcho-Syndi- kalisten eingeleitet, der noch 1922 die Frauen zur »offenen Rebellion« gegen die Männer aufgerufen hatte, welche »ihrer Frau gegenüber... den Herrenstandpunkt herauskehren oft bis zur brutalen Gewaltanwendung.«(38) Unter dem gleichen 303 Pseudonym fragte dieser »Espero« nun: »Sind Syndikalistische Frauenbünde notwendig?« Er, der anfangs nach eigenen Worten seine »ganze Kraft in Wort und Schrift« für den Aufbau der SFB eingesetzt haben will, hatte auf einmal darüber nachgedacht, wie unsere Organisation in den Fehler verfallen Konnte, durch Schaffung separater Frauenorganisationen eine neue Klasse und einen Dualismus... aufzurichten. Er verglich dies sehr »einfallsreich« mit der alten Geschlechtertrennung in den Konfessionsschulen und reduzierte das Problem auf die Finanzfrage, wodurch er unausgesprochen Prioritäten setzte: Mitgliedsbuch? Nun, die Frauen, welche einen gewerblichen Beruf ausüben, gehören als zahlendes Mitglied der Organisation an und haben... dieselben Rechte wie die Männer. Die Hausfrauen und nicht gewerblich tätigen Töchter oder Schwestern sind durch die Idee mit uns verbunden und werden wohl aus dieser Ideengemeinschaft nicht irgendwelche Rechte herleiten, denn unsere Org anisation ist letzten Endes keine Versicherungsanstalt... »Espero« verwies, um seine Skepsis gegenüber den Frauenbünden zu »unter- mauern«, darauf,»daß z.B. hier in Düsseldorf der Frauenbund dreimal neu aufgebaut wurde und heute ist er schon wieder zugrundegerichtet.(39) Seine Frage: »Sind syndikalistische Frauenbünde notwendig?«, wurde im Folgenden von dem Duisburger Anarcho-S yndikalisten Heinrich Rebscher »glatt verneint«. Rebscher argumentierte scheinbar im Sinne weiblicher Emanzipation vom Mann, verwies die Frau dabei aber auf sich allein, wenn er schrieb: Der erste Schritt zur Befreiung der Frau muß in der Schlafstube geschehen und nicht in selbständigen Organisationen. Die Frau, die ihrem Manne nicht im Hause frei entgegenzutreten versteht, lernt dieses auch nicht durch die Organisation.(40) Noch offener im Sinne des alten Antifeminismus hatte Rebscher einige Wochen vorher im »Syndikalist« formuliert: Die weibliche Arbeitskraft gehört schon von Natur aus nicht in die Fabriken und Kontore... Einsichtige Familienväter sollten nicht auch noch die weiblichen Fa- milienangehörigen zum Ausbeuten fortschicken, sondern sie... im Hause lassen, damit wenigstens die männlichen Erwerbslosen ihre Position bekleiden können. Und seine folgenden Worte stecken voller männlicher Überheblichkeit, aber auch voll Angst und Verbitterung des »entmannten« Revolutionärs, dem man seinen Wirkungskreis genommen hat: Gibt es doch Familien, in denen Frau und Tochter arbeiten, der Mann daheim kocht und aufwäscht, weil er nirgends mehr Arbeit erhält. Vielleicht war er zu radikal und konsequent in seiner Stellung als Lohnsklave oder hat ihn eine weibliche Arbeitskraft verdrängt. Jedenfalls ist mancher brauchbare organisierte Arbeitsmann schachmatt gesetzt.(41) Die Frau scheint nicht so »brauchbar« gewesen zu sein — oder nur für andere Zwecke. In den wütenden öffentlichen Reaktionen anarchosyndikalistischer Frauen waren es wiederum besonders Vertreterinnen rheinischer Gruppen, die die Le- serbriefe im »Syndikalist« schrieben, vor allem Traudchen Caspers (Süchteln) 304 und »Franziska« Krischer (Duisburg). Beide antworteten auf den männlichen Vorwurf, die Frauenbünde hätten sich »nicht bewährt« sinngemäß das Gleiche: Wo sind denn die Organisationen der Männer ihren Aufgaben bisher gerecht geworden? Vegetieren da nicht auch recht viele? ... Wenn den Frauen nun dasselbe passiert wie den Männern, so ist das recht entschuldbar, weil die Frauen erst anfangen, sich zu organisieren, während die Männer schon seit 60 bis 80 Jahren die Schule der Organisation kennen.(42) Traudchen Caspers fügte dieser Wertung Franziskas in ihrem entsprechenden Artikel hinzu: Wenn wir solange in unseren Frauenbünden organisiert sein werden wie die Männer und leisten dann nicht mehr, dann habt ihr ein Recht zur Kritik. Doch glaube ich, daß die Frauen, wenn sie erst erkannt haben, was notwendig ist, zäher und aufopferungsfähiger sein werden wie die Männer, weil das schon im Wesen der Frau liegt.(43) Bei beiden wurden auch feministische Gedanken formuliert, wie sie etwa auf der Düsseldorfer Reichsfrauenkonferenz noch nicht auftraten. So bei Franziska: Wir kommen nun zu dem Hauptgrund, weshall Frauenbünde eine Notwendigkeit sind. Espero schreib! an einer Stelle ganz richtig: Die organisatorische unc geistige Unscjbatindigg)jkveiter Frau ist eine Folge Jahr hundertelangt:r Versklavung. Diesen Gedanken muuer wir weitervctfolgenl Dach wen und an wen ist.sic denr versklavt? i$cwiß * ebenso wie der Mann durch dir kapitalistischen Verhältnisse. Des meint doch aber Es pero nicht, denn dann müßte doch der Mann ebensc geistig rückatindig sein. Sie ist neben dieser gesellscheftlichen Verhältnissen noel in anderer Weise versklavt durch der Mann! Es lang sein, daß' dies zum Teil auf die Eigen tumsverhiiitn se zurückzuführen ist eher damit ist noct nicht gesagt,1 daß sich diese moralische Untcrordnuni unter den Mann, die Männermoral, von selbst aufheber. wird, wennnde:c gesellschaftliche Verhältnisse eia treten. De beste Beweis hiergegen liegt in der Ta sache, daß auch in der besitzt losen Arbeiterschaft diese Mannermora' v o rhandenist. Oder will Espero bestreiten, deE es in unseren eigenen Reihen so ist? Worauf ist es dann zurückzuführen, daß die Manner ihre Frauen nicht in die Bünde geleitet haben? Immer wieder, haben wir hören müssen, daß die Minner die Frauen von dem Besuch der Versammlungen abhalten) Auch unsere Kameraden betrachten ihre Frauen noch im allgemeinen als Haus. haltsbediente und willfährige Liebesobjektel Von einer gerechten Gleichbewertung ist keine Rede. Die Min. ner beben Angst davor, daß auch die Frauen noch in Versammlungen rennen, daß die Frauen dasselbe tun wie sie selbst. Dieser Zustand ist auch logisch und ver. stündlich( Erstens empfinden ja die Manner gar nicht das Unrecht, das ale begehen, sic glauben sogar recht zu handeln! Sie können die Frau in ihrer enders gc. arteten seelischen Einstellung zweitens noch viel wen". ‚er begreifen, als sich sonst zwei Menschen begreifen können. Aus dem Grunde Bind die Manner _gar nicht in der La e, den bestehenden Zustand der Ungleichheit der Rechte der beiden Geschlechter auf alien Gebieten zu andern, selbst wenn sie Engel wären, was Si. aber nicht sind, sondern rauhheinige Habenwollerl Es ist nun einmal eine Tatsache, daß niemals in der Geschichte eine herrschende Klasse oder Schiebt freiwillig ihre Pri, vilegten aufgegeben hat. Ebensowenig werden 305 die Männer jemals freiwillig oder aus sich heraus der Frau die Gleichberechtigung einräumen! Diese muß sich die Frau selbst erkiimpfenl Ebenso richtig, als der patz ist: „Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst mein!" 1st auch der ähnliche ‘atz: ,.Die Befreiung der Fran kann nur das Werk der: Frau selbst sein!" Entweder die Frauen heschreiten diesen Weg, oder sie werden nie freil Wenn man aber den Frauen empfiehlt, diesen Be. frciunäskampf In der gemeinsamen Organisation roll den Männern zu fuhren, so ist das dasselbe, als Vene man den Arbeitern empfehlen würde, ihren Bcfre ungt k.impf In Harmonievereinen mit den Unternehmern zi fuhren! Die Gesamtbewegung hat aber auch ein große: Interesse daran, daß die Frauen rich aus den ungleicher und ungerechten Verhältnissen befreien, wed ohne sit auch keine freie Gesellschaft existieren kiinnte. D i t Freibelt ist unmöglich nur fair einige, ait küßt entweder alle oder kelneni Selbs svenn die freie Gesellschaft herbeigeführt würde, könntt sic nicht bestehen, wenn die Frau nicht inzwischen dit Gleichberechtigung erkämpft hüttel Aus diesen Erwi gungeo tritt die Gesamtbewegung für die Bildung vor hesondereo Frauenbünden ein! Dadurch wird suck keine neue Klasse oder ein Dualismus geschaffen, dens die Ungerechtigkeit der beherrschten Frau durch der Mann Ist schon dal Es heißt sic verewigen, di Frauen von dem einzig möglichen Weg ihre Befreiung abhalten zu wollen. « Ein Dualimme liegt um deswegen nicht vor, well es nur ge recht Ist, such die wichtige und mühselige Arbeit der Hausfrau als einer Berufstätigkeit gleichwertig aes— zuerkennen. In dem Sinne tun die Hausfrauen niches anderes, wenn ale Bünde bilden, als was der Met U- r.rbeiter oder Holzarbeiter tut, wenn er seiner Berufsoder Induatrle Organisation beftrittl Nur in solcher \Vcise passen die Frauen überhaupt in unsere GewQrie-schaftsbewegung hinein. Soviel für heute, nm den Artikel nicht noch lialer zu machen! Nur eins set zum Schluß den Milans noch gesagt: Sie mögen sich hüten. Vorschläge zurBa- seltigenng der Bünde zu machen!. Das ware nur Sagte der Bünde selbst( Dieses Verfahren riecht schon arg nach Bevormundung und die lassen sich die Fretan nicht linger gefallen! Franzteka Hier war der syndikalistische Gedanke, seine Ausdehnung auf proletarische Hausfrauen u.ä. und der Feminismus miteinander verbunden. Sprach Franziska von der Rolle der Frau als »willfährigen Liebesobjekten«, so Traudchen Caspers von »Gebärmaschinen«. Bei beiden löste sich die feministische Seite ihrer Argumentation nicht von der syndikalistischen. Traudchen Caspers äußerte sich auf dem 15. Kongreß der FAUD: Wir machen immer wieder die Erfahrung, daß die Männer auch in unserer Bewegung die Frau nur als Sklavin, Magd und Gebärmaschinebetrachten, nicht als Menschen und Kameradin... Stoßen wir die Frauen ab, dann werden sie zum Hort der Reaktion... und auch der beste Revolutionär wird durchdiesen dauernden häuslichen Widerstand schließlich zermürbt. Die Frauen müssen selbständig bestehen bleiben, denn in vielen Gebieten sind die Frauen nur für besondere Frauenbünde zu gewinnen.(45) 306 Das war im Jahr 1925 — abermals nahm der Kongreß eine Resolution an, die auf dem Papier die »Notwendigkeit selbständig wirkender Frauenbünde« zugestand, was aber weder das Interesse unter den noch nicht organisierten Frauen erhöhte, noch die Betrachtungsweise der männlichen Anarcho-Syndikalisten wesentlich in Bewegung brachte. Die bestehenden Frauenbünde in der rheinischen und westfälischen Region dürften danach nur noch eine Kümmerexistenz in einzelnen Städten geführt haben. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt; sie scheinen sich ab 1926 aufgelöst zu haben. Was blieb, waren einzelne engagierte Anarcho- Syndikalistinnen, die in der weiterbestehenden Frauenbeilage des »Syndikalist« sporadisch die Frauen zur Organisierung aufriefen, am häufigsten Traudchen Caspers. Neben ihrem »couragierten Wesen«(46) dürfte es vor allem ihre ge- werkschaftliche und betriebliche Verankerung gewesen sein, die den Männem Respekt abverlangte. Es ist nicht bekannt, in welchem Textilbetrieb Süchteln sie gearbeitet hat, jedoch wird von ihr berichtet, sie sei »jahrelang Betriebsrätin(47) gewesen. Der deutsche Textilarbeiterverband, die weitaus größere gewerkschaft- liche Konkurrenz der anarcho-syndikalistischen Textilarbeiterföderationen, erwähnt in seiner Statistik im Jahre 1925 imgesamten »Gau Barmen« ganze »3 syndikalistische Betriebsrätinnen«. (Der »Gau Barmen« erstreckte sich von Barmen bis zum Niederrhein, einschließlich Krefeld, Süchteln und Dülken). Von 1928 bis 1930 gab es nach dieser Quelle noch eine syndikalistische Betriebsrä- tin,(48) dies könnte Traudchen Caspers gewesen sein. Erwähnenswert ist hier noch der Aufruf »Lohnarbeit der Frau«, der in der »Syndikalist«-Beilage »Frauenbund« im April 1929 erschien. Er richtet sich — nach den angeführten Beispielen zu urteilen — vor allem an Industriearbeiterinnen der Textilbranche. Unterzeichnet von »einer Kameradin«, ist er nach Diktion und Argumentation mit hoher Wahrscheinlichkeit von Traudchen Caspers verfaßt worden. Er soll hier nicht nur seiner flammenden Sprache wegen wiedergegeben werden, sondern auch als einzigartiges Dokument der Verbindung von syndika- listischem, feministischem, freidenkerischem und antifaschistischem Gedankengut. Allerdings warnt die Verfasserin auch vor bloßem Kampf der Geschlechter gegeneinander, wobei besonders die »Proletarier« kritisiert werden, »die da glauben, ihre Frau womöglich bekämpfen zu müssen, die nur der Not gehorchend ihre Arbeitskraft verkauft.« Es ist bemerkenswert, wie klar die Verfasserin den Nationalsozialismus und dessen Zusammenhang mit anderen konservativen Strö- mungen der damaligen Zeit einschätzte. Das weitere Schicksal Traudchen Caspers ist nur bruchstückhaft bekannt: Sie lebte in Beziehungen »Freier Liebe« mit mehreren Männern, u.a. mit Hans Schmitz, Elberfeld, mit dem sie 1929 auch zur »Landarbeiteragitation« nach Leuscheid/Westerwald reiste. Nach Schmitz’ Tod in ihrer Wohnung in Süchteln (1931) verliert sich ihre Spur. Neben der Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft war Traudchen Caspers, wie ummer 2 i Lohnarbeit der Frau Die immer grafter werdende Zahl erwerhn(htigrr Preteen in ollen (lernten swine' nos, die Stellnnz der l'uu cis Lahaarhrilrria eland kritisch en beleuchten. Die elle Lelre, daß die I're', ins liens pebarl, tried eon Steleinlismus immer melee a4 absurditm geführt, end rerun dalVienrlbrite Srhlichbrngnnnsd,ine en reilera, beifel, um die Angerlüßne des Prolelnriels :u „elebilieleren", tried die Zeil *.ill teethe fern shin, toe den kapilellslleebn lipelem die Freust und Mbdehen des Pretelariats restlos inn Jori, geeseungen Dadterrh reruleffl men sick elner,eile ein Arbriidosen-lurr eonlunette größeren Dimensionen, des reeler den SrIdöpen der Ilungrrpriu,rhe each cur Arbeit uni jede., Preis peahen tar, aadrreneJe ist der reibliebe AuebenInngenudrrial profs. Iriler, trailr, nosh Mehl teelaut ist mil den Melkoden des dimeenkemples mit 1 ErlrIrri:bedinpmtgen. 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Mögen die Enrrrbdanrn rerrerken, erfrieren in Three elenden Lhhrrn, rung die Grippe, diem Peal de, I'rolelerinla, noch PO selr unreel, mögen Gelehrie, Klinel(er, Gritleantrnnchen pro- testieren green diem Schdndeng des Menarkrntebene, all den stör( die I'rrIreler dicier nellgewalllnn °’Anun/ Mehl. Ooid tzk die Deriar, die LHridenden steigen, tend die Aulbndnngs- ‚drrLaldllen vergrößert men. riv (Vann, Riess Proletariat, erxades( du ass deinem Darn® letehrrurhlef! lind du, .Arbellrrfran, rel, enigel and eririgd gddWdin dais Joch der dreifnrkon ‚Inaberdrnngr Wit lange weht Wean wird arch bet uns der Gedankt' !Ferrel (even, daß „nitre Lebensaufgabe eine andere Id, als in Kim°. wad Kireken Erial::u anc Non ten ter trirermlirhes ',beef l'oi unier,, Willem hdnpt mesh ekk liefreiung der Menrrladl abj-kLupJrn milanen crie, die Sled, die unter der Anche plimm/- a,fnriren ru lodernden. !Mund. 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Das wird der Muller zu arg ‚und liana kriegt einen Klops und sie schimpfte: ‚II uen. artiger Jungel Ruinlerel tnie neck die WOnehrl" Als Heins anfängt zu laufen, greift er noel, ollem, was er erreichen kann, und fragt: „Is en das? Zacrst Ist die Mutter stolz: Was für ein kluges Kind sic lint! -Als aber Hans eines Tages dun Tischtuch tom Tisch zieht und eine Tasse dabei in Scherben geht, kriegt cr wieder Klapsc. NPATRSASHHURERISL FRHNTe Bans lot drei Jahre alt, Heute tollt er wie ein Quid übermütig durchs Zimmer und singt und kräht duzu in fast unverweiistlicher Lebenslusi. Mutter hee tichlt: „.Sofort setzte dich ruhig I. die Ecke und bist stillt" (fans erschrickt, Ist einen Augenblick ruhig, dann vergißt er den Gebot und fegt aufs neue fröhlich durch die Stube. Mutter ist Ergcrlich: „Kannstcdenn niemals hören was ich Bagel Soe tort hörnte ant mil Toben!" !inns litt so ins Spiel verlieft, daß er Mutters Rede gor nicht hört. Da springt Mutter auf (fans los, greift und verwichst ihn dermaßen, daß Hans In Scbreicn ause bricht und mil den (Schoen strampelt und tritt,denn aus: Der Syndikalist, Nr.14/1929 Die Autorin war vermutlich Traudchen Caspers 308 viele andere anarcho-syndikalistische Frauen der Region, in der sozialistischen Sexualreformbewegung aktiv. Bereits im Juli 1924 hatte die »Arbeiterbörse Groß- Düsseldorf« Unterschriften gegen den $218 gesammelt und eine öffentliche Versammlung zum Thema »Beseitigung des $218« organisiert.(49) Traudchen Caspers und der Düsseldorfer Anarcho-Syndikalist Johann Gerlach wurden wegen einer ähnlichen Veranstaltung 1925 zu Geldstrafen verurteilt, weil sie durch die Empfehlung und »Bereitsstellung«e von Empfängnisverhütungsmitteln »unzüchtigen Gebrauch« im Sinne des $ 184 gefördert haben sollen. In den Prozeßunterlagen erschien Traudchen Caspers in der üblichen, männlichen Amtsbezeichnung als »Ehefrau Johann Caspers«.(50) Die Anarcho-Syndikalis-ten richteten, wie auch später die Kommunisten, diesen Kampf sowohl gegen Staat und Justiz, als auch gegen die »Unzuchtsmoral« der beiden christlichen Konfessionen. Sie wiesen mit vielen proletarischen und bürgerlichen Kritikern darauf hin, daß die Forderung auf die Sittlichkeit der Lebens- und Wohnverhält- nisse des Proletariats angewandt werden müsse.« So sei es ..heute an der Tagesordnung, daß Vater, Tochter, Mutter und Sohn, Schwesterund Bruder oder alle zugleich in gemeinsamem Raum schlafen, wohnen und leben müssen... Daß dies der beste Herd zur Begründung der »Sittlichkeit« ist, ist selbstverständlich. Der (Düsseldorfer) Verfasser dieser Zeilen fährt im »Syndikalist« fort, daß es ja schon eine Linderung der proletarischen Wohnungsnot sein könnne, ..wenn die Sittlichsten aller Sittlichen, und dazu zählen auch die Diener der Kirche, ihre überflüssigen Räume abgeben wiirden.(51) Die Schilderung der proletarischen Wohnverhältnisse war nicht übertrieben. Im Jahre 1927 kam etwa eine Erhebung des Reichsverbandes der deutschen Jugend- verbände u.a. zu folgenden Ergebnissen: Jeder 10. Jugendliche schläft mit einem Fremden im Zimmer. Jeder B. Jugendliche lebt in einer übervölkerten Wohnung. Jeder 5. Jugendliche hat kein eigenes Bett.(52) Ein zeitgenössischer Kommentar bemerkt dazu in besonderer Sorge um die Moral der proletarischen Mädchen, ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht sei zwar »äußerlich gesehen oft frei,... ohne jede Prüderie und Zurückhaltung«, aber die Wohnverhältnisse seien eine besondere moralische Gefährdung der Mädchen: Schon früh werden die Mädchen Zeugen des ehelichen Verkehrs der Eltern und Geschwister in der drangvollen Enge ihrer Wohnung.(53) Hierzu wird von einer anarcho-syndikalistischen Familie aus Barmen eine Be- gebenheit berichtet, die auch die persönlichen Erfahrungen erhellt, die den Sohn — wie viele Kinder von Anarcho-Syndikalisten — von früh auf zum kompromiß- losen Freidenker werden ließ: Wir wohnten früher in einer außergewöhnlich großen Wohnung, wir waren zuhaus 6 Kinder! Die Alten hatten ein Schlafzimmer für sich. Aber sie lebten in »Freier Liebe« miteinander, also, das hieß erstmal nur: Sie hatten keinen Trauschein. Da kamen sie von der evangelischen Gemeindefürsorge und wollten uns Kinder ins 309 Heim stecken, weil das »unsittlich« wär. Wir flogen aus der Wohnung raus und meine Alten haben dann doch standesamtlich geheiratet. Hinterher hatten wir alle zusammen bloß 2 1/2 Zimmer — und da kriegtest Du immer alles mit, wenn die Alten am Orgeln waren. Aber das hat keiner »unsittlich« gefunden...(54) In Elberfeld und Barmen, wo es offenbar keinen Syndikalistischen Frauenbund gab, waren die anarcho-syndikalistischen Frauen besonders in der GpF aktiv. Hier verdient besonders die Barmer Linksradikale und spätere Anarchistin Paula Berger Erwähnung. Als Hilfsarbeiterin während des Krieges (»in einer Schieß- pulverfabrik«(55) und späterer Putzfrau war sie vor dem Weltkrieg in der SPD, 1918 in der USPD, kurz darauf beim Spartakusbund und der KPD und ab 1921 bei der KAPD organisiert. Sie unterhielt u.a. freundschaftliche Beziehungen zu der kommunistischen Stadtverordenten Kirschey und zu Hans Schmitz, und wurde später Mitglied der GpF und der Wuppertaler »Anarchistischen Vereinigung« — »in der FAUD konnte sie sich ja nicht organisieren — sie hätte schon gewollt.«(56) In den März-Kämpfen von 1920 spielte sie eine aktive Rolle—zusammen mit Frau Kirschey und 3 weiteren Arbeiterfrauen hielt sie bewaffnet die Stellung gegen die Ehrhardt-Truppen in der »Marmeladefabrik« am Rudolfplatz.(57) Paula Berger war zu dem Zeitpunkt verheiratet und hatte eine Tochter. Auch in den Kämpfen und Verfolgungen von 1923 war sie eine wichtige Vertrauens- und Kontaktperson — des öfteren versteckte und versorgte sie den flüchtigen FAUD-AgitatorHans Schmitz. In ihrer Familie hatte sie »das Sagen«(58) — ihr Mann legte ihr keine Hindernisse in den Weg, wofür er von den männlichen Genossen lediglich als »Schwächling« gehänselt wurde; die Chance, die sie dabei hatte, fiel demgegenüber nicht so ins Gewicht. Paula Berger starb 1932.(59) Unter den anarcho-syndikalistischen Jugendlichen der späten Jahre 1929 bis 1936 hatten die Mädchen wenig Möglichkeiten, sich speziell zu profilieren. Sie waren nicht zufällig z.B. in Wuppertal weit in der Minderzahl. Linse weist darauf hin, daß die gesamte Jugendbewegung stark vom »Kult des jungen Mannes«(60) geprägt war. Dies trat umsomehr in Erscheinung, je mehr die Jugendgruppe sich als erklärte Kampfgruppen definierten, wie das in der radikalen Arbeiterjugend besonders im Zeichen des heraufziehenden Faschismus selbstverständlich war. Es verrät zugleich hohes politisches Engagement und eine große Anpassungs- leistung an dieses männliche Milieu, wenn die beiden Mädchen der SAJD-Gruppe »treu« blieben, bis sie selbst Kinder zur Welt brachten und das Los vieler anderer proletarischer Mütter teilten: Ihnen blieb zu wenig Zeit für politische Betätigung. Eine von ihnen wurde während der Nazizeit noch einmal im syndikalistischen Sinne aktiv: Sie arbeitete im Jahre 1936 als Näherin in einem Elberfelder Betrieb, der — ausgerechnet — HJ-Uniformen herstellte. Ihr Mann war zu der Zeit bereits zusammen mit den übrigen rheinisch-bergischen Syndikalisten in Haft. Der Firmenleiter (»das war ein 150%-iger Nazi, ein Freund von Rudolf Heß«)(61) hatte die Absicht, den ca. 25 Arbeiterinnen das zugesagte Weihnachtsgeld zu streichen. »Für solche Fälle hatte ich doch genug über Anarchismus und Syndi- 310 kalismus gelernt«, berichtet das ehemalige SAJD-Mitglied, »und dann sind wir in den Bummelstreik getreten. Ich hab allen gesagt »Jetzt tut mal nicht mehr schwätzen oder lange Klopausen machen; wir arbeiten jetzt mal ganz besonders korrekt — aber dreimal so langsam.«(67) Die »Rädelsführerin« wurde zum Chef zitiert, man drohte ihr: »Frau K., wenn sie nicht ruhig sind, kommen Sie dahin, wo ihr Mann ist.« Eine fristlose Kündigung scheiterte an der Solidarität der übrigen Näherinnen — sie wurde zurückgenommen. Der Streik war — auch das ein Unikum im Faschismus — erfolgreich: das Weihnachtsgeld wurde gezahlt.(63) Gewiß ist dies ein Einzelfall — jedoch müssen die Aktivitäten anarchosyndika- listischer Frauen insgesamt als eine Summe von »Einzelfällen« angesehen wer- den, da ihnen eine nennenswerte Gruppenaktivität nie gelang. Dies schmälert nicht die Bedeutung der Bemühungen einzelner Frauen. 3. Die Freie Liebe Unter »Freier Liebe« wurden bei den Anarchosyndikalisten sehr verschiedene Dinge verstanden. Mit den anarchistischen Theoretikern teilten sie die Überzeu- gung, daß weder der Staat noch die Kirche das Recht hätten, zwei Menschen die Gestaltung ihrer Liebensbeziehung vorzuschreiben — ebensowenig, wie sie die gesellschaftlichen Beziehungen überhaupt zuregeln berufen seien. Von weiblicher Seite hat die Anarchistin Emma Goldman zugespitzt zwischen Liebe und Ehe unterschieden; sie hat die Ehe restlos verworfen, und zwar sowohl die kirchliche, als auch die staatliche: - Ehe und Liebe haben nichts gemeinsames... tatsächlich steht beides in Wider- spruch zueinander. Heirat ist größtenteils ein Wirtschaftsabkommen, ein Ver- sicherungsvertrag... Ist die Prämie einer Frau ihr Ehemann, bezahlt sie dafür »bis daß der Tode sie scheide« mit ihrem Namen, ihrer Intimsphäre, ihrer Selbstach- tung, mit ihrem Leben an sich... (mit) lebenslanger Abhängigkeit,... Parasitentum. Auch der Mann bezahlt seinen Zoll, aber da seine Sphäre weitläufiger ist, beschränkt ihn eine Heirat nicht in dem Maße wie eine Frau... Zu dem Argument des Schutzes der Kinder durch die Ehe schreibt Emma Goldman: Die Ehe soll dem Kind Schutz bieten, und tausende von Kindern sind arm und elternlos! ...Waisenhäuser und Erziehungsanstalten sind überfüllt ...Vielleicht wird durch die Ehe bewirkt, daß »das Pferd zum Wasser geführt wird«, aber hat es je getrunken? Das Gesetz wird den Vater einsperren und ihm Sträflingskleider anziehen, aber hat das je den Hunger eines Kindes gestillt?(64) Über den damaligen Zusammenhang von sexueller Doppelmoral und Ehe war bei ihr zu lesen: Schon von frühester Kindheit an wird dem Mädchen eingeredet, die Ehesei sein 3ll Endziel... Merkwürdigerweise wird sie jedoch weit weniger als ein Handwerker über sein Handwerk, über ihre Funktion als Ehefrau und Mutter aufgeklärt. Welch ein Widerspruch der sittlichen Normen, der das Eheversprechen, etwas so »Schmutziges«, zu einer derart reinen und heiligen Einrichtung werden läßt ... Die zukünftige Ehefrau und Mutter wird in völliger Unkenntnis über ihren einzigen Vorteil in diesem ganzen Wettkampf gehalten — ihre Sexualität...Ist eine Frau jedoch stark und frei genug, hinter das Geheimnis der Sexualität ohne staatlichen oder kirchlichen Segen zu kommen, gilt sie als äußerst ungeeignet, die Frau eines »rechtschaffenden« Mannes zu werden, dessen Rechtschaffenheit aus einem leeren Kopf und... Geld besteht.(65) Endlich vergleicht Emma Goldman die Ehe mit »einem anderen patriarchalischen System — dem Kapitalismus«, der, nachdem er, »den Menschen beraubt, behin- dert, vergiftet, unwissend, arm und abhängig« gemacht habe, »dann Wohlfahrts- einrichtungen eröffnet, die dem letzten Überbleibsel des männlichen Selbstgefühls zu neuem Aufschwung verhelfen sollen.(66) »Liebe« gilt ihr dagegen als » cias stärkste und tiefste Element allen Lebens«, als Kraft, ..die sich über alle Gesetze und Konventionen hinwegzusetzen vermag; Liebe, die freieste und stärkste Determinante des menschlichen Schicksals — wie kann eine derartige Kraft ein Synonym für dieses armselige, vom Staat und der Kirche hervorgebrachte, Unkraut — die Ehe— sein? FreieLiebe ?AlswennLiebe etwas anderes alsfreiwäre. Verstand ist käuflich, aber Millionen der Welt können keine Liebe kaufen. Die Menschheit hat Menschen unterdrückt, aber keine Macht der Erde hat je die Liebe unterdrücken können... Auf seinem hohen Thron, mit all seinem Reichtum und Pomp, den er sich mit seinem Geld erwerben kann, ist der Mensch arm und alleingelassen, wenn er der Liebe begegnet... Liebe braucht keinen Schutz, sie ist sich selbst Schutz genug. Solange Leben aus Liebe entsteht, wird kein Kind verlassen, leidet Hunger oder ist krank aus Liebebedürftigkeit.(67) Dies waren Worte einer revolutionären Frau, die in »besseren« Verhältnissen lebte. Vieles von ihrer weiblichen Unabhängigkeit konnte von den proletarischen Frauen nicht angenommen und umgesetzt werden. IhrDenken war jedoch für manche Anarchosyndikalistinnen utopische Orientierung und Emma Goldman verkörperte für sie den lebenden Beweis einer emanzipierten Frau, die nicht im bürgerlichen Feminsimus steckengeblieben war. Eine ähnliche Rolle spielte auf kommunistischer Seite die erste sowjetische Ministerin Alexandra Kollontai. In Übereinstimmung mit Emma Goldman äußerte sich auch Erich Mühsam. Schon 1910 hatte er in Landauers Zeitschrift »Der Sozialist« unter dem Titel »Frauenrecht« jeglichen Besitzanspruch eines Mannes auf eine Frau oder einer Frau auf einen Mann geleugnet. Er verwarf von daher auch solche »ausschließ- lichen« Zweierbeziehungen, die nicht in der Gestalt der traditionellen Ehe auftraten. Sein Freund Landauer hob sich in diesem Punkt scharf von ihm ab: Auch er lehnte zwar die staatlich oder kirchlich sanktionierte Ehe ab, entwickelte jedoch einen eigenen Begriff der Ehe und Familie, die er ins Zentrum seiner Theorie der 312 »völlig freiwilligen Bünde« stellte. Was Landauer dabei vorschwebte — »es könnte auch die Vielehe sein« — blieb für ihn eine existentielle »Bindung«, und er sagte von Ehe und Familie, »daß auf ihnen die Kultur beruht, die wir bauen helfen wollen.(68) Mühsam entwickelte seine Idee der »Freien Liebe« noch einmal ausführlich in der »Internationale«, dem theoretischen Organ der FAUD im Jahre 1932. Dort schreibt er: Der Mensch, wederMann noch Frau, ist von Natur nicht so eingerichtet, daß er sichsein Leben lang sinnlich nur zu einem passenden Individuum hingezogen fühlen sollte. Der Geschlechtstrieb läßt sich nicht befehligen, ohne verdorben zu werden... Die Eifersucht sichert die Ausschließlichkeit der Hinneigung eines Menschen zum anderen nur bei völlig machtbefangenen Menschen... Alle Liebes- verhältnisse beruhen auf Gegenseitigkeit. Aber die Gegenseitigkeit wird nicht von dem Teil aufgehoben, welcher verschiedene Verhältnisse unterhält, sondern von dem, welcher vom andern die Innehaltung einer Zwangsbindung ausschließlich an seine Person verlangt. Aus dem Zusammenfinden sinnlich bewegter Menschen, sei es im Überschwang eines Augenblicks zur Erfüllung eines vorübergehenden Begehrens, lassen sich allgemeine Regeln und moralische Gesetze überhaupt nicht ableiten... sofern nicht Gewalt, Mißbrauch, wirtschaftliche Abhängigkkeit oder Verführung unentwickelter Kinder und der Willensfreiheit Beraubter den Verkehr zur Machthandlung erniedrigt und das Verhältnis gleichberechtigter Gegenseitigkeit zerstört.(69) Auch Mühsam war kein Arbeiter; wenn er auch in ärmlichsten Verhältnissen lebte, so war seine Lebensweise dennoch von seiner bürgerlichen Herkunft ge- prägt und konnte ebenfalls nicht von den rheinisch-bergischen Arbeiter/-innen zum Maßstab ihrer Lebensführung und Moral gemacht werden. Wie mehrfach deutlich wurde, unter den Anarcho-Syndikalisten die traditionelle Familie, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch auf der Grundlage standesamtlicher Ehen. In den Jahren des Mitgliederschwundes ab 1921 kann die anarcho-syndikalistische Bewegung sogar als ausdrücklicher »Familienbetrieb« bezeichnet werden — familiäre Bindungen und Kontakte wurden neben der ideellen Gemeinschaft zum tragenden Faktor; neue Mitglieder wurden häufig nur noch über familiäre Sozialisation »gewonnen«. Versuche mit »Freier Liebe« im weiteren Sinn, d.h. Zusammenleben ohne Trauschein, waren zahlreich. Auch hier spielten allerdings neben ideologischen Motiven handfeste materielle Probleme der proletarischen Existenz eine Rolle: Bei vielen älteren Frauen war es ja so: Wenn sie geheiratet hätten, dann wär die Kriegerwitwenrente weggewesen — und darum waren die drauf angewiesen.(70) Es war also nicht nur eine anarcho-syndikalistische Spezialität, wenn nach dem 1. Weltkrieg viele Arbeiterfrauen das unverheiratetes Zusammenleben mit Männern zeitweilig vorzogen. Solche »wilden Ehen« scheiterten oftmals am Druck der Vermieter, Nachbarn usw. — nacheinigen Jahren wurde häufig doch standesamt- lich geheiratet. In wenigen Fällen gab es auch über die Zweierbeziehung hinausgehende 313 Versuche offener, neuartiger Gemeinschaften. So merkt Angela Vogel an, daß »teilweise in engem Bezug zur Organisation neue Lebensformen wie z.B. Wohn- gemeinschaften(7 1) entwickelt wurden. Von bestimmten anarcho-syndikalisti- schen Arbeiterfamilien wird ein große Offenheit für die Genossen überliefert, von denen manche häufig längere Zeit in der Familie mitlebten. Das wenige, was da war, wurde selbstverständlich geteilt. Dies entsprach dem Ideal der »gegenseitigen Hilfe« und war auch in anderen proletarischen Familien nichts Seltenes. Es gab auch Experimente mit mehreren Partnern, die mit der Idee der »Freien Liebe« begründet und scharf von den üblichen, heimlichen »Seitensprüngen« unterschieden wurden. Dies wurde u.a. von Heinrich Drewes versucht sowie von Hans Schmitz und Traudchen Caspers.(72) Traudchen Caspers schrieb zu dem Thema einen Artikel im »Syndikalist«, dem sie den Vers voranstellte: Frei sie die Liebe, keine Kette binde die Hände, die der freie Wille fügt. Vielleicht, daß einst das Auge Dir, das blinde, die Wahl des ersten heißen Fühlens rügt. Auch sie richtete sich gegen die Ehe als »staatlich sanktionierte Prostitution« und folgte Emma Goldmans Gedankengang, wenn sie schrieb: ..wir wissen, daß man die Menschen wohl zwingen kann, zusammenzuleben, nicht jedoch, sich zu lieben. »Proletarische Ideenmenschen«, so fuhr sie fort, »brechen den Verkehr ab, wenn sie sich nicht mehr genügen, sind jedoch Kinder da, so werden sie nicht ausein- andergehen, sondern dieselben gemeinsam erziehen. Ihren Geschlechtstrieb aber werden sie dort befriedigen, wohin sie ihre Liebe zieht.« Sie vertrat allerdings die Auffassung, daß »die Befriedigung des Geschlechtstriebes ohne Liebe zur Perversität führt.« Und sie wendete das Problem vor allem gegen die proletarischen Ehemänner, wenn sie, in Vorwegnahme moderner feministischer Argumente, resümierte: Auch wir Proletarier sollten wissen, daß die Freiheit für den Menschen auch in sexueller Hinsicht gilt. Man kann häufig beobachten, daß der Mann auf Grund seiner ökonomischen Vormachtstellung die Frau zwingt, sich unterzuordnen, obwohl er weiß, daß ihre Liebe andere Wege geht. Diese Handlungsweise ist ebenso gemein wie die eines Wüstlings, der ein wehrloses Mädchen vergewaltigt. Diese Gier nach dem alleinigenBesitz einerFrauistbarbarischund ein schreiender Gegensatz zu der so viel gerühmten Gleichberechtigung der Frau! Kameradinnen! Kämpft und erzwingt Euch das Recht auf Liebe! Derartige Gedanken blieben zumeist Theorie — die praktischen Versuche offener Mehrfachbeziehungen waren nur von kurzer Dauer und führten ebenso zur Eifersucht und Verlustängsten wie bei Menschen mit weniger revolutionärem Anspruch. Ein männliches Mitglied der SAJD Wuppertal faßt zusammen: Das mit der »Freien Liebe« hat nicht hingehauen. Es ist eine harte Sache, wenn ein 314 Genosse an einem anderen Genossen seine Frau geht. Mitunter wurden von Männern und Frauen auch sehr gegensätzliche Dinge unter »Freier Liebe« verstanden. So wird von weiblicher Seite berichtet: Da gab es nicht selten die Meinung »Freie Liebe«, das sollte heißen, daß die Frauen in der Gruppe nun für jeden Genossen dazusein hätten. Und ich, ich verstand gerade darunter, freie Liebe, das heißt, ich such mir aus, mit wem ich will, und dann, wenn ich Lust habe — und das hieß vor allem auch, daß ich Nee sagen konnte. Männer und Frauen sahen auch die Rolle von Traudchen Caspers höchst unterschiedlich — noch im Jahre 1983 entspann sich eine kleine, aufschlußreiche Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob diese außergewöhnliche Anarcho- syndikalistin aus eigenen Stücken zu ihrer Haltung und Anschauung gelangt sei, oder ob sie von Männern dazu angeregt worden sei: Er: Dat Traudchen is durch den Hans Schmitz auf die Sachen gebracht worden. Sie: Nee, die war schon vorher so! 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20) 21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 313 Anmerkungen Kapitel VIII Bornemann, Ernest (Hg.): Arbeiterbewegung und Feminismus, Frankfurt/ Berlin/Wien 1981, S.58 ebenda Z.B. wörtlich im »Mitteilungsblatt« der Berliner Arbeiterbörse vom 5.3.1921 (IISG Amsterdam) Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.9 Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.27 Thönnessen, W.: Frauenemanzipation, S.5/6 Lucas, E.: Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung, S.45 Nolan, Molly: Proletarischer Antifeminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD- Ortsgruppe Düsseldorf, 1890-1914, in: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin, S.370 ebenda, S.360 R. Treiber Der Düsseldorfer Sozialdemokrat Miuow, zit. nach Nolan, S.370 ebenda Bornemann, S.58 ebenda, S.56 ebenda Prokop, Ulrike: Weiblicher Lebenszusammenhang, von der Beschränktheit der Strategien und der Unangemessenheit der Wünsche, Frankfurt 1980, S.42 Lossef-Tillmanns, G. (Hg.): Frau und Gewerkschaft, Frankfurt 1982, S.42 Tröger, Annemarie: Die Dolchstoßlegende der Linken: Frauen haben Hitler an die Macht gebracht, in: Frauen und Wissenschaft, S.332 ebenda, S.346 Bornemann, S.55 ebenda, S.55 Teuber, H.: Bergmannsfrauen, zit. nach E. Lucas: Zwei Formen des Radikalismus. S.65/66 Bornemann, S.54 A. Binder Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.88 und Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 ebenda Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.26 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 Die Schöpfung, Jg.3 (1923), Nr.90 und 76; in Düsseldorf eine gleiche Versammlung Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.95 Der Syndikalist, Jg.3 (1921), Nr.43 alle Zitate ebenda Wittkop-Rocker, Milly: Was will der syndikalistische Frauenbund, Berlin 1924 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.56 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.67 Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.73 316 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46) 47) 48) 49) 50) 51) 52) 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59) 60) 61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68) 69) 70) 71) 7) 73) Die Schöpfung, Jg.1 (1921), Nr.73 Die Schöpfung, Jg.2 (1922), Nr.14 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.33 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.46 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.43 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.37 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.40 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.37 Protokoll des 15. Kongresses der FAUD, Berlin 1925 H. Kriischedt, P. Benner H. Schmitz Jahrbücher des dt. Textilarbeiterverbandes, Berlin 1926-1931; hier die Jahrgänge 1925-1930 Der Syndikalist, Jg.6 (1924), Nr.31 Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.7 Der Syndikalist, Jg.7 (1925), Nr.7 Erhebung des Reichsverbandes der dt. Jugendverbände; zit. nach: Hertha Siemering, Eduard Spranger. Weibliche Jugend in unserer Zeit, Leipzig 1932, S.18 Kunza, Gertrud: Die Umwelt der weiblichen proletarischen Jugend in den Städten, S.23 HS. P. Benner (Tochter von P. Berger) dieselbe Lucas, E.: Märzrevolution 1920, Bd.l, S.157 P. Benner Alle Einzelheiten nach Berichten von H. Schmitz, P. Benner, R. Bergmann Linse, Lebensformen der bürgerlichen und der proletarischen Jugendbewegung, S.32 H. Krüschedt dieselbe dieselbe; der Vorfall wird parallel von P. Benner, R. Bergmann und G. Krüschedt berichtet. Goldman, Emma: Liebe und Ehe, in: Emma Goldman: Frauen in der Revolution, Berlin 1977, S.19/20 ebenda, S.22 ebenda, S.25 ebenda, S.26/27 Landauer, Gustav: Von der Ehe (1910), in: Gustav Landauer: Der werdende Mensch, Aufsätze von G. Landauer, Telgte 1977, S.57 Mühsam, E.: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat, in: Die Internationale, Heft vom 6.Juni 1932; sowie als Fanal-Sonderdruck; Repr. Berlin 1973 H.S.; G. Krüschedt Frau E. Nauheim, Tochter von Carl Windhoff, im Gespräch mit Angela Vogel, in: A. Vogel: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, S.286 Hans Schmitz, G. und H. Kriischedt, A. Benner Der Syndikalist, Jg.8 (1926), Nr.5 317 Kapitel IX »Mit Gesang die Welt stürmen...« die literarischen und musikalischen Initiati- ven im Rheinland 1. Die Düsseldorfer »Schöpfung — Tageszeitung und Sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland Es sind nur wenige Zeugnisse des literarischen und musikalischen Wirkens der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten erhalten oder mündlich überliefert. Auf dem Gebiet der Malerei ist den Verfassern überhaupt kein Zeichen ent- sprechender Aktivitäten bekannt geworden. Einzelne Anarcho-Syndikalisten haben geschrieben. Dabei konzentrierte sich ihre Anstrengung auf Artikel in der anarcho-syndikalistischen Presse — darüberhinaus verfaßten sie aber auch Kurzgeschichten, Gedichte und Briefe, die von literarischem und historischem Interesse sind. Die bedeutendste literarische Anstrengung der rheinisch-bergischen Anarcho- Syndikalisten war zweifellos das Projekt »Die Schöpfung«. Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten hatten immer eine besonderes Gewicht auf die Pressetä- tigkeit gelegt und sahen in den übrigen Medien einen ihrer Hauptgegner. Gustav Landauer, der sonst nicht zu gewaltsamen Kampfformen neigte, schrieb in erbitterten Sätzen über die »kapitalistische Presse«, die den »neuen Geist« unterhöhle: Wir brauchen ein völlig neues Zeitungswesen, und ich würde keinerlei Gewalttat scheuen, um die alte Presse zu vernichten.(1) Von der Zeitungsbesetzung Bernhard Lamps in Elberfeld wurde bereits berichtet — nicht zufällig also die Namensähnlichkeit von »Die Schöpfung im Westen« mit der späteren »Die Schöpfung« —an beiden Projekten, zuletzt als Redakteur wirkte der Buchdrucker Heinrich Drewes mit. Über die Konzeption der Zeitung schrieb er an Pierre Ram us: Es ist mein sehnlichster Wunsch, unserem Organ eine politische Bedeutsamkeit zu verschaffen etwa nach der Art der (liberalen) Frankfurter Zeitung, nur im proletarischen Sinne gehalten... Wenn auch zum Teil der Inhalt der Schöpfung auf geistig beachtenswerter Höhe steht..., so ist doch ungewiß, ob unser Organ auf die Dauer bestehen bleiben kann.(?2) 318 Zwei Faktoren erscheinen in Drewes Briefen, die die neue Zeitung besonders gefährdeten. Auf der einen Seite das Problem der Finanzierung, da die »Schö- pfung« konsequent auf jegliche kommerzielle Anzeigen und Inserate verzichtete — tatsächlich findet sich nichts derartiges in der Zeitung bis zu ihrer Einstellung im Jahre 1923. Drewes formuliert lapidar:»...und zwar fehlt es... an dem nötigen, von uns so sehr gehaßten Mammon.«(3) Der andere Faktor war die Zerstrittenheit der verschiedenen Richtungen unter den rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten, die die »Die Schöpfung« zu ihrem Organmachen wollten. »Über die Notwendigkeit des Bestehens des Organs als Tageszeitung herrscht alleseits kein Zweifel«, schrieb Drewes, jedoch war schon etwa der Titel der Zeitung heftig umstritten: »Wir sind sogar soweit gegangen, daß wir entgegengesetzt meiner Auffassung die Zeitung als »sozialrevolutionäres« Organ benannten und nicht »syndikalistisches«, wie ich es wollte.«(4) Tatsächlich wurde »Die Schöpfung« zu einer stark literarisch und blumig-pro- pagandistischen Zeitung: ein buntes, anarcho-»»liberales« Forum geistiger und theoretischer Ergüsse. Politische Tagesmeldungen fehlten fast ganz, Versuche, »unpolitischer« Informationsleistungen wie Wetterbericht u.ä. blieben die Aus- nahme. Neben groß angelegten Theorieartikeln über Probleme des Anarchismus und Syndikalismus gab es erstaunlich viele Berichte überinternationale Ereignisse. Der Rest der Zeitung wurde vom Organisatorischen bestimmt (Veranstal- tungskalender der diversen Organisationen) sowie von einem ausgedehnten Feuilleton. Es verwundert nicht, daß diese Zeitung keine Verbreitung fand — sie erfüllte keinerlei praktische Erwartung von Nicht-Syndikalisten an eine Tages- zeitung. Im engeren Kreise der Anhänger scheint sie aber zeitweilig »den Ton getroffen« zu haben. So berichtet R. Treiber: »Gerade das idealistische, poetische an der »Schöpfung« hat mich alsJugendlichen angezogen und fasziniert.« 2. Anarchistische Kunstauffassungen Auf dem Gebiet des proletarischen Theaters sind keine eigenständigen anarcho- syndikalistischen Initiativen bekannt. In einigen rheinischen Städten unterhielten die FAUD und die anarcho-syndikalistischen Kulturorganisationen jedoch rege Beziehungen zur »Freien Volksbühne, einer linken Abspaltung der sozialdemo- kratisch dominierten »Volksbühne«. Mit Unterstützung der Arbeiterbörsen von Mühlheim/Ruhr, Groß-Düsseldorf und Groß-Duisburg wurde im Herbst 1921 in diesen Städten Ernst Toilers »Masse Mensch« zur Aufführung gebracht — die FAUD warb in ihren»Betriebslokalen« und durch ihre Vertrauensleute in den Betrieben für die »Freie Volksbühne«.(5) Dies signalisiert, daß es unter den rheinischen Anarcho-Syndikalisten ein starkes Interesse für Werke des literarischen Expressionismus gab. In der reichs- weit erscheinenden Literatur- und Kunstzeitschrift »Besinnung und Aufbruch« 319 (verantwortlicher Redakteur war Helmut Rüdiger), die die anarchosyndikali- stische »Gilde Freiheitlicher Bücherfreunde« herausgab, schrieb u.a. der Expo- nent des Berliner Dadaismus, Raoul Hausmann. Daneben wurde, ähnlich wie in der SPD und KPD, das humanistische Erbe der klassischen bürgerlichen Literatur gepflegt immer wieder wurden Goethe, Schiller und Lessing zitiert, und besonders beliebt scheint folgendes Gedicht Grillparzers gewesen zu sein, das mehrfach in anarcho-syndikalistischen Zeitungenerschien: Das hohle Staatsschiff Der Geist der Zeit ist nur ein Traum, oft ist nur Mode das Bewunderte. Doch ein Geist macht sich immer mehr Raum: Der Geist, der Stille, der Jahrhunderte. Was kleinum klein, und Griff um Griff polypenartig sich erweitert, wird endlich zum Korallenriff, an dem manch hohles Staatsschiff scheitert.(6) Dennoch war die Kunstauffassung der Anarcho-Syndikalisten nicht eine bloße Kopie der sozialdemokratischen und kommunistischen. Anarchosyndikalistische Arbeiter teilten zwar die Ansicht Franz Mehrings, daß Kunst mehr sei als Agitation oder »bloße Tendenz« — in der »Schöpfung« hieß es dazu: Wir wollen an der Schwelle dieses Zeitalters erklären, daß Kultur und Fortschritt, Kunst und Wissenschaft nicht ausschließlich das Vorrecht sein sollen einer ökonomischen Macht, nenne sie »kapitalistisch« oder »proletarisch«, sondern... daß sie menschheitsumfassend seien.(7) Auseinandersetzungen hierüber bzw. über die Berechtigung von Kunst überhaupt gab es auch innerhalb der anarchistisch/syndikalistischen Bewegung — hier soll beispielhaft eine Diskussion des »Syndikalist« mit der »Schwarzen Fahne« Ernst Friedrichs erwähnt werden. Nach Darstellung des »Syndikalist« hatte es bei Friedrich geheißen: Dichten ist gewiß eine nützliche und proletarische Arbeit, solange, als es sich urn das Dichten von Gas- und Wasserröhren handelt. Das Reimeschütteln ... können wir ruhig dem Bürgertum überlassen, das Zeit und Muße für Ethik, Aesthetik und Poesie hat. Wir wollen ruhig in unserer proletarischen Sprache zueinander reden, wie uns die Schnauze gewachsen ist. Der »Syndikalist« konterte mit heftiger Polemik, nannte den Verfasser dieser Zeilen einen »Oberschmierer« und verteidigte die künstlerische Betätigung von Arbeitern: Mit einem Schlag lehnt man also die ganze proletarische Kunst ab!... Helft uns, die proletarische Groß-Schnauze stopfen, damit der proletarische Mund zu Wort kommt.(8) 320 Hier wird ein starkes Kunstinteresse sichtbar, das bei vielen Anarcho-S yndikalisten zwischen der klassenneutralen Menschheitskunst der Sozialdemokratie und dem »Proletkult« der KPD angesiedelt werden kann. Trotz ihrer »menschlichen« Kunst- und Kulturauffassungen bestanden die Anarcho-Syndikalisten nämlich auf deutlicher, sozialistischer»Tendenz«. Zugespitzt hat Erich Mühsam diese Haltung der künstlerischen Integration bürgerlichen Erbes und proletarischer Ziele formuliert: Niemand glaube, daß den Arbeitern hier etwa an Stelle der neuerdings als »proletarische Kunst« gebotenen Kost der alte nahrhafte Brei aus der bürgerlichen Gemütsküche empfohlen werden solle. Es ist... lächerlicher Unfug von proletarischer Kunst zu reden... Das Proletariat ist eine von den Besitzenden unterworfene Menschenklasse, keineswegs aber eine von jenen im Wesen unterschiedene Menschengattung ... Auch wird es niemals eine proletarische Kultur geben: denn daß es Proletariat gibt, ist anundfürsich eine Kulturwidrigkeit und aller proletarischer Kampf, der auf neue Gesellschaftsformen zielt, kann nur den Sinn haben, diese abscheuliche Kulturwidrigkeit aus der Welt zu schaffen und die klassenlose Menschengemeinschaft an ihre Stelle zu setzen. Soweit die Kunst in den Dienstrevolutionärer Ziele des Proletariats genommenwerden soll—und das soll sie wahrhaftig! Sie soll es viel gründlicher als bisher! —muß es die Kunst sein, welche aus der gegenwärtigen Kultur erwachsen ist.(9) Kunsttheoretische Beiträge der rheinisch-bergischen Anarcho-Syndikalisten sind nicht bekannt — wenn man von der kurzen Auseinandersetzung der Düsseldorfer »Freien Sänger« um das »proletarische Tendenzlied« absieht. Einen originellen persönlichen Beitrag zur Kunstdiskussion enthält der bereits erwähnte Brief des Düsseldorfer Angestellten B. Schmithals. Er entdeckte in den Werken der großen Künstler der Vergangenheit die Prinzipien der »gegenseitigen Hilfe« und des »Föderalismus«, wenn er schreibt: Sehen wir ein Kunstwerk an, sei es Musik, Malerei, Baukunst oder Dichtung. Hören wir eine Symphonie...welch verschiedene Persönlichkeitswerte stellen sich der Menschheit darin vor in der Person der verschiedenen Instrumente des verschiedenen Tonumfanges oder in den Farben verschiedenster Leuchtstärke aus denverschiedensten Ehen, das heißt Zeugungsmischungen. RechnendieBassgeigen ihre größere physische Schwingung als Mehrleistung von Schwerarbeitern gegen die kleinen Geigen auf, oder hat die trillernde, lustig tänzelnde Flöte ihrer Lustigkeit wegen einen schlechteren Akkordzettel als das ernste Fagott? Erhebt die Posaune deshalb Anspruch darauf, als Abgeordneter mit Diäten gewählt zu werden, weil sie die Fähigkeit hat, die Ergebnisse der Kleinarbeit der anderen InstrumentezurgegebenenZeitinzusammengefaßterFormnochmals eindringlich auszuposaunen und zuunterstreichen? Auch die Pauke will nicht Ministerpräsident werden, weil sienurdannund wann, dann abermit großem Geräusch in Erscheinung tritt. Sogar das Waldhorn, dem die Tonreinheit so schwer fällt, hat deshalb noch lange keine Neigung zum Kultusminister. Oder ist auf einem Bilde die Farbe, die aus urgesetzlicher Notwendigkeit eine größere Fläche einnimmt, deshalb in der Lage, ihre Nachbarn zu bedrängen und das ganze Bild als Großagrarier zu verherrschen...? Nein! Alles dies zeigen uns die Kunstwerke nicht und haben es auch nach dem Willen der Künstler nicht zeigen sollen. 321 Für uns hat ein Kunstwerk nur Wert, wenn wir darin den höchsten Ausdruck gegenseitger Hülfe erkennen und erleben können. Gegenseitige Hülfe und die Möglichkeit für jeden, mit seinem Können, es sei groß oder bescheiden, ernst oder heiter, dann der Gesamtheit zu dienen.(10) Dies ist nur eine einzelne Äußerung — sie darf aber als typisch für die Bemühung vieler rheinisch-bergischer Anarcho-Syndikalisten gelten, der alten Kunsttradition auf ihre Weise noch etwas abzugewinnen. Schmithals' Auffassung verbleibt auf der Ebene subjektiver Analogiebildung — dieses Verfahren war allerdings zu seiner Zeit bis in die Kunstkritik und -wissenschaft hinein verbreitet. Dort wurden nur in der Regel »staatskonforme« oder religiös inspirierte Analogien bevorzugt, so z.B. die von den sogenannten »heiligen Empfindungen«, die die Musik auslöse, oder Vergleiche der musikalischen Gattungen der Fuge und der Sonate mit absolutistischen bzw. demokratischen Staatsformen. Die »Freie Sängergemeinschaft« Ein Mensch, der täglich gewohnt ist, gewaltige Empfindungen aus seiner Brust durch seinen Kehlkopf herausströmen zu lassen, ohne irgendeine Beziehung zu seinem Handeln, ohne daß also die adäquate Abreaktion dieses ausgedrückten mächtigen Gefühls in entsprechend mächtigenHandlungenerfolgt—unddas ist das Wesen der Gesangvereinskunst — das wird ein »guter Staatsbürger« im passiven Sinne des Wortes. Es ist kein Wunder, daß die Monarchen eine so große Vorliebe für derartige Veranstaltungen haben.(11) Mit diesen Sätzen hat Max Weber früh ein Grundproblem der deutschen Gesangvereine umrissen und auch das Schicksal des größten Teils der Arbeitersängerbewegung prophetisch vorgezeichnet. Es waren nicht zufällig proletarische Sängervereine, die am frühesten und nachhaltigsten von allen proletarischen Kulturorganisationen unpolitischer Sentimentalität und verlogenem Bildungspathos verfielen. Dieses hatte mit ihrer Existenz alsArbeiter nur noch insofern etwas zu tun, als ihr Minderwertigkeitskomplex den traditionellen Meisterwerken gegenüber noch stärker ausgeprägt war, als der der bürgerlichen Liederkränzchen. Was Wunderer für die Entwicklung der sozialdemokratischen Arbeiter- kulturorganisationen im allgemeinen feststellt, kann am deutlichsten an der politischen Entwicklung des »Deutschen Arbeitersängerbundes«(DAS B) gezeigt werden: In dem Wandel der sozialdemokratischen Arbeiterkulturorganisationvon politischen Gegnern der bürgerlichen Gesellschaft zu Partnern und/oder Konkurrenz- unternehmungen zu bürgerlichenVereinen wurden die Vorzeichen, unter denen die Arbeiterkulturorganisationen angetreten waren, zwar nicht ungültig, verloren aber im Bewußtsein der Mitglieder ihre innere Notwendigkeit. Als ein deutliches Indiz für diesen Prozeß kann gelten, daß die Repräsentanten der sozialdemokratischen Vorfeldorganisationen die Legitimität ihrer Bestrebungen durch ein 322 »Übertreffen« der Leistungen ihrerbürgerlichenParallelorganisationen zu erweisen suchten.(12) Auch wenn die sozialdemokratischen Arbeitersänger in den 20er Jahren noch die alten Kampflieder aus dem 19. Jahrhundert sangen, so hatte das keinerlei direkte Beziehung zu »ihrem Handeln« mehr. Sie gehörten zur »Tradition« und standen unverbunden neben den neuen Bemühungen, etwa die 9. Sinfonie Beethovens, die »Missa Solemnis« und sogar kirchliche Choralsätze einzustudieren. Der Deutsche Arbeitersängerbund war eine der ersten proletarischen Kulturorganisationen, die sich mit dem entsprechenden bürgerlichen Zusammenschluß, dem Deutschen Sängerbund, zu reichsweiter Arbeitsgemeinschaft verband, die Zusammenarbeit begann bereits im Jahr 1921. Wunderer bezeichnet die Geschichte der Arbeiter- sängerbewegung als »prototypisch für die Verflachung und spießbürgerliche Ver- kümmerung der sozialdemokratischen Kulturbewegung.«(13) Auch Hanns Eisler hatte die Arbeitergesangsvereine den »verstaubtesten Winkel der Kulturbewegung des deutschen Proletariats«(14) genannt und unterstützte ab 1928 die kommunistische Opposition im Deutschen Arbeitersängerbund, die sich ab 1931 als sogenannte »Kampfgemeinschaft der Arbeitersänger« selbständig zusammenschloß, daneben aber weiterhin im DASB verblieb und dort fraktionell arbeitete.(15) Die Anarcho-Syndikalisten im Rheinland hatten demgegenüber bereits ab 1920 einen eigenen Zusammenschluß von Arbeiterchören, der sich »Freie Sänger- Gemeinschaft Rheinland Westfalen« nannte. Den Kern dieser S ängergemeinsc haft bildete der anarchosyndikalistische Düsseldorfer Arbeitersängerverein »Freie Sänger 04«. Er wird zusammen mit einem kleineren Gerresheimer Arbeiterchor »Vorwärts« bereits im Jahr 1912 in einem Polizeibericht erwähnt. Dort heißt es, die »Freien Sänger« bestünden »nur aus Anarchisten und Syndikälisten«, und in dem Gerresheimer Chor seien »fast ausschließlich« anarchistische Arbeiter der Gerresheimer Glashütte und »Mitglieder der Freien Vereinigung aller Berufe« vertreten.(16) Die Düsseldorfer Polizi scheint diese Arbeitersänger nicht für »gute Staatsbürger« gehalten zu haben, denn 1914 wurden beide Vereine zusammmen mit allen anarchistischen und syndikalistischen Organisationen verboten. Während die syndikalistische »Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften« (FVDG) im Jahre 1915 wieder zugelassen wurde, blieb das Verbot der Chöre bestehen. Das »Mitteilungsblatt« der FVDG kommentierte: Unsere Versammlungen dürfen also wieder stattfinden, ja selbst die sich zum Anarchismus bekennenden Gewerkschaftsgenossen dürfen an diesen Versammlungen teilnehmen—abersingen dürfen die Düsseldorfer Genossen nicht. Das »Mitteilungsblatt« zitiert die »Freien Sänger 04«, die in ihrer Beschwerde gegen das Verbot die alten Worte anführten: Wo man singt, da laß Dich ruhig nieder! Böse Menschen haben keine Lieder! 323 und fährt dann fort: Nach Ansicht der Düsseldorfer Polizei (politische Abteilung) müssen diese singenden Anarchisten aber doch verteufelt schlechte Kerle sein. Wie aber nun, wenn diese bösen Leute dazu übergehen und sich die Frechheit erlauben, die Mitgliedschaft in einigen großbürgerlichen Gesangsvereinen zu erwerben? Nach der polizeilichen Argumentation dürfen die braven Spießbürger dann auch nicht mehr singen. Das würde erst ein hübscher Klamauk werden.(17) Die Monarchie hatte demnach für diese Sänger keine »Vorliebe« und in der Tat zeigt der Polizeibericht, daß es sich hier um Anarchisten und Syndikalisten handelt, die nicht nur revolutionäre Lieder sangen, sondern auch bekannt dafür waren, daß ihre »mächtigen Gefühle« nicht im Konzertsaal verblieben: Viele der 1912 in der Polizeiakte erscheinenden Namen begegnen uns ab 1919 als die der aktivsten Mitglieder der Düsseldorfer FAUD wieder, sie waren 1921/22 an den Metall- und Kommunalarbeiterstreiks beteiligt und kämpften in der Roten Ruhrarmee gegen den Kapp-Putsch. Wird dieses Engagement mit berücksichtigt, so ist ganz erstaunlich, was die »Freien Sänger« in den frühen 20erJahren an musikalischer Arbeit leisteten. Die »Freien Sänger 04« waren ein gemischter Chor aus ca. 80 bis 100 Sängern und Sängerinnen.(18) Die Zahl schwankte — wenn auf Tourneen in Dortmund (1921) von einem »300-köpfigen Arbeiterchor«(19) oder in Berlin (1930) von »130 Düsseldorfer Sangesbrüdern und -schwestern«(20) die Rede war, so muß davon ausgegangen werden, daß sich diesen Konzertreisen auch Mitglieder anderer regionaler »Freier Sängerchöre« anschlossen. Die »Freien Sänger 04« standen unter der musikalischen Leitung des Düsseldorfer Gastwirtsohnes Peter H. Ortmann, der in Leipzig Kirchenmusik(!) studiert hatte, und sich seit 1919 gänzlich dem revolutionären »proletarischen Tendenzlied« verschrieben haue. Ortmann war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Mitglied der FAUD, obwohl er in der anarcho-syndikalistischen Presse wiederholt als »unser Kamerad« oder »Genosse Ortmann« tituliert wurde. »Damit haben die den ein bißchen kitzeln wollen; aber Ortmann war kein Syndikalist«, berichtet eine ehemalige »Freie Sängerin«. Zusammen mit weiteren anarcho-syndikalistisch beeinflußten Arbeiterchören der gesamten rheinisch-westfälischen Region, die in Verbindung mit den Arbeiterbörsen der FAUD nach dem Vorbild der »Freien Sänger 04« aufgebaut wurden, gründete man 1920 die »Freie Sänger-Gemeinschaft Rheinland Westfalen«, die ihren Sitz in Düsseldorf hatte. Die »Freien Sänger« stellten sich in bewußte Opposition nicht nur gegen den bürgerlichen Konzertbetrieb, sondern auch gegen die Entwicklung des deutschen Arbeitersängerbundes. Insbesondere bekämpften sie in Wort und Schrift, aber mehr noch durch ihre Gesangspraxis das »chronische Übel..., das Tendenzlied immer mehr auszuschalten, und statt dessen Werke aufzuführen, welche dem proletarischen Empfinden direkt Hohn sprechen.« So schrieb 1924 ein Düsseldorfer 324 P.H. Ortmann (rechts) mit E. Binder, Düsseldorf 1931 Lied des Trutzes (O.E. Hartleben) 4-st. gem./Männerchor 3-st. Frauenchor P.H. Ortmann (1919) a ee 1. Es lebt noch eine Flamme, es grünt noch eine Saat, verzage nicht, noch bange: Im Anfang war die Tat! 2. Die finsteren Wolken lagern schwer auf dem greisen Land, —— U2-N die welken Blätter rascheln, was glänzt, ist Herbstesstand. 325 3 Den Blick zum Staub gewendet, so hasten sie dahin, Verdüstert ihre Stirnen, dumpf und gemein ihr Sinn. 4. Doch seh ich Fäuste zittern, und Schläfen fühl ich glühn, Zornadern seh ich schwellen und Augen trotzig sprühn. 95, Es lebt noch eine Flamme, es grünt noch eine Saat, verzage nicht, noch bange: Im Anfang war die Tat! (Nach mündlicher Überlieferung durch A. Binder, aufgezeichnet von Ulrich Klan) dorfer Freier Sänger im »Syndikalist« und fuhr fort: Man sagt »um der Kunst willen«, »die Kunst kennt keine Tendenz« usw. Ja, man scheut sich in diesen Kreisen (des DASB) heute nicht mehr, Kirchenkonzerte zu veranstalten und, man lache nicht — um die Tendenz auszuschalten, singt man Tendenzlieder. Oder sind Oratorien und andere Werke religiösen Inhaltes keine Tendenzchöre?(21) Tatsächlich nahmen sich die Arbeiterchöre des DASB in den 20er Jahren ausnehmende Oratorien und Messen vor. Nach der Aufführung von Händels »Judas Maccabäus« und Beethovens »Missa Solemnis« auf dem Sängerfest des DASB 1928 in Hannover zeigte sich etwa Carl Severing befriedigt über die wachsende Annäherung zu den bürgerlichen Chören und äußerte: Ich meine, es muß dahin kommen, daß unsere Arbeitersänger auch religiösen Liedern nicht ausweichen, daß sie »Ein feste Burg ist unser Gott« nicht nur hören, sondern auch singen.(23) Die Anarcho-Syndikalisten versuchten demgegenüber mit anderen Kritikern dieses Kurses, nicht nur die alten Kampflieder zu pflegen, sondern auch neue zu schaffen und zu verbreiten. Sie knüpften bewußt an die Tradition der Kampfbal- laden, -chöre und -lieder des Barmer Färbers, Krankenkassenbeamten und musi- kalischen Autodidakten Gustav Adolf Uthmann (1867-1920) an, von dem jener schon zitierte »Freie Sänger« aus Düsseldorf schrieb, daß er dem Deutschen Arbeitersängerbund »erst Leben und Inhalt zu geben vermochte.« Der Umstand, daß Uthmanns Kompositionen großenteils »vom DASB mit Beschlag belegt und anderen Gesangsvereinen nicht zugänglich waren(23), mag die Bemühungen der »Freien Sänger« in Düsseldorf verstärkt haben, eigene Kampflieder zu schaffen. 326 Dies versuchte Peter H. Ortmann als Komponist. Er schrieb zahlreiche 3-und 8- stimmige Chorsätze, die zum Teil — hier wurde seine musikalische Ausbildung sichtbar — Imitationstechniken der Motette verwendeten, wie sie allerdings auch bei Uthmann schon auftreten. Sämtliche Partituren Ortmanns, sowie das gesamte Notenmaterial der »Freien Sänger-Gemeinschaft« mußten im Jahre 1934 der Gestapo in Düsseldorf übergeben werden. Als »Preis« für die Freilassung des verhafteten FAUD- und Vorstandsmitglieds der »Freien Sänger-Gemeinschaft« Anton Rosinke, brachte Ernst Binder sämtliche Partituren und Stimmen einen Tag lang per Fahrrad ins Düsseldorfer Polizeipräsidium — von ihnen fehlt jede Spur.(24) Die Stücke, die Ortmann für die »«Freie Sänger-Gemeinschaft« geschrieben hat,hatten bis dahin ausschließlich durch deren Chöre eine überwiegend regional begrenzte Verbreitung gefunden. Offenbar hatte die Sängergemeinschaft das Monopol und die Rechte auf die Werke, Stimmen und Partituren und wurden von der FSG im »Syndikalist« den übrigen Gruppen zum Kauf angeboten: Der Ansatz eines syndikalistischen Musikverlages. Ortmann scheint anderweitig keinen Verleger für seine Chorkompositionen gefunden zu haben. (Möglicherweise ging es in einem nicht näher bekannten »Zivilprozeß« der FSG 1933 um seine Rechte an den Werken.) Diese Umstände ermöglichten den Nazis jenen zentralen, nachhaltigen Zugriff auf das gesamte gedruckte Notenmaterial, das wahrscheinlich vollständig vernichtet wurde. Um die musikalischen Aktivitäten der »Freien Sänger« zu rekonstruieren, sind wir daher auf wenige Konzertanzeigen in der anarcho-syndikalistischen Presse und auf mündliche Berichte angewiesen. Danach hat Ortmann für die »Freien Sänger« mindestens zwölf 3- bis 8-stimmige Chorwerke komponiert, zu Texten von P. Maxim, P. Marx, O.E. Hartleben, Eugene Pottier, Erich Mühsam und John Henry Mackay. Die Werke (hier von den Verfassern z.T. nach mündlicher Überlieferung als Sopranmelodien aufgezeichnet) hatten eine Aufführungsdauer von bis zu 20 Minuten. Ortmanns Kompositionen scheinen sich musikalisch vollständig im Rahmen der spätromantischen Tradition der Chorwerke Uthmanns und der Kampflieder der Pariser Commune (Pierre Degeyter) sowie der deutschen Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts bewegt zu haben. In einem Fall hat Ortmann wörtlich eine melodische Wendung Degeyters zitiert: In seiner 8stimmigen Chormotette »Die Schmiede im Walde« stimmen die Töne bei »Wir weihen, was wir schmieden, der Freiheit und dem Frieden« exakt mit der entsprechenden Passage des Pariser Communardenliedes »Linsurgent« von Eugene Pottier und Pierre Degeyter überein, die lautet: »Et qui marche avec confiance, car le soleil de la science se leve rouge a l'horizon.« Eu Wir weihen, was wir schmieden 327 N I der Freiheit und dem Frieden TÄn: ‚ntn?’=,.+rla.ws}w..n, a ont D-MX re a.t, b- S uva dRYY u. Srahhrinaß nein ES eMvol .M.aC rr. v.. mma&Ll:.W-( -_ ‚vu WIE -i-May FO pen hyenelenunnjenun-APp. Lei dle Me.41-L. „-+*vklomnsop, ER ; : Jnn: .igan. 20 1A 1'rentisı.teftente . ;see niead<‘ le „xdp' aesene" 4 -i 1Yama] 15 Oudi@Me.'s.i.{:sarOasbd.,Vea.se . aöddpU.si henis, w. der,sS 1X, tin va, , -] 41 Die Schmiede im Walde in in Gedicht qsa L. staurracHr.gMiomponiertmr, (MannerdiosmH 9KrStANN ‚cıcil Waldeaschwarze Wiida $ gellem - ES schwingt der ahike Schmied den Rtesechanimes; isefhs Klinge noch um Mittemacht;' . € Das Schwert iersdiwetterdd mit gesralt'gem Setilig er Schnded;'es klopfen dieeGesellen,' Hinweg dn Kainesgetst, der Tod und Jammer.-.'. Die immer schwingen'sle mtt Macht.: Und Pest und Schrickgn'nut.verbreiten mag."7:t en lodern und die Funken sprühen, ;,Va, Blut und Leitiren, des sind deineSpuren,. „, Die Blicke leuchte, hngen glühen,;.-, Zerstörte Stidle nod eerstämpfte.Plores,. es Erzes monotonem Klang, "Was willst du hier?:: Wir alle fluchen dir, klingt ein kriftiger Gesang e .Denn'andem Bau dar Zukunft trimmers Ntc-:. eihen, was wir schmieden w ıtVir weites; was' wir schmieden ©.c:,", erfFreiheit Sud dem Frieden, Der Freiheitnod, dem Frieden; icHt droben erst, ehlealede9 ' & „sn Nicht droben erst, hienieden i ae ni wir nach Kronen @ y -: m ke r.et] SRHYERERFnKRA Kanonen? :e"/s.| ‚:Seid einig, nalänenpriyartern, und Kanonskiy ma: endet eure Peint ,..; es; n} -Dann endet eure Pein, :. 7. Da kracht du Tor ‚es tritt der Gott des Krieges U’nd steh d er Gott des Krieges Isi verschwunden; Antlitz Wir :die kleine Schar. «.,'8:WieSturm end Weiter braustes durch den Halo. A der Lorbeei eines blul'gea Sieges Dass wt,rd es still, land langsam Bicha die Stunden, oldrfen‘Helm, das wilde Lockenhaar; _Dle - Glut reridschf, "die Schmiede schiafeS ein. eirschiotnesSchwert,zumHabedemLiede, 'Der Meister nur,, der. Rub' eicht linden konnte, Reicht eı dem Meisterschmiede! .__ Lehnt noch' am Tor, blickt nach dem Horizonte,' Der bit es lest, starrt ii bi Ei Dahat In erh heingen Gesichts: I pt er.das.erste Rot, des Morgenlichtse., :- JJh'Ca SoWu.. om.xt RENJ. inge/Yu. .d. Fee T,wined.. an tud.t dee 5?b,nod r. - erfi win veihen, was wir schmigden ?Nae 24 Lwst RL . Nicht droben erst, hienieden -. .- -. Wacht auf, Ihr Nationen, r.....- soll Jeder glücklich seini . c-Ihr,' die von Sorgen bleicht Was @agen wir nach Kronen, . Die Hohen, die Gemeinen, .: Nach Schwertern' und Kanonen? Die Michtigen, die Kleinen, .O.,, Seid einig Nationen n. ; Sie mpasegqall sich eisen ."Dann endet eure.Pelat "Zum, großen Friedensreich, . :Y!'o U.wx eugNewdigx ano....myf.alx ein di. Aoubnx‘‘ din. „bin,. xilmnit&.tlua:. !Ida. V.eub. M. e-, Sa... M. -30. Z. bra.bx dares lese. v.4 n.asail, ir.xe.....-e 328 Nach mündlicher Überlieferung haben die »Freien Sänger« auch »atonale« Werke gesungen und waren gegenüber der Einführung avancierter musikalischer Mittel in die proletarische Kampfmusik aufgeschlossen. Als Hanns Eisler anläßlich der Aufführung seiner Musik zu Brechts »Maßnahme« 1932 in der Düsseldorfer Tonhalle sprach, waren die »Freien Sänger« zahlreich vertreten und »sympathisierten«(25) mit Eislers ästhetischen Positionen. Da Ortmann keine »atonalen« Werke schrieb, kamen von ihm diesbezüglich keine Impulse. Es wird jedoch berichtet, daß die »Freien Sänger« ab 1929 Werke des befreundeten Erwin Kiest sangen, darunter auch »atonale«.(26) Eines der Klestschen Stücke nach einem Text von Erich Mühsam ist »Wir wohnen in den Häusern grauer Steine....« Es enthält noch keine harmonischen Unerhörtheiten, der Komponist »wagt« lediglich in der Strophe etwas frei »taumelnde« Tonartwechsel, um das »Herumgestoßene« des Textes auszudrücken. Wir wohnen in den Häusern grauer Steine (Erich Mühsam) Erwin Kiest 1. Wir wohnen in den Häusern grauer Steine, Wir kommen aus Fa-briken und Bü- Eu Ir» entrn bloß. (Refr.) Hal-lo, hal-lo, du Pro-le-tar, die Au-gen auf, die VD ros. Wir haben manchmal Arbeit, manchmal keine Wir sind dem Brotherrn eine Nummer Fäu-ste fest. Hal-lo, hal-lo, du grau-e Schar, die Stir-ne frei. die weiße Pest, jetzt müßt ihr sie zer-schla-gen, die weiße Pest jetzt müßt ihr sie zer-schla-gen. 329 2; Wir sind die Kinder rechtloser Proleten, wir haben keine goldne Jugendzeit, wir können nicht zu guten Göttern beten, wir fronen schwer im schlichten Werktagskleid. Refr.: Hallo, hallo, Du Proletar... 3. Ihr wohnt in schönen Villen und Palästen, ihr kommt aus hoher Schule und vom Sport, ihr braucht ja keine Arbeit, tanzt auf Festen, ihr sprecht vom Deutschtum und übt Fememord. Refr.: Hallo, hallo, Du Proletar (Nach mündlicher Überlieferung durch A. Binder; aufgezeichnet von Ulrich Klan) Bemerkenswert ist die Verbindung der »Freien Sänger« zu den Arbeiterbörsen der rheinischen FAUD. Diese förderten aktiv den Aufbau weiterer Chöre nach dem Vorbild der Düsseldorfer »Freien Sänger 04«. Der »Syndikalist« schrieb 1920: An vielen Orten sind unsere Genossen dazu übergegangen, syndikalistische Gesangsvereine ins Leben zu rufen. An erster Stelle ist es wohl unseren Düssel- dorfer Genossen gelungen, einen gemischten Männer- und Frauenchor zu schaf- fen, derMustergültiges leistet. Der Chor ist ca. 200Mitglieder stark und hat in P.H. Ortmann einen Dirigenten von seltener Begabung gefunden... Es ist Herrn Ortmann gelungen, die Anfänge einer zu unserer Weltanschauung passenden Musik zu fmden.(27) Ein weiteres LiedP.H. Ortmanns, dem der Text Heinrich Kämpchenszugrundeliegt soll hier rekonstruiert werden: Weckruf (Heinrich Kämpchen) P.H. Ortmann en N 4 as n Fersen + Mann der Berge, aufgewacht ob im Stollen oder Schacht 3i-5= nn tw ni. len won yon in De eingehüllt von Pulverdampf, rüste dich zum Freiheitskampf. 330 2. Lang genug hast du gesäumt Und geschlafen und geträumt, Morgenrot wirft seinen Schein, Neues Leben bricht herein. 3. Hörst du nicht den Kampfeston? Deine Brüder fechten schon, Stehen straff in Reih und Glied, Nur du bist noch schlaff und müd. 4. Klagen über deine Not Schafft dir Besserung nicht und Brot, Macht dich nur zum Kinderspott — »Hilf dir selbst, so hilft dir Gott« 5. Darum endlich aufgewacht, Mann der Berge, Mann der Nacht, Hast bis jetzt du noch gesäumt, Länger wird nicht mehr geträumt! 6. Rüste dich zur Gegenwehr, Kämpfe mit im Brüderheer, Immer mutig dran und drauf! Mann der Berge, wache auf! Im Folgenden entstanden im rheinisch-bergischen Raum »Freie Sänger«-Chöre in verschiedenen Städten und Stadtteilen: Düsseldorf: Freie Sänger Bilk, -Unterrath-Thewissen, -Lyra Oberbilk, - Harmonie Eller, -Derendorf-Rath Hamborn: Gemischter Chor »Morgenrotte« Elberfeld: Freie Sänger Wiesdorf: Freie Sänger Uerdingen: Freie Sänger(28) Aus dem westfälischen Raum wird von den »Freien Sängern« Mengede und Dortmund berichtet, jedoch weist der »Syndikalist« für Dortmund daraufhin, daß 331 es sich dabei »nicht um eine Gründung der Syndikalisten handelt, sondern daß (der Chor) schon länger bestand und jetzt auf freier Grundlage wieder aufgebaut wurde.«(30) Ein großes, gemeinsames Konzert dieser (und weiterer regionaler) Chöre ist im Jahre 1921 überliefert. Am 9.10.1921 — kurz vor dem 13. FAUD-Kongreß in Düsseldorf — fanden sich »ca. 700 Sängerinnen und Sänger« im Kaisersaal der Düsseldorfer Tonhalle zu einem gemeinsamen Konzert zusammen. Zu den oben benannten Chören kamen hier noch weitere, den Anarcho-Syndikalisten ferner stehende Sängervereinigungen: »Freiheit« Homberg-Hochheide, »Freiheit« Moers und »Freiheit« Krefeld.(31) Derartige Massenchorfeste waren in der Arbeiter- bewegung zu besonderen Anlässen üblich — und die rheinischen Anarcho- Syndikalisten feierten den 13. Kongreß der FAUD als besonderen Anlaß. Die Betonung des Massenhaften war eine Zeiterscheinung — nicht nur bei der Arbei- terbewegung, ihren Massenturm- oder -chorfesten, sondern auch im bürgerlichen Konzertwesen der damaligen Zeit: Die Orchester wurden ins Gigantische ver- größert — z.B. Mahlers »Symphonie der 1000« hatte längst die Grenze der Kapazität der meisten Konzertpodien erreicht. Bei dem Konzert der »Freien Sänger« war nach mündlichen und schriftlichen Berichten die Düsseldorfer Tonhalle »überfüllt«,(32) desgleichen das Konzertlokal »Fredenbaum« in Dortmund bei einem Auftritt von »ca. 200« Sänger(inne)n der »Freien Sänger 04«. Nach dem Dortmunder Auftritt kam es am dortigen Hauptbahnhof zu handgreiflichen Auseinandersetzungen der Arbeitersänger mit der Polizei.(33) Die FAUD beschloß auf Antrag der Düsseldorfer »Freien Sänger« auf dem 13. Kongreß, die angeschlossenen Arbeiterbörsen und Föderationen auf Spenden für das »Freie Lied« zu verpflichten. Hiermit sollte das Notenmaterial für die zahlreichen Chöre und die Organisation der »Freien Sänger-Gemeinschaft« finanziert werden, die ab 1921 ein »Mitteilungsblatt« und Ende der 20er Jahre eine Zeitung »Freie Sänger« herausgab. Von diesen Publikationen ist kein Exemplar mehr auffindbar. Am bemerkenswertesten ist die Notiz, »daß ein Teil der einlaufenden Spen- dengelder dazu bestimmt werden soll, unserem Komponisten, Genossen P.H. Ortmann, wieder die Möglichkeit zu geben, in erster Linie als Komponist zu wirken.«(34) Anton Rosinke, der dies im Zusammenhang mit der Bestätigung eingegangener Spenden (u.a. aus München, Magdeburg, Berlin...) schrieb, scheint es gelungen zu sein, diese »Beschäftigung« eines Komponisten bei der FAUD durchzusetzen — daß Ortmann dabei zum »Genossen« erklärt wurde, hat mög- licherweise auch damit zu tun, daß weniger »kulturbeflissene« Syndikalisten in ihrer Kritik an dieser neuerlichen »überflüssigen« Geldausgabe beschwichtigt werden mußten. Ortmann scheint bis 1930 von der Organisation mitfinanziert worden zu sein — »dann hatten wir kein Geld mehr, um ihn zu bezahlen.«(35) 332 Von den zahlreichen Auftritten der »Freien Sänger« sollen hier nur die genannt werden, die zeigen, welches musikalische Spektrum ihnen zur Verfügung stand und daß sie trotz der Betonung des »Tendenzliedes« auch Werke der Renaissance und Romantik nicht verachteten. So veranstalteten die »Freien Sänger 04« am 7. Oktober 1922 in der Tonhalle einen »Altmeister-Abend« mitMadrigalchören aus dem 15./17. Jahrhundert.(36) Auch an den jährlichen »Kropotkin-Feiern« der Arbeiterbörse waren die freien Sänger beteiligt — hier besonders mit Ortmann- Werken zu Texten des anarchistischen Dichters Mackay.(37) Diese rheinischen Arbeitersänger und -sängerinnen waren keine trockenen Fanatiker der »Tendenz- kunst«, auch wenn —mit ironischem Unterton—im Rückblick über sie gesagt wird: »Wir wollten mit dem Gesang die Welt stürmen!«(38) Auf den Unterhaltungsabenden der anarcho-syndikalistischen Industrieföderationen gaben sie auch rheinische Klamauk- und Nonsenslieder zum Besten. (»Et lä ener Geiß so schwer am Herz, dat sie nur hält en Stümmelke Sterz...«)(39) In Verbindung mit Instrumentalensembles führten die »Freien Sänger« klassische Werke und Chor- kompositionen von Uthmann auf. Als ein musikalischer Höhepunkt ihres Wirkens muß das Jahr 1929 gelten. Zusammen mit der befreundeten »Volkskunstgemein- schaft Berlin-Wedding«, einem 50-köpfigen proletarischen Jugendorchester unter Leitung des erwähnten Erwin Klest, führten die »Freien Sänger« in Düsseldorf- Gerresheim die »g-Moll-Ouvertüre« von Bruckner, die 5. Symphonie von Dvorak, 2 Chorwerke des kommunistischen Chorleiters Franz Lande (Wuppertal) und Werke von Ortmann auf.(40) Im folgenden Jahr statteten über 100 Freie Sänger Düsseldorfs den Berlinern einen Gegenbesuch ab, der ebenfalls in einem gemeinsamen Auftritt gipfelte. Wir können uns kein vollständiges Bild davon machen, wie Ortmanns Kom- positionen und ihre Realisierung durch die »Freien Sänger« geklungen haben. Zwei Kritiken von sozialdemokratischer Seite sind erhalten, die allerdings fast nichts über Ortmanns Musik aussagen, stattdessen hauptsächlich darüber infor- mieren, was die Kritiker lieber gehört hätten. So schrieb der Düsseldorfer Musikdirektor Paul Moedebeck über das Konzert am 9.10.1921: Der Saal war überfüllt, so überfüllt, wie man den Kaisersaal nur bei großen politischen Versammlungen in der Revolution gesehen hat...Wie schön wäre es gewesen, wenn man vor einer solch stattlichen Menge Volkslieder tief aus demHerzenherausgesungen häte, die Masse damitinBegeisterung versetzend.Volkslie-der scheinen die Freien Sänger nicht zu kennen, auch unsere Musikheroen werden scheinbar von ihnen nicht gewürdigt. Sie können nur Chöre ihres Dirigenten, des Herm Ortmann. Das ist sehr betrübend. Über Ortmann schrieb dieser Kritiker: »Man sah, der Komponist hatte Talent. Mehr sah man dagegen nicht...Er ist ein noch sehr unbedeutender und wird es bleiben, wenn er nicht den einzig richtigen Weg findet.... (41) Ähnlich äußere sich nach dem Dortmunder Konzert die sozialdemokratische »Westfälische allgemeine Volkszeitung«: eu C,i!.7DDO DOD I» tAottn: Filr Freit161 und Rua f e | tilt 911)Qinlanb una Illeixfalgn 402affenetlor: ea. 700 C*änpertnnen unb Zänger, - OPernifclite (Egnre — lJ21änner=(Ellirc fl ($efamtleftung: 13. $. £Irtrnannaüffelborf. cH Eu cu = „üffethor f £ € [@) cu sur 4fnffüt)rung gefangen bie grnfjten - D| % A| - obi’Round am Sonntag ben 9. Dttober, abenbs 7 : Ubr, im »aiier= u. 3erbinbungs[uat ber toniinVe ı 0 Q>rttnannrchen greiDeitoroerEe ' p EI Bemtfc)te (Wee_: ‚92tetne ge „Inc Scfmtebe tm Mae", . ug 2 2ännent}öre: ‚23ergmann! 2lufgemad)t', ‚„22tatmorgtn', ro 7 cum „„iörtef#te Eiebc". 6:d Elilsnm 1. 2Rale: “Morgenröte ber Wreibeit" ! 4 Ms 74ttmmtget gemifd)ter 21ujfüyrungsbauer ca. lö 22tinuten. Uraufführungega: „2ieb bes irugeo'" (Bemtfditer (£ Or, Ö „9tiafenf onnef', Männerd)or. 9Jtitmtrtenbe 21rbelter-iffiefangueretne: - - rot" *unborn, -rejea' Rre letb, --reffe Sdnger" tier? „‚arejeit" 4jombebogjjeibe, „Sreihelt" „fito en® bingen,-rete 5n er" üfelaort?2 , reit SänAAere flatmate Düpetbor4ttler, Artie 5Sng (sara)r i itpet® ... PorfeDberbilt, „arete Sänger'' Dgrenbo9tatl), grete EiSänger" 9tath--Dewtfjen, „-rete Siulger" üpeidorv 1804. g -tntrtttskarten a 6 Marti einf-Itef;tfdj Bteuer ° unb Sttirtberabtnge ftnb 3u haben bet ben :nttigliebern oben genannter 23ereint e u.tn ben butt 13lakate kenntlich gemachten StierkanfsfteQen. (t